Zu Artikel I, Z. 3, Abschaffung der Ermächtigung zur Strafverfolgung der Gefährlichen Drohung unter Angehörigen

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Transkript:

31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 1 von 10 Stellungnahme der Interventionsstellen Österreichs zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und die Exekutionsordnung geändert werden verfasst von Dr. in Renate Hojas, Interventionsstelle Salzburg Zu Artikel I, Z 2. Zwangsverheiratung Der Entwurf sieht vor, dass 106 Abs 1Z 3 StGB (schwere Nötigung) um die Nötigung zur Eheschließung erweitert wird. Wir begrüßen die Einführung des Straftatbestandes Zwangsverheiratung als Offizialdelikt mit einem adäquaten Strafausmaß, wodurch die Begünstigung des Täters entfällt, die Landesgerichte zuständig sind und die Möglichkeit der Untersuchungshaft gegeben ist. Zu berücksichtigen ist, dass Täter (Eltern, älterer Bruder usw.) und Opfer meist in familiären Beziehungen mit autoritären Strukturen leben und die Opfer zu einem großen Teil noch Jugendliche sind, woraus sich eine existenzielle Abhängigkeit, oft noch verschärft durch die aufenthaltsrechtliche Abhängigkeit, ergibt. Unter diesen Bedingungen reicht schon die Androhung von Gewalt oder Gewaltausübung i.s. einer Körperverletzung als Mittel zur Nötigung zur Eheschließung. Zu Artikel I, Z. 3, Abschaffung der Ermächtigung zur Strafverfolgung der Gefährlichen Drohung unter Angehörigen Die Interventionsstellen begrüßen diese Gesetzesinitiative. Die Ausgestaltung des 107 StGB als Ermächtigungsdelikt im Falle der Angehörigeneigenschaft - zusätzlich zum Entschlagungsrecht - fand zu einer Zeit statt, als häusliche Gewalt weder gesellschaftlich noch in der Gesetzgebung thematisiert wurde. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit Ausmaß und Schwere häuslicher Gewalt, den Auswirkungen beim Opfer, den Täterstrategien und der Dynamik einer sogenannten Gewaltbeziehung gipfelte im Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie,

2 von 10 31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt das 1997 in Kraft getreten ist. Das Gesetz ist eine Kombination aus zivilrechtlichen Bestimmungen und der polizeilichen Maßnahme von Wegweisung und Betretungsverbot. Die Kenntnisse über häusliche Gewalt wurden insbesondere durch die Arbeit der Interventionsstellen eine der Säulen des Gesetzes vertieft. Gewalt unter Angehörigen stellt ein Machtgefälle in der Beziehung zwischen Täter und Opfer her, worauf das Opfer mit Anpassung reagiert, um weitere Gewalt zu vermeiden. Die Anpassung bestätigt den Täter in seinem Handeln, sodass weitere und meist intensivere Gewaltausübung bis hin zum Tötungsdelikt folgt. 2004 fanden 72 % aller angezeigten Morde im sozialen Nahraum statt (BMI Statistik). Der Ausstieg aus dieser Gewaltspirale ist lebensbedrohlich, von der Anpassung an den Täter bis hin zum Strafverfahren gegen den Täter ist es ein weiter Weg. Die Strafverfolgung wie bei 107 Abs. 4 StGB von einem aktiven Schritt des Opfers abhängig zu machen, stellt eine zusätzliche Hürde dar. Die Opfer erstatten keine Anzeige oder ziehen die Ermächtigung wieder zurück. Dies führt einerseits zu einer indirekten Begünstigung des Täters und andererseits, wenn die Opfer sich doch zu einem Strafverfahren entschließen, zu einer erhöhten Gefährdung, da dem Täter signalisiert wird, dass die Strafverfolgung Wunsch des Opfers sei und nicht im Interesse des Staates liege. Der Täter reagiert mit Druck auf das Opfer, damit es die Ermächtigung zurückzieht. Gefährliche Drohungen sind immer in eine Gewaltbeziehung eingebettet und ein wesentlicher Indikator für die Steigerung der Gefährdung. Die Interventionsstelle Salzburg betreute in den letzten drei Jahren sieben Opfer von Mordversuchen, denen jeweils das Tötungsdelikt durch eine gefährliche Drohung angekündigt wurde. In einem Artikel vom 20.7.2004 der Salzburger Nachrichten führt Univ.-Prof. Bernhard Mitterauer, Institut für Forens. Neuropsychiatrie Sbg. aus:.. dass gefährliche Drohungen in jedem Fall ernst zu nehmen sind und nach dem Sicherheitsprinzip vorgegangen werden soll. Die Umwandlung der gefährlichen Drohung unter nahen Angehörigen von einem Ermächtigungsdelikt zu einem uneingeschränkten Offizialdelikt ist daher i.s. der Generalprävention ein Signal, dass Gewalt unter nahen Angehörigen den gleichen Stellenwert hat wie Gewalt unter Fremden und leistet i.s. der Spezialprävention einen Beitrag zu Schutz und Sicherheit. 2

