Dokumentation Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen

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Transkript:

Dokumentation Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen 5. Februar 2010, Köln

Ca. 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung des Dezernats für Bildung, Jugend und Sport zu der Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen. Zielsetzung der Veranstaltung war die Vermittlung und Diskussion von Perspektiven lernpsychologischer, kompetenzorientierter und schulstruktureller Aspekte gemeinsamen Lernens auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse. Beigeordnete Frau Dr. Klein begrüßte die Anwesenden und führte in das Thema ein. In vier Fachvorträgen stellten Expertinnen und Experten verschiedene Aspekte eines längeren gemeinsamen Lernens vor. In einer abschließenden Podiumsdiskussion gingen die Referentinnen und Referenten der Frage Wo liegt die Zukunft unseres Schulsystems? nach. Moderiert wurde die Fachtagung von Helmut Frangenberg vom Kölner Stadt-Anzeiger. Dieses Dokument enthält den Beitrag von Frau Dr. Klein sowie eine Zusammenfassung der Podiumsdiskussion. Die Vortragsfolien von Herrn Prof. Dr. Brügelmann, Frau Prof. Dr. Bellenberg, Herrn Dr. Imhäuser und Herrn Dahlhaus stehen Ihnen als separate pdf-dokumente unter www.bildung.koeln.de/gemeinsam_lernen zum Herunterladen zur Verfügung. Begrüßung und Einführung in das Thema Beigeordnete Dr. Agnes Klein (Stadt Köln, Dezernat für Bildung, Jugend und Sport) Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, Sie auf der Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen begrüßen zu dürfen. Die Beteiligung von Menschen aus so vielen unterschiedlichen Bereichen wie Schulen, Schulaufsicht, Bezirksregierung, Interessensverbänden, Politik, Wissenschaft und Verwaltung zeigt das hohe Interesse an einem Thema, das durch die Entwicklung in den letzten Jahren heute aktueller denn je ist. Wenn man weiß, wie die Idee zu dieser Fachtagung entstanden ist, wird auch deutlich, wie sehr die Stadt Köln daran interessiert ist, die Diskussion um mögliche qualitative Verbesserungen unseres Bildungswesens voranzutreiben: Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung hat im Juni 2009 die Verwaltung der Stadt Köln beauftragt, eine Elternbefragung zum Wechsel ihrer Kinder auf weiterführende Schulen und die Schulwahl durchzuführen darauf werde ich später noch eingehen und gleichzeitig, als Vorbereitung für zukünftige politische Beschlüsse, diese Fachtagung vorzubereiten. Die international renommierte englische Wirtschaftszeitung "Economist" befasste sich im Februar 2006 in einem Artikel unter der Überschrift "Waisting Brains - Vergeudete Intelligenz" mit dem deutschen Schulsystem und traf die Aussage, dass dieses nicht in der Lage ist, das Beste aus dem Humankapital des Landes zu machen. Zitat: "Langfristig hat Deutschland keine andere Wahl als sein dreigliedriges Schulsystem zu beseitigen. Solche Versuche sind in der Vergangenheit zwar gescheitert, aber zwei neue Kräfte sind jetzt wirksam. Eine ist die Demographie: Da die Zahl der Schüler schnell zurückgeht, kann eine gemeinsame Schule für alle leistungsfähiger sein, als wenn drei Schultypen beibehalten werden. Die andere Kraft ist die Wirtschaft, die ohne gut ausgebildete Arbeitskräfte nicht gut gedeihen kann." Deutlich wird an diesen Zitaten, wie umfassend die Schuldiskussion in allen gesellschaftlichen Kreisen geführt wird - in Politik, Wirtschaft, Schulen, Wohlfahrtsverbänden und nicht zuletzt bei den Eltern der betroffenen Schüler. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 1

