- 1 - TB Deutsche Sprachprüfung Mustertextbearbeitung Spät am Start, früh am Ziel Aus einer Untersuchung, die ein bekanntes Meinungsforschungsinstitut durchgeführt hat, geht hervor, dass in unserer Gesellschaft Frauen ab 56 und Männer ab 59 als alt gelten. Die Betroffenen sehen das meistens genauso, und daran hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts nichts geändert. Im Unterschied zu heute waren allerdings vor hundert Jahren die Menschen ab 68 Jahren wirklich alt. Die Sterberate war in dieser Altersgruppe sehr hoch. Damit war Altsein noch vor wenigen Generationen kein anhaltender Zustand, sondern Lebensausgang. Wer alt war, starb auch bald. Und bis man alt war, trug man für sich selbst und andere Verantwortung. Innerhalb eines Jahrhunderts ist nun aus jenem Lebensausgang ein längerer Lebensabschnitt geworden, der häufig 20, aber auch 25 oder sogar 30 Jahre dauert. Die Folge: 1987 bezahlte die Rentenversicherung Männern im Durchschnitt dreizehn und Frauen fünfzehn Jahre lang Rente - ein Zeitraum, der ständig größer wird. Dagegen bekamen Ende des 19. Jahrhunderts Rentner im Durchschnitt nur einige Monate Rente. Im Vergleich zu früher werden die Menschen aber nicht nur immer älter, sondern bleiben auch gesünder und leistungsfähiger. Diese Entwicklung trägt dazu bei, dass viele dieser Rentenempfänger keineswegs auf finanzielle Hilfe angewiesen sind. Nicht wenige könnten durchaus noch ihren Lebensunterhalt selbst verdienen - ganz oder doch zum Teil. Sie tun dies jedoch nicht, weil sie aufgrund ihres Alters eine Rente beziehen. Das Ergebnis: Unsere Gesellschaft bezahlt mehr oder weniger bereitwillig für Millionen von Menschen, die zumindest teilweise noch in der Lage wären, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine vergleichbare Entwicklung ist am anderen Ende des Lebens zu beobachten. Noch vor wenigen Generationen waren Kindheit und Jugend kurz, und nur in dieser Zeit wurden junge Menschen von anderen finanziell versorgt. Selbst in gesellschaftlichen Schichten, die es sich leisten konnten, verdienten die Menschen schon früh ihren eigenen Lebensunterhalt. Ganz anders heute. Da wird auch von einem 25-Jährigen noch nicht erwartet, dass er auf eigenen Beinen steht, solange er sich noch in einer Ausbildung befindet. Die eigene Erwerbstätigkeit droht heutzutage in den Hintergrund zu treten. In einem achtzigjährigen Leben dürfte es in Zukunft leicht möglich sein, mindestens die Hälfte der Zeit ausschließlich von finanziellen Unterstützungen zu leben und nur in der verbleibenden Hälfte für sich selbst zu sorgen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Erwerbsarbeit darf im Alter keine Notwendigkeit sein. Wer nicht mehr arbeiten kann - also arbeitsunfähig ist -, muss auch in Zukunft finanziell unterstützt werden. Und wie die Statistik zeigt, ist das bei jedem zweiten schon vor Erreichen des sechzigsten Lebensjahres der Fall. Doch die allgemeine Annahme, auch alle anderen seien spätestens Mitte sechzig nicht mehr in
