Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.) Wa(h)re Gefühle?

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Transkript:

Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.) Wa(h)re Gefühle?

Veröffentlichungen der Kommission Sozialpädagogik in der Sektion Sozialpädagogik und Pädagogik der frühen Kindheit der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.) Wa(h)re Gefühle? Sozialpädagogische Emotionsarbeit im wohlfahrtsstaatlichen Kontext

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. Dieses Buch ist erhältlich als: ISBN 978-3-7799-3651-0 Print ISBN 978-3-7799-4647-2 E-Book (PDF) 1. Auflage 2018 2018 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz Weinheim Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim Alle Rechte vorbehalten Herstellung: Ulrike Poppel Satz: Helmut Rohde, Euskirchen Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany Weitere Informationen zu unseren Autor_innen und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de

Inhalt Wa(h)re Gefühle? Einleitende Skizzen zum Stellenwert von Emotionen in der Sozialen Arbeit Petra Bauer, Margret Dörr, Bernd Dollinger, Sascha Neumann und Martina Richter 9 I. Grundlegende Reflexionen 15 Die Bearbeitbarkeit der Emotionen: Theoretische Vergewisserungen und empirische Verunsicherungen Veronika Magyar-Haas 16 Verklärte Verhältnisse Verhältnisse der Verklärung Überlegungen zur Verdinglichung sozialpädagogischer Gefühle und Beziehungen Werner Thole 36 Angst machen und Angst haben Zur Produktion von Angst und der Geschichte (un)angemessener gesellschaftlicher Reaktion Marcus Balzereit und Helga Cremer-Schäfer 53 Gefühle im Wechselbad: Soziale Arbeit als beziehungsorientierte Care Tätigkeit Margrit Brückner 65 II. Soziale Arbeit als Emotionsarbeit 81 Emotionen als bedeutsamer Gegenstand des beruflichen Handelns Empirische Einblicke in die Thematisierung von Emotionen durch Professionelle der Sozialen Arbeit Johanna Hess, Alexandra Retkowski und Nina Thieme 82 Doing Emotion Gefühlsdarstellungen im Hilfeplangespräch Heinz Messmer 94 5

Thematisierungsweisen und Bearbeitung von Gefühlen in Fallbesprechungen Petra Bauer, Katharina Harter, Sarah Henn, Patricia Keitsch und Christine Wiezorek 112 Bauchgefühle in der Sozialen Arbeit Pascal Bastian, Mark Schrödter, Roland Becker-Lenz, Joel Gautschi, Martin Grosse, Martin Hunold und Cornelia Rüegger 128 Theoretische Perspektiven auf den praktischen Umgang mit Emotionen im frühpädagogischen Kontext Sabrina Göbel, Barbara Lochner, Björn Milbradt und Maximilian Schäfer 141 III. Emotionen im Spannungsfeld von institutionellen Routinen, sozialen Beziehungen und individuellen Belastungen 155 Zwischen Engagement und Erschöpfung: Emotionale Anforderungen und Belastungserleben in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern Hannelore Reicher 156 Ankommen, l(i)eben und gehen Gefühle in und aus der Heimerziehung aus der Perspektive der jugendlichen Adressat_innen Sophie Domann, Samuel Keller, Tanja Rusack und Benjamin Strahl 167 Arbeitsbeziehung und Emotion Michael May 178 Feeding Feelings zur wohlfahrtsstaatlichen Versorgung mit Nahrung Lara Pötzschke, Hanna Rettig, Lotte Rose, Julia Schröder, Anna Schütz und Vicki Täubig 190 Die Herstellung von Vertrautheit als Bildungsprozess in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Kim-Patrick Sabla, Tara Lachnitt, Kristiane Kreuzbusch und Jessica Kollmer 202 IV. Soziale Arbeit und Emotionen im gesellschaftlichen Kontext 215 Scham in Hilfekontexten: Zur Beschämung der Bedürftigkeit Friederike Lorenz, Veronika Magyar-Haas, Sighard Neckel und Holger Schoneville 216 6

