Monika Pelkmann, NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderungen NRW Vortrag beim Bellzett e.v. Bielefeld, 19. April 2010

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Transkript:

Monika Pelkmann, NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderungen NRW Vortrag beim Bellzett e.v. Bielefeld, 19. April 2010 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bedanken uns herzlich für die Einladung, heute bei der Auftaktveranstaltung zum Projekt Ich bin Ich! dabei zu sein und Ihnen verschiedene Aspekte zur Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Behinderung/chronischer Erkrankung zu erläutern. Lebenssituation, Probleme und Chancen von Frauen und Mädchen mit Behinderung In NRW gibt es ca. 900 000 Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankung. Wenn ich im Folgenden von Mädchen und Frauen mit Behinderung spreche, sind die chronisch erkrankten Frauen immer mit eingeschlossen. Mädchen und Frauen mit Behinderung sind in fast allen Lebensbereichen aufgrund ihres Geschlechtes und ihrer Behinderung von einer doppelten Diskriminierung betroffen. Daran hat auch der Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur Selbstbestimmung, den die Behindertenpolitik in den letzten Jahren vollzogen hat, noch nicht viel geändert. Das Netzwerk Frauen und Mädchen mit Behinderung NRW wurde 1995 gegründet als ein offener Zusammenschluss aus organisierten und nicht organisierten Frauen und Mädchen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung in NRW. 1996 wurde unsere Arbeit mit der Einrichtung des NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderung NRW auf hauptamtliche Füße gestellt. Als Landesfachstelle gefördert durch das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW arbeiten wir in Trägerschaft der LAG SELBSTHILFE NRW e.v. Als Informations-, Vernetzungs- und Koordi-nierungsstelle setzen wir uns gemeinsam mit den ehrenamtlichen NetzwerkFrauen ein für die nachhaltige berufliche und gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Frauen und Mädchen in NRW. Damit begründen wir unsere Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen Behinderten- und Frauen- bzw. Geschlechterpolitik und leisten in Kooperation mit einer Vielzahl unterschiedlicher Institutionen wichtige Pionierarbeit sowohl für die Gleichberechtigung und Mitgestaltung behinderter Frauen und Mädchen wie auch für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Thematik.

In den vielen Jahren unserer Arbeit war es uns immer ein großes Anliegen, Mädchen mit Behinderung in ihrer Identitätsentwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Mädchen mit Behinderung werden primär in ihrer Rolle als Behinderte oder Kranke wahrgenommen und erst sekundär in ihrer Rolle als Mädchen. In ihrem Alltag werden sie häufig mit Fremdbildern konfrontiert, die den Behinderungsaspekt in den Vordergrund stellen und meistens nicht mit ihren Selbstbildern übereinstimmen. Genauso wie bei nicht behinderten Mädchen kreisen die Wünsche, Fantasien und Lebensentwürfe behinderter Mädchen um Themen wie Freundschaft, Liebe, Sexualität, Musik und andere Freizeitbereiche. Sie wollen als ganz normale und damit richtige Mädchen anerkannt werden. Dass diese Anerkennung ihnen häufig verwehrt wird, müssen sie tagtäglich feststellen. So stehen ihnen häufig nur eingeschränkte soziale und kulturelle Erfahrungsräume zur Verfügung, die sie für die Entwicklung ihrer Identität brauchen. Mobilitätseinschränkungen, mangelnde Barrierefreiheit und ein großes Fürsorgebedürfnis ihrer Eltern und ErzieherInnen stehen dem Streben nach Selbstbestimmung der jungen Mädchen entgegen. Sie leisten täglich Kraftakte, um ihren Alltag zu meistern. Hier lohnt sich ein Blickwechsel weg von ihren Defiziten hin auf ihre Ressourcen. Wer für die Organisation des Alltäglichen mit aller Kraft gegen so viele Barrieren ankämpfen muss, entwickelt mit der Zeit besondere Kompetenzen und Fähigkeiten. So werden Frauen und Mädchen mit Behinderung mitunter zu wahren Meisterinnen im Umgang mit Einschränkungen und Hindernissen, weil sie gelernt haben zu kämpfen und dort weiter zu machen, wo andere längst aufgeben würden. Eines der größten Probleme sehen wir in den diskriminierenden strukturellen Bedingungen des Schul- und Ausbildungssystems, die behinderten Mädchen das Erreichen gewünschter Bildungs- und Berufsziele sehr erschweren oder unmöglich machen. Die häufig mangelhafte Berufsberatungspraxis zeigt wenig Fantasie für außergewöhnliche Wege und kreative Lösungen und stellt eine Barriere beim Übergang Schule/Beruf dar. Diese Problematik ist in der Veröffentlichung des Expertinnenrates Arbeit und Ausbildung für Mädchen und Frauen mit Behinderung/chronischer Erkrankung NRW ausführlich analysiert und beschrieben worden. Jedoch reagiert die Politik noch nicht ausreichend auf unsere gender-spezifischen Forderungen.

Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit Behinderung Die sozialrechtlichen Strukturen unseres Landes sollen eigentlich dazu dienen, die betroffenen Menschen in Krisensituationen zu schützen und zu unterstützen. Gleichwohl wird der zermürbende Kampf um die Bewilligung von finanzieller Unterstützung, Assistenz oder Hilfsmitteln oftmals als massive Diskriminierung erlebt. Familien mit behinderten Kindern können ein Lied singen von den mitunter skurrilen unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten gesetzlicher Vorgaben. Hier wären weniger Bürokratie und mehr Raum für individuelle Lösungen sehr hilfreich. Neben finanziellen und sozialen Diskriminierungen als Aspekten der strukturellen Gewalt kann gewaltsames Handeln gegen Mädchen mit Behinderung zunächst ganz unscheinbar daher kommen und beginnt bereits mit ungewollten Eingriffen in die Privatsphäre unter dem Deckmantel der Fürsorglichkeit. Mädchen und Frauen mit Behinderung tragen ein besonders hohes Risiko, Opfer von Gewalt zu werden. Ihre besonderen Lebensumstände sind geprägt durch eine größere Abhängigkeit von Dienstleistungen anderer Menschen sowie stark eingeschränkten Möglichkeiten der Selbstbestimmung. All dies kann sich in Partnerschaften, Familienstrukturen oder Einrichtungen der Behindertenhilfe gewaltbegünstigend auswirken. Das häufig schon früh vermittelte Gefühl, körperlich nicht okay und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein geht einher mit der Annahme, andere dürften über die eigenen Belange entscheiden, der Schutz der Intimsphäre höre bei medizinischer Behandlung auf, ein Nein bei unerwünschten Berührungen oder Ratschlägen sei nicht angemessen. Die mangelnde sexuelle Aufklärung von Mädchen mit Lernbehinderungen wie auch der tabuisierte Umgang mit Gewalt in Betreuungseinrichtungen erschwert das Erkennen und Benennen sexualisierter Gewaltübergriffe (fehlende Begrifflichkeiten); die Verschwiegenheit und Unsicherheit im Umgang mit diesen Vorfällen bereitet einen zusätzlichen Nährboden für Missbrauch. Die massiven gesundheitlichen Folgen körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt werden häufig nicht als solche erkannt, sondern als Symptome der Behinderung eingeschätzt. GEWALTPRÄVENTION DURCH EMPOWERMENT

