11 Definition der Psychodiagnostik 1 Inhalt Psychologische Diagnostik gehört innerhalb der Psychologie neben den Forschungs- und Evaluationsmethoden zu den methodischen Bereichen. Dennoch ist sie eine primär anwendungsorientierte Disziplin, die ihre Grundlagen aus der Differentiellen Psychologie und Persönlichkeitsforschung bezieht. 1.1 Aufgaben, Fragestellungen und Kennzeichen der Diagnostik 1. Arten von Diagnostik 1. Strategien der Diagnostik 1. Historischer Entwicklungsverlauf der Diagnostik
1 Definition der Psychodiagnostik Road (Concept) Map 1 DEFINITION DER (KAPITEL 1) GRUNDLAGEN DER (KAPITEL ) VERFAHREN (KAPITEL ) 1 1 1 KENNZEICHEN VON (1.1) THEORIE: THEORETISCHE MODELLE (.1) FÄHIGKEITS- UND LEISTUNGSTESTS (.) STRATEGIEN DER (1.) TION (.) TEST: TESTKONSTRUK- PERSÖNLICHKEITS- TESTS (.) 5 HISTORISCHE ENTWICKLUNG DER (1.) ÜBERPRÜFUNG: ITEMANALYSE (.) OBJEKTIVE/ PROJEKTIVE TESTS (../.) BEURTEILUNG: GÜTEKRITERIEN (.) VERHALTENS- BEOBACHTUNG (.5) ITEMKONSTRUKTION (..) BEFRAGUNGEN (.6) KLASSISCHE TESTTHEORIE (.1.1) ENTWICKLUNGS- TESTS (..1) ITEM-RESPONSE- THEORIE (.1.) SCHULLEISTUNGS- TESTS (..) NEBENGÜTE- KRITERIEN (..) MOTIVATIONS-/ INTERESSENTESTS (..)
Definition der Psychodiagnostik 1 5 6 ANWENDUNGS- FELDER (KAPITEL 5-7) URTEILE UND ENTSCHEIDUNGEN (KAPITEL ) PROBLEME UND LEISTUNGEN (KAPITEL 8) 1 1 1 (5) ARBEITS- UND ORGANISATIONS- KLINISCH- (6.1) URTEILSBILDUNG (.1) BEURTEILUNG (.) VERHALTENS- VARIABILITÄT (8.1.1) SELEKTIVITÄT (8.1.) 5 KLINISCH- NEUROPSYCHO- LOGISCHE (6.) GUTACHTEN- ERSTELLUNG (.) EXTREMWERTE (8.1.) 6 PÄDAGOGISCH- (7) RECHTLICHE BEDINGUNGEN (.) ANHEBUNG DER RELIABILITÄT (8..1) ARBEITS- UND ANFORDERUNGS- ANALYSE (5.) VALIDITÄTS- GENERALISIERUNG (8..) KLINISCHES INTERVIEW (6.1.) SUPRESSION UND MODERATION (8..) REHABILITATIONS- (6..) NICHT-LINEARE MODELLE (8.1.) SCHULLAUFBAHN- BERATUNG (7.)
1 Definition der Psychodiagnostik 1.1 Aufgaben, Fragestellungen und Kennzeichen der Diagnostik Diagnose oder Prognose Die Psychologische Diagnostik ist gekennzeichnet durch die Sammlung, Bewertung und Aufbereitung spezifischer Informationen, um daraus bestimmte Schlussfolgerungen, Prognosen oder kontrollierte Maßnahmen ableiten zu können. Daher basieren professionelle diagnostische Entscheidungen auf einem komplexen Informationsverarbeitungsprozess, bei dem auf Anleitungen, Regeln und empirische Befunde zurückgegriffen wird. Im Zuge des diagnostischen Prozesses werden dazu von bestimmten Merkmalsträgern (z. B. Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen, Situationen oder Objekte) diagnostisch relevante Charakteristika erhoben, die nach entsprechender Aufbereitung zu einer Diagnose oder Prognose integriert werden (s. Amelang & Schmidt-Atzert, 006). Definition Die Aufgabe der Psychologischen Diagnostik besteht in der Erhebung von Differenzen zwischen Merkmalsträgern unter standardisierten Bedingungen zum Zwecke einer diagnostischen Anwendung. Im Falle einer personenbezogenen Diagnostik wird angestrebt, solche interindividuellen Differenzen und / oder intraindividuellen Charakteristika und Veränderungen zu erfassen, die einer Prognose zukünftigen Verhaltens und Erlebens und / oder einer angestrebten Verhaltensmodifikation dienen. Eine diagnostische Aufgabe ist in der Folge zunächst an bestimmte Fragestellungen und Interessen einerseits bzw. Personen und Institutionen andererseits gebunden. Psychodiagnostik ist eine methodische Disziplin im Dienste der Anwendung sie wird nicht um ihrer selbst willen betrieben, sondern um praxisbezogene Entscheidungen vorzubereiten und zu fundieren. Dabei kann es sowohl um die Zuordnung als auch um die Veränderung von Personen und Situationen gehen oder auch darum, bestimmte unerwünschte Zustände zu beheben bzw. wünschenswerte veränderte Zustände zu erzielen. Psychologische Diagnostik folgt damit weniger einem kausalen als vielmehr einem finalen Denkmodell: Die im Zuge des diagnostischen Prozesses erhobenen Informationen werden nicht als Ursache, sondern als Indikatoren für die Auswahl aus Alternativen verwendet. Es wird nicht nur festgestellt, was gegenwärtig ist, sondern auch, was in Zukunft geschehen soll.
