Öffentliche Vorlesung Herbstsemester 2015 Die Zehn Gebote: Der Dekalog in Geschichte und Gegenwart Vier Vorlesungen, jeweils Freitag, 09.30 bis 11.00 Uhr, 6. bis 27. November, Festsaal St. Katharinen (Katharinengasse 11) Pfr. Markus Anker, St. Gallen; markus.anker@unisg.ch Freitag, 6. November 2015 Die Entstehungsgeschichte des Dekalogs Freitag, 13. November 2015 Die theologischen Gebote und der Monotheismus Freitag, 20. November 2015 Du sollst nicht töten: Das Mordverbot Freitag, 27. November 2015 Die sozialethischen Gebote, ihr historischer Kontext und ihre heutige Relevanz Martin Luther, Der Grosse Katechismus (1529; Fassung von 1580) Das erste Gebot: Du sollst nicht andere Götter haben Das ist: du sollst mich allein für deinen Gott halten. Was ist das gesagt, und wie versteht mans? Was heisst, einen Gott haben, oder was ist Gott? Antwort: ein Gott heisst das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten; also dass einen Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben; wie ich oft gesagt habe, dass allein das Trauen und Glauben des Herzens beide macht, Gott und Abgott. Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht; und wiederum, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist., da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zu Haufe, Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott. Darum ist nun die Meinung dieses Gebots, dass es fordert rechten Glauben und Zuversicht des Herzens, welche den rechten einigen Gott treffe und an ihm allein hange. Und will so viel gesagt haben: siehe zu und lasse mich allein deinen Gott sein und suche ja keinen andern; das ist was dir mangelt an Gutem, des versieh dich zu mir und suche es bei mir, und wo du Unglück und Not leidest, kriech und halte dich zu mir. Ich, ich will dir genug geben und aus aller Not helfen, lass nur dein Herz an keinem andern hangen noch ruhen. Das muss ich ein wenig grob ausstreichen, dass mans verstehe und merke an gemeinen Exempeln des Widerspiels. Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat, verlässt und brüstet sich darauf so steif und sicher, dass er auf niemand etwas gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heisst Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er all sein Herz setzt, welches auch der allergewöhnlichste Abgott ist auf Erden. Wer Geld und Gut hat, der weiss sich sicher, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies; und wiederum, wer keins hat, der verzweifelt und verzagt, als wisse er von keinem Gott. Denn man wird ihrer gar wenig finden, die guten Mutes sind, nicht trauern noch klagen, wenn sie den Mammon nicht haben; es klebt und hängt der Natur an bis in die Grube. Also auch, wer darauf traut und trotzt, dass er grosse Kunst, Klugheit, Gewalt, Gunst, Freundschaf t und Ehre hat, der hat auch einen Gott, aber nicht diesen rechten, einigen Gott. Das siehst du abermal dabei, wie vermessen, sicher und stolz man ist auf solche Güter, und wie verzagt, wenn sie nicht vorhanden oder entzogen werden. Darum sage ich abermal, dass die rechte Auslegung dieses Stückes sei, dass einen Gott haben heisst: etwas haben, darauf das Herz gänzlich traut.