31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 3 von 10 Zu Artikel I, Z 4 Einführung der Strafbestimmung 107a StGB Beeinträchtigung der Lebensführung Die Interventionsstellen begrüßen die Einführung dieser Strafbestimmung, ausgestaltet als uneingeschränktes Offizialdelikt, verankert beim Landesgericht mit der Möglichkeit der Verhängung einer Untersuchungshaft und unter der Voraussetzung des bedingten Vorsatzes. Die erfolgreiche Strafverfolgung dieser Bestimmung wird dennoch schwer zu erreichen sein. Eine der Voraussetzungen ist, dass die beeinträchtigenden Handlungen beharrlich gesetzt werden müssen. In den Erläuterungen wird dazu ausgeführt, dass die Wiederholung zwar Voraussetzung ist, aber nicht ausreichend. Vielmehr soll der Täter mit dem Willen handeln, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Wenn z.b. der Täter eine Person immer wieder mit seinem Auto verfolgt, stellt die Wiederholung keinen Grund zur Strafverfolgung dar, es sei denn er würde angeben, damit nicht aufhören zu wollen. Selbst wenn der Verfolger angibt, sein Verhalten fortzusetzen, ist vielleicht Beharrlichkeit gegeben, aber der Eingriff nicht schwerwiegend genug, da die Beeinträchtigung der Lebensführung unzumutbar sein muss. In den Erläuterungen wird dazu ausgeführt, dass die Unzumutbarkeitsgrenze des gesetzten Verhaltens nach Z 1 (Aufsuchen der räumlichen Nähe) und Z 2 (Herstellung des Kontaktes im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines sonstigen Kommunikationsmittels oder über Dritte) dann überschritten wird, wenn durch die einzelnen Tathandlungen in die konkrete Lebenssituation des Opfers durch eine Verletzung der verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird. Damit zieht der Entwurf eine Trennlinie bei ein- und derselben Handlung zwischen sozialadäquater Verhaltensweise und unzumutbarem beeinträchtigenden Verhalten zu Lasten des Opfers. Ein provokanter Schluss drängt sich auf: Wenn wiederholte Verfolgung mit dem Auto nicht strafbar ist, dann ist es wohl sozialadäquates Verhalten. Die beeinträchtigenden Verhaltensweisen, mit denen Täter den Opfern ihre Präsenz aufzwingen, sind - ein Ergebnis der Kreativität des Täters - vielfältigster Natur. Der Gesetzesentwurf listet hingegen die Tathandlungen von Z 1-4 taxativ auf. Unklar ist, ob die Handlung der wiederholten Verfolgung mit dem Auto unter Z 1 subsumiert werden kann, da die Erläuterungen ausführen, dass darunter die unmittelbare 3

4 von 10 31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt Kontaktaufnahme zu verstehen ist. Unklar ist auch, ob z.b. stillschweigende Drohungen, wie etwa einen Patezettel am Auto des Opfers und an den folgenden Tagen schwarze Rosen zu deponieren, unter die Tathandlungen subsumiert werden können. Als Strafausmaß ist eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorgesehen. Die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ist nur bei Delikten, die eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsehen, möglich. Wenn also ein sogenannter Stalker unzurechnungsfähig ist, kann er weder bestraft noch in einer Anstalt untergebracht werden. Auch die zivilrechtlichen Schutzmaßnahmen greifen nicht, weil eine Unterlassungsklage gegen unzurechnungsfähige Stalker nicht möglich ist, siehe unten. Das Opfer ist daher diesen Stalkern, die durch die Unzurechnungsfähigkeit ein noch höheres Gefährdungspotential darstellen, ausgeliefert. Daher wäre die Einführung eines Qualifikationstatbestandes, etwa wenn die Tathandlungen eine Berufsunfähigkeit oder Gesundheitsschädigung im Sinne des 84 Abs. 1 StBG zur Folge haben, in Verbindung mit der Androhung von einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zum Schutz des Opfers eine Notwendigkeit. Da die Opfer durch die Tathandlungen zur Gruppe der besonders emotional betroffenen Personen zählen, die zahlreichen Tathandlungen sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und daher auch rückwirkend erfasst bzw. erarbeitet werden müssen sowie die Beweisführung meistens schwierig ist, sollten die Opfer zur Unterstützung im Strafverfahren einen Anspruch auf juristische und psychosoziale Prozessbegleitung erhalten, die derzeit auf Opfer von vorsätzlicher Gewalt, gefährlicher Drohung und sexueller Gewalt beschränkt ist. Stalkingopfer, die keine nahen Angehörigen zum Beschuldigten sind, haben keinen Anspruch auf schonende Einvernahme im Strafverfahren und müssen daher in Gegenwart des Angeklagten aussagen. Dies wäre eine zusätzliche massive Belastung für die Opfer. Weiters sollte die diversionelle Maßnahme des Außergerichtlichen Tatausgleichs als Erledigungsform ausgeschlossen sein. Für Täter, deren Streben der Kontakt mit dem Opfer ist, ist der mediatorische Ansatz des ATA und die Begegnung mit dem Opfer eher eine Belohnung als Bestrafung. 4

