Gewalt im Kontext häuslicher Pflege- und Betreuungssituationen 5. Österreichischer Interdisziplinärer Palliativkongress Wien, April 2015 Mag. Claudia Gröschel-Gregoritsch, MPH
Zugänge zum Thema Das ÖRK als Leistungsanbieter: Gewalt als (meist unausgesprochener) Teil des Alltags in der mobilen Pflege und Betreuung durch MitarbeiterInnen des ÖRK Das ÖRK als Teil eines Netzwerks: Mitgliedschaft des ÖRK in der Plattform gegen die Gewalt in der Familie des BMFJ für den Bereich Gewalt gegen ältere Menschen diverse EU-Projekte zum Thema Gewalt und Würde älterer Menschen 2
Was sind häusliche Pflege- und Betreuungssituationen? Pflege und Betreuung ausschließlich durch Familie und Freunde bzw. Hauptbetreuungsperson Pflege und Betreuung durch Familie/ Hauptbetreuungsperson mit Unterstützung mobiler Dienste 24-Stunden-Betreuung als (relativ) neues Phänomen Hinzu kommen Umfeld-Akteure wie z.b.: andere Verwandte, Nachbarn, Pflegeorganisation, Hausarzt, Pflegeheim 3
Häusliche Pflege und Gewalt? Gewalt kommt überall vor - auch in der Familie/im sozialen Nahraum. Gewalt gegen ältere Menschen ist ein spezielles Thema. Gewalt (gegen ältere Menschen) kommt auch in der häuslichen Pflege und Betreuung vor. 4
Definition Gewalt gegen ältere Menschen Eine einzelne oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Handlung, innerhalb einer Beziehung, die auf Vertrauen basiert, und durch welche einem älteren Menschen Schaden oder Leid zugefügt wird. (Toronto declaration on elder abuse, WHO 2002 eigene Übersetzung) www.who.int/hpr/ageing Täter/in kann jede/r sein, der/die dieses Vertrauen genießt! Je größer die Nähe, das Vertrauen, die (gegenseitige) Abhängigkeit, desto größer allerdings das Risiko, dass es ohne böse Absicht zu Gewalt gegen ältere Menschen kommt. 5
Gewalt gegen ältere Menschen in der häuslichen Pflege und Betreuung - Eckpunkte Gewalt gegen ältere Menschen in der Familie ist (immer noch) stark tabuisiert. Gewalt in der häuslichen Pflege und Betreuung ist (immer noch) stark tabuisiert. Gewalt gegen ältere, pflegebedürftige Menschen in der Familie hat immer mit starken Gefühlen, Erinnerungen und Erwartungen zu tun. Gewalt in Nahbeziehungen wird beeinflusst durch Rahmenbedingungen 6
Mögliche Gewaltkonstellationen in der häuslichen Pflege und Betreuung Gewalt innerhalb der Familie: von (pflegenden und anderen) Angehörigen gegenüber den älteren pflegebedürftigen Menschen von Pflegebedürftigen gegenüber den pflegenden Angehörigen Gewalt über die Familiengrenzen hinaus: von Pflegebedürftigen und/oder Familienangehörigen gegenüber MitarbeiterInnen der mobilen Pflege und Betreuung von MitarbeiterInnen gegenüber den KlientInnen 7
Hier: Fokus auf Gewalt innerhalb der Familie Primär geht es um Gewalt von pflegenden Angehörigen gegenüber den älteren pflegebedürftigen Menschen unter Berücksichtigung auch von Gewalt seitens der pflegebedürftiger älterer Menschen gegenüber den pflegenden Angehörigen sowie strukturellen, potenziell gewaltfördernden oder auch entschärfenden Rahmenbedingungen 8
Was alles umfasst die häusliche Betreuung und Pflege? Regelung von Rahmenbedingungen Aufrechterhaltung des Haushalts Sorge um das körperliche Wohlbefinden Sorge um das seelische Wohlbefinden Sorge um die persönliche Sicherheit des Pflegebedürftigen 9
Konfliktquellen in der Pflege von Angehörigen durch Angehörige Beziehungsprobleme - unabhängig von, aber verschärft durch Pflegesituation Rollenveränderungen sich verschiebende Zumutungen und Machtkonstellationen Verunsicherung/Ängste - bei allen Beteiligten, aber je unterschiedlichen Inhalts körperliche und psychische Überforderung (bei allen Beteiligten) soziale Ausgrenzung (und Eingesperrtsein ) 10
Belastungen aus Sicht pflegebedürftiger Menschen Abhängigkeitsverhältnis zu Familienmitgliedern Abhängigkeit von Pflegepersonal (bzw. 24- Stundenbetreuerin) Ängste Schuldgefühle, Beschämung Veränderung (Einschränkung) der Lebensgewohnheiten Schmerzen Trauer, Hoffnungslosigkeit? Wut? Verlust der Orientierung und Kommunikationsprobleme (Demenz) 11
Belastungen aus Sicht pflegender Angehöriger Motivation für die Übernahme der Pflege: Intrinsisch, extrinsisch oder es ist so passiert? Tagesablauf ist fremdbestimmten und unberechenbaren Strukturierungen unterworfen Körperliche Anstrengung, mangelnde Anerkennung Unzureichende räumliche Rückzugsmöglichkeiten Verschlechterung des Gesundheitszustands des Pflegebedürftigen Veränderung der eigenen Lebensplanung Nähe zu Sterben und Tod Insbesondere bei der Pflege von Demenzkranken: Persönlichkeits-/Verhaltensänderungen 12