Vorlesung 2,, 13.. November 2015 Die theologischen Gebote und der Monotheismus Inhalt: 1. Prolog, Fremdgötterverbot, Bilderverbot und Verbot des Missbrauchs des Gottesnamens: Text und Auslegung 2. Monotheismus 1. Prolog, Fremdgötterverbot, Bilderverbot und Verbot des Missbrauchs des Gottesna- mens: Text und Auslegung Exodus 20,2,2-7 Deuteronomium 5,6-11 2 Ich bin der HERR, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus. 3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. 4 Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist. 5 Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen, denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Vorfahren heimsucht an den Nachkommen bis in die dritte und vierte Generation, bei denen, die mich hassen, 6 der aber Gnade erweist tausenden, bei denen, die mich lieben und meine Gebote halten. 7 Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. 6 Ich bin der HERR, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus. 7 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. 8 Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist. 9 Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen, denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Vorfahren heimsucht an den Nachkommen bis in die dritte und vierte Generation, bei denen, die mich hassen, 10 der aber Gnade erweist tausenden, bei denen, die mich lieben und meine Gebote halten. 11 Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. a) Prolog Das Kopfstück erinnert an altorientalische (v.a. neuassyrische) Vasallenverträge, in denen der Grosskönig mit seinen bereits erwiesenen Wohltaten das exklusive Verhältnis zu seinen Vasallen begründet. Exkurs: Altorientalisches Keilschriftrecht / Altorientalische Staatsverträge Als Keilschriftrecht bezeichnet man die in keilschriftlichen Quellen überlieferten Rechtsordnungen der altorientalischen Hochkulturen, in erster Linie der Sumerer, Akkader, Assyrer, Babylonier, Elamer, Hethiter und Hurriter. Eine besondere Rechtsquelle des Alten Orients bilden die zwischenstaatlichen Verträge, welche auf verschiedenen Schriftträgern festgehalten wurden. Entsprechende Dokumente wurden zwischen Babylonien und Assyrien, zwischen den Hethitern und Ägypten und zwischen diversen Fürstentümern geschlossen. Insgesamt sind jedoch die hethitischen Staatsverträge am besten bezeugt und erforscht. 2
Das älteste überhaupt bekannte zwischenstaatliche Abkommen ist die fast 4.500 Jahre alte Geierstele des Eannatum von Lagaš und berichtet zunächst ausführlich über einen Konflikt zweier rivalisierender Städte, auf welchen als Kernstück des Dokuments ein vom Sieger diktierter Friedensvertrag folgt, der vom unterlegenen Gegner bei sechs Gottheiten beschworen werden musste und nach welchem auch rechtssymbolische Akte benannt werden. Von Eannatums Neffe En-metena ist zudem ein Freundschaftsvertrag mit Lugal-kimaš-dudu von Uruk überliefert, bei welchem das Rechtsgeschäft als Verbrüderung bezeichnet wurde. Ebendieser Terminus findet sich noch im 14. Jahrhundert v. Chr. in der Internationalen Korrespondenz der ägyptischen Pharaonen Amenophis III. und Echnaton vom Fundort Tell el-amarna wieder. In dieser Zeit wurden beim Freundschaftsvertrag bereits zwei Rechtsgeschäfte unterschieden: Die Satzung (akkadisch: riksu / rikiltu), die dem Vertragspartner aufgestellt wird, und der Eid (akkadisch: mamītu), der auf die Annahme der Satzung des Partners geleistet wird. Die besser erforschten hethitischen Staatsverträge werden in Vasallenverträge und paritätische Staatsverträge unterteilt. Die Vasallenverträge verwendeten dabei ein Formular, das in der Regel aus sieben Abschnitten bestand: Präambel mit Name des ausstellenden Herrschers Vorgeschichte und Begründung der