Auf g a b e n, Fragestellungen un d Kennzeichen de r Diagnostik 15 REGELN (STANDARDISIE- RUNGEN) ANWENDUNGS- DIFFERENTIELLE PSYCHOLOGIE/ PERSÖNLICHKEITS- PSYCHOLOGIE bezieht Grundlagen aus basiert auf METHODENFÄCHER gehört zum Bereich kennzeichnet kennzeichnet FÄCHER gehört zum Bereich kennzeichnet Abb 1.1 Concept-Map zu den Kennzeichen von Diagnostik ANLEITUNGEN verwendet ERHEBUNG daraus folgt daraus folgt BEWERTUNG liefert AUFBEREITUNG EMPIRISCHE BEFUNDE spezifischer spezifischer spezifischer EINZELPERSONEN MERKMALS- PERSONEN- GRUPPEN können sein können sein TRÄGER stammen von führen zu INFORMATIONEN führen zu können sein SCHLUSS- führen zu KONTROLLIERTE MAßNAHMEN/ FOLGERUNGEN INTERVENTION/ REHABILITATION ORGANISATIONEN daraus folgt PROGNOSEN/ DIAGNOSEN/ BEFUNDE daraus kann folgen Zusammengefasst: Die Zielsetzung der Diagnostik besteht darin, inhaltlich begründete und ethisch vertretbare Entscheidungen über Personen oder Institutionen zu treffen, die mit besonderen Konsequenzen verbunden sind. Psychologische Diagnostik besitzt damit einen praktischen, für den Beruf qualifizierenden, anwendungsorientierten Teil, in dem gesichertes Wissen aus der Psychologie zum Einsatz kommt, und einen grundlagenorientierten Teil, der sich mit neuen Fragen beschäftigt und ggf. entsprechende Anwendungen entwickelt.
16 Definition der Psychodiagnostik 1. Arten von Diagnostik Je nach Anwendungsfeld kommen innerhalb der Psychologie verschiedene Arten von Diagnostik zum Einsatz. institutionelle Diagnostik individuelle Diagnostik Arbeits- und Organisationspsychologie: So setzt die Arbeits- und Organisationspsychologie diagnostische Verfahren bei der Ausbildungs-, Berufs- und Personalauswahl ein (Y Kap. 5). Konkrete Fragestellungen reichen von der Auswahl geeigneter Kandidaten für Fortbildungen oder Qualifikationsstellen bis hin zur Diagnostik von Arbeitsprozessen, Organisationseinheiten, kompletten Organisationen oder Institutionen. Daher wird diese Art der Diagnostik auch als institutionelle Diagnostik bezeichnet. Pädagogische Psychologie: In gleicher Weise verwendet die Pädagogische Psychologie die Diagnostik im Rahmen von Schulfähigkeits- oder Eignungsfeststellungen für bestimmte Schulen oder Studiengänge, bei der Erfassung besonderer Leistungsdefizite oder Hochbegabungen, bis hin zur Feststellung von Problemen bei der Erziehung in Familie und Schule (Y Kap. 7). Klinische Psychologie: Im Gegensatz dazu bewegt sich die Klinische Psychologie eher im Bereich der individuellen Diagnostik, wenn etwa für einzelne Fälle nach den Bedingungen und Ursachen psychischer Beeinträchtigungen oder Störungen gefragt wird, um daraus Ansatzpunkte für geeignete Interventions- und Therapiemaßnahmen zu gewinnen. Klinische Neuropsychologie: Ein ähnliches Vorgehen zeichnet die Klinische Neuropsychologie aus: Auf der Basis neurologischer und neuropsychologischer Befunde werden für einzelne Patienten spezielle Rehabilitations- oder Trainingsmaßnahmen abgeleitet und begleitet (Y Kap. 6). 1. Strategien der Diagnostik Gesteuert wird der diagnostische Prozess durch diagnostische Strategien. Eine diagnostische Strategie basiert auf einer Konzeption, die auf erhobenen Daten aufgebaut und zur Erreichung eines bestimmten Ziels eingesetzt wird. Unterschieden werden Selektionsstrategien und Modifikationsstrategien: Personen- vs. Bedingungsselektion Selektionsstrategien versuchen durch die adäquate Auswahl von Personen und / oder Bedingungen, einen optimalen Zustand zu erreichen. Diese