Der Horror einer Kindesmisshandlung über die mediale Erzeugung von Emotionen Felix Brandhorst 233 Kein Mitgefühl für Arme Eltern Zur Rahmung von Emotionen in Debatten über Kinderarmut Sophie Künstler 246 V. Emotionen in der Forschung 261 Verstehen und Emotion im Forschungsprozess: Erkenntnistheoretische Reflexionen und ethnographische Betrachtungen Dominik Farrenberg, Christine Hunner-Kreisel, Jens Oliver Krüger, Lea Miczuga und Sascha Schierz 262 Die Autorinnen und Autoren 276 7

Wa(h)re Gefühle? Einleitende Skizzen zum Stellenwert von Emotionen in der Sozialen Arbeit Petra Bauer, Margret Dörr, Bernd Dollinger, Sascha Neumann und Martina Richter Mit dem Titel Wa(h)re Gefühle wurde auf der Jahrestagung der DGfE-Kommission Sozialpädagogik 2015 ein Tagungszuschnitt gewählt, der einen bis dahin immer nur kursorisch betrachteten Aspekt sozialpädagogischen Denkens und Handelns in den Mittelpunkt rücken sollte: den Umgang mit und die Bearbeitung von Gefühlen im Kontext professioneller Sozialer Arbeit. Dabei waren einige Grundüberlegungen für die Wahl dieses Tagungszuschnitts leitend, die am Beginn dieses Sammelbandes kurz dargelegt werden sollen. Das Denken und Tun von Menschen wird von einem engen Zusammenwirken von Emotionen und Kognitionen bestimmt. Dabei sind Emotionen zugleich eine individuelle wie hochgradig soziale Angelegenheit. Dieser Umstand ist in philosophischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen weitgehend unbestritten: Emotionen werden als eigenständige Verarbeitungsformen der sozialen Wahrnehmung betrachtet, sie prägen Urteilsbildungen und Entscheidungen und strukturieren sowohl zwischenmenschliche Interaktionen wie auch die Auseinandersetzung mit Dingen und der materiellen Umwelt. Daher ist auch die Einsicht, dass Gefühle in den vielfältigen Erbringungsformen Sozialer Arbeit eine zentrale Rolle spielen, gleichermaßen banal wie voraussetzungsvoll. Denn Soziale Arbeit gehört zu den interaktionsbasierten Dienstleistungsberufen, die im Sinne von Arlie Russel Hochschild (1990) als Emotionsarbeit gefasst werden können. Das Konzept der Emotionsarbeit geht von der Voraussetzung aus, dass Menschen zur Erfüllung arbeitsbezogener Anforderungen, in der Lage sind, Gefühle zu gestalten, zu unterdrücken oder hervorzurufen (Rastetter 1999, S. 374). Gefühlen wird dabei eine besondere Funktion zugesprochen, um die Dienstleistung zufriedenstellend erbringen zu können, wie dies von Hochschild (1990) exemplarisch in der Untersuchung der Arbeit von Stewardessen ausgearbeitet wird. Dabei fokussiert sie besonders auf den Tauschwertcharakter von Gefühlen, das heißt, deren Marktförmigkeit in 9