Aufgeschreckt haben zweifellos auch die Forschungsergebnisse vor allem der PISAStudien, aber auch verschiedene Armutsberichte und -studien sowie die 1. World-Vision Kinderstudie 2007. Sie alle verdeutlichten, welch verheerende Auswirkungen soziale Benachteiligung auf die Bildungschancen der Kinder und in der Folge auf den Berufseinstieg hat. Besonders problematisch ist, dass benachteiligte Kinder und Jugendliche ein sehr geringes Selbstbewusstsein hinsichtlich ihrer schulischen Möglichkeiten haben so können sich laut World Vision Studie nur 20% der sozial benachteiligten Kinder vorstellen, die Schule mit Abitur zu verlassen. Im Rahmen der Diskussion um die Folgen von Kinderarmut und der auch damit zusammenhängenden Bildungsdebatte wurde in den letzten Jahren die Forderung nach dem Ausbau der ganztägigen Betreuung der Kinder in den Bildungseinrichtungen Kita und Schule lauter. Zum einen soll dem Willen gerade der berufstätigen und auch arbeitsuchenden Eltern, insbesondere auch der Alleinerziehenden, nach berufsfreundlicher Kinderbetreuung Rechnung getragen werden, zum anderen ist aber gerade für benachteiligte Kinder die ganztägige Betreuung von ausschlaggebender Bedeutung für ihre Bildungschancen. Gerade für diese Kinder ist das möglichst frühzeitige Heranführen an schulische und außerschulische Bildungssysteme und möglichkeiten unerlässlich, wenn wir Chancengleichheit gewähren wollen - Stichwort ist hier die Weiterentwicklung einer Präventionskette, die sich vom Kleinkindesalter bis zum Berufseinstieg erstreckt. Die Stadt Köln hat sich hier ehrgeizige Ziele gesetzt, die zum Teil weit über die von Bund und Land finanzierten Möglichkeiten hinausgehen. Dies gilt für die Betreuung der unter 3jährigen Kinder, für die Ganztagsbetreuung in Grundschule und Sekundarstufe I. und für den Ausbau des gebundenen Ganztags im Sekundarbereich. Mehr Chancengerechtigkeit bezieht sich auch auf den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern. Gemäß der UN-Konvention zu den Rechten der Menschen mit Behinderung vom März 2009 soll im Rahmen der Inklusion jedes behinderte Kind das Recht haben, in einer Regelschule gemeinsam mit anderen Kindern beschult zu werden. Den Eltern soll zumindest die Wahlfreiheit zwischen Förderschule und Regelschule ermöglicht werden. Der Rat der Stadt Köln hat diesem Ansatz bereits im August 2007 mit dem Beschluss über die Verdoppelung der Plätze für den gemeinsamen Unterricht Rechnung getragen. Auch die Beteiligung der Stadt am Pilotprojekt des Landes mit 2 Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung soll dazu helfen, dem Ziel eines Systemwandels näher zu kommen. Die Bildungsreformdiskussion umfasst also mehrere thematische Stränge: 1. die Infragestellung des 3-gliedrigen Schulsystems - rechnet man die Förder- und Gesamtschulen dazu sollte man besser von 5- und mehrgliedrigem Schulsystem sprechen - mit der Infragestellung insbesondere der Hauptschulen und Förderschulen 2. die Infragestellung der frühzeitigen Selektion nach dem 4. Schuljahr und einer damit einhergehenden möglichen Verfestigung von Segregation 3. der Ermöglichung des gemeinsamen Unterrichtes und der individuellen Förderung aller Kinder mit speziellen Bedürfnissen Wie in anderen Kommunen hat sich auch in Köln das Schulwahlverhalten geändert, mehr Kinder gehen auf das Gymnasium, die Hauptschulen verzeichnen erhebliche Schülerrückgang auch auf diese Thematik gehe ich gleich näher ein. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 2

Das Schulsystem ist von der Gesetzeslage her Ländersache. Die Folgen von mangelhafter Chancengerechtigkeit tragen jedoch im Wesentlichen die Kommunen. Deshalb ist es mir wichtig, hier sehr deutlich zu sagen, dass die Stadt Köln die Problematik angehen will und wird. Wenn wir für alle Kölner Kindern gerechte Chancen auf eine gesellschaftliche Teilhabe im Erwachsenenalter schaffen wollen, muss die Kommune sich auch mit dem Schulsystem befassen und darauf hinwirken, dass hier Veränderungen stattfinden. Diese Problematik eignet sich nicht für ideologische Auseinandersetzungen nach Prinzipien der 70er Jahre. Die demografischen, gesellschaftlichen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen sind heute ganz andere als damals. Deshalb wünsche ich mir, dass wir für die politische Debatte auf fachlichwissenschaftliche Erkenntnisse und auf Erfahrungen aus der Praxis zurückgreifen. Diese beiden Aspekte spiegeln sich in der Auswahl unserer Referenten für diese Veranstaltung wider. Auf die kommunalen Handlungsmöglichkeiten zur Schulformgestaltung möchte ich an dieser Stelle etwas näher eingehen: Der Städtetag Nordrhein-Westfalen hat diese Problematik im Dezember 2008 in einem Positionspapier zusammengefasst. Unabhängig von der Bewertung der konkreten Vorschläge ist mir der Grundgedanke wichtig, den Städten und Gemeinden mehr Verantwortung für die Gestaltung des Schulwesens zu übertragen und ihnen pragmatische, flexible und vor allem bedarfsgerechte Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Kernsätze des Positionspapiers für mich sind daher: 1. Zitat: Die neuen flexiblen Organisationsmodelle werden vor Ort je nach spezifischer Anforderung und Entscheidung die bisherigen zunehmend ersetzen und zu einer Straffung des Schulsystems führen. Damit wird eine Schullandschaft geschaffen, die den örtlichen Verhältnissen und Anforderungen besser als heute gerecht wird und 2. Zitat: Ein Mehr an Bildungsverantwortung der Kommunen ist aber nur möglich, wenn hierfür seitens des Landes die notwendigen finanziellen Mittel bereit gestellt werden. Auch wenn das Schulsystem Ländersache ist: Die Kommunen müssen sich aufgrund ihrer Verantwortung für die jungen Menschen bewegen, sich einmischen und Vorschläge zur Neugestaltung machen. Dabei ist das Positionspapier ein Schritt. Und wenn ich gleich die Ergebnisse der Elternbefragung vorstelle, wird deutlich, dass auch der Elternwille über die Möglichkeiten des jetzigen Schulsystems hinausgeht. Die Gestaltungsmöglichkeiten für Städte sind in NRW besonders stark eingeschränkt. Die Bildung von Verbundschulen wird nur in ländlichen Bereichen vom Land genehmigt, wenn aufgrund des demografischen Wandels Schließungen wohnortnaher Schulen drohen. Andere Bundesländer, z.b. Berlin mit dem Modellprojekt Gemeinschaftsschule Grundschule und Sekundarstufe I, Schleswig-Holstein mit der Gemeinschaftsschule von Haupt- und Realschule oder Rheinland-Pfalz mit der Realschule plus und der stufenweisen Abschaffung der Hauptschulen sind experimentierfreudiger und in der Entwicklung weiter als Nordrhein-Westfalen. Darüber wird uns Herr Dr. Imhäuser später mehr berichten. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 3

