Lehrstuhl Wirtschafts- und Sozialgeschichte Einfluss der Europäischen Union auf die Gestaltung der Arbeitswelt Forschungspräsentation und Buchvorstellung Europäische Kooperation als Krisenstrategie? Die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region Saarland-Lothringen-Luxemburg 1967-1985
Ablauf des Vortrags 1.Was sind die Wirtschaftskrisen 1967-1985 im Saarland? 2. Europäische Kooperation als Krisenstrategie? 2.1 Wirtschaftspolitische Zusammenarbeit 2.2 Zusammenarbeit von Unternehmen in der Stahlkrise 3. Fazit und Ausblick
Was sind die Wirtschaftskrisen 1967-1985 im Saarland? Konjunktur- und Strukturkrisen - Kohlekrise: Standorte als Bundesausbaugebiet deklariert / Bemühungen um Unternehmensneuansiedlungen (z.b. Ford Saarlouis 1966) - Rezession 1966/7: Saarland wird Förderungsregion / Entstehung von 40.000 neuen industriellen Arbeitsplätzen im Saarland - Rezessionen 1974/5, 1981/2 sowie Strukturwandel 1974/5-1985: Saarland hat hohen Anteil an schrumpfenden Industriebranchen / Dienstleistungssektor wächst langsam
Abbildung 1: Beschäftigte der Saarbergwerke 1964-1985 45.000 40.000 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Quelle: Geschäftsberichte Saarbergwerke AG.
Abbildung 2: Entwicklung der Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik und im Saarland (1965-1984) Quelle: Statistisches Amt des Saarlandes / Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Abbildung 3: Strukturwandel 1980/2-1985/6 Sektoren Saarland Lothringen Luxemburg 1980 1986 1982 1986 1980 1985 Agrar 0,4 % 0,5 % 1,0 % 0,9 % 5,4 % 4,3 % Industrie (Verarbeitendes Gewerbe mit Bergbau, Energie und Bau) 57,3 % 53,9 % 44,7 % 40,4 % 37,9 % 33,2 % Dienstleistungen 42,2 % 45,7 % 54,3 % 58,6 % 56,7 % 62,4 % Quelle: R. Hamm / H. Wienert, Strukturelle Anpassung altindustrieller Regionen im internationalen Vergleich, Berlin 1990.
Europäische Kooperation als Krisenstrategie? Wirtschaftspolitische Zusammenarbeit - 1967/1969 Programme u.a. für: Autobahnanbindung nach Paris, Brüssel, Bonn / Saar-Lor-Lux Großflughafen grenzübergreifende Raumplanungen zur Verbindung des ostlothringischen Kohlebeckens, des Industrieraums Saarbrücken und der grenznahen Zonen Luxemburgs / saarl.-lothr. Steinkohle-Verbundwirtschaft - 1971/80 dt.-frz.-lux. Regierungskommission für den Grenzraum mit anfangs wirtschaftspolitischen Aufgaben / Bildung der Großregion Saar-Lor-Lux
Europäische Kooperation als Krisenstrategie? Wirtschaftspolitische Zusammenarbeit - vertiefte Integration in den 1970ern hat wachstumsfördernden Effekt: Ansiedlung von Niederlassungen frz. Unternehmen im Saarland (Michelin) wachsende deutsch-französisch-luxemburgische Kapitalverflechtung steigende Grenzpendlerzahlen / lothringischer Arbeitsmarkt wird entlastet - Stagnation der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in den 1980er Jahren, da aufgrund unterschiedlicher Wirtschaftsentwicklung gemeinsamer Nutzen einer industriellen Zusammenarbeit mehr und mehr verloren ging
Europäische Kooperation als Krisenstrategie? Zusammenarbeit von Unternehmen Beispiel Stahlwerk Röchling in Völklingen - kleine Stahlkrise 1969: Reaktion Rationalisierungsmaßnahmen / luxemburgische ARBED übernahm 1971 einen 50-prozentigen Anteil an den Röchling schen Eisen- und Stahlwerken in Völklingen / Fusion der Werke in Völklingen und Burbach / 1974 Rekordergebnis der Stahlwerke Röchling- Burbach
Europäische Kooperation als Krisenstrategie? Zusammenarbeit von Unternehmen - große Stahlkrise: 98%-Fusion von Röchling-Burbach mit der lux. ARBED 1978 und Übernahme von 97% des Eisenwerks Neunkirchen durch Röchling- Burbach / Abbau von ca. 10.000 Arbeitsplätzen 1979 bis 1984 besonders in Neunkirchen und Burbach / dennoch begünstigte die lux.-saarl. Kooperation eine Modernisierung, Spezialisierung und dadurch den Erhalt des Standorts - 1986 brach die saarl.-lux. Stahlkooperation auseinander
Abbildung 4: Rohstahlproduktion von Röchling und Folgeunternehmen sowie der ARBED S.A. Quelle: Geschäftsberichte Röchling / ARBED (Durchschnitt 1965-1983 = 100).
Abbildung 5: Beschäftigte bei Röchling und Nachfolgeunternehmen 1969-1985 30.000 28.000 26.000 24.000 22.000 20.000 18.000 16.000 14.000 12.000 10.000 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Quelle: Geschäftsberichte Röchling.
Fazit - grenzüberschreitende Zusammenarbeit spielte bei der Überwindung der Kohlekrise, der Konjunkturkrisen 1966/7 und 1974/5 sowie der Stahlkrisen 1969-1971 und 1975-1979 eine zentrale Rolle (Rationalisierung in Unternehmen; wachstumsfördernde Effekte durch Investitionen jenseits der Grenze; vermehrter Austausch auf dem Arbeitsmarkt; stärkere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit) - jedoch geriet die wirtschaftspolitische Integration nach den Anfangserfolgen mit anhaltendem Krisenzustand ins Stocken, seit den 1980er Jahren Zusammenarbeiten fast nur noch im Dienstleistungsbereich (Freizeitgewerbe, Hochschulwesen)
Fazit - Rückzug der gemeinsamen grenzübergreifenden Wirtschaftspolitik führt zu stärkerer Arbeitsteilung in der Region (idealtypisch Lux.: industriebezogene Dienstleistungen / Saarl.: Erhalt der Produktionsstandorte mit Subventionen / Lothr.: Arbeitskräftereservoir der Großregion / Explosion des grenzübergreif. Arbeitsmarkts im Zuge der stärkeren regionalen Arbeitsteilung)
Weiterführende Fragen -Welche Rolle spielen Subventionen von EG, Bund und Saarland für Integration und Krisenbewältigung? Mit Ausbleiben der Beihilfen wurden die französischen und luxemburgischen Investitionen im Saarland geringer. -Allein rund 4 Mrd. Mark für die Sanierung von Röchling in Völklingen 1978-1993, dann Konkurs; Subventionen mildern hier in der Krise die sozialen Härten für die Belegschaften und senken die politischen Kosten der Krise; Welche Rolle spielen die Gewerkschaften bei der Durchsetzung von sozialen Krisenmaßnahmen und Subventionsforderungen?
Abbildung 6: Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt Quelle: STATEC Luxembourg / Inspection Générale de la Sécurité Sociale.