Bei Gewaltprävention, Bestärkung und Ermutigung der Mädchen und jungen Frauen spielen Selbsthilfenetzwerke als unabhängige Beratungs- und Kontaktstellen eine entscheidende Rolle. Wir Frauen des Netzwerkes setzen das Thema Gewalt an behinderten Frauen auf die sozialpolitische Agenda, klären die Öffentlichkeit auf, vermitteln Ratsuchende an professionelle Beratungsstellen, bündeln Erfahrungen und Ansätze zur Gewaltprävention und schlagen geeignete Maßnahmen zur Selbstbehauptung und Selbstverteidigung vor. Wichtig ist uns vor allem, die besonderen Anliegen und Voraussetzungen von Mädchen und Frauen mit Behinderung immer wieder anzumahnen und Frauenberatungsstellen ebenso wie Therapie- und Schutzeinrichtungen über ihre speziellen Bedürfnisse aufzuklären. Zur Prävention von Gewalt brauchen Mädchen und junge Frauen mit Behinderung vor allem: - klar verständliche Sexualaufklärung - Unterstützung bei der Stärkung einer positiven Körper- und Selbstwahrnehmung - Unterstützung bei der selbstbewussten Durchsetzung ihres Rechts auf Grenzen - Beratung und Vorbilder durch betroffene Frauen - barrierefreien Zugang (baulich als auch kommunikativ) zu allen Schutz- und Beratungseinrichtungen - ggf. Assistenz beim Aufenthalt in medizinischen Pflege- und Schutzeinrichtungen - das Recht auf gleichgeschlechtliche Pflege - die Aufnahme verbindlicher Handlungsrichtlinien bei Gewaltvorkommen in die Qualitätsstandards von Einrichtungen - mädchenparteiliche TherapeutInnen, ÄrztInnen und Mitarbeiterinnen in Schutz- und Hilfeeeinrichtungen, die Kenntnisse über ihre besonderen Bedarfe haben - Eltern und ErzieherInnen, die ihnen etwas zutrauen und die bereit sind, sie aus ängstlicher Fürsorge zu entlassen. In den letzten 2 ½ Jahren konnten wir uns im NetzwerkBüro dem Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderung durch ein Projekt widmen, das den Titel Laut(er)starke Frauen trägt. In Kooperation mit der Bundesarbeitgemeinschaft Selbsthilfe und dem Bundesgesundheitsministerium konnten wir neue Ansätze und Modelle zur umfassenden Vermeidung von Gewalt bündeln und miteinander vernetzen. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen, Mitarbeiterinnen von Frauenprojekten und Beratungsstellen und Frauen mit Behinderung aus bundes- und landesweiten Netzwerken als Expertinnen in eigener Sache erarbeiten wir derzeit

verbindliche Qualitätsstandards zur Gewaltprävention und Intervention mit dem Ziel, den Auf- und Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangebote nachhaltig zu verbessern. Die gesellschaftliche Einbindung von Menschen mit Behinderung jenseits von Sonderszenarien kann helfen, gewaltsame Übergriffe und Missbrauch zu verhindern. Den Weg dorthin ebnen soll Die UN Behindertenrechtskonvention, die sofern in die Praxis umgesetzt die Basis für ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben sein kann. Die UN Behindertenrechtskonvention trat 2009 in Deutschland in Kraft und wird als Meilenstein oder auch als neuer moralischer Kompass für die Behindertenpolitik bezeichnet. Sie besteht aus 50 Artikeln, die nahezu alle Lebensbereiche von Frauen und Männern mit Behinderung berühren. Die Behindertenrechtskonvention vollzieht einen Leitbildwechsel weg vom medizinischen Aspekt hin zum menschenrechtlichen Aspekt. Das bedeutet auch die Abkehr vom bislang individualistischen Modell von Behinderung, das die Ausgrenzung behinderter Menschen aus der Gesellschaft vornehmlich mit deren gesundheitlichen Beeinträchtigungen erklärt. In der BRK wird Behinderung nicht von vornhinein als negativ gesehen, sondern als normaler Bestandteil menschlichen Lebens und als kulturelle Bereicherung wert geschätzt. D.h. es wird klargestellt, dass nicht die Menschen das Problem sind, sondern die ausgrenzenden Bedingungen. Eine solche Inklusionspolitik kommt nicht nur Menschen mit Behinderung zugute, sondern dient der Humanisierung der ganzen Gesellschaft. Dem beharrlichen Einsatz von engagierten Frauen mit Behinderung (z. B. des Weibernetz, der bundesweiten politischen Interessen-vertretung) ist es zu verdanken, dass die Behindertenrechtskonvention die erste Konvention mit einem geschlechterspezifischen Ansatz ist. Die Rechte von Frauen mit Behinderung sind in Artikel 6 verankert. In diesem anerkennen die Vertragsstaaten, dass Frauen und Mädchen mit Behinderung mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind. Bei dem Grundgedanken der sozialen Inklusion geht es nicht mehr nur darum, innerhalb bestehender Strukturen Raum für behinderte Menschen zu schaffen, sondern