Hinzu kommt in immer stärkerem Maße ein massives Finanzierungsproblem der Kommunen: Initiativen des Bundes und des Landes für Bildung und Betreuung in Kindertagesstätten und Schulen sind gut und wichtig. Problematisch ist, dass die Kommunen einen erheblichen Teil der Kosten selber tragen müssen. Köln engagiert sich über das von Bund und Land vorgegebene Maß hinaus ich möchte hier nur auf die U3-Versorgung und die Ganztagsinitiative Sekundarstufe I hinweisen. So sehr Köln den Ausbau der Bildungsbereiche wünscht und braucht, so sehr sind wir in unserer finanziell äußerst schwierigen Situation an den Rand des Machbaren und fast darüber hinaus gegangen. Ein höheres Maß an Unterstützung durch Bund und Land im Rahmen des Konnexitätsprinzips würde uns sehr entlasten. Ich werde nun die Situation in Köln darstellen und dabei verschiedene Aspekte beleuchten. Bei aller dargestellten Problematik muss betont werden, dass sich die Kölner Schullandschaft in den letzten Jahren äußerst positiv weiterentwickelt hat. Angeregt durch die Diskussion um die Notwendigkeit der ganztägigen Betreuung wurde der Ganztag in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut, zuletzt auch im Rahmen der Offensive des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW in der Sekundarstufe I. Ein großer Teil der städtischen Schulen in der Sekundarstufe I sind gebundene Ganztagsschulen: Von den 29 Hauptschulen sind 14 im gebundenen oder erweiterten gebundenen Ganztag. Von den 23 Realschulen sind 6 im gebundenen Ganztag im Schuljahr 2010/11 werden es 11 sein. Von den 30 Gymnasien sind ebenfalls 6 im gebundenen Ganztag im Schuljahr 2010/11 werden es 15 sein. Damit werden im Schuljahr 2010/11 voraussichtlich 40 der dann 80 Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien im Ganztagsbetrieb sein. Hinzu kommen die zurzeit 8 Gesamtschulen und 6 städt. Förderschulen im gebundenen oder erweiterten gebundenen Ganztag. Insgesamt werden damit 54 der 113 Schulen in der Sekundarstufe I im gebundenen Ganztag sein. Bezogen auf die Schülerzahlen in den Eingangsklassen bedeutet dies einen Versorgungsgrad von ca. 57% ab dem Schuljahr 2010/2011. Der Ganztag in der Grundschule ist inzwischen auf 18.800 Plätze ausgebaut, das entspricht einer Versorgungsquote von 52%. Besonders gefördert werden Offene Ganztagsschulen, die sich in Wohnbereichen mit besonderem Jugendhilfebedarf befinden. Erhöht wurden auch die Mittel zur Förderung der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Offenen Ganztag. Zusätzlich finden, gefördert über kommunale Mittel und Landesmittel, für Kinder der Sekundarstufe I Betreuungsangebote am Nachmittag in Schulen und Jugendeinrichtungen statt. Dabei werden auch die Nachmittagangebote in den Schulen größtenteils von Jugendhilfeträgern durchgeführt. Diese enge Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule begrüße ich sehr sie trägt dazu bei, Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 4

schulische und außerschulische Bildungsaspekte mit dem Ziel der ganzheitlichen Bildung zusammenzuführen. Eine intensive Vernetzung von Jugendhilfe und Schule findet im Rahmen der 2 Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung Porz und Mülheim-Ost statt. Hier wird mit hohem persönlichem Einsatz dazu beigetragen, die sonderpädagogische Förderung neu zu organisieren und stärker in den allgemeinen Schulen zu verorten. Pädagogen, Sonderpädagogen, Kindertagesstätten, ASD und der jugend- und schulärztliche Dienst entwickeln Konzepte, wie unter ganzheitlichen Aspekten Kinder mit speziellen Förderbedarfen präventiv unterstützt werden können. Nicht zuletzt ist auch das Angebot der Schulsozialarbeit gerade im letzten Jahr intensiv ausgebaut worden. Köln hat zusätzlich zu den bereits bestehenden 18 Stellen 24 neue Stellen geschaffen, davon 13 als neues Angebot in Grundschulen. Mit diesen Angeboten und dem Ausbau der Kindertagesstätten für unter 3jährige Kinder ist Köln auf einem guten Weg, Bildung, Erziehung und Betreuung für Kinder und Jugendliche bis zum Abschluss der Sekundarstufe I zu sichern an wichtigen Punkten der von Herrn Roters bereits erwähnten Präventionskette wird also intensiv gearbeitet. Besonders intensiv begleitet uns in den letzten Jahren die bereits erwähnte Diskussion um Inklusion und dabei insbesondere um den gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht-behinderter Kinder. Die Interessensverbände von Eltern behinderter Kinder einige Vertreter/innen sind heute hier anwesend fordern, dass ihre Kinder vorrangig allgemeinbildenden Schulen zugewiesen werden und dadurch eine echte Wahlfreiheit für die Beschulung in Regelschulen besteht. Die Forderung wird gestützt durch die Tatsache, dass nur Deutschland und Österreich eine so starke Selektion der Kinder im Schulsystem betreiben. Auch gibt es inzwischen Untersuchungen von Erziehungswissenschaftlern, die belegen, dass unter den richtigen Rahmenbedingungen alle Kinder von gemeinsamem Lernen profitieren. Ich unterstütze dieses Anliegen ausdrücklich, die Inklusion ist ein wichtiges städtisches Ziel und liegt mir sehr am Herzen. Der Rat der Stadt Köln hat zwar die Verdoppelung der Plätze für GU beschlossen, aber ich fürchte, das alleine reicht nicht aus. Darauf aufbauend ist insbesondere eine zügige Umsetzung von 24 der UN-Konvention über die Rechte für Menschen mit Behinderungen in nationales Recht erforderlich. 70% der im Schuljahr 2009/2010 umgesetzten Plätze für GU werden zurzeit im Primarbereich angeboten, an einer höheren Beteiligung der Schulen in der Sekundarstufe ist mir sehr gelegen. Eine gesetzliche Regelung und die finanzielle Unterstützung des Landes für die benötigten Fachkräfte und für Fortbildung würden dazu beitragen, die Entwicklung der sonderpädagogischen Förderung in den allgemeinbildenden Schulen schneller voranzutreiben. Bei dieser Tagung steht jedoch nicht das Thema Inklusion im Vordergrund, sondern unser Schulsystem mit dem Schwerpunkt des längeren gemeinsamen Lernens. Mit dem Thema Inklusion wird sich eine vom Verein Mittendrin organisierte Fachtagung im März dieses Jahres intensiv befassen. Gleichwohl hängen beide Themen zusammen: Ohne eine wirkliche Veränderung des Schulsystems würde sich der größte Teil der behinderten Schüler in der Hauptschule wiederfinden. Dies kann nicht gewollt sein. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 5