beruflich erbrachten sozialen Dienstleistungen (Rastetter 1999, S. 375): Emotionsarbeit dient hier in allererster Linie den übergeordneten Unternehmenszielen, in der Regel also einer Profitmaximierung, und sie ist im Sinne der dieser Arbeit unterliegenden Gefühlsregeln Teil einer marktförmig ausgestalteten Interaktion. Es gilt also, kurz gesprochen, Gefühle für die Gestaltung einer sozialen Dienstleistung nutzbar zu machen. In weiteren auf dem Konzept der Emotionsarbeit basierenden Untersuchungen wurden dann auch die differente Ausgestaltung der in unterschiedlichen Branchen vorherrschenden Gefühlsregeln, ihre Verknüpfung mit Gender und Status, aber auch die Handlungsspielräume der Akteur_innen in der Gestaltung des Gefühlsausdrucks genauer in den Blick genommen (im Überblick: Rastetter 1999). Im Kern wurde in diesen Arbeiten deutlich, dass der Umgang mit und der Einsatz von Gefühlen tatsächlich als Arbeit gefasst werden können, die nach betrieblichen Gefühlsregeln gestaltet wird. Gleichzeitig lassen sich in verschiedenen Untersuchungen auch deutliche Diskrepanzen zwischen dem nach außen sichtbaren Gefühlsausdruck und den erlebten persönlichen Gefühlen der Dienstleister_innen erkennen (ebd., S. 386). Für personenbezogene soziale Dienstleistungen geht die Bedeutung von Gefühlen aber noch deutlich darüber hinaus. Für die Soziale Arbeit haben dies vor allem psychoanalytisch orientierte Kolleginnen und Kollegen, wie z. B. Burkhard Müller, schon früh betont und immer wieder stark gemacht (Müller 2011; Dörr/Müller 2012): Gefühle gehören in dieser Sichtweise zum Kern des für Soziale Arbeit elementaren Arbeitsbündnisses mit Adressat_innen. Dabei basieren die in den professionellen Interaktionen wahrnehmbaren Gefühle auch auf Prozessen der Übertragung/Gegenübertragung sowie der unbewussten Affektregulation der Akteur_innen. Gleichwohl ist eine hinreichende Reflexion und Bearbeitung wesentlich, um produktive Veränderungsprozesse in der Arbeit mit Adressat_innen in Gang zu setzen. Professionstheoretisch kann dies in der Figur einer widersprüchlichen Vermittlung bzw. Einheit von diffusen und spezifischen Anteilen der Beziehungsgestaltung gefasst werden, die als konstitutiv für ein professionelles Arbeitsbündnis auch in der Sozialen Arbeit anzusehen ist. Insofern lassen sich hier auch Ansatzpunkte erkennen, die unter dem Stichwort Berücksichtigung der Ausgestaltung des Arbeitsbündnisses die Rolle von Gefühlen in der Sozialen Arbeit systematischer in den Blick nehmen (vgl. z. B. Oevermann 2009). Gefühle sind in der Sozialen Arbeit allerdings nicht allein auf ihre Wirksamkeit in der Interaktion zwischen Adressat_innen und Fachkräften zu begrenzen. In einer Betrachtung von Emotionen als leibgebundene, wertende Stellungnahmen zu sich, zu anderen Menschen und/oder Dingen wirken diese in der Praxis Sozialer Arbeit nicht nur in unmittelbaren Interaktionsbeziehun- 10

