HAVE-Tagung vom 28. Oktober 2010
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1 HAVE-Tagung vom 28. Oktober 2010 Das AGB-Recht im Überblick Prof. Dr. Ordinarius für Privatrecht und Sozialversicherungsrecht, unter Berücksichtigung des Steuerrechts, an der Universität Bern Inhaltsübersicht - Begriffsmerkmale von AGB - Positive Funktionen von AGB - Probleme bei AGB - AGB-Kontrolle - Fragen oder Anregungen
2 Begriffsmerkmale von AGB a) von einer Partei vorformulierte, nicht im Einzelnen unter den Parteien ausgehandelte Vertragsbestimmungen b) präsentieren sich in abstrakter, vom konkreten Vertrag losgelöster («gesetzesähnlicher») Form c) werden vom Verwender in der Regel einer Vielzahl von Verträgen mit verschiedenen Parteien zugrunde gelegt Begriffsmerkmale von AGB d) werden regelmässig unverändert in die einzelnen Verträge aufgenommen e) regeln im n blosse Nebenpunkte des Vertrages (Beispiel für eine Ausnahme: Deckungsausschlussklauseln in Versicherungsverträgen)
3 Positive Funktionen von AGB a) Rationalisierung des Vertragsschlusses b) Modernisierungs- bzw. Spezialisierungsfunktion, v.a. bei neuen Vertragsformen (Innominatkontrakte, z.b. Leasing) c) Standardisierungsfunktion, in gewissen Fällen erwünschte Vereinheitlichung (Bsp.: Berufsvorsorgerecht) Probleme bei AGB a) Kollision von divergierenden AGB bei Unternehmer - AGB («battle of forms») b) werden v.a. bei Verbraucherverträgen von der Gegenpartei oft nicht gelesen, weil: aa) zu umfangreich und zu kompliziert bb) zu klein bzw. schlecht gedruckt cc) Zeit drängt bei Vertragsabschluss (Bsp.: Miete eines Autos am Flughafen)
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6 Probleme bei AGB c) oft einseitige Verteilung von Rechten und Pflichten d) werden oft zeitlich nachgeschoben (Bsp.: telefonische Miete eines Autos; evtl. auch bei der Buchung von Flügen) e) vielfach faktischer Zwang zum Vertragsschluss und damit Nähe zum Kontrahierungszwang (Bsp.: Eröffnung eines Bankkontos) f) zum Teil faktische Konditionenkartelle (Bsp.: Banken - AGB) AGB-Kontrolle im Überblick 1. Konsens-/Geltungskontrolle (1. Stufe) 2. Auslegungskontrolle 3. Konsens-/Geltungskontrolle (2. Stufe)
7 AGB-Kontrolle im Einzelnen 1. Konsens-/Geltungskontrolle (1. Stufe) Einbezug der AGB überhaupt? Problemfelder: - Globalübernahme; - blosse Verweisung; - natürlicher oder normativer Konsens; - Offerte und Akzept; - stillschweigende Übernahme nachgeschobener AGB; - battle of forms, etc. AGB-Kontrolle im Einzelnen 2. Auslegungskontrolle a) Auslegungsregeln (natürlicher Konsens; normativer Konsens; Partialdissens etc.; keine objektive Auslegung [anders z.b. in Deutschland]) b) Vorrang der Individualabrede vor AGB-Klauseln c) Unklarheitsregel
8 AGB-Kontrolle im Einzelnen 3. Konsens-/Geltungskontrolle (2. Stufe) Bei Globaleinbezug Ungewöhnlichkeitsregel: a) schwache oder unerfahrene Gegenpartei b) subjektive Ungewöhnlichkeit (Überraschungseffekt) c) objektive Ungewöhnlichkeit (geschäftsfremder Inhalt) Die drei Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein. AGB-Kontrolle im Einzelnen a) Zwingendes Recht (Spezialnormen, v.a. vertragstypenspezifische) aa) Normen (nicht AGB-spezifische Normen, inkl. Übervorteilung und Willensmängel) bb) AGB-spezifische Normen (Art. 256 Abs. 2 lit. a und Art. 288 Abs. 2 lit. a OR)
9 AGB-Kontrolle im Einzelnen b) Art. 8 UWG (Generalklausel): Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen Unlauter handelt insbesondere, wer vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in irreführender Weise zum Nachteil einer Vertragspartei: a. von der unmittelbar oder sinngemäss anwendbaren gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen oder b. eine der Vertragsnatur erheblich widersprechende Verteilung von Rechten und Pflichten vorsehen. AGB-Kontrolle im Einzelnen b) Revisionsentwurf von Art. 8 UWG: Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise: a. von der gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen; oder b. ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.