Inklusion und GU sind nur ein Aspekt einer weiterführenden Diskussion, in der es um das längere gemeinsame Lernen geht, darum, Kinder nicht schon nach der 4. Grundschulklasse in die verschiedenen Schulformen zu sortieren. Das Schulwahlverhalten der Eltern hat sich verändert. Eine Auswirkung ist, dass insbesondere die Hauptschulen mit sinkenden Schülerzahlen zu kämpfen haben. Wenn möglich, melden die Eltern ihre Kinder lieber auf anderen weiterführenden Schulen an. In der folgenden Grafik wird deutlich, wie sich das Schulwahlverhalten in den letzten 20 Jahren verändert hat. Schulwahlverhalten 1991-2008 Schulwahlverhalten 1991-2008 Hauptschule und Gymnasium 45,0% 40,0% 35,0% 38,1% 36,7% 42,6% Gymnasium 30,0% 25,0% 20,0% 15,0% 10,0% 5,0% 21,0% 18,7% Hauptschule 12,5% 0,0% 1991 2000 2008 1991 2000 2008 Gymnasium 38,1% 36,7% 42,6% Realschule 22,4% 24,8% 23,6% Hauptschule 21,0% 18,7% 12,5% Gesamtschule 14,2% 14,8% 16,2% Sonder-/Förderschule 4,3% 5,0% 5,1% Differenz 2008 ggü. 1991 + 4,5 Prozentpunkte + 1,2 Prozentpunkte - 8,5 Prozentpunkte + 2,0 Prozentpunkte + 0,8 Prozentpunkte Die Grafik bezieht sich auf die Gymnasien und Hauptschulen, denn in diesen Schulformen haben sich die Schüleranteile am auffälligsten verändert. Viel mehr Kinder als vor 20 Jahren besuchen das Gymnasium, hier ist der Anteil der Schüler/innen um 4,5 Prozentpunkte gestiegen, der Anteil an Hauptschulen ist dagegen um 8,5 Prozentpunkte gesunken. Der Anteil der Real- und Förder- und Gesamtschüler/innen ist jeweils leicht gestiegen. Bei dem Anteil der Gesamtschüler muss berücksichtigt werden, dass jährlich Kinder abgewiesen werden, da nicht genügend Plätze an den bestehenden Gesamtschulen vorhanden sind. Darauf werde ich später noch näher eingehen. Die Daten beziehen sich auf die Eingangsklasse, also das 5. Schuljahr. Es muss dabei bedacht werden, dass es einen Rücklauf gibt, also Kinder, die das Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 6

