Auf dem Weg in die Ökodiktatur? Nachhaltigkeit als Herausforderung an das Verfassungsrecht

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Transkript:

Ringvorlesung Vom Wissen zum Wandel - Nachhaltigkeit als Herausforderung für Universität und Wissenschaft an der FU Berlin, 16.5.2013 Auf dem Weg in die Ökodiktatur? Nachhaltigkeit als Herausforderung an das Verfassungsrecht Prof. Dr. Christian Calliess, LL.M.Eur, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, Freie Universität, Berlin

Verantwortung Staatliche Verantwortung für den Schutz von Gesundheit/Umwelt grundlegende Verantwortung des Staates: Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Gesundheit ist Belang des Gemeinwohls, den letztlich nur der Staat aufgrund seines Gewaltmonopols zu regeln und durchzusetzen vermag Schutzpflicht aus Grundrechten, Art. 2 Abs. 2 GG Die besondere Verantwortung des Staates für den Schutz der Umwelt ist durch die Staatszielbestimmung des Artikels 20a GG verfassungsrechtlich verankert: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. (Art. 20a GG) 2

Verfassungsrechtliche Schutzpflichten Schutzniveau Weder der Schutzpflicht aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG noch Art. 20a GG lässt sich ein präzises Schutzniveau entnehmen Gesundheits- und Umweltschutz nimmt an Abwägung mit anderen Verfassungsbelangen teil und hat keinen Vorrang aber: Untermaßverbot verpflichtet zu einem wirksamen, angemessenen Schutz darüber hinaus wird das Schutzniveau von den Staatsorganen konkretisiert, Schutz soll bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in einem möglichst hohen Maß realisiert werden 3

Abstrakte Besorgnis und Beweislastverschiebung Gefahrenmodell: staatliches Eingreifen nur bei durch hinreichende Wahrscheinlichkeit nachgewiesener Gefahr, nicht bei wissenschaftlicher Unsicherheit Staat muss nachweisen, dass Schaden wahrscheinlich ist (Ungefährlichkeitsvermutung) Vorsorgemodell: Ersetzung der konkreten Wahrscheinlichkeit durch die abstrakte Möglichkeit eines Schadens bei begründetem Anfangsverdacht (abstrakte Besorgnis) wird auf Grundlage aller wissenschaftlichen Erkenntnisse zwischen Chancen und Risiken abgewogen Beweislastverschiebung: Risikoverursacher muss nachweisen, dass Schaden unwahrscheinlich ist (Gefährlichkeitsvermutung)

Vorsorge als multifunktionales Gebot Wortsinn: Schaffung eines Vorrats für die Zukunft Risikovorsorge: Begründung staatlichen Handelns, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, aber eine Gefahr nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann 5

Modell zur Identifizierung von Vorsorgemaßnahmen Überprüfung Fortschreibung Schritt 1: Schritt 2: Schritt 3: Schritt 4: naturwissen- normative Risikomanagement Risikomanagement schaftliche Risikobewertung Instrumentenwahl Ausgestaltung Risikoermittlung Abschätzung der Abwägung zwischen Wahl des konkrete Besorgnis aus Besorgnis und Nutzen Instrumententyps Ausgestaltung je naturwissen- für einen bestimmten nach Stoff oder schaftlicher Sicht Stoff oder ein Produkt bestimmtes Produkt

Verfahrensanforderungen wo Wissenschaft wegen Unsicherheit nicht zu klaren Bewertungen kommt, müssen Vorsorgeentscheidungen durch Verfahrensregeln abgesichert werden Verfahrensanforderungen: Transparenz von Entscheidungsprozessen: Einschätzungs- und Bewertungsspielräume werden offen gelegt, die gesamte Bandbreite wissenschaftlicher Positionen wird berücksichtigt die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen: pluraler Wertediskurs durch institutionalisierte Beteiligung die Absenkung des Beweismaßes: Risiken werden auch dann berücksichtigt, wenn ein vollständiger Nachweis eines Risikos angesichts von Wissensdefiziten nicht oder noch nicht geführt werden kann 7