Semantische Organisation des mentalen Lexikons bei spezifischer Sprachentwicklungsstörung

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Transkript:

1 Semantische Organisation des mentalen Lexikons bei spezifischer Sprachentwicklungsstörung Kolloquium: Neue Forschung zum Spracherwerb Referentin: Andrea Fauck Datum: 20.06.2011

2 Gliederung 1. Spezifische Sprachentwicklungsstörung 2. Symptomatik von lexikalisch-semantischen Entwicklungsstörungen 3. Semantische Organisation von Nomen 4. Semantische Organisation von Verben 5. Studie zur hierarchischen Organisation des mentalen Lexikons bei Kindern mit SSES (Kauschke et. al, 2010) 6. Resultate 7. Fazit

3 1. Spezifische Sprachentwicklungsstörung Organische, mentale und emotionale Schädigungen werden als Störungsursache ausgeschlossen Lexikalisch-semantische Störungen sind nur ein Bestandteil von SSES Oftmals dominante Störung im produktiven Wortschatz; rezeptiver Wortschatz kann auch betroffen sein

4 2. Symptomatik von lexikalischsemantischen Entwicklungsstörungen Störung im Lexikoninventar Geringer produktiver und rezeptiver Wortschatz Unausgewogenheit der Wortartenverteilung Probleme beim mapping Störung der Wortbedeutung Geringe Qualität der gespeicherten semantischen und syntaktischen Informationen Besonders problematisch für den Aufbau des Verblexikons

5 2. Symptomatik von lexikalischsemantischen Entwicklungsstörungen Störung der Bedeutungsbeziehungen und Strukturierung des semantischen Systems Mangelnde hierarchische Gliederung und Vernetzung Störung semantischer Relationen und Taxonomien Störung im Wortformlexikon Geringe Qualität der phonologische Repräsentation Störung des lexikalischen Zugriffs Störungen des produktiven Wortabrufs

6 3. Semantische Organisation von Nomen Taxonomieannahme Erwerbsstrategie: Lexeme werden in eine hierarchisch geordnete taxonomische Struktur gespeichert Basisbegriffe werden früh erworben Leicht vorstellbar Hoher Informationsgehalt Oft mono-morphematisch

7 3. Semantische Organisation von Nomen McGregor und Waxman (1997): 13 sprachunauffällige und 13 SSES-Kinder Durchschnitt fünf Jahre Bennen von Bildern; Beeinflussung durch Versuchsleiter Ergebnis: Alle Kinder: mehr Fehler bei der subordinierten und superordinierten Ebene SSES: weniger subordinierte Begriffe, mehr unbestimmte Fehler ( I don t know ) SSES-Kinder verfügen über intaktes hierarchisches System Defizite in der Speicherung semantischer Informationen bei SSES

8 3. Semantische Organisation von Nomen Rothweiler (2001): 11 SSES- und 8 sprachunauffällige Kinder Vier bis sieben Jahre alt Überprüfung der Fähigkeit zur Bildung taxonomischer Beziehungen Zuordnen von Bildern nach thematischen oder taxonomischen Relationen Ergebnisse: Beide Gruppen: taxonomische Beziehungen überwiegen SSES: keine Signifikanz für taxonomische Beziehungen Taxonomieannahme auch bei SSES-Kindern wirksam In Einzelfällen nicht ausreichend genutzt Bevorzugung der thematischen Beziehung nie bei Kindern mit guten Wortschatzleistungen

9 4. Semantische Organisation von Verben Keine hierarchische Organisation Organisation nach Bedeutungsfeldern (Huttenlocher & Lui, 1979) Verben werden in den meisten Sprachen später als Nomen erworben Erwerb abhängig von der Ereignis-Struktur (Penner, Schulz & Wymann, 2003) SSES-Kinder produzieren kompositionell telische Verben (Bsp. essen) zuerst, während gesunde inhärent telische zuerst produzieren (Bsp. aufmachen) SSES-Kinder zeigen Fehler beim Verstehen von inhärent telischen Verben Diskussion: Verben stellen ein besondere Herausforderung für SSES-Kinder dar

10 4. Semantische Organisation von Verben Rice und Bode (1993): 3 sprachgestörte Vorschulkinder 3 Monaten ein mal pro Woche Spontansprachenaufnahme von 30-35 Minuten Beobachten den Gebrach von General all-purpose (GAP) Verben want, go, get, do, put, need, come, did, look, make und work. Ergebnisse: SSES verwenden häufig GAP Verben GAP Verben an Stelle von spezifischen Verben, da verminderte Quantität GAP Verben bei Abrufproblemen GAP Verben füllen Lücken im eingeschränkten Verblexikon

11 4. Semantische Organisation von Verben Rothweiler (2001): 11 SSES- und 8 sprachunauffällige Kinder Vier bis sieben Jahre alt Bildbenennungstest (AWS); Nomen, Verben und Adjektive Ergebnisse: Keine signifikanten Leistungsunterschiede zwischen den Wortarten Keine signifikanten Unterschiede zwischen ungestörten und SSES-Kindern Verblexikon weist bei einer SSES keine besonderen Defizite auf

12 5. Studie von Kauschke et. al (2010) 5.1.Fragestellung Untersuchung der internen Struktur des Nomen- und Verblexikons von SSES- und sprachunauffälligen Kindern verschiedener Altersklassen Unterscheidet sich die semantische Organisation des mentalen Lexikons von SSES- und unauffälligen Kindern? Welche Veränderung der semantischen Organisation vollzieht sich mit zunehmendem Alter?