Gymnasium wieder in andere Schulformen verlassen. Aber wir reden ja hier über das Schulwahlverhalten und die Grafik zeigt sehr deutlich, wohin der Elternwille geht. Ein besonderes Problem ist, dass - spätestens seit den aufschreckenden ersten PISA-Ergebnissen sehr deutlich wurde, dass gerade für sozial benachteiligte Kinder unser Schulsystem eher schlechte Chancen in Bezug auf ihre weiteren Lebensperspektiven bietet. Und Eltern wollen für ihre Kinder natürlich die bestmöglichen Schulabschlüsse und Chancen. Die Weichen für einen guten Bildungserfolg werden sehr früh gesetzt und das macht die bereits erwähnte Präventionskette umso wichtiger: Je früher Bildungsförderung einsetzt, desto eher besteht gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen die Chance, Bildungsdefizite zu kompensieren. Der Begriff Bildungsförderung muss dabei weit gefasst werden und die Förderung sozialer, außerschulischer und auch gesundheitlicher Kompetenzen einbeziehen. Dazu gehört auch die Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, die Kinder bereits nach dem 4. Schuljahr in die verschiedenen Schulformen zu selektieren und damit auch einen bestimmten Status zu manifestieren, aus dem die Kinder nur schwer wieder herauskommen. Es ist inzwischen sehr umstritten, ob der Entwicklungsstand eines 9- jährigen Kindes die frühe Entscheidung über den weiteren Schulbesuch überhaupt zulässt - dies gilt vor allem für bildungsbenachteiligte Kinder. Für diese manifestiert sich damit ein Status, der weitreichende Folgen hat und unter Umständen mit weiteren Fördermöglichkeiten vor einer leistungsorientierten Selektion so nicht eingetreten wäre. Ich möchte den Zusammenhang von sozialem Status und Bildungsbenachteiligung für die Kölner Kinder anhand der folgenden Grafik verdeutlichen: Haupt- und Förderschüler/innen Klasse 7-9 und Bezug von Sozialgeld / Hartz IV Insgesamt ist wie wir gesehen haben der Anteil der Kinder, die eine Haupt- oder Förderschule besuchen, gesunken. Schaut man sich die einzelnen Kölner Stadtgebiete an, so sieht man aber, dass die Schere weit auseinander geht. Der Zusammenhang von Bildung und sozialem Status in Köln lässt sich daran erkennen, Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 7

dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in der 7. bis 9. Klasse eine Hauptoder Förderschule besuchen, zwischen 0% und 79% in den einzelnen Stadtvierteln schwankt. Die Stadtkarte Haupt- und Förderschüler/innen verdeutlicht anschaulich die räumliche Aufteilung von Bildungsbenachteiligung in Köln und die Konzentration auf einige Stadtgebiete. Deutlich sichtbar ist im Vergleich der beiden Stadtkarten auch der Zusammenhang von sozialer Benachteiligung bzw. Armut und Bildungsbenachteiligung auf den Stadtkarten sehen Sie dies an den weitgehenden Übereinstimmungen der eingefärbten Viertel. Für uns heißt das, dass wir mit besonderen Förder- und Unterstützungsmaßnahmen insbesondere auch im Kleinkindalter Schwerpunkte in diesen Stadtgebieten setzen müssen. Ein weiterer wichtiger Punkt beim Thema Längeres gemeinsames Lernen ist die Gesamtschule mit ihrer besonderen Funktion, dass sie eben nicht frühzeitig selektiert und Entwicklungsrückstände damit besser ausgeglichen werden können. Schon seit langem wurde in Köln sowohl von Elternseite wie auch von politischer Seite der Ruf nach einer weiteren Gesamtschule laut. Hintergrund ist die gesamtstädtisch hohe Zahl von Abweisungen aufgrund der begrenzten Platzzahlen in den bestehenden 8 städtischen und 2 privaten Gesamtschulen. Alleine bei den Gesamtschulen in städtischer Trägerschaft mussten für das Schuljahr 2009/2010 773 Kinder abgewiesen werden. Die Zahlen der vorangegangen Jahre waren teilweise noch höher. Damit kann dem Bedürfnis und dem Willen der Eltern bei der Schulwahl nicht mehr Rechnung getragen werden. In der Folge hat der Ausschuss für Schule und Weiterbildung die Verwaltung beauftragt, eine Elternbefragung durchzuführen. Mit dieser Befragung der Eltern aller Grundschulkinder der 3. Klasse sollte festgestellt werden, wie sich der Bedarf bezogen auf die zukünftige Schulwahl darstellt. Elternwunsch bei der Schulform An welcher Schulform würden Sie Ihr Kind nach Ihrem Wunsch gerne anmelden? Gymnasium Gesamtschule Realschule Hauptschule Förderschule 1 / Innenstadt 75% 18% 6% 2 / Rodenkirchen 61% 26% 12% 3 / Lindenthal 78% 15% 6% 4 / Ehrenfeld 57% 25% 16% 5 / Nippes 54% 30% 16% 6 / Chorweiler 50% 29% 20% 7 / Porz 59% 17% 22% 8 / Kalk 53% 23% 22% 9 / Mülheim 52% 26% 21% gesamt 59% 23% 16% Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 8