Treuepflicht des Vasallen eigentliche Vertragsbestimmungen Bestimmungen über die Verwahrung der Urkunde Bestimmungen über das Verlesen der Urkunde Anrufung der göttlichen Zeugen Fluch- und Segensformeln Derartige Verträge waren einseitige Abkommen, bei welchen der Herrscher seine Bedingungen aufstellte und der Vasall auf deren Annahme einen Eid leistete, parallel zu den Freundschaftsverträgen in Mesopotamien. Ihr Inhalt bestand in der Regel aus positiven Pflichten, vor allem im militärischen Bereich, aber auch Tributleistungen, sowie aus Unterlassungspflichten, die sich vor allem auf die jeweilige Aussenpolitik bezogen. Als Konzession wurde den Vasallen gelegentlich ein Thronfolgerecht ihrer Nachkommen zugesichert. Codex Hammurapi, 18. Jh. v. Chr.; Fragment der Geierstele, ca. 2500 v. Chr. Im Prolog stellt sich Gott als Befreier aus Knechtschaft vor, der sich damit als dein Gott erwiesen hat. Die vorab gewährte Freiheit kann nur in der Bindung an den Befreier bewahrt werden, die sich in der Erfüllung der Gebote vollzieht. Deshalb ist vor jedem Einzelgebot mit seinem Du sollst (nicht)! der Prolog mit seinem Ich dein Gott mitzudenken. - Das Verhältnis Gott-Mensch wird als Bund/Vertrag gekennzeichnet 3
- Ein Vertragsverhältnis schliesst eine bilaterale wechselseitige Verpflichtung ein: Beide Vertragspartner gehen ein Commitment ein gegenüber dem andern. - Grundlage des Bundesschlusses ist die erfahrene Rettungstat Gottes an Israel: Am Anfang steht die Erfahrung von Gottes heilvollem und rettendem Handeln. - Die Initiative zum Bundesschluss geht von Gott aus: Gott konstituiert und definiert von sich aus die Beziehung zum Menschen. Der Mensch ist Objekt von Gottes liebevoller Zuwendung. - Das Vertrags- bzw. Bundesverhältnis konstituiert eine wechselseitige Verbundenheit, allerdings nicht auf der Grundlage von Egalität und Gleichberechtigung. Gott diktiert die Bedingungen des Vertrages. Sein Diktat steht allerdings nicht auf der Grundlage von Willkür und Unterwerfungswille, sondern auf der Grundlage der Zuwendung und der Liebe, die dem Menschen beistehen, die ihn unterstützen und retten will. - Das im Anschluss an den Prolog geforderte Verhalten des Menschen, die Gebote die das Verhältnis zu Gott und das zwischenmenschliche Zusammenleben definieren, sind die Konsequenz, nicht die Voraussetzung für die Verbundenheit von Gott und Mensch. Gottes Liebe geht dem ethisch verantwortlichen Verhalten des Menschen voraus, sie schafft die Grundlage und den Raum für die Entfaltung des Menschen in Verantwortung und Freiheit. b) Fremdgötterverbot Das ohne konkrete Verben erstaunlich abstrakt formulierte Fremdgötterverbot setzt die Existenz anderer Götter als selbstverständlich voraus. Zugleich schliesst sie die Anbetung dieser im gott-menschlichen Bundesverhältnis kategorisch aus. Es handelt sich noch nicht um Monotheismus, wohl aber um exklusive Monolatrie. Die Wendung al pānaj (Luther: neben mir ; Buber: mir ins Angesicht ) hat mancherlei Spekulationen ausgelöst, wobei man sogar an einen kultischen Kontext im Tempel dachte. Aufgrund einer neuassyrischen Wendung bei der Verpflichtung zur Gefolgschaftstreue in einem Vasallenvertrag Asarhaddons ist die Bedeutung statt meiner vorzuziehen. c) Bilderverbot Der Begriff pæsæl Bild im Bilderverbot bezeichnet eine Skulptur unterschiedlicher Materialien. Er begegnet nur in kultisch-religiösen, nie in künstlerischen Kontexten. Bilder von Gottheiten sind in der Antike deren sichtbare und wirkmächtige Repräsentationen. Sie müssen deshalb von besonders befähigten Spezialisten rituell hergestellt und durch Mundöffnung und Mundwaschung belebt werden. Das Bilderverbot verbietet also nicht bildliche Darstellungen überhaupt, sondern die Herstellung eines Kultbildes, und