10 AGB-Kontrolle im Einzelnen b) Parlamentarische Beratung des Revisionsentwurfes von Art. 8 UWG: Die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung wurde vom Ständerat als Erstrat in seiner Sitzung vom nach kontroverser Diskussion einstimmig genehmigt. Etliche Ständeräte brachten aber in ihren Voten die Hoffnung zum Ausdruck, der Nationalrat als Zweitrat werde am Revisionsentwurf noch Verbesserungen (im Sinne von Einschränkungen!) vornehmen. Deutlich dazu ein Votum von Ständerat Frick: Wenn ein Antrag gleichsam als Sakrileg oder als Gottesdienststörung empfunden wird, so wird das der Nationalrat zu würdigen wissen. AGB-Kontrolle im Einzelnen b) Parlamentarische Beratung des Revisionsentwurfes von Art. 8 UWG: In dogmatischer Hinsicht problematisch war eine Äusserung von Ständerat Bürgi (Berichterstatter der Kommission): Wenn der Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs gegeben ist, führt dies nicht zur Nichtigkeit des Vertrages, sondern dann stehen neben den Rechtsbehelfen des UWG eben insbesondere die Artikel 23 bis 31 OR zur Verfügung. Wer sich also auf die Bestimmungen des unlauteren Wettbewerbs beruft, muss mit den obligationenrechtlichen Mitteln zur Irrtumsanfechtung greifen; das ist sein Rechtsbehelf. Der Vertrag ist also nicht automatisch nichtig.
11 AGB-Kontrolle im Einzelnen b) Parlamentarische Beratung des Revisionsentwurfes von Art. 8 UWG: Zeitgeschichtlich stellt die vorgenannte Äusserung von Ständerat Bürgi einen Rückfall um rund 20 Jahre dar. Zu hoffen bleibt, dass die Gerichte dieser Auffassung nicht folgen werden. Sonst kann Art. 8 UWG seine Funktion als AGB-Inhaltskontrollnorm auch in Zukunft nicht erfüllen. AGB-Kontrolle im Einzelnen c) Art. 19 Abs. 2 OR (Generalklausel): Verstoss gegen die öffentliche Ordnung aa) Einseitige systematische Wegbedingung dispositiven Rechts bb) Der Vertragsnatur widersprechende Verteilung der Vertragspflichten cc) Verstoss gegen zentrale Wertungsprinzipien der Rechtsordnung
12 AGB-Kontrolle im Einzelnen dd) Verstoss gegen das Prinzip der besseren Risikobeherrschung und gegen das Transparenzgebot Die AGB-Inhaltskontrolle gestützt auf Art. 19 Abs. 2 OR ist zurzeit erst ein Postulat in der Lehre. Und zum Schluss noch dies: Die Crux liegt hier in dem logischen Konditionalsatz, dass das, was in AGB-Klauseln ausgeschlossen wird, bei deren Ungewöhnlichkeit, nur dann eo ipso in den konkreten Vertrag wieder eingeschlossen wird, wenn das, was ausgeschlossen ist, im Recht selbst zuvor eingeschlossen, d.h. vorgesehen ist. (Die Satz stammt nicht aus n Geschäftsbedingungen, sondern aus einem kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsatz über Geschäftsbedingungen!)
13 Das AGB-Recht im Überblick Fragen oder Anregungen? Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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