Im Ergebnis der repräsentativen Elternbefragung, an der sich fast 4.900 Eltern beteiligt haben, das sind 56% aller Eltern des 3. Grundschuljahrgangs, wird bezüglich der Schulform deutlich, dass der weitaus größte Teil der Eltern (59%) ihr Kind am liebsten auf einem Gymnasium sehen würde. An zweiter Stelle steht die Gesamtschule mit gesamtstädtischen 23%, 16% der Eltern sehen ihre Kinder an einer Realschule und lediglich 1% an einer Hauptschule. Der Wunschanteil von 23% für den Besuch einer Gesamtschule entspricht einem Bedarf von 2.050 Plätzen, zur Verfügung stehen zurzeit 1.470 Plätze an den bestehenden Gesamtschulen. Die Anteile unterscheiden sich, wie Sie sehen, stark nach Bezirken. Der größte Anteil der Eltern, die ihr Kind gerne auf einer Gesamtschule anmelden würden, besteht mit 30% im Bezirk Nippes. Glücklicherweise war die Verwaltung in der Lage, diesem Elternwunsch sehr schnell zu entsprechen und kann schon ab dem folgenden Schuljahr in einer ehemaligen Hauptschule in Nippes ein Gesamtschulangebot bieten. Problematisch ist, dass die Stadt Köln keine Genehmigung für die Gesamtschule in Ganztagsform bekommt, aber dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Auch zu ihrem Wunsch nach ganztägigem Unterricht der Schule mit Mittagessen und Angeboten am Nachmittag, wurden die Eltern befragt: Elternwunsch Ganztagsschule Einstellung zu Ganztagsschule: Differenzierung nach Schulwunsch der Eltern Gymnasium (N=2.888) 65% Schulwunsch der Eltern Gesamtschule (N=1.140) Realschule (N=800) Hauptschule (N=38) 62% 64% 77% insgesamt (N=4.886) 67% Ganztagsschule wichtig/ sehr wichtig Insgesamt wollen 67% aller Eltern eine Ganztagsschule für Ihre Kinder. Deutlich wird, dass die neue Gesamtschule als Halbtagsschule ganz und gar nicht dem Elternwunsch entspricht: 77% der Eltern, die ihr Kind gerne auf eine Gesamtschule schicken würden, wünschen sich diese als Ganztagsschule. Voraussichtlich ist es leider auch nicht möglich, in der neuen Gesamtschule sofort gemeinsamen Unterricht anzubieten. Zunächst freue ich mich jedoch, dass es überhaupt gelungen ist, schon ab dem nächsten Schuljahr eine neue Gesamtschule in Nippes anbieten zu können und damit eine Lücke im regionalen Kölner Schulangebot zu schließen. Zwei weitere Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 9

Ergebnisse der Elternbefragung möchte ich Ihnen noch vorstellen, da sie in direkten Zusammenhang zu unserem heutigen Thema Längeres gemeinsames Lernen stehen. Die Eltern wurden gefragt, wie sie zur Selektion nach der Grundschule stehen. Chancen für Kinder Wie, glauben Sie, erreicht man in Schulen eher bessere Chancen für alle Kinder? N=4.886 2% keine Angabe Wenn die Kinder länger gemeinsam lernen 66% 32% Wenn die Kinder nach der Grundschule auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden Nur 32% der Eltern sind der Meinung, dass die jetzige Aufteilung nach dem 4. Grundschuljahr Kindern bessere Chancen bietet. Die Mehrheit von 66% gibt ein deutliches Votum für das längere gemeinsame Lernen ab und sieht darin bessere Chancen für alle Kinder. Als letztes stelle ich Ihnen das Befragungsergebnis zum gemeinsamen Unterricht vor: Können sich die Eltern GU für ihr Kind vorstellen Wie gut können Sie sich für Ihr Kind einen Gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung vorstellen, wenn besondere Förderbedingungen für alle Kinder erfüllt sind? N=4.886 1% keine Angabe gut/ sehr gut 72% 27% weniger gut/ nicht gut Auch die Frage, ob sich die Eltern für ihr Kind die Teilnahme am gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung vorstellen können, ergab ein eindeutiges Ergebnis: unter der Voraussetzung, dass die notwendigen besonderen Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 10

Förderbedingungen für diese Unterrichtsform erfüllt sind, können sich 72% der Eltern den gemeinsamen Unterricht vorstellen. Zusammenfassend wurde bei der Elternbefragung eine eindeutige Tendenz deutlich: die Mehrheit der Eltern wünscht sich ganztägigen Unterricht, eine Abkehr von der Selektion nach dem 4. Grundschuljahr und bejaht den gemeinsamen Unterricht, wenn die Förderbedingungen stimmen. Die Entwicklung, die unser Schulsystem nach dem Willen der Eltern nehmen sollte, ist eindeutig. Damit komme ich zum Schluss der Darstellung der Kölner Situation. Die heutige Fachtagung hat die Verwaltung im Auftrag des Ausschusses für Schule und Weiterbildung vorbereitet, der damit eine Basis für den weiteren politischen Diskurs erwartet. Die Vorträge dieses Nachmittags geben Erkenntnisse aus Erziehungswissenschaften, Schulentwicklungsforschung und Praxis wieder. Die Gesamtschule als Schulform nimmt deshalb einen Platz darin ein, weil es die einzige Schulform in NRW ist, die von Klasse 5 an gemeinsames Lernen praktiziert. Uns geht es aber nicht um die alte ideologische Auseinandersetzung zu dieser Schulform, sondern vielmehr darum festzustellen, ob und warum längeres gemeinsames Lernen für die Entwicklung der Kinder richtig ist und welche Rahmenbedingungen Erfolg versprechen. Auch die Gesamtschulen müssen offen sein für Veränderungen. So bieten zum Beispiel nur 2 der bisherigen 8 Kölner Gesamtschulen integrative Lerngruppen an. Die Entwicklung der Schülerzahlen in den verschiedenen Schulformen und das Ergebnis unserer Umfrage zeigen jedenfalls, dass die Eltern ganz konkrete Erwartungen in Bezug auf gemeinsames Lernen haben: Sie wollen für Ihre Kinder die Chance auf den bestmöglichen Abschluss und diese Chance soll möglichst lange als Option bestehen Sie wollen ganztägige Bildung, Betreuung und Förderung ihrer Kinder Sie wollen den gemeinsamen Unterricht, aber mit guten Rahmenbedingungen für alle Kinder. Die Referenten, die wir gleich hören dürfen, werden das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, damit viel Stoff zum Diskutieren bieten und uns, da bin ich sicher, in unseren Überlegungen voranbringen. Ich verbinde mit dieser Tagung die Hoffnung und die Zuversicht, dass sich sowohl auf politischer wie auch auf praktischer Ebene neue Erkenntnisse ergeben, die unsere Diskussionen über das Schulsystem qualifizieren und unser Bewusstsein um die Problematik weiterentwickeln. Und ich hoffe auch auf eine Signalwirkung, die bald sinnvolle Veränderungen nach sich zieht. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 11

