Fallbeispiel: Orchestergeiger
Kurzprofil Basis-Angaben - männlich, 56 Jahre, keine Vorerkrankungen - Körpergrösse: 190cm Berufliches/künstlerisches Profil - Geiger in einem Schweizer Berufsorchester - Register: 2. Violine, Sitzposition im Register wechselnd - Anstellung: 100% - Zum Zeitpunkt der Kontaktnahme krankgeschrieben
Grund der Kontaktnahme - Schmerzen im rechten Schultergelenk und in den umliegenden muskulären Strukturen - Genaue Lokalisation des Schmerzes schwierig, da wandernd - Keine Rötung, keine äusserlich sichtbare Schwellung, wechselnde Druckschmerzhaftigkeit der Muskulatur - Schmerzintensität und -qualität abhängig von Spielkontext (Konzert/Oper) - Vorhersehbarkeit der Schmerzen unberechenbar: teils während des Dienstes, teils erst am Folgetag - Schmerzzustände verunmöglichen, hohen Anforderungen gerecht zu werden - Verunsicherung, Zukunftsängste
Aufnahme: 03.11.2015, mit freundlicher Genehmigung
Befund/Beurteilung (RF und MRI) - Relativer Humeruskopfhochstand - Relativ enges subakromiales Outlet - Kleinste knöcherne subacromiale Weite: ca. 4mm - Mässige kapsuläre Schwellung - Alterstypische Abnützungserscheinungen von Sehnen und Knorpelgewebe des Schultergelenks - Geringgradige Bursitis acromialis - Ansatztendinitis der Supraspinatus-Sehne, minimale Auffaserung u. intraossäre Ganglionformation - Geringgradige Ansatzreizung der Subscapularis- und Infraspinatus-Sehne - Verdacht auf diskrete intramurale Verkalkung - Mässige Arthrose und Kapselreizung im AC-Gelenk
Bereits ergriffene Massnahmen - Trotz Beschwerden Fortsetzung eines Fitness-Trainings (Kraft & Ausdauer für ganzen Körper) mehrmals pro Woche: Dehnen nach Fitness tut gut - 3 Sitzungen Stosswellentherapie - bisher keine Verbesserung
Haltungs- und Bewegungsanalyse - I Ergonomische Co-Faktoren: Orchesterstuhl > Sitzhöhe gemessen an Körpergrösse sehr tief > Hindernis für freie Streichbewegungen des Bogens (Beine) > Mangelnde Verstellbarkeit der Stuhlfläche Konsequenzen > Allgemein hoher Tonus im Oberkörper durch die Sitzhöhe > Drehung und Rückwendung im Oberkörper > Ausweichbewegungen von Bogenhand und -arm
Haltungs- und Bewegungsanalyse - II Instrument > Erreichbarkeit der tieferen Saiten erschwert: -> erfordert mehr Elevation der Schulter rechts > Ergonomische Einrichtung der Geige erfordert erhöhte Bewegungsdynamik: -> mehr muskuläre Aktivität und Kompensationsbewegungen im Bogenarm Spieltechnik > Grobmotorische Stereotypen bei Streichbewegungen: -> Verfrühte und übermässige Bewegungen des Oberarms im Aufstrich ->> Humeruskopfhochstand
Selbsthilfemassnahmen > Selbstmassage: Finn-Hook im Bereich der Insertionszonen von - M. Supra- u. Infraspinatus - M. Triceps und M. biceps - M. pectoralis major u. minor - M. levator scapulae > Stufenweise, postisometrische Dehnungen (minimal 2 Minuten) > Kräftigung der Schultergürtelmuskulatur > Koordinations- und Geschicklichkeitsübungen für Schultergürtelmuskulatur
Massnahmen in den Bereichen Ergonomie und Spielbewegungen I > Ergonomische Optimierung des Stuhles Wesentlich höhere Grundeinstellung plus Keilkissen -> Disponiertes Sitzen im Orchesterdienst > Ergonomische Optimierung der Schulterstütze -> Entlastung der Muskulatur durch erhöhte Schulterstütze zwecks Stabilität des Instrumentes > Anpassung des Instrumenten-Neigungswinkels: -> Leichtere Erreichbarkeit der tiefen Saiten
Massnahmen in den Bereichen Ergonomie und Spielbewegungen II > Anpassung der Bogentechnik: Ökonomische Reihenfolge innerhalb der kinetischen Kette des Bogenarms: «Hand führt, Ellbogen hängt und folgt» Ziele: Reduktion grobmotorisch-dominanter Initiativen von Ellbogen, Oberarm und Schulter Reduktion der Muskelaktivität ab dem Ellbogen aufwärts Gewonnene Freiräume aufrechterhalten durch Engpassdehnungen nach Belastung
Verlauf Schmerzfrei innerhalb von ca. 2,5 Wochen Gestufter beruflicher Wiedereinstieg (anfänglich 50%) Nach 6 Wochen 100% Einsatzfähigkeit, Schmerzen seither nicht rezidivierend konsequente Umsetzung ergonomisch optimierter Arbeitsbedingungen