zwar Jahwes; denn die anderer Gottheiten sind schon durch das Fremdgötterverbot ausgeschlossen. Der Begriff təmûnāh Gestalt bezeichnet die äussere Form und sichtbare Gestalt. Die damit verbundenen Relativsätze beschreiben mit Himmel, Erde und Unterwelt alle Bereiche der Welt. Sie schärfen ein, dass Jahwe durch nichts in der Welt angemessen repräsentiert werden kann. Das Verbot schliesst also nicht nur eine Darstellung Jahwes als Mischwesen, sondern jedes Kultbild Jahwes aus. Wegführung von Götterbildern (Relief, 745-727 v. Chr., in Nimrud); Stier-Statuette, 1200-1000 v.chr. 4
Die Zehn Gebote Klaus Hottinger Klaus Hottinger stürzt 1523 ein Wegkreuz bei der Mühle Stadelhofen; Barocker Innenraum (1607) der Predigerkirche in Zürich d) Verbot des Missbrauchs des Gottesnamens Das im Alten Testament analogielose Verbot, Gottes Namen zu Nichtigem zu erheben (nś ), ist in seiner vorliegenden Gestalt erst für den Dekalog geschaffen worden. Es verbietet nicht, den Gottesnamen (das Tetragramm jhwh) auszusprechen. Der entsprechende jüdische Brauch wird auch nicht mit dem Dekalog begründet. Im Gefälle des Dekalogs sichern die ersten drei Prohibitive Gottes Gegenwart: - Gott ist nicht als einer von vielen, sondern als einziger gegenwärtig - Gott ist nicht im Kultbild gegenwärtig - Gott ist in seinem Namen gegenwärtig. Die Formulierung den Namen erheben bezieht sich wahrscheinlich auf den Schwurgestus (vgl. Dtn 32,40; Ez 20,6.15). Dann hat das Verbot den Missbrauch des Gottesnamens beim Reinigungseid vor Augen, mit dem ein Beschuldigter bei fehlenden Beweisen durch Selbstverfluchung seine Unschuld beteuern und sich von der Beschuldigung befreien konnte (so schon Lev 19,12; Mt 5,33; Didache 2,3). Tetragramm; Erster Beleg des Tetragramms: Mescha-Stele, ca. 840 v.chr.; 5
2. Monotheismus Der Begriff Monotheismus ist ein uns heute geläufiger Begriff zur Umschreibung eines zentralen Aspektes der Gottesvorstellung in den drei grossen Schriftreligionen: Judentum, Christentum und Islam. So ist es nicht verwunderlich, dass er als Konzept fast selbstverständlich schon für das alte Israel vorausgesetzt wird. Die Sache ist indes nicht so einfach. Die Texte des Alten Testaments reflektieren einen Wandel, der in Stufen langsam und keineswegs gradlinig vom Polytheismus zu einem als monotheistisch zu bezeichnenden Konzept führt. Schon an der Formulierung des 1. Gebots: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben (Ex 20,3; Dtn 5,7; fällt auf, dass die Existenz anderer Götter keineswegs geleugnet, sondern selbstverständlich vorausgesetzt und nur deren Verehrung verboten wird. a) Begriffsdefinition: Polytheismus Monotheismus Henotheismus Monolatrie Während als Monotheismus der Glaube an einen einzigen universalen Gott bezeichnet wird, der den Glauben an die Existenz anderer Götter grundsätzlich ausschliesst, ist Polytheismus der Glaube an eine Vielzahl von Gottheiten, die häufig in Form eines Pantheons organisiert und zueinander in ein genealogisches und kulturell determiniertes Verhältnis gesetzt sind. Da der Begriff Monotheismus allein jedoch unpräzise ist, muss er, um eine für die Antike angemessene Kategorie darzustellen, näher bestimmt werden. Man unterscheidet von ihm bisweilen den Henotheismus, d.h. die zeitlich begrenzte Verehrung einer Gottheit, die unter vielen ausgewählt wurde, und die Monolatrie, die langfristige Alleinverehrung eines Gottes neben anderen Gottheiten. Letztere setzt einen Stammes-, Volks-, National- oder Landesgott in Abgrenzung zu anderen Stammes- etc. Göttern voraus. b) Exklusiver und inklusiver Monotheismus; universaler und partikularer Monotheismus Zudem unterscheidet die neuere Forschung exklusiven und inklusiven bzw. universalen und partikularen Monotheismus. Während