Antje Blöcker Ausdifferenzierung der Wertschöpfungskette - Logistik und Entwicklungsdienstleister als Herausforderung für die Interessenvertretungen Fachtagung: Automobilindustrie in Ostdeutschland. 24.09.2013 in Dresden
Trotz weltweiten Booms: das Problem ist der Automarkt Europa Neuzulassungen PKW West Europa Stückzahlen in Millionen 16 15 14 13,5 13,4 13,5 13,4 14,4 15,1 14,7 14,8 14,4 14,2 14,5 14,5 14,8 14,8 13,6 13,7 13 12,8 13 12,8 12 11,9 12 11,8 11 11,3 11,4 10 2013E 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 Quelle: ACEA Quelle: IG Metall. Babette Fröhlich, FB Koordination der Vorstandsaufgaben und Planung. 08.08.2013
Autokrisen sind Verwertungs-und Überkapazitätskrisen und kommen seit 1974/75 in immer schnelleren Abständen. Automarkt Europa: Problem für alle Hersteller 1700 1600 1500 1400 1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 Neuzulassungen PKW Europa +EFTA) I. Halbjahr 2013: 6.438 (minus 6,7 %) Stückzahlen in Tausend 500 Jun 05 Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Quelle: ACEA 2010 2011 2012 2013 Quelle: IG Metall. Babette Fröhlich, FB Koordination der Vorstandsaufgaben und Planung. 08.08.2013 3
Herausforderungen an die industrielle Transformation in der Automobilindustrie Veränderte Massenproduktionsbedingungen: Verlagerung der Wachstumsmärkte von Europa in die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) mit neuen Produkten, neuen Märkten, neuen Geschäftsmodellen, neuen Konsummodellen. Hohe Innovationsdynamik mit z.b. neuen Werkstoffen, Leichtbau, Elektrifizierung der Antriebe, Industrie 4.0 (Internet der Dinge): Vernetzung der betrieblichen Innovationsketten (Integration von externen Wissensflüssen). Neue Mobilitäts- und Logistikformen: Verkehrswende? Klimawandel mit Erhöhung der Energie-und Materialproduktivität, Erneuerbare Energien: Energiewende. Demographische Entwicklungen mit wachsenden Städten und schrumpfendem Umland und alternden Belegschaften: Jung-alt-Übergänge, gesicherte Renten, bezahlbare Mieten für alle. Gesundheitsgefährdungen und Umweltgefährdungen durch Ausweitung prekärer Beschäftigung. Wandel industrieller Wertschöpfung mit schrumpfenden Kernen und wachsenden Rändern. Einerseits Tertiarisierung der industriellen Fertigung mit wachsenden Angestellten/Ing.- unf TechnikerInnen-Anteilen, andererseits Entwertung von qualifizierter Facharbeit. Beides geht mit dem vermehrten Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen einher. 4
Herausforderungen an die industrielle Transformation in der Automobilindustrie Hohe Innovationsdynamik und beschleunigte Produktlebenszyklen Neue Wertschöpfungsanteile durch Elektronisierung, Car tocar Kommunikation, Infotainment Fertigungstiefe (25-30 %) -und Entwicklungstiefe (50-60 %) bei den OEMs sinken Outsourcing, Fremdvergabe (Kern Kann Festlegung, make or buy) JiT/JIS-Anlieferung, Straße als Lager Fragmentierung und Segmentierung der Wertschöpfungsprozesse Besonders betroffen: Verhältnis interne zu externe Logistik Verhältnis interne zu externe Entwicklungsarbeit 5
Die Automobilindustrie als Wertschöpfungskette 3rd tier- Lieferanten 3rd tier- Lieferanten Komponenten- Lieferanten 2nd tier- Lieferanten 2nd tier- Lieferanten Ingenieur- Büros L O G I S T I K Ausrüstung Händler Modul-System- Integratoren Ersatzteile Logistik Modul- Lieferanten Logistik Hersteller als Systemintegratoren Flotten- Management Entwicklungs- Dienstleister Mobilitäts- Dienstleister Dienstleistungen Direkte Beschäftigung + Faktor 2.4 Dienstleistungen After Sales / Werkstätten Finanzierung IT- Service Infrastruktur B2C Kunden 6
Interne externe Logistik Im Zuge des industriellen Strukturwandels erfährt die Logistik einen Funktionswandel: vom reinen Transport zum komplexen herstellenden Belieferer wie z.b. das Betreiben von Zwischenlagern, Vormontage, Modulmontagen, Kommissionierung von Teilen, JIT/JIS-Anlieferung direkt ans Band (linefeeding) (vorher interne Logistik) Logistikarbeiten werden wie Komponenten über Lastenhefte der internen Logistik ausgeschrieben, in der Regel für 3 bis 5 Jahre, gesteuert wird v.a. über den Preis. Beschäftigung in der internen Logistik überliegt der Logik der OEMs, nimmt ab. Beschäftigung bei Externen: Un-und Angelernte, Leiharbeiter, Werkverträge (Beispiel Audi-Schermin Ingolstadt) Große Automobillogistiker: Schnellecke, Rudolph Automotive Kühne & Nagel, Schenker (Bahn AG), Thiel, Rhenus, Huppertz, Scherm, Preymesser 7