31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 5 von 10 Reformvorschläge Abschwächung der Interpretation des Begriffes beharrlich zugunsten wiederholten Verhaltens Absenkung der Unzumutbarkeitsgrenze als Verletzung der verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechte zugunsten der Beeinträchtigung der Lebensführung Einführung einer Generalklausel als Auffangtatbestand entsprechend dem deutschen Entwurf oder zumindest Ergänzung der Tathandlung um: die Übermittlung von Botschaften Einführung eines Qualifikationstatbestandes in Verbindung mit einem Strafausmaß von drei Jahren, um insbesondere auch Opfern unzurechnungsfähiger Täter Schutz zu gewähren. Anspruch der Opfer auf Prozessbegleitung Anspruch auf kontradiktorische Befragung für Stalkingopfer Der ATA sollte als diversionelle Erledigungsform ausgeschlossen werden. Zu Artikel I, Z 15, Z 16 und Artikel II Die Interventionsstellen begrüßen diese Gesetzesinitiativen ausdrücklich. Allgemeines zu den Artikeln III und IV Ziel dieser Gesetzesinitiativen ist der zivilrechtliche Ausbau der Schutzmöglichkeiten vor Eingriffen in die Privatsphäre (Stalking) mit Hilfe einer Unterlassungsklage auf der Basis einer Bestimmung, die das Recht einer Person auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre konkretisiert in Verbindung mit einer einstweiligen Verfügung. Die Polizei kann mit dem Vollzug des Beschlusses über die einstweilige Verfügung und des Unterlassungsurteils betraut werden. Diese Gesetzesänderungen stellen im Vergleich mit der derzeitigen Rechtslage vor allem durch die polizeiliche Exekutionsmöglichkeit der zivilrechtlichen Maßnahmen eine Verbesserung dar. Da das Verhaltensmuster von Stalkern ähnlich dem der Täter im Bereich häuslicher Gewalt ist (über die Hälfte aller Stalkingfälle sind die 5

6 von 10 31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt Fortsetzung von Gewalt in der Beziehung nach der Trennung), bedauern wir, dass der Entwurf nicht die rechtlichen Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes entsprechend dem Stalkingverhalten adaptiert hat. Im besonderen... Zu Artikel III, Anspruch auf Unterlassung in den Eingriff der Privatsphäre Die Konkretisierung des Unterlassungsanspruchs auf Eingriffe in die Privatsphäre ist begrüßenswert. Soweit aus den Erläuterungen hervorgeht, soll diese Bestimmung in der Exekutionsordnung verankert werden, da sie nur spezielle Fälle des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre im Auge hat. Inhaltlich ist diese Bestimmung jedoch näher dem ABGB, in dem bereits auch nach 16 und 1328a ein Schutz der Privatsphäre und somit der Unterlassungsanspruch verankert ist. In den Erläuterungen wird mit Verweis auf eine OGH-Entscheidung ausgeführt, dass dem Opfer ein Unterlassungsanspruch dann nicht zusteht, wenn und solange der Täter aufgrund einer psychischen Krankheit handlungsunfähig ist und damit dem gerichtlichen Unterlassungsgebot nicht Folge leisten kann. Da mit dem Entwurf der Vollzug des Unterlassungsurteils zum ersten Mal durch die Polizei möglich ist, könnte sich der Erfolg auch bei mangelnder Handlungsfähigkeit des Täters einstellen, zumal Opfer noch schwerer betroffen sind, wenn der Täter psychisch krank und somit in keinster Weise berechenbar ist. Eine Form häuslicher Gewalt ist auch das Instrumentalisieren der Kinder des Opfers wie etwa Drohungen mit Kindesentführung bis hin zu Tötungsdelikten an Kindern, wobei sich diese Gewaltform nach der Trennung steigert, da der Zugriff auf die Kinder die einzige Möglichkeit darstellt, den Druck auf die ehemalige Partnerin fortzusetzen. Auch bei Stalking liegt es nahe, dass nahe Angehörige des Opfers von Stalkinghandlungen betroffen sind bzw. die Angst einer betroffenen Mutter sich um die Angst um ihre Kinder intensiviert, wenngleich diese nicht unmittelbar Stalkinghandlungen ausgesetzt sind. Das Unterlassungsurteil bietet jedoch nur unmittelbar Betroffenen, z.b. der Mutter, Schutz, aber nicht ihren Kindern. Die Gefährdung der Kinder erhöht sich, wenn der Täter nach einem Unterlassungsurteil nur mehr über die Kinder sein Kontrollverhalten ausüben kann. Nach dem 6