das erste Begriffspaar auf den Ausschliesslichkeitsanspruch des einen Gottes abhebt, welcher entweder seine Exklusivstellung oder aber die relative Vormachtstellung unter anderen Göttern betont, stellt das zweite Paar den alles Existierende umgreifenden Anspruch des einzigen Gottes einem lediglich partikular, d.h. für eine bestimmte Gruppe gültigen Anspruch entgegen. c) Die Entwicklung zum Monotheismus in der Religionsgeschichte Israels Bernhard Lang resümiert: Der biblische Monotheismus ist ein Spätprodukt und steht nicht am Anfang, sondern am Ende der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte (1998). Man unterscheidet mit Blick auf die Entwicklung hin zum Monotheismus im Alten Testament mehrere Phasen: 6
d) Polytheistische Spuren im Alten Testament: Genesis 31: Rahel stiehlt die Hausgötter ihres Vaters Laban Da machte sich Jakob auf und hob seine Söhne und seine Frauen auf die Kamele. Und all sein Vieh und seine ganze Habe, die er erworben hatte, seinen eigenen Viehbesitz, den er in Paddan-Aram erworben hatte, führte er fort, um zu seinem Vater Isaak ins Land Kanaan zu ziehen. Als aber Laban hingegangen war, um seine Schafe zu scheren, stahl Rachel die Terafim, die ihrem Vater gehörten. [ ] Am dritten Tag wurde Laban gemeldet, dass Jakob geflohen sei. Da nahm er seine Brüder mit sich und jagte ihm nach, sieben Tagereisen weit, und im Gebirge Gilead holte er ihn ein. Und Laban erreichte Jakob. Da sprach Laban zu Jakob: Was hast du getan, dass du mich überlistet und meine Töchter wie Kriegsgefangene weggeführt hast? Nun, du bist gegangen, weil du dich so sehr nach dem Haus deines Vaters gesehnt hast. Aber warum hast du meine Götter gestohlen? 31 Jakob antwortete und sprach zu Laban: Bei wem du deine Götter findest, der soll nicht am Leben bleiben. Vor unseren Brüdern durchsuche, was ich bei mir habe, und nimm sie. Jakob aber wusste nicht, dass Rachel sie gestohlen hatte. Da ging Laban in das Zelt Jakobs und in das Zelt Leas und in das Zelt der beiden Mägde, fand aber nichts. Dann verliess er das Zelt Leas und ging in das Zelt Rachels. Rachel aber hatte die Hausgötter genommen, sie in die Kamelsatteltasche gelegt und sich darauf gesetzt. Und Laban durchsuchte das ganze Zelt, fand aber nichts. Da sprach sie zu ihrem Vater: Mein Herr, zürne nicht, dass ich mich vor dir nicht erheben kann, denn es geht mir, wie es Frauen eben geht. So suchte und suchte er, aber die Hausgötter fand er nicht. Hausgötter: Hebr. Terafim; vermutlich Figuren, die als Repräsentationen der Ahnen dienen. 7
In Meggido gefundene Terafim ( Hausgötter ); Rahel versteckt die Terafim (Wenzelsbibel, 14. Jh. e) Der exklusiv-universale universale Monotheismus Erst in der Exilszeit (ab 600 v.chr.) wird mit der Stimme des anonymen Heilspropheten Deuterojesaja erstmals ein Programm entwickelt, das den Henotheismus und die Monolatrie zu einem theoretischen Monotheismus weiterentwickelt. Während die Rede vom inklusiven oder auch inkludierenden Monotheismus die faktisch vorhandene oder bewusst herbeigeführte Simultaneität polytheistischen und monotheistischen Denkens hervorhebt, betont das Konzept des exklusiven bzw. exkludierenden Monotheismus, welches mit den drei grossen Schriftreligionen verbunden wird, die intolerante Exklusion anderer Gottesvorstellungen. Seit der Exilszeit ist der Monotheismus etabliert. Der Gedanke der universalen Gültigkeit des einen Gottes für alle Menschen und Völker, sowie derjenige des Ausschlusses jeglicher Existenz anderer göttlicher Wesen findet sich in Passagen wie Jesaja 43,10-11 oder Jesaja 44,6: Jesaja 43,10-13: Ihr seid meine Zeugen, Spruch des HERRN, und mein Diener, den ich erwählt habe, damit ihr erkennt und mir glaubt und begreift, dass ich es bin! Vor mir ist kein