5.2. Probanden 13

14 5.3. Datenerhebung Videoaufnahmen der Spontansprache Es wurde Einkaufen gespielt Dauer der Aufnahmen: Gruppe 1: 7-10 min. Gruppe 2: 5-10 min. Gruppe 3 und 4: 15 min. Transkripte wurden mit CHAT erstellt und mit CLAN ausgewertet

15 5.4. Spontansprachliche Variablen Types (NDW, number of different words) Unterschiedliche syntaktische Wörter (Bsp. Ball und Bälle jeweils ein Type) Klitisierung 2 Types (Bsp. weilʼs ) Intendierte zielsprachliche Form wurde berücksichtigt (Bsp. toffel wird als Kartoffel gewertet Tokens (TNW, total number of words) Wiederholte Nennung desselben Wortes Type-Token-Verhältnis (TTR, type-token-ratio) Anzahl der Äußerungen (NU, number of utterances) Unverständliche Äußerungen wurden nicht gewertet Ja-Nein-Antworten wurden gewertet Durchschnittliche Äußerungslänge (MLU, mean length of utterances)

16 5.5. Ermittlung der Wortarten Für jedes Kind Auflistung aller geäußerten Types, nach Nomen und Verben gefiltert/sortiert Unterschiedlich syntaktische Wörter wurden zu einem Lexem zusammen gefasst Anzahl unterschiedlicher Nomen (NDN, number of different nouns) Anzahl unterschiedlicher Verben (NDV, number of different verbs) Nomendichte (Anteil unterschiedlicher Nomen an allen Types) Verbdichte (Anteil unterschiedlicher Nomen an allen Types)

5.6. Kodierung der semantischen Organisation von Nomen 17

5.7. Kodierung der semantischen Organisation von Verben 18

6. Resultate Spontansprachliche Variablen 19

6. Resultate Spontansprachliche Variablen 20

6. Resultate - Nomenlexikon 21

6. Resultate - Verblexikon 22

6. Resultate Verteilung der semantischen Kategorien 23

24 7. Fazit Nomenlexikon wird mit zunehmendem Alter ausdifferenzierter, unabhängig von einer SSES Nomen- und Verblexikon der jüngeren SSES-Kinder zeigt deutliche Defizite auf Dominanz der Basisbegriffe Signifikant mehr GAP-Verben Ältere SSES-Kinder unterscheiden sich in der semantischen Organisation kaum von gleichaltrigen Kontrollkindern

25 7. Fazit Spontansprache zeigt nur produktiven Wortschatz Evl. verfügen die Kinder über ein ausdifferenzierteres Lexikon, es war nur nicht nötig dieses in der Spielsituation zu gebrauchen Wären gezielte Fragen besser? Wurden die Nomen und Verben auch semantisch und pragmatisch korrekt gebraucht? Würde eine andere Kodierung auch andere Ergebnisse bringen?

26

27 Literatur Huttenlocher, J. & Lui, F. (1979): The Semantic Organization of Some Simple Nouns and Verbs. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 18, 114-162. Kauschke, C.; Fauck, A. & Nachbarschulte, A. (2010): Zur hierarchischen Organisation des mentalen Lexikons bei Kinden mit spezifischer Sprachentwicklungsstorung. Sprache, Stimme, Gehör, 34, 228-236. Kauschke, C. & Rothweiler, M. (2007). Lexikalisch-semantische Entwicklungsstörungen. In: Schöler, H., Welling, A. (Hrsg.). Förderschwerpunkt Sprache. (Handbuch der Pädagogik und Psychologie, (Bd. 3). Göttingen. S. 239-247. McGregor, K. & Waxman, S. (1998). Object naming at multiple hierarchical levels: a comparison of preschoolers with and without word-finding deficits. Journal of Child Language, 25, 419-430. Penner, Z.; Schulz, P. & Wymann, K. (2003): Learning the meaning of verbs: what distinguishes language-impaired from normally developing children. Linguistics, 41, 289-319. Rice, M.L. & Bode, J. (1993). GAPS in the verb lexicons of children with specific language impairment. First Language, 13, 113-131. Rothweiler, M. (2001). Wortschatz und Störungen des lexikalischen Erwerbs bei spezifisch sprachentwicklungsgestörten Kindern. Heidelberg.