31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 7 von 10 derzeitigen Gesetzesentwurf müsste die Mutter neuerlich eine Unterlassungsklage zum Schutz ihrer Kinder einbringen. Die Unterlassungsklage ist ein Verfahren mit oft schwieriger Beweislage, verbunden mit hohem Prozessrisiko. Die überwiegende Mehrheit der Stalkingopfer sind die ohnehin schon einkommensschwächeren Frauen, die sich vor langwierigen Gerichtsverfahren scheuen. Selbst bei Gewährung der Verfahrenshilfe für einkommensschwache/vermögenslose Opfer haben diese noch die Vertretungskosten des Gegners im schlimmsten Fall geht das Verfahren über drei Instanzen - zu bezahlen, falls sie das Verfahren verlieren. Opferschutz wird zur Schuldenfalle. Die Praxis in der Interventionsstelle Salzburg zeigt, dass in den letzten fünf Jahren 4 Stalkingopfer dieses Risiko eingegangen sind, wenngleich mindestens 250 Betroffene die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt hätten. (Es handelt sich dabei nur um jene Opfer, die trotz ausreichender Begründung und Bescheinigungsmittel wegen mangelnder häuslicher Gemeinschaft und/oder Angehörigeneigenschaft keine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz beantragen konnten). Für Opfer strafbarer Handlungen wird die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche z.b. auf Schmerzengeld oder für Stalkingopfer jene auf Unterlassung besonders belastend, da die Parteienvernahme in Gegenwart des Gegners (Täters) zu erfolgen hat, wohingegen im Strafverfahren eine getrennte Einvernahme für besonders betroffene Opfer oder nahe Angehörige zum Beschuldigten durchgeführt wird. Insbesondere für Stalkingopfer, die auf Unterlassung gegen Eingriffe in die Privatsphäre klagen, ist es unzumutbar, in Gegenwart des Gegners aussagen zu müssen. Nach der derzeitigen gerichtlichen Geschäftsverteilung würden einstweilige Verfügung und Unterlassungsklage gegen Eingriffe in die Privatsphäre in den Zuständigkeitsbereich der RichterInnen für allgemeine zivilrechtliche Angelegenheiten fallen. Da Stalking jedoch eine Form von Beziehungsgewalt ist, da zumindest der Täter eine Beziehung zum Opfer anstrebt, sollten die in familienrechtlichen Angelegenheiten erfahrenen RichterInnen zuständig sein. Reformvorschläge Verankerung im ABGB und nicht in der Exekutionsordnung Der Unterlassungsanspruch soll auch gegen Täter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung handlungsunfähig sind, möglich sein. 7