- 2 - TB der Lage, noch irgendeinen Beitrag zum eigenen Lebensunterhalt zu leisten, ist heutzutage nicht mehr aufrechtzuerhalten. Entsprechendes gilt für das erste Lebensdrittel. Es gibt keinen Grund, warum 17- oder 18jährige Schüler oder 25jährige Studenten nicht einen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt leisten sollten. Wenn man darüber nachdenkt, die Lebensarbeitszeit neu zu ordnen, geht es also weder um die Wiedereinführung von Kinder- noch von Altenarbeit. Worum es geht, ist die sinnvollere und das heißt gleichmäßigere Verteilung von Ausbildung, Arbeit und Arbeitsruhe. Alle drei Abschnitte sind heute auf die streng geteilten Lebensphasen der Kindheit und Jugend, des Erwachsenenalters und des Alters konzentriert. Diese Aufteilung wird aber der Wirklichkeit nicht mehr gerecht, denn die Berufstätigkeit beschränkt sich auf einen zu kurzen Lebensabschnitt. Es wäre stattdessen sinnvoller, Erwerbsarbeit und schulische Bildung schon bei Schülern und Hochschülern früh miteinander zu verbinden. Zugleich kann und soll die bislang für das Alter aufgesparte Arbeitsruhe wenigstens teilweise in mittlere Lebensphasen vorgezogen werden. Human ist nicht eine immer frühere Arbeitsruhe, sondern eine durch mehr Pausen unterbrochene Berufstätigkeit. Was spricht dagegen, dass Menschen in einem 45- oder 50jährigen Berufsleben einige Male für längere Zeit eine Pause einlegen, um das Leben zu genießen, sich um die Kinder zu kümmern oder sich weiterzubilden? Zwanzig Jahre der ununterbrochenen Arbeitsruhe ab 60 bzw. 65 sind nämlich häufig weder nötig noch genussreich. Wer in mittleren Jahren etwas öfter eine Pause im Erwerbsleben einlegt, wird in späteren Jahren nicht nur länger arbeiten können sondern auch wollen. So einfach der Grundgedanke dieser Neuordnung unseres lang gewordenen Lebens ist, so schwierig ist seine Verwirklichung. Die Widerstände sind groß. Sie erwachsen vor allem aus dem Schulsystem, dem Wirtschaftssystem und dem Sozialsystem. So halten die Schulen viele Menschen bis weit ins Erwachsenenalter fest. Für eine Neuordnung unseres Lebens wäre es notwendig, Schulzeiten zu kürzen oder die Schule - wenigstens bei jungen Erwachsenen - auf eine Teilzeitveranstaltung zu reduzieren. Doch solche Ideen stoßen auf heftige Kritik der Ausbilder. Auch unsere Wirtschaft ist nur schlecht darauf vorbereitet, dass Menschen ihre Berufstätigkeit im Laufe ihres Lebens wiederholt unterbrechen oder Teilzeit arbeiten. Außerdem haben die Betriebe nur wenig Erfahrung damit, ältere Menschen wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Bleiben noch die Alterssicherungssysteme. Sie wurden geschaffen für Menschen, die wegen ihres Alters arbeitsunfähig waren. Heute jedoch bekommen Menschen bereits zu einer Zeit eine Rente, in der von Arbeitsunfähigkeit noch nicht die Rede sein kann. Eine junge Mutter oder ein junger Vater hätte aber zum Beispiel mehr von einer vorübergehenden finanziellen Unterstützung als ein arbeitsfähiger 65-Jähriger, der aufgrund festgesetzter Altersgrenzen vom Erwerbsleben ausgeschlossen wird.