Entwicklungsdienstleister (EDL) Zunahme der Entwicklungsarbeit u.a. wegen Produkt-und Variantenvielfalt, Einbindung der Zulieferer in frühen Phasen der Produktentwicklung, Simultaneous Engineerging(Projekthäuser) EDLer als Garanten für die Integration von neuem Wissen (CAD/CAM, Software, IT) Aber: Standardisierung der Entwicklungsarbeit (= Entwertung von Ing-Tätigkeiten mit Kostenund Lohndruck) Abfrage IGM 9/2012 F&E-Bereich Automobilindustrie (Quelle Klebe 2013) Auto A: 9.000 Eigenentwickler (ca. im gleichen Umfang Fremdentwickler) Auto B: 40 % Eigen, 60 % v.a. Werkverträge Auto C: 60 % Eigen, 40 % Fremd, v.a. Leiharbeit Auto D: 45 % Eigen, 35 %Werkverträge, 20 % Leiharbeit Ford: 58 % Eigen, 42 % Fremd, davon je zur Hälfte Werkverträge und Leiharbeit 8
Unternehmen Große Entwicklungsdienstleister in Deutschland/Europa Automotive Umsatz in Millionen Euro 2012 Anteil Automobil am Gesamtumsatz 2012 Beschäftigte 2012 Aton Gruppe 1.101,0 55 % 18.571 AVL List (A) 1.015,0 100 % 16.200 Bertrandt 6.38,4 97 % 9.952 IAV 535,0 100 % 5.230 Stammsitze in Metropolräumen, viele Büros in OEM- Nähe Akka/MB Tech 460,0 50 % 10.650 Bosch Engineering 365,0 85 % 1.750 Altran/Ind.Hansa 350,0 40 % 20.000 Magna Steyr (A) 290,0 95 % 2.100 Ricardo (GB) 248,0 90 % 2.200 FEV 230,0 92 % 2.500 Semcon 186,0 80 % 3.000 Vector 175,0 75 % 1.100 Mahle Powertrain 121,0 100 % 590 Applus IDIADA (E) 116,0 100 % 1.400 Continental Engineering 108,0 94 % 900 ESG, Elektronik + Logistik 101,0 50 % 1.600 Ferchau 100,0 45 % 5.500 Quelle: Automobilwoche 11, 13.Mai 2013 + eigene Recherchen A. Blöcker 9
. Die neuen Global Player: das Beispiel ATON Automotive : Im Jahr 2012 waren 6.036 Vollzeitkräfte in Deutschland beschäftigt. Der durchschnittliche Frauenanteil der Vollzeitkräfte betrug 13,4%. Folgende Gesellschaften inklusive ihrer jeweiligen Tochtergesellschaften gehören derzeit im Wesentlichen dem Segment AT Tech: EDAG GmbH & Co KGaA, FFT GmbH & Co. KGaA, REFORM Maschinenfabrik GmbH & Co KG, TSO Industrieanlagen Planung und Vertrieb GmbH, BFFT Gesellschaft für Fahrzeugtechnik mbh, Rücker AG Merkmal EDL: hohe Konzentration, viele Insolvenzen viele Übernahmen Das Portfolio der ATON-Gruppe besteht derzeit aus 14 Unternehmen und beschäftigte im Geschäftsjahr 2012 insgesamt 18.571 Mitarbeiter Quelle: Aton webside, eingelesen am 21.09.2013 von Antje Blöcker 10
Herausforderungen für die Interessenvertretungen Logistikunternehmen Entwicklungsdienstleister Schichtarbeit angepasst an OEMs Eingebunden an Taktfluss der OEMs Geringe Qualifikationen Wenig Aufstiegsmöglichkeiten Sehr niedrige Entlohnung Hohe Arbeitsverdichtung Organisationsgrad gering Gewerkschaftskonkurrenz Ver.di- IGM Projektarbeit in wechselnden Einsatzbetrieben (bei tendenziell kürzeren Projektlaufzeiten) Unregelmäßige Arbeitszeiten, oft über 40 Std. hinaus Hohe Qualifikationen, aber Standardisierungstrends Organisationsgrad gering (kein Betrieb als Ort für Interessenvertretung) Hohe Fluktuation wegen großer Auftragsabhängigkeit Hoher Einsatz von prekärer Beschäftigung (Leiharbeit und Werkverträge) 11
Immer öfter: Die Kombination von Leiharbeit und Werkvertrag Bei Leiharbeit wird ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen einem Unternehmen und einem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen. Das Leiharbeitsunternehmen stellt als Arbeitgeber (Verleiher) Arbeitnehmer ein und überlässt diese an ein Unternehmen (Entleiher). Der Entleiher zahlt dem Verleiher dafür die Vergütung. Ein Werkvertragwird zwischen einem Besteller und einem Unternehmen als Hersteller abgeschlossen. Dabei kann die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit herbeizuführender Erfolg Gegenstand des Werkvertrags sein. BMW Werk Leipzig Stamm Werkvertrag Thyssen Krupp GmbH A N Ü L WISAG Produktionsservice Tempton Personaldienstleistungen DAZ Services GmbH Für die Belegschaft der Werkvertragspartner ist in der Regel der Einkauf, nicht die Personalabteilung zuständig -,deshalb geben die OEMs keine genauen Zahlen heraus. Q : L o r i g 2 0 1 2 12