8 von 10 31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt Ausweitung des Unterlassungsanspruchs auf nahe Angehörige, zumindest Kinder des Opfers, auch wenn diese nicht unmittelbar betroffen sind. Verfahrenshilfe für alle Stalkingopfer unabhängig von Einkommen und Vermögen (wobei die anwaltlichen Kosten des Gegners bei Verlieren der Klage mit der Verfahrenshilfe nicht abgedeckt sind). Einführung einer kontradiktorischen Parteienvernahme im Zivilverfahren, zumindest vorerst für Stalkingopfer. Die sachliche Zuständigkeit sollte bei den RichterInnen für Verfahren in familienrechtlichen Angelegenheiten angesiedelt werden. Zu Artikel IV Z 1 ( 355a EO) Die Interventionsstellen begrüßen die Möglichkeit der Exekution durch die Polizei von einem Kontaktaufnahmeverbot nach Art III Z 2 und einem Aufenthaltsverbot an bestimmten Orten nach Art. III Z 1 entsprechend dem Unterlassungsurteil. Jedoch besteht eine Schutzlücke zwischen der einstweiligen Verfügung und dem Vollzug des Unterlassungsurteils, da die Exekution des Unterlassungsurteils erst nach neuerlichem Zuwiderhandeln beantragt werden kann und die einstweilige Verfügung mit dem Urteil ausser Kraft tritt. Das nach Art. III Z 3 angeführte Verbot, einen anderen zu verfolgen ist nach dieser Gesetzesbestimmung nicht durch die Polizei exekutierbar, sondern nur über Beugestrafen, die nach jeder Missachtung beim Exekutionsgericht beantragt werden müssen, wodurch in diesem Fall kein wirksamer Schutz bei Verfolgung gewährleistet ist. Die Erläuterungen führen zwar an, dass das Opfer auch bei Verfolgung die Möglichkeit hat, das Verbot durch die Polizei vollziehen zu lassen, jedoch ist dies nach dem Gesetzestext nicht nachvollziehbar. Reformvorschläge Die Exekution des Urteils sollte ohne vorangegangenes Zuwiderhandeln nach dem Urteil sofort möglich sein, sodass ein fließender Übergang von der Exekutionsmöglichkeit der einstweiligen Verfügung zur Exekution des Urteils besteht. In 355a EO sollte auch die Möglichkeit, das Verbot, einen anderen zu verfolgen, durch die Polizei vollziehen lassen zu können, festgehalten werden. 8

31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 9 von 10 Zu Artikel IV Z 2, 382g (Einstweilige Verfügung zu Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre) Auch im neu geschaffenen 382g Abs 1 EO werden demonstrativ einige Verbote als Sicherungsmittel für den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre aufgelistet u.a. in Z 4 wieder das Verbot der Verfolgung der gefährdeten Partei. 382g Abs 2 EO sieht vor, dass mit dem Vollzug von Verbot der Kontaktaufnahme nach Abs 1 Z 1 und dem Verbot des Aufenthalts an bestimmten Orten nach Abs. 1 Z 2 die Polizei betraut werden kann, wodurch das Verbot der Verfolgung der gefährdeten Partei nicht mit der Exekutionsmöglichkeit durch die Polizei verbunden ist. Somit ist kein wirksamer Schutz bei Verfolgung gewährleistet. Reformvorschlag In 382g Abs 2 EO sollte auch die Möglichkeit, das Verbot der Verfolgung der gefährdeten Partei durch die Polizei vollziehen lassen zu können, festgehalten werden. Wie bereits zu Artikel III allgemein ausgeführt, wollen die Interventionsstellen folgenden Vorschlag, Stalking mit raschem und wirksamem Schutz für die Opfer zu begegnen, zur Diskussion stellen: Im ersten Schritt sollte die Polizei die Möglichkeit zur Maßnahme, ein befristetes Kontaktverbot zu verhängen, erhalten. Anschließend an das Kontaktverbot sollte der Schutz durch eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung jeglicher Kontaktaufnahme mit Dauer von einem Jahr mit Vollzug durch die Polizei vom Opfer beantragt werden können, und zwar losgelöst von einer Unterlassungsklage, deren Urteil 30 Jahre vollzogen werden kann. Die Dauer der einstweiligen Verfügung von einem Jahr ist dadurch gerechtfertigt, dass der Eingriff in die Rechte der gefährdenden Person durch ein bloßes Kontaktverbot zum Opfer nicht allzu massiv ist. Bei einer einstweiligen Verfügung unabhängig von einer Unterlassungsklage sind die Rechte des Gefährders ebenfalls durch den Rechtsmittelweg gewahrt. Der derzeitige Vorschlag sieht eine einstweilige Verfügung nur in Zusammenhang mit 9

10 von 10 31/SN-349/ME XXII. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt einer Unterlassungsklage vor, auf die sich wegen des Prozessrisikos die wenigsten von den meist weiblichen Opfern einlassen werden, wodurch der überwiegenden Mehrheit der Opfer auch der Schutz der einstweiligen Verfügung verwehrt bleibt. Da kein polizeiliches Kontaktverbot vorgesehen ist, werden die Stalkingopfer mit Ausnahme jener, die ausreichend finanzielle Ressourcen und Nerven haben, keinen Schutz erhalten. In Anlehnung an diesen Entwurf wäre für die Opfer die Einführung der einstweiligen Verfügung mit einer sinnvollen Frist, z.b. von einem Jahr, losgelöst von der Unterlassungsklage eine wesentliche Erleichterung. Wir ersuchen, diesen Vorschlag noch einmal zu prüfen. 10