Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 4719 29. 08. 2018 Kleine Anfrage des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner fraktionslos und Antwort des Ministeriums der Justiz und für Europa Auskunft über Rehabilitation in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleine Anfrage Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Sozialarbeiter arbeiten aktuell in den Justizvollzugsanstalten (bitte nach JVA und Voll-/Teilzeitkräften unterteilen)? 2. Wie viele Häftlinge fallen auf einen Sozialarbeiter? 3. Was sind die Aufgaben der Sozialarbeiter in einer JVA? 4. Wie gestaltet sich die Lohnstruktur der Sozialarbeiter? 5. Wie sind die Arbeitszeiten der Sozialarbeiter geregelt? 6. Wie sind die Rückfallquoten seit 2000 in den JVA (bitte unterteilt nach Jahr, JVA und Delikt)? 7. Wie wird ein Häftling auf die Zeit nach seiner Haft vorbereitet? 8. Was sind die Gründe, dass ein Häftling rückfällig wird? 9. Was will sie tun, um die Rückfallquote zu senken? 29. 08. 2018 Dr. Fiechtner fraktionslos Eingegangen: 29. 08. 2018 / Ausgegeben: 24. 10. 2018 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen Der Blaue Engel. 1
Begründung In dem Artikel Fast jeder zweite Straftäter wird rückfällig vom 14. August 2016 auf n-tv geht es darum, dass Männer stärker gefährdet sind als Frauen, nach einer Straftat eine weitere zu begehen, Jüngere mehr als Ältere. Die hohe Rückfallquote ist doch sehr erschreckend. Mit dieser Kleinen Anfrage sollen die Möglichkeiten zur Rehabilitation der Häftlinge und deren Erfolg beleuchtet werden. Antwort Mit Schreiben vom 25. September 2018 Nr. 2424/0151 beantwortet das Ministe - rium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Sozialarbeiter arbeiten aktuell in den Justizvollzugsanstalten (bitte nach JVA und Voll-/Teilzeitkräften unterteilen)? 2. Wie viele Häftlinge fallen auf einen Sozialarbeiter? Im Haushaltsjahr 2018 (Stand 1. Januar 2018) stehen dem Justizvollzug insgesamt 138 Stellen im gehobenen Sozialdienst zur Verfügung. Hinzu kommen zwei Stellen für tariflich beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Stellenverteilung auf die einzelnen Justizvollzugsanstalten und die jeweilige Anzahl der Beschäftigten ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle: 2
Ausgehend von der Personalstellenzahl 2018 und der Jahresdurchschnittsbelegung von 7.242 Gefangenen im Jahr 2017 ergibt sich landesweit eine durchschnittliche Betreuungsrelation von etwa 52,3 Gefangenen je Sozialdienststelle. 3. Was sind die Aufgaben der Sozialarbeiter in einer JVA? Die Aufgaben des Sozialdienstes im Justizvollzug definiert das Justizvollzugs - gesetzbuch Baden-Württemberg ( 32, 33 JVollzGB II, 40, 41 JVollzGB III, 38, 39 JVollzGB IV). Die soziale Hilfe der Justizvollzugsanstalten ist demnach darauf gerichtet, die Gefangenen in die Lage zu versetzen ihre persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln. Hierzu wird ihnen Beratung in für sie bedeutsamen rechtlichen und sozialen Fragestellungen angeboten. Den Gefangenen ist insbesondere zu helfen, für Unterhaltsberechtigte zu sorgen, Schulden zu regulieren und den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln. Aufgrund der Behandlungsuntersuchung oder auf Wunsch können suchtgefährdete oder süchtige Gefangene auch Suchtberatung und Vermittlung in Therapieeinrichtungen des Jus - tizvollzugs oder anderer Träger erhalten. 4. Wie gestaltet sich die Lohnstruktur der Sozialarbeiter? Für die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen im Beamtenverhältnis ist die Laufbahn des gehobenen Sozialdienstes im Justizvollzug eingerichtet. Der Laufbahn sind die Ämter der Besoldungsgruppen A 9 bis A 13 LBesGBW zugeordnet. Für den gehobenen Sozialdienst im Justizvollzug sind im Staatshaushaltsplan 2018 folgende Stellen ausgebracht: Die Eingruppierung von im Tarifverhältnis beschäftigten Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen erfolgt in Entgeltgruppe 9 TV-L mit Entgeltgruppenzulage. 5. Wie sind die Arbeitszeiten der Sozialarbeiter geregelt? Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten im So - zialdienst ergibt sich aus 4 Arbeitszeit- und Urlaubsverordnung und beträgt 41 Stunden. Im Tarifverhältnis beträgt die Wochenarbeitszeit nach 6 TV-L 39,5 Stunden. 6. Wie sind die Rückfallquoten seit 2000 in den JVA (bitte unterteilt nach Jahr, JVA und Delikt)? In Baden-Württemberg liegen keine historischen und nach einzelnen Justizvollzugsanstalten sowie Deliktsgruppen differenzierte Rückfallquoten der Gefangenen vor. Im Rahmen der Evaluation des Jugendstrafvollzugs wurden folgende Rückfallquoten für 235 im Jahr 2013 aus der Justizvollzugsanstalt Adelsheim entlassene Gefangene für einen Rückfallzeitraum von drei Jahren erhoben: 3