Werkvertrag Abgrenzung Werkvertrag Leiharbeit (Quelle: DGB Sachsen) Ja. Das mängelfreie Werk, der Erfolg wird vergütet, nicht die Tätigkeit oder das Bemühen. Bei Mängeln kann der Besteller die Behebung vom Werkunternehmen einfordern. Ja. Der Werkunternehmer haftet für mangelfreie Ergebnisse und für Schäden, die er oder seine AN verursachen. Die eingesetzten AN erhalten Weisung vom Werkvertragsunternehmen, nicht vom Besteller. Nein. Keine Integration in den Betrieb. Ergebnisverantwortung Haftung Weisung Integration in den Betrieb Leiharbeit/Arbeitnehmerüberlassung Nein. Der Verleiher überlässt dem Entleiher den Leiharbeiter, das für wird der Verleiher vergütet. Der Leiharbeiter erbringt dafür Arbeitsleistung im Entleihbetrieb. Nein. Die Haftung liegt beim Entleiher. Der Verleiher haftet weder für die Arbeitsleistung noch für Schäden. Die eingesetzten Leiharbeiter erhalten nur Weisung vom Entleiher nicht vom Verleiher. Ja. Leiharbeiter sind zu integrieren. Sie werden wie eigene AN eingesetzt. 13
Fremdarbeiter (FAK) beim Daimler: Telefonzentrale, Fertigung, Gießerei, Entwicklung (z.b. IVM) javascript:; Es war ein schwarzer Tag für Daimler-Boss Dieter Zetsche. Die ARD hatte am 29.05. 2013 enthüllt, dass bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim Hungerlöhne bezahlt werden. Der Trick: Scheinwerkverträge (illegale Arbeitnehmerüberlassung). Für die Programmiererin Christa Hourani(56) und den Techniker Georg Rapp (57) dagegen war dies ein guter Tag, weil das Thema damit endlich einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde. Sie hatten als Werkvertragler über die IVM ihre Karriere beim Daimler begonnen. Daimler hat mittlerweile viele IVM in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen."karriere" bei Daimler begonnen. Seither kämpfen sie dagegen Quelle: an. http://www.kontextwochenzeitung.de/macht-markt/113/hungerlohn-unterm-stern-464.html, Meist vergeblich. eingelesen von Antje Blöcker am 19.09.2013 14
Was tun gegen Werkverträge? Checklisten nutzen (ist das ein Werkvertrag oder Leiharbeit) Aufspaltung von Personalführung und Produktion verhindern Auseinanderbrechen der Betriebsgemeinschaft verhindern Aushöhlung der tariflichen Leistungen, Ausweitung prekärer Beschäftigung verhindern (auch wenn nicht zustimmungspflichtig, können Informations-und Mitwirkungsrechte des BetrVG genutzt werden ( 80, 2; 92 und 93) Forderungen gegen ein weiteres Ausufern von Werkverträgen Neudefinition von Arbeitnehmerüberlassung Ausweitung des Betriebsverfassungsgesetzes Hohe Strafen gegen Missbrauch und Sozialversicherungsbetrug Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen Neudefinition von Betrieb: Erweiterter gewerkschaftlicher Betriebsbegriff : Betrieb, Werksgelände, Region 15
Umsetzung eines erweiterten gewerkschaftlichen Betriebsbegriffes Region Entwicklung Entwicklungsdienstleister Werkverträge in der Fertigung Vormontage Teilschritte der Fertigungsferne Dienstleistungen Facility Kantine Bewachung Personal-DL... Leiharbeit Stamm Werkverträge Betrieb Zulieferung von Teilen (Zulieferparks) Montage Fertigungsnahe Dienstleistungen Instandhaltung Teilelogistik Logistik Endprodukt Werkgelände Quelle: IG Metall Vorstand / FB Betriebs- und Branchenpolitik / Ressort Vertrauensleute und Betriebspolitik, März 2012 16
Jede/jeder, ohne Unterschied hat ein Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit! Herzlichen Dank für Ihre/Eure Aufmerksamkeit! Kontakt Dr. Antje Blöcker Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl für Soziologie/ Arbeit und Wirtschaft Universitätsstr. 150 Gebäude GC 04/712 44801 Bochum, Germany Tel./Fon: +49(0)234 32-22983 antje.bloecker@rub.de