- 3 - TB Deutsche Sprachprüfung Mustertextbearbeitung Name: Datum: Klasse: Punkte / Note: / Spät am Start, früh am Ziel 1. "Damit war Altsein noch vor wenigen Generationen kein lang anhaltender Zustand..." (Z.6-7) Formen Sie um! Damit war Altsein noch vor wenigen Generationen kein Zustand, 1,5 2. Was hat sich für die Rentenversicherung im Laufe des letzten Jahrhunderts geändert? 2,5 3. Warum könnten heutzutage viele Rentner ihren Lebensunterhalt selbst verdienen? 2,5.../6,5
- 4 - TB 4. Was ist nach Ansicht des Verfassers der Grund dafür, daß Frauen über 60 und Männer über 65 in unserer Gesellschaft Rente beziehen? a) Alte Menschen sind für das Erwerbsleben nicht mehr geeignet, weil sie im Vergleich zu Jüngeren für die Wirtschaft nicht mehr leistungsfähig sind. ( ) b) Sie sind aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. ( ) c) Menschen in diesem Alter haben den Wunsch, ihren Lebensabend zu genießen. ( ) d) Es ist eine gesellschaftliche Festlegung, dass Menschen in diesem Alter nicht mehr berufstätig sein sollten. ( ) 2 5. Der Autor stellt fest, daß Jugend und Alter heutzutage zwei Gemeinsamkeiten haben. Welche? (Geben Sie Stichworte an!) 2 2 6. Erläutern Sie mit eigenen Worten den Ausdruck: "auf eigenen Beinen stehen"! (Z.25) 2,5.../8,5
- 5 - TB 7. "In einem achtzigjährigen Leben dürfte es in Zukunft leicht möglich sein, mindestens die Hälfte der Zeit ausschließlich von finanziellen Unterstützungen zu leben." (Z.27-29) Welche der folgenden Formulierungen drückt das gleiche aus? a) In einem achtzigjährigen Leben ist es auf jeden Fall in Zukunft leicht möglich, mindestens die Hälfte der Zeit... ( ) b) In einem achtzigjährigen Leben ist es wahrscheinlich in Zukunft leicht möglich, mindestens die Hälfte der Zeit... ( ) c) In einem achtzigjährigen Leben ist es in Zukunft erlaubt, mindestens die Hälfte der Zeit... ( ) d) In einem achtzigjährigen Leben ist es in Zukunft mit Sicherheit leicht möglich, mindestens die Hälfte der Zeit... ( ) 2 8. "Und wie die Statistik zeigt, ist das bei jedem zweiten schon vor Erreichen des sechzigsten Lebensjahres der Fall." (Z.33-36) Worauf bezieht sich "das"? 2,5 9. "Doch die allgemeine Annahme... ist nicht mehr aufrechtzuerhalten." (Z.34-36) Welche der folgenden Möglichkeiten entspricht dieser Textstelle? a) Bei dieser Annahme kann man nicht mehr bleiben. ( ) b) Bei dieser Annahme müßte man nicht mehr bleiben. ( ) c) Bei dieser Annahme will man nicht mehr bleiben. ( ) d) Bei dieser Annahme muß man nicht mehr bleiben. ( ) 2 10. Eine Neuordnung der Lebensarbeitszeit sollte laut Text folgende Gesichtspunkte enthalten: ja nein a) Unterbrechung des Arbeitslebens ( ) ( ) 2 b) Verkürzung der Lebensarbeitszeit ( ) ( ) 2 c) gesetzliche Einführung von Kinder- und Altenarbeit ( ) ( ) 2.../6,5
- 6 - TB 11. "Human ist nicht eine immer frühere Arbeitsruhe, sondern eine durch mehr Pausen unterbrochene Berufstätigkeit." (Z.49-50) Formen Sie um! Human ist nicht eine immer frühere Arbeitsruhe, sondern eine Berufstätigkeit, 1,5 12. Wie könnten die Erwerbstätigen die Pausen im Berufsleben nutzen? (2 Informationen in Stichworten) 2 2 13. "Doch solche Ideen stoßen auf heftige Kritik der Ausbilder." (Z. 60-61) Worauf bezieht sich "solche"? 2,5 14. "Eine junge Mutter oder ein junger Vater hätte... mehr von einer... Unterstützung als ein arbeitsfähiger 65-Jähriger, der aufgrund festgesetzter Altersgrenzen vom Erwerbsleben ausgeschlossen wird." (Z. 67-70) Formen Sie um! Eine junge Mutter oder ein junger Vater hätte... mehr von einer... Unterstützung als ein arbeitsfähiger 65-Jähriger, der vom Erwerbsleben ausgeschlossen wird, 1,5.../14 Gesamtpunktzahl: 37