26 Prozent: keine erneute Verurteilung 27 Prozent: Verurteilung, aber keine Jugend- oder Freiheitsstrafe 8 Prozent: Jugend- oder Freiheitsstrafe auf Bewährung 39 Prozent: Jugend- oder Freiheitsstrafe ohne Bewährung Eine Sonderauswertung einer bundesweiten Rückfallstudie für den baden-württembergischen Jugendstrafvollzug für den Zeitraum 2004 bis 2007 hat zu vergleichbaren Zahlen geführt. 7. Wie wird ein Häftling auf die Zeit nach seiner Haft vorbereitet? Die im Rahmen der Entlassungsvorbereitung erforderlichen Maßnahmen sind entscheidend von der persönlichen Situation der oder des Gefangenen abhängig und entziehen sich einer Verallgemeinerung. Um eine erneute Straffälligkeit nach Haftentlassung möglichst zu vermeiden, ist in den Justizvollzugsanstalten des Landes ein Übergangsmanagement eingerichtet, wonach die Anstalten in Kooperation mit anderen staatlichen Stellen sowie mit relevanten freien Trägern Gefangene auf das Leben in Freiheit vorbereiten (sogenannte verzahnte Entlassungsvorbereitung ). Häufig stehen dabei die Vermeidung von Wohnungslosigkeit, die Schuldenregulierung, die Integration in den Arbeitsmarkt sowie die Behandlung von Suchtproblematiken im Vordergrund. 8. Was sind die Gründe, dass ein Häftling rückfällig wird? Die Risikofaktoren für einen kriminellen Rückfall sind: Geschichte des antisozialen Verhaltens: Beginn abweichenden Verhaltens in jungem Alter, kontinuierlich abweichendes Verhalten in der Lebensgeschichte, unterschiedliche Delikte in unterschiedlichen Situationen; Antisoziale Persönlichkeitsmuster: Hang zu und Befriedigung durch Risikoverhalten, geringe Selbstkontrolle, Aggressivität; Antisoziale Kognitionen: negative Einstellungen und Werthaltungen, Rationalisierung von abweichendem Verhalten und Ärger, häufiger Groll und Trotz, kriminelle Identität; Antisoziale Beziehungen: enge Beziehungen zu kriminellen Personen, Fehlen prosozialer, nicht krimineller Freunde, soziale Verstärkung für kriminelles Verhalten; Familie und Partnerschaft: Erfahrung mangelnder Versorgung und Zuwendung, Erleben mangelnder Aufsicht; Schule und Arbeit: unzureichende Leistungen, geringe Zufriedenheit in der Schule oder im Beruf; Freizeit und Erholung: wenig Einbindung in und geringe Zufriedenheit mit nicht-kriminellen Freizeitbeschäftigungen; Substanzmissbrauch: Missbrauch von Alkohol und/oder Drogen. Den ersten vier genannten Faktoren kommt dabei im Hinblick auf die Rückfallgefahr die größte statistische Bedeutung zu. 9. Was will sie tun, um die Rückfallquote zu senken? Nach den gesetzlichen Regelungen in 1 JVollzGB III und 1 JVollzGB IV sollen die Gefangenen im Vollzug der Freiheits- oder Jugendstrafe fähig bzw. erzogen werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Aus- und Weiterbildungs- sowie Therapie- und Beschäftigungsangebote im Justizvollzug. 4
Um das Ziel einer verzahnten Entlassungsvorbereitung weiter zu verfolgen und um das sog. Entlassungsloch zu vermeiden, soll daher die Kooperation und Vernetzung der Justizvollzugsanstalten mit anderen staatlichen Stellen sowie freien Trägern intensiviert und verbessert werden. In den letzten Jahren sind dabei in Baden-Württemberg Strukturen gewachsen, die eine intensive und funktionierende Kooperation und Vernetzung zwischen dem Justizvollzug, der Bewäh - rungshilfe und der freien Straffälligenhilfe ermöglichen. Auch wurden viele wegweisende landesweite Resozialisierungsprojekte, etwa das Nachsorgeprojekt Chance oder die Schuldnerberatung in Haft, etabliert. Um die Zusammenarbeit mit weiteren am Wiedereingliederungsprozess von Gefangenen beteiligten Behörden zu verbessen, wurde am 12. Dezember 2016 die Kooperationsvereinbarung über die Integration von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in Baden- Württemberg mit dem Sozial- und Wirtschaftsministerium, der Regionaldirek - tion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, dem Städtetag, dem Landkreistag, dem Kommunalverband für Jugend und Soziales, den drei im Netzwerk Straffälligenhilfe zusammengeschlossenen Straffälligenverbänden und der Liga der freien Wohlfahrtspflege abgeschlossen. Ziel der Vereinbarung ist es, dass möglichst vielen Entlassenen der Übergang in eine neue Existenz gelingt und dadurch das Risiko erneuter Straffälligkeit sinkt. Insbesondere sollen zum Zeitpunkt der Entlassung die Unterkunft gesichert, eine Anlaufstelle zur beruflichen Integration bestimmt und die Frage etwaiger Ansprüche auf Sozialleistungen geklärt sein. Hierzu haben die Kooperationspartner feste Ansprechpartner für die Resozialisierungsaufgabe benannt. Wolf Minister der Justiz und für Europa 5