Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht FS 2018 Fall 6 Lauterkeitsrecht Prof. Dr. Simon Schlauri 1
Lernziele 1. Repetition Grundlagen AGB-Recht 2. Überblick über lauterkeitsrechtlichen Regeln des AGB-Rechts 3. Methodischer Umgang mit einer Generalklausel 2
Sachverhalt: Skifahren in Obersaxen Frage 1: 1. Mattli hat seit November 2016 ein Jahresabo für die Bergbahnen von O. Kauf mit Formular, das auch AGB enthält. 2. Seit Herbst 17 studiert er in Zürich, möchte kein Abo mehr. 3. Mitte November Rechnung für ein neues Abo. 4. Art. 12 der AGB: «Der Vertrag zur Benützung der Bergbahnen O. wird auf 12 Monate abgeschlossen. Kündigt der Kunde den Vertrag nicht mit Frist von vier Monaten, verlängert sich die Laufzeit automatisch um ein weiteres Jahr.» 3
AGB AGB sind - vorformulierte Vertragsbestimmungen, - welche auf den Abschluss einer Vielzahl von Verträgen ausgerichtet sind - und von einer Vertragspartei (Verwender) gestellt werden. 4
AGB-Recht: Aufbau Geltungskontrolle: Wurden die AGB einbezogen? Ungewöhnlichkeitsregel: Enthalten die AGB ungewöhnliche Klauseln? Auslegungskontrolle (Unklarheitenregel): Auslegung «contra stipulatorem» (gegen den Verwender) Inhaltskontrolle (Art. 8 UWG) 5
Was ist Wettbewerb? Wettbewerb besteht, wenn mehrere Wirtschaftsteilnehmer einer Marktseite sich bemühen, mit der Marktgegenseite ins Geschäft zu kommen. 6
Funktionen des Wettbewerbs Renditennormalisierung Entdeckungs-/Fortschrittsfunktion Koordinierungsfunktion Ressourcenallokation (Effizienz) Risikoverteilungsfunktion Auslesefunktion Preisstabilisierung (Inflationsbekämpfung) Übermachterosion 7
Zweck des UWG Art. 1 UWG Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. 8
Zweck des KG Art. 1 KG Dieses Gesetz bezweckt, volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern und damit den Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern. 9
Zwecke von UWG und KG Schutzzweck UWG: Qualität oder das Wie des Wettbewerbs Schutzzweck KG: Quantität oder das Ob des Wettbewerbs Gemeinsamer Schutzgegenstand: Wirksamer Wettbewerb 10
Art. 2 UWG: Grundsatz Unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst. 11
Art. 2 UWG: Überblick Wortlaut - jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende - Verhalten oder Geschäftsgebaren - welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder Anbietern und Abnehmern beeinflusst. Analyse - jedes gegen Treu und Glauben verstossende - Verhalten - welches zur Beeinflussung von Wettbewerbsbeziehungen geeignet ist. Rechtsfolge: Unlauter und widerrechtlich Rechtsfolge: Unlauter und damit widerrechtlich 12
Geltungsbereich des UWG Sachlich: Wettbewerbshandlung Verhalten Beeinflussung des Verhältnisses zwischen Mitbewerbern oder Anbietern und Abnehmern (=wirtschaftlicher Wettbewerb) Vorliegend erfüllt Örtlich: Auswirkungsprinzip Vorliegend unproblematisch 13
Art. 8 UWG Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen. ; 14
Art. 8 UWG: Tatbestandsmerkmale - Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen - Zum Nachteil des Konsumenten - Erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen vertraglichen Rechten und Pflichten - Verletzung von Treu und Glauben 15
«Zum Nachteil des Konsumenten» - Das Schweizer Recht kennt keinen einheitlichen Konsumentenbegriff - Die Literatur verweist zur Auslegung auf die europäische AGB-Richtlinie, die den Verbraucher in Art. 2 Bst. b definiert als: eine natürliche Person, die zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. 16
Erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis Kriterien: - Historische Auslegung: Votum BR Schneider- Ammann, wonach Prolongationsklauseln mit gemeint sind - Abweichung vom dispositiven Recht - Rechtsvergleichung: EU-AGB-Richtlinie («Klauselrichtlinie»), BGB - Literatur: Abreden über die automatische Verlängerung befristet abgeschlossener Verträge sind in gewisser Weise widersprüchlich. 17
Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB 2 Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. 3 Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung. 18
Gesetzeslücken und Methode zur Füllung Gesetzeslücken intra legem (Delegationslücke; Richter soll entscheiden) praeter legem (offene oder echte Lücke; Tatbestand zu eng) contra legem (Ausnahme- oder unechte Lücke; Tatbestand zu weit) Generalklausel Ermessen Billigkeit Richterrechtliche Norm nach Art. 1 Abs. 2 ZGB 19 Einzelfallentscheid nach Art. 4 ZGB