gen. Sie steuern ebenso über die Herausbildung kollektiver Orientierungen die Ausrichtung sozialer personenbezogener Institutionen und Organisationen. Damit kommen Gefühle sowohl auf der Ebene der Organisation als auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Formung in den Blick, etwa als spezifische Gefühlskulturen (z. B. Neckel 2005). Folglich verweist die soziale Herstellung von Emotionen in vielfacher Weise auf institutionell habitualisierte und strategisch organisierte Prozesse. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, wie sich das Verhältnis von organisationsbezogenem Verwaltungshandeln und Emotionsarbeit rekonstruieren lässt und in welcher Weise die damit verbundenen Handlungslogiken die Herausbildung eines professionellen Habitus beeinflussen. In sozialpolitischer Hinsicht hebt dies auf Fragen ab, wie sich aktuelle sozialpolitisch forcierte Formen einer neuen, deprofessionalisierten Verwaltung von Problemlagen auf die Wahrnehmung der Betroffenen auswirken, wie sie aber auch Anforderungen und Gestaltungsräume der Sozialen Arbeit prägen. Mit dieser sehr kursorischen Unterscheidung von unterschiedlichen Ebenen, auf denen Gefühle in der Sozialen Arbeit wahrnehmbar und thematisch werden, ist ein Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen die einzelnen in diesem Band versammelten Beiträge verortet werden können. Darüber hinaus waren für uns bei der Konzeption der Tagung fünf aktuelle Themenfelder besonders wichtig. Sie unterstreichen querschnittlich die Relevanz einer stärkeren Einbeziehung von Gefühlen in das Verständnis einer professionellen Sozialen Arbeit: Sozialpädagogische Arbeit ist geprägt von einer Auseinandersetzung mit belastenden Erfahrungen von und mit Adressat_innen. Diese Belastungen müssen trotz aller vorhandenen Unterstützungsformen individuell verarbeitet werden. Unter dem Vorzeichen einer zunehmenden Managerialisierung von Arbeitsabläufen, der Verdichtung von Anforderungen, der Überhäufung mit Fällen werden diese Belastungen für viele Fachkräfte zu kaum noch bewältigbaren Erfahrungen. Das Stichwort Burn Out individualisiert diese sich generalisierenden, emotional geprägten Stressfaktoren letztlich in (zu) hohem Maße, dennoch macht es zumindest aber auch Probleme in der Zunahme von Belastungen für die Professionellen deutlich. In der Care-Debatte wurden und werden die geschlechtsbezogenen Zuweisungspraktiken von Emotionalität kritisiert. Neue Formen der Nutzung und Ausnutzung von Emotionalität in der Sorge um Kinder und in der Pflege von alten Menschen durch Pflegepersonen vor allem aus den osteuropäischen Ländern vermittelten der Care-Debatte eine transnationale Ausrichtung. Deutlich werden dabei auch neue Ausbeutungsverhältnisse, die bisher weder fachlich noch sozialpolitisch angemessen aufgenommen oder auch skandalisiert worden sind. 11

In den letzten Jahren haben das Sichtbarwerden und die öffentliche Thematisierung von sexueller Gewalt in Internatsschulen, aber auch in Heimen, dazu gezwungen, sich intensiver auch selbstreflexiv mit der Tatsache zu beschäftigen, dass pädagogische Kulturen in Einrichtungen wie Schulen oder Heimen dazu beitragen können, sexuelle Gewalt zu tabuisieren oder gar zu befördern. Auch wenn die mediale Aufregung darüber etwas abgeflacht ist, wird uns dies weiterhin sehr intensiv beschäftigen müssen, da sich zeigt, dass die entsprechende Auseinandersetzung u. U. eher zur angstvollen Vermeidung von körperlicher Nähe und intensivem Sich-Einlassen führt als zu einem selbstbewussten, organisational abgesicherten Umgang mit den Gefährdungen, wie sie für Adressat_innen aus pädagogischen Beziehungen resultieren können. Die Ausformung einer neuen Armutsökonomie jenseits von wohlfahrtsstaatlichen Arrangements erscheint als wichtiger Ansatzpunkt, um Prozesse der Scham und Beschämung von Adressat_innen zu thematisieren. Scham begründet sich sowohl durch das Erleben von Hilfsbedürftigkeit als auch durch die Erfahrung von degradierenden Prozeduren, wie sie zwischenzeitlich empirisch gerade für neue Hilfeformen, wie z. B. die so genannten Tafeln, nachgewiesen wurden. Nicht zuletzt erscheint es uns sinnvoll, in selbstreflexiver Weise die eigenen Analysepraktiken und Forschungsstrategien auf ihren Gehalt an reflektierten aber auch implizit bleibenden Emotionen zu befragen. Damit stellt sich die bisher wenig beachtete Frage nach dem Stellenwert von Emotionen und Emotionsarbeit in sozialpädagogischer Forschung. Welchen Einfluss haben Emotionen auf die (Re-)Konstruktion sozialer Sinnwelten von Menschen? Wie können wir Forschung als einen machtvollen intersubjektiven Prozess so betrachten, dass hierbei auch emotionserzeugte Blindstellen in den Blick geraten? Diese und weitere Punkte wurden auf der Jahrestagung an der Universität Siegen intensiv diskutiert. Der vorliegende Band umfasst Beiträge, die in diesem Zusammenhang in unterschiedlichen Formaten präsentiert und für diesen Band weiter ausgearbeitet wurden. Unser Dank geht daher an alle Mitwirkenden und Beiträger_innen, welche die Tagung und diesen Band erst möglich machten; er geht aber auch an die Korrektor_innen der Manuskripte, deren Arbeit für diese Buchpublikationen unverzichtbar gewesen ist. 12