Gott gebildet worden, und nach mir wird keiner sein. Ich, ich bin der HERR, und keinen Retter gibt es ausser mir. Ich war es, der es verkündet hat, und ich habe gerettet, und ich habe es hören lassen, und kein fremder Gott war bei euch. Und ihr seid meine Zeugen, Spruch des HERRN, und ich bin Gott. Auch künftig bin ich es, und keinen gibt es, der aus meiner Hand rettet. Ich mache es, und wer könnte es wenden? Jesaja 44,6: So spricht der HERR, der König Israels und sein Erlöser, der HERR der Heerscharen: Ich bin der Erste, und ich bin der Letzte, und es gibt keinen Gott ausser mir. 8
Wie das seit dem 9. Jh. durchgängig belegbare JHWH-allein -Motiv zeigt, dürfte es sich bei der Entwicklung zum Monotheismus um eine sich allmählich herauskristallisierende bewusste theologische Engführung. Solche Formen theologischer Exklusivität sind ausserhalb des alten Israel und ausserhalb der Bibel belegt. Vorbild dürfte der allerdings auf wenige Jahrzehnte begrenzte Henotheismus der Amarna-Religion unter Pharao Amenophis IV. sein. Vergleichbare Tendenzen der theologischen Konzentration auf einen Gott sind auch für Persien anzunehmen. Amenophis IV., der sich in seinem 5. Regierungsjahr in Echnaton umbenannte, war der 10. Pharao der 18. Dynastie und des ägyptischen Neuen Reiches. Er regierte ca. von 1351 bis 1334 v. Chr., also ca. 17-18 Jahre lang. Er war der erste und bedeutendste Herrscher der sogenannten Amarna-Zeit, die nach der von ihm neu gegründeten Hauptstadt Achetaton, dem heutigen (Tell) el-amarna. Als Amarna-Zeit wird heute eine eigenständige Epoche innerhalb der ägyptischen Geschichte bezeichnet, die durch einen radikalen, aber nur kurzlebigen Bruch mit der Tradition gekennzeichnet ist: die vom König verordnete Hinwendung zu einer heno- oder sogar monotheistischen Verehrung des Sonnengottes Aton unter gleichzeitiger Abwendung von der polytheistisch geprägten ägyptischen Götterwelt, auch als Amarna-Religion bezeichnet. Echnaton, Nofretete und die älteste Tochter Meritaton opfern Aton. f) Bedeutung des Monotheismus / Forschungsgeschichte Der Begriff Monotheismus findet sich erstmals im 17. Jh. belegt (E. Lord Herbert of Cherbury, De religione gentilium, 1663), im Kontext eines Modells, das von einem Urmonotheimus ausgeht; dieser steht den paganen polytheistischen Religionssystemen voran, um erst nach einer Epoche der Dekadenz als Monotheismus wieder eingeführt worden zu sein. Dieser Vorstellung wurde im 18. Jh. ein animistisch-evolutionistisches Konzept entgegengesetzt, welches im Monotheismus die letzte Stufe der religionsgeschichtlichen Entwicklung sah (A. Comte, Cours de philosophie positive 5, 1869 u.a.). Über die theologischen Disziplinen hinaus wurde der Entwurf von Sigmund Freud wirksam, der auf der Grundlage des exegetischen Forschungsstands seiner Zeit (E. Sellin; E. Meyer) die Einführung des Monotheismus in Israel auf Mose, einen vertriebenen Priester des ägyptischen Atonglaubens (sog. Amarna-Reform unter Amenophis IV. Echnaton), zurückgeführt hat. Das vor kurzem von Jan Assmann (Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus., München 2003) als Mosaische Unterscheidung bezeichnete Monotheismuskonzept charakterisiert den jüdischen Monotheismus als einen exklusiven Ein-Gott-Glauben, der den sonst im Alten Orient verbreiteten Polytheismus ( Kosmotheismus ) ablöste. An die Stelle religiöser Vorstellungen, die innerhalb der altorientalischen Ökumene verbreitet waren, sei ein Konzept getreten, das die wahre Religion als Akt von Offenbarung (bzw. Stiftung) begriff. Damit sei statt religiöser Toleranz der Bekenntnischarakter ins Zentrum gerückt, der bewusst in wahre und falsche Religion unterscheidet. 9
Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939); Jan Assmann 10