Lückenfüllung nach Art. 1 Abs. 2 ZGB 1. Gewohnheitsrecht (sehr selten) 2. Nach der Regel, die das Gericht als Gesetzgeber aufstellen würde (modo legislatoris) Grundsatz: freie politische Argumentation Hilfsmittel und Grenzen Art. 1 Abs. 3 ZGB: Lehre (Literatur) und Überlieferung (Fallgruppen) Verfassung als Grenze (Der Richter ist Gesetzgeber) Allgemeine Rechtsgrundsätze Bei Lücken intra legem gesetzlicher Rahmen als Grenze Einheit der Rechtsordnung (Lückenfüllung durch Analogieschluss) Rechtsvergleichung 20
Art. 8 UWG: Tatbestandsmerkmale - Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen - Zum Nachteil des Konsumenten - Erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen vertraglichen Rechten und Pflichten - Verletzung von Treu und Glauben 21
AGB-Richtlinie, Anhang, Nr. 1 Bst. h (Für missbräuchlich erklärt werden können Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass ) h) Ein befristeter Vertrag automatisch verlängert wird, wenn der Verbraucher sich nicht gegenteilig geäussert hat und als Termin für diese Äusserung des Willens des Verbrauchers, den Vertrag nicht zu verlängern, ein vom Ablaufzeitpunkt des Vertrages ungebührlich weit entferntes Datum festgelegt wurde. 22
309 Nr. 9 Bst. c BGB (Unwirksam sind in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand hat ) c) zu Lasten des anderen Vertragsteils eine längere Kündigungsfrist als drei Monate vor Ablauf der zunächst vorgesehenen oder stillschweigend verlängerten Vertragsdauer; 23
Sachverhalt, Frage 2 Wie wäre es, wenn Mattli bereits seit 2010 regelmässig Anfangs November am Schalter das Abonnement verlängert hätte, ohne dass ihm AGB vorgelegt wurden? 24
Sachverhalt, Frage 3 Mattli verpasst die Zahlungsfrist. Art. 11 (Zahlungsbedingungen) der AGB lautet: Nach Ablauf der Zahlungsfrist gerät der Kunde ohne weiteres in Verzug. Die Bergbahnen O. sind berechtigt einen Verzugszins in der Höhe von fünf Prozent pro Jahr zu verlangen. Zudem können die Bergbahnen O. eine Mahngebühr von bis zu 100 Franken in Rechnung stellen. Muss Mattli Zins und Mahngebühr zahlen? 25
Sachverhalt, Frage 4 17. Haftungsbeschränkung Die Haftung für x-bike ist, unter Vorbehalt zwingender gesetzlicher Bestimmungen, und unabhängig von der Rechtsgrundlage, auf welcher der Schadenersatzanspruch des Kunden beruht, auf den im Einzelfall für die Fahrradmiete bezahlten Betrag be-schränkt. Der Kunde hat ein allfälliges Verschulden der x-bike AG zu beweisen. 26
Bst. q Anhang AGB-Richtlinie 93/13/EWG KLAUSELN GEMÄSS ARTIKEL 3 ABSATZ 3 1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, daß q) [dem Verbraucher] ( ) ihm die Beweislast auferlegt wird, die nach dem geltenden Recht einer anderen Vertragspartei obläge. 27
«Zum Nachteil des Konsumenten» - Das Schweizer Recht kennt keinen einheitlichen Konsumentenbegriff - Die Literatur verweist zur Auslegung auf die europäische AGB-Richtlinie, die den Verbraucher in Art. 2 Bst. b definiert als: eine natürliche Person, die zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. 28
Art. 32 Abs. 2 ZPO 1 Als Konsumentenverträge gelten Verträge über Leistungen des üblichen Verbrauchs, die für die persönlichen oder familiären Bedürfnisse der Konsumentin oder des Konsumenten bestimmt sind und von der anderen Partei im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit angeboten werden. 29
Sachverhalt, Frage 6 15. Laufzeit und Kündigung Der Vertrag ist durch x-bike jederzeit ohne Angabe von Gründen kündbar. 6. Änderung dieser AGB x-bike kann diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen jederzeit anpassen. Es gilt die jeweils in der App ersichtliche Version. 30
AGB-Richtlinie, Anhang, Nr. 1 Bst. j (Für missbräuchlich erklärt werden können Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass ) j) der Gewerbetreibende die Vertragsklauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann ; 31
AGB-RL, Anhang, Nr. 2 Bst. b Abs. 2 Buchstabe j) steht ferner Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Gewerbetreibende das Recht vorbehält, einseitig die Bedingungen eines unbefristeten Vertrages zu ändern, sofern - es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, - und es diesem freisteht, den Vertrag zu kündigen. 32
Art. 9 Abs. 2 und 3 UWG 1 Wer (...) verletzt wird, (...) 2 Er kann insbesondere verlangen, dass eine Berichtigung oder das Urteil Dritten mitgeteilt oder veröffentlicht wird. 3 Er kann ausserdem nach Massgabe des Obligationenrechts auf Schadenersatz und Genugtuung sowie auf Herausgabe eines Gewinnes entsprechend den Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag klagen. 33
Art. 23 UWG Wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb nach den Artikeln 3, 4, 5 oder 6 begeht, wird auf Antrag mit Gefängnis oder Busse bis zu 100 000 Franken bestraft. Strafantrag stellen kann, wer nach den Artikeln 9 und 10 zur Zivilklage berechtigt ist. 34