Homogene Lerngruppen - Eine didaktische Fiktion und pädagogische Sackgasse Prof. Dr. Hans Brügelmann (Universität Siegen) Bitte beachten Sie: Die Vortragsfolien von Herrn Prof. Brügelmann liegen als separates pdf-dokument zum Herunterladen bereit. Ergebnisse der Schulforschung für längeres gemeinsames Lernen Prof. Dr. Gabriele Bellenberg (Ruhr-Universität Bochum) Bitte beachten Sie: Die Vortragsfolien von Frau Prof. Bellenberg liegen als separates pdf-dokument zum Herunterladen bereit. Schulstruktur: Neue Tendenzen und Entwicklungen zu Formen längeren gemeinsamen Lernens in Deutschland Dr. Karl-Heinz Imhäuser (Montag Stiftung Bonn) Bitte beachten Sie: Die Vortragsfolien von Herrn Dr. Imhäuser liegen als separates pdf-dokument zum Herunterladen bereit. Die Gesamtschule - Erfolgsmodell auch im gegliederten Schulsystem Rainer Dahlhaus (Gesamtschule Wuppertal-Langerfeld) Bitte beachten Sie: Die Vortragsfolien von Herrn Dahlhaus liegen als separates pdf- Dokument zum Herunterladen bereit. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 12

Podiumsdiskussion: Wo liegt die Zukunft unseres Schulsystems? Teilnehmende: Prof. Dr. Gabriele Bellenberg (Ruhr-Universität Bochum) Prof. Dr. Hans Brügelmann (Universität Siegen) Rainer Dahlhaus (Gesamtschule Wuppertal-Langerfeld) Dr. Karl-Heinz Imhäuser (Montag Stiftung Bonn) Dr. Agnes Klein (Stadt Köln, Dezernat für Bildung, Jugend und Sport) Moderation: Helmut Frangenberg (Kölner Stadt-Anzeiger) Befragt nach einem Idealmodell für ein zukünftiges Schulsystem, antwortete Herr Dahlhaus, dass er sich eine gemeinsame Schule für alle Kinder wünsche. Es müsse aber auch berücksichtigt werden, was politisch machbar sei. Es zeichne sich ab, dass an den Gymnasien kein Weg vorbei gehe. Er habe kürzlich einen interessanten Vorschlag gehört: Wenn es nicht möglich sei, die Gymnasien aufzulösen, dann müsse man überlegen, ob es zukünftig nur noch das Gymnasium geben sollte. Dann gäbe es kein Abschulen und kein Sitzenbleiben mehr. Frau Prof. Bellenberg hob hervor, dass ein Verzicht auf Klassenwiederholung und ein Verzicht auf Abschulen - wie es in Berlin nun teilweise praktiziert würde - sensationelle Veränderungen darstellten. In Berlin würden Gymnasien, die einen Überhang haben, 50% der Schülerinnen und Schüler aussuchen und die anderen 50% der Plätze würden verlost. Dies spiegle den Versuch wider, der Selektion entgegenzuwirken. Frau Dr. Klein konstatierte, dass die heterogene Zusammensetzung der Grundschulen ein Erfolgsmodell darstelle. Eine zeitliche Erweiterung des gemeinsamen Lernens sei demnach sinnvoll. In Anlehnung an Herrn Dr. Imhäusers Vortrag stellte sie fest, dass die modernsten Ideen in den Stadtstaaten zu verzeichnen seien. In NRW seien die Diskussionen im Landtag weit weg von den Bedingungen vor Ort. Auch sie teile die Meinung, dass die Weiterentwicklung des Schulsystems mit den Gymnasien stehe und falle. Sie halte es für eine pfiffige Vision, nur noch ein Gymnasium zu haben, das sich mit allen Schülerinnen und Schülern auseinandersetzt. Im Vortrag von Herrn Dr. Imhäuser sei deutlich geworden, dass es keinen Königsweg gebe. Herr Dr. Imhäuser berichtete von einer Studienreise nach Kanada, die ihn sehr beeindruckt habe. Dort habe er ein katholisches Schoolboard, das 45 Schulen umfasste, besucht, in denen behinderte und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernten. Die Normalität, mit der behinderte und nicht behinderte Kinder dort miteinander umgingen, habe ihn sehr beeindruckt. Diese Normalität im Umgang mit Behinderung wünsche er sich auch für Deutschland. Herr Prof. Brügelmann wies darauf hin, dass es nicht ausreiche, nur die Strukturen zu verändern. Nur weil bestimmte Bedingungen gegeben seien, hieße das noch lange nicht, dass Innovationen tatsächlich umgesetzt würden und Dinge wirklich funktionierten. An der Universität werde er bezüglich des Wechsels zu Bachelor- und Master-Abschlüssen tagtäglich Zeuge dessen, wie Traditionen unter neuen Etiketten Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 13