Strategien der Diagnostik 17 Strategie wird primär im Rahmen der institutionellen Diagnostik angewendet. Entsprechend wird eine Personenselektion, nach der unter gegebenen Bedingungen eine Person nach einem Optimierungskriterium ausgewählt wird, unterschieden von einer Bedingungsselektion, bei der durch die Auswahl optimaler Bedingungen für eine Person ausgewählt wird. Selektionsstrategien basieren in der Regel auf der Annahme zeitlicher Stabilität der psychischen Beschaffenheit von Personen und der psychologischen Kennzeichnung von Bedingungen. Diese Annahme zeitlicher Stabilität wird dem Bereich der Statusdiagnostik zugeschrieben, deren Resultate wesentlich auf Querschnittsvergleichen von Personen in einer Stichprobe basieren. Anwendung finden Selektionsstrategien v. a. im Bereich der Eignungsdiagnostik. Eine Modifikationsstrategie ist dadurch gekennzeichnet, dass hier durch eine spezifische Veränderung ein Zustand oder Prozess optimiert werden soll. Diese Strategie ist typisch für Fragestellungen im Rahmen der individuellen Diagnostik. Unterschieden wird dabei in personenbezogenen Kontexten zwischen einer Verhaltensmodifikation, bei der die diagnos- Statusdiagnostik Verhaltens- vs. Bedingungsmodifikation wird differenziert nach unterteilen sich in ARTEN VON unterteilen sich in Abb 1. Concept-Map zu den Arten und Strategien von Diagnostik INSTITUTIONELLE ARBEITS- UND ORGANISATIONS-, PÄDAGOGISCHE PSYCHOLOGIE KLINISCHE PSYCHOLOGIE, KLINISCHE NEURO- PSYCHOLOGIE INDIVIDUELLE wird vornehmlich betrieben in wird auch betrieben in wird vornehmlich betrieben in finden Anwendung in der PERSONSELEKTION VERHALTENS- MODIFIKATION finden Anwendung in der basieren auf einer normorientierten SELEKTIONS- STRATEGIEN werden eingesetzt zur werden eingesetzt zur MODIFIKATIONS- STRATEGIEN basieren auf einer kriteriumsorientierten STATUS unterteilen sich in BEDINGUNGS- SELEKTION BEDINGUNGS- MODIFIKATION unterteilen sich in PROZESS- wird differenziert nach STRATEGIEN VON
18 Definition der Psychodiagnostik Prozessdiagnostik tischen Resultate eine Entscheidung implizieren, die eine Änderung des Verhaltens zur Folge hat, und einer Bedingungsmodifikation, bei der durch die Veränderung von Bedingungen ein anderes Verhalten bewirkt werden soll. Modifikationsstrategien basieren auf Methoden, die für einen Einzelfall die adäquate Behandlungsform diagnostizieren und deren Effektivität evaluieren. Dabei ist häufig eine längsschnittliche Betrachtungsweise gefordert, die überwiegend einer Prozessdiagnostik folgt, aber auch statusdiagnostische Elemente beinhalten kann. Anwendung finden Modifikationsstrategien vornehmlich im Bereich klinisch-therapeutischer Diagnostik. Definition Selektionsstrategien basieren auf einer normorientierten Statusdiagnostik und dienen der Ermittlung eines Ausprägungsgrades optimaler Eigenschaften oder Bedingungen. Modifikationsstrategien basieren auf einer kriteriumsorientierten Prozessdiagnostik und dienen der Veränderung von Verhaltens- oder Bedingungszuständen. 1. Selektion Historischer Entwicklungsverlauf der Diagnostik Der Beginn der Diagnostik geht auf Leistungsprüfungen in China zurück, die bereits vor rund drei- bis viertausend Jahren entwickelt wurden (s. DuBois, 1970). Bewerber, die sich auf gehobene Staatsposten bewarben, wurden mit verschiedenen Aufgaben konfrontiert, die einem schriftlichen Teil (Aufgaben aus den Bereichen Recht, Landwirtschaft, Finanzen, Geografie, Literatur und Rechnen) und einem auf besondere Fertigkeiten ausgerichteten Teil (wie Musizieren, Reiten und Bogenschießen) entstammten. In der Folgezeit wurde daraus ein mehrstufiges Selektionsprogramm entwickelt, das in seiner Grundstruktur bis zum Jahre 1905 eingesetzt wurde. Im 19. Jahrhundert wurde dieses chinesische Testsystem von Engländern nach Europa gebracht und diente dort später Deutschen, Franzosen wie auch Amerikanern als Vorbild für die Entwicklung vergleichbarer Prüfungssysteme. Die Vorstellung interindividueller Unterschiede und ihre wissenschaftliche Analyse entstanden allerdings erst in den letzten Jahrhunderten, in denen die Naturwissenschaften Physik, Mathematik und Biologie frühe Messmodelle lieferten. Hervorzuheben ist hier besonders die Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809 188), die den zentralen Gedanken der Selektion einführte und interindividuelle Differenzen als un-