Risikofaktoren für Gewalt Gewalttätige Familiengeschichte Unfreiwillige Übernahme der Betreuung bzw. problematische Motivation Wechselseitige Abhängigkeiten (finanziell) Gemeinsame (enge) Wohnung Anstrengende Pflegeaufgaben und seelische Belastung Suchtproblematik und psychische Erkankungen zusätzliche Belastungen (Schulden, Arbeit, Familie, ) Soziale Isolation fehlende Unterstützungsmöglichkeiten 13
Formen der Gewalt gegenüber älteren hilfeund pflegebedürftigen Menschen Körperliche Gewalt Seelische Gewalt Sexualisierte Gewalt Finanzielle Ausbeutung Einschränkung des freien Willens/ Freiheitsberaubung Vernachlässigung 14
Prävalenz Gewalt gegen ältere Frauen (Daten aus Finnland, Österreich, Belgien, Litauen und Polen Erhebung Forschungsinstitut des Roten Kreuzes + Partner) 15
Aggressive Verhaltensweisen pflegender Angehöriger von an Demenz erkrankten Personen 16
Gewalt gegenüber älteren, pflegebedürftigen Menschen innerhalb der Familie: Was geht das die professionellen Pflege- und BetreuungsmitarbeiterInnen an? 17
Die besondere Stellung professioneller Pflege- und BetreuungsmitarbeiterInnen in Bezug auf innerfamiliäre Gewalt Oft die einzige nicht-familäre Vertrauens- und Kontaktperson nach außen Zwangsläufig immer wieder (indirekte) Zeugen innerfamiliärer Gewalt Anspruch, für die Gesundheit der KlientInnen zuständig zu sein große emotionale Belastung, der man sich kaum entziehen kann aber auch nicht ganz entziehen mag und sollte (Ethos, Selbstbild) 18
Gewalt gegenüber älteren, pflegebedürftigen Menschen innerhalb der Familie: Was können Pflege- und BetreuungsmitarbeiterInnen und deren Organisationen - zur Minimierung von Gewalt bzw. Bewältigung von Gewaltsituationen beitragen? 19
Maßnahmen zur Prävention/ zum richtigen Umgang mit gewaltträchtigen Situationen ( und was es dazu braucht) 1. Auf Ebene der MitarbeiterInnen Erkennen von Risikofaktoren und Anzeichen von Gewalt Schulung Richtiges Handeln : Aufmerksamkeit, aktives Zuhören, Dokumentation, Besprechung mit Teamleitung Rückhalt und klare Linie in der Organisation auch Selbstreflexion/Supervision 20
Maßnahmen zur Prävention/ zum richtigen Umgang mit gewaltträchtigen Situationen ( und was es dazu braucht) 2. Auf Ebene der Organisationen Selbstverständnis in der Organisation (Leitbild): Gewaltprävention - und Menschenwürde! - sind wichtige Themen, an denen permanent gearbeitet werden muss Klare Richtlinien und Schulungen der MitarbeiterInnen Systematisches Vorgehen bei (Verdacht auf) Gewalt Aufbau eines Netzwerks der Kooperation mit (internen und externen) ExpertInnen Betriebskultur, die Verdachtsäußerungen und Selbstzweifel ungestraft ermöglicht 21
Maßnahmen zur Prävention/ zum richtigen Umgang mit gewaltträchtigen Situationen ( und was es dazu braucht) 3. Auf Strukturebene/ Rahmenbedingungen - A Aufklärung der potenziell Betroffenen und des Umfelds Allgemeine Öffentlichkeitsarbeit (Kampagnen, allg. Broschüren ) Spezielle Informationsaufbereitung für: Betroffene, Angehörige, Umfeld (Broschüren, Infoblätter..) niederschwellige Beratung/Anlaufstellen Ermutigung zur Inanspruchnahme von externen Dienstleistungen Enttabuisierung von Alternativen 22
Maßnahmen zur Prävention/ zum richtigen Umgang mit gewaltträchtigen Situationen ( und was es dazu braucht) 3. Auf Strukturebene/ Rahmenbedingungen - B Entlastung und Unterstützung für pflegende Angehörige Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten flankierende Leistungen im Sozialbereich Ausbau von (praktischen und psychosozialen) Kursangeboten Weiterentwicklung flexibler Betreuungsformen (Tagespflege, Kurzzeitpflege ) Selbsthilfegruppen Interessenvertretung 23
Unterstützende Materialien für für MitarbeiterInnen-Schulungen 24
Beispiele für ÖA/ Aufklärung/ Sensibilisierung/ Ermutigung www.gewaltinfo.at 25
Und: Proaktiv Rechte, Würde und Wohlbefinden älterer, hilfe- und pflegebedürftiger Menschen in den Mittelpunkt rücken 26
Materialiensammlung Materialien zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen. Eine Übersicht verfügbarer Materialien, zusammengestellt vom Österreichischen Roten Kreuz (2014) Dieses und weitere Produkte finden sich auch auf www.roteskreuz.at/ pflege-betreuung/ projekte 27
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Mag. Claudia Gröschel-Gregoritsch, MPH Österreichisches Rotes Kreuz/Generalsekretariat Abteilung Gesundheits- und Soziale Dienste 1041 Wien claudia.groeschel@roteskreuz.at Tel.: 01/589 00-123 28