überdauerten. Er plädierte dafür, viel Zeit in die Veränderung der Strukturen zu investieren und die handelnden Akteure bei den Veränderungen zu begleiten. Dabei müssten vor allem die lokalen Bedingungen beachtet werden. Wenn aus demografischen Gründen auf dem Land Schulen geschlossen werden müssten, dann könnten da nun mal schneller Gesamtschulen eingerichtet werden als in Ballungsgebieten. Er warnte davor, zu warten, bis alle für die Veränderung bereit seien und dann eine flächendeckende Strukturreform durchzusetzen. Er wünsche sich einen evolutionären Prozess. Man dürfe nicht riskieren, dass alle Kraft für Strukturveränderungen eingesetzt würde und letztlich keine Energie für die tatsächlichen Veränderungen übrig bleibe. Frau Dr. Klein sprach sich dafür aus, den Kommunen mehr Freiheiten zuzugestehen, um individuell vor Ort Schulsysteme entwickeln zu können. Wenn die Kommunen mehr Freiheiten hätten, könnte sie flexibler agieren und mit Ressourcen wie Immobilien sorgsamer und wirtschaftlicher umgehen. Sie stimmte Herr Prof. Brügelmann zu, dass es einiger Zeit bedürfe, wenn man den Umstrukturierungsprozess vernünftig und für alle Beteiligten fair durchführen wolle. Herr Dahlhaus warnte davor, die Entwicklung dem Markt zu überlassen, da dies zu einer Entmischung der Standorte führen könne. Es handle sich nämlich nicht nur um eine pädagogische Herausforderung; mit Schulpolitik mache man immer auch Gesellschaftspolitik. Auch er sei ein Verfechter einer Schulentwicklung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Herr Dr. Imhäuser wies darauf hin, dass die Schulentwicklung unter vielfältigen Druckfaktoren stehe. Der Druck von Seiten der Elternschaft und der Wissenschaft, der Demografie und der Stadtentwicklung nehme zu. Auch durch die Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention entstehe ein Handlungsdruck. Frau Dr. Klein plädierte dafür, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen, sondern eine verantwortliche Schulentwicklungsplanung zu betreiben. Sie betonte, dass es essentiell sei, die Akteure in den Schulen in die Entwicklung mit einzubeziehen. Gute Ideen und neue Konzepte bräuchten eine Schulleitung und ein Team von denen sie getragen würden. Wenn Dinge über die Köpfe der Akteure vor Ort hinweg entschieden würden, bedeute dies direkt einen schlechten Start - ganz gleich wie gut die Konzepte seien. Schulleitungen und Lehrerschaften müssten daher frühzeitig in die Entwicklung neuer Konzepte aktiv eingebunden werden. Vor allem die Schulleitungen müssten in ihrer Leitungsfunktion geschult und unterstützt und entsprechend bezahlt werden. Die Schulleiterinnen und -leiter seien die Kopfstelle des Ganzen. Sie trügen maßgeblich zum Gelingen oder Scheitern neuer Ideen bei. Herr Dr. Imhäuser pflichtete Frau Dr. Klein bei. Eine Reform über die Köpfe der Beteiligten hinweg sei wenig förderlich. Berlin gehe mit gutem Beispiel voran, indem es Schulen, die zusammengelegt würden, bei der Umstrukturierung begleite und Prozesse moderiere. Es sei sehr wichtig, die Lehrkräfte auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten. Ein Realschullehrer aus dem Publikum meldete sich zu Wort und berichtete von seiner Sorge, dass es demnächst ein Zweisäulensystem geben werde, in dem es das Gymnasium und eine zweite Säule - bestehend aus dem Rest - geben werde. Ziel müsse seines Erachtens eine Eingliedrigkeit des Schulsystems sein. Er gehe davon Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 14

aus, dass es einen Schub in der Bereitschaft der Lehrkräfte hervorrufen würde, wenn sie wüssten, dass sie nicht mehr abschulen können. Frau Prof. Bellenberg sprach sich für eine ungegliederte Sekundarstufe I und eine vernünftig abgestimmte Pädagogik aus. Dazu gehöre, dass pädagogische Grenzen aufgehoben würden. Neue Konzepte müssten von unten heraus entwickelt werden und Schulen stärker bei ihrer Arbeit unterstützt werden. Herr Dahlhaus wies darauf hin, dass die Strukturfrage in keinem Fall vernachlässigt werden dürfe. Strukturen legten fest, was möglich und machbar sei. Jetzige Strukturen verhinderten in vielen Fällen Innovation. Herr Prof. Brügelmann erläuterte, dass er keinesfalls die Strukturen zu Gunsten der Inhalte vernachlässigen wolle. Er warne lediglich davor, eine Struktur A durch eine Struktur B zu ersetzen. Ihm schwebe vielmehr eine Struktur, die öffne und Varianten ermögliche, vor. Herr Frangenberg fasste zusammen, dass während der Tagung sowohl pragmatische Ansätze als auch Zukunftshoffnungen deutlich geworden seien. Bei der Frage, wie diese Visionen realisiert werden könnten, gebe es verschiedene Meinungen und Ansätze. Für eine Großstadt wie Köln stelle es eine große Herausforderung dar, trotz der komplizierten Rahmenbedingungen die diskutierten Modelle umzusetzen, die dann wiederum als zukunftsweisende Beispiele dienen können. Fest stehe in jedem Fall, dass es im Bereich der Schulentwicklung noch einen großen Diskussionsbedarf gebe. Fachtagung Längeres gemeinsames Lernen, 5. Februar 2010, Köln 15