gesellschaftliche Strukturen so zu gestalten, dass sie der Vielfalt menschlicher Lebenslagen - gerade auch von Menschen mit Behinderungen - von Anfang an besser gerecht werden. Zur Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderung ist es unabdingbar, eine Veränderung im öffentlichen Bewusstsein. Diese Bewusstseinsbildung muss jedoch durch ausreichend finanzierte Aufklärungs- und Bildungsprogramme gefördert werden. In der Zukunft geht es um eine zügige Umsetzung der wichtigsten Menschenrechte von Frauen. Die BRK stärkt uns gegen strukturelles Unrecht. Sie hilft unser Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und selbstbestimmt eigene Lebens- und Kommunikationsformen zu finden. Dieses Ziel verfolgt auch das PROJEKT ICH BIN ICH! Mädchen mit Behinderung haben ein Recht auf bestmögliche Unterstützung beim Heranwachsen zu mutigen, selbstbestimmten Frauen. Konzepte und Angebote zur Persönlichkeitsstärkung sind ein bedeutender Baustein einer Prävention von Gewalt. Daher freuen wir uns heute besonders, beim offiziellen Start des neuen Projektes des BellZett Ich bin Ich! dabei zu sein. Das Projekt ist bei den Frauen des BellZett gut verortet, haben sie doch mehrfach ihre ausgezeichnete Arbeit durch Förderpreise bescheinigt bekommen. Besonders gut gefällt uns am Projekt die Fokussierung auf jüngere Mädchen sowie der genderspezifische und interkulturelle Ansatz, der den Inklusionsgedanken ernst nimmt. Das Ziel des NetzwerkBüros ist es, dass Mädchen mit Behinderung in allen Konzeptionen selbstverständlich mitgedacht werden. Wir glauben, dass das Projekt dazu einen Beitrag leisten kann, denn es ist auch vom Gedanken der Vernetzung getragen. Es bezieht nicht nur das soziale Umfeld der Mädchen mit ein, sondern will durch die Einrichtung eines Projektbeirates auch ein umfassendes trägerübergreifendes Netzwerk zwischen Behindertenhilfe und Jugendhilfe aufbauen. Aktuelle Gewaltforschungen bewerten multiprofessionelle Vernetzung und Kooperation als unabdingbare Voraussetzung nachhaltiger Präventionsstrategien. Möge das Projekt exemplarisch neue Wege beschreiten und Rahmenbedingungen für

weitere innovative Angebote entwickeln! Ich habe gelesen, dass die teilnehmenden Mädchen am Ende des Kurses eine sog. safetycard als Stärkesymbol erhalten; vielleicht können am Ende der Projektlaufzeit auch die professionellen NetzwerkpartnerInnen einen Zugewinn an Stärke verzeichnen, die sie weiterhin im gemeinsamen Kampf gegen Gewalt einsetzen können und wollen. Wir wünschen dem Projekt eine große Bekanntheit und überregionales Interesse auf allen Ebenen und allen Teilnehmerinnen viel Geduld und gutes Gelingen! Auftaktveranstaltung Ich bin Ich ein Konzept zur Stärkung des Selbstbewusstseins von Mädchen mit körperlicher und/ oder geistiger Einschränkung im Alter von 6 18 Jahren wann: Dienstag, den 20. April 2010, 14.30 16.30 Uhr wo: Haus der Kirche, Markgrafenstr. 7 Zum Ablauf: 14.30 Uhr Begrüßung durch die Superintendentin Frau Regine Burg Grußworte Frau Monika Pelkmann, NetzwerkBüro Frauen und Mädchen mit Behinderung / chronische Erkrankung NRW 15.00 Uhr Vorstellung des Projektes Ich bin Ich 15.30 Uhr Fragen zur Kooperation, zum Projektinhalt, zur Vernetzung 16.00 Uhr Kaffee, Tee und Kuchen 16.30 Uhr Ende