Literatur Dörr, M./Müller, B. (Hrsg.) (2012): Nähe und Distanz. Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität. 3., überarb. Aufl. Weinheim und München: Juventa. Hochschild, A. R. (1990): Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt am Main: Campus. Müller, B. (2011): Gefühle, Emotionen, Affekte. In: Thiersch, H./Otto, H.-U. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. München: Ernst Reinhardt, S. 508 515. Neckel, S. (2005): Emotion by design. Das Selbstmanagement der Gefühle als kulturelles Programm. In: Berliner Journal für Soziologie 15, H. 3, S. 419 430. Oevermann, U. (2009): Die Problematik der Strukturlogik des Arbeitsbündnisses und der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung in einer professionalisierten Praxis. In: Becker-Lenz, R./Busse, S./Ehlert, G./Müller, S. (Hrsg.): Professionalität in der Sozialen Arbeit Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. Wiesbaden: VS, S. 113 142. Rastetter, D. (1999): Emotionsarbeit. Stand der Forschung und offene Fragen. In: Arbeit 8, H. 4, S. 374 388. 13

I. Grundlegende Reflexionen 15

Die Bearbeitbarkeit der Emotionen: Theoretische Vergewisserungen und empirische Verunsicherungen 1 Veronika Magyar-Haas Gefühle bilden einen konstitutiven Part des Sozialen. Sie werden in sozialen partnerschaftlichen, freundschaftlichen, sexuellen, familiären, pädagogischen etc. Beziehungen genauso hervorgebracht, modelliert und bearbeitet, wie in ökonomischen oder politischen Arbeits- und Machtverhältnissen in verschiedensten Institutionen oder Organisationen. In dieser Hinsicht geben Gefühle nicht nur über Subjekte Auskunft, sondern genauso über gesellschaftliche, soziale und pädagogische Verhältnisse. Dem Zusammenhang von Emotionen und sozialem Handeln widmen sich emotionssoziologische Ansätze seit Jahrzehnten vermehrt, um Aussagen über das Verhältnis von emotionalem Erleben und gesellschaftlicher Statusposition und/oder sozialer Ungleichheit zu treffen (vgl. exemplarisch Neckel 1991; Rackow/Schupp/von Scheve 2012). Zum Konnex von Emotionen und (moderner) Dienstleistungsarbeit liegen ebenfalls Studien vor, etwa die klassische und systematische Untersuchung von Arlie Russel Hochschild (2006) aus den späten 1970er-Jahren, in der sie der Kommerzialisierung von Gefühlen und so der Frage nachgeht, in welcher Weise der Markt auf die Gefühlswelt Einfluss nähme. Diesen Analysen, an denen auch zeitgenössische Forschungen kritischweiterführend anschließen (Neckel 2005; Rastetter 2008), lassen sich zentrale terminologische Differenzierungen entnehmen: etwa zwischen Gefühlsarbeit bzw. emotional labor und Gefühlsmanagement bzw. emotion management sowie zwischen surface acting und deep acting. Gefühlsarbeit sei dabei auf die Herstellung eines dem in dem jeweiligen Kontext normativ erwarteten und zu empfindenden Gefühl adäquaten Gesichtsausdrucks gerichtet. Sie hätte eher Oberflächenhandeln zur Voraussetzung mit der Absicht, Gefühle 1 Für zahlreiche Anregungen und Hinweise zu einer Vorversion des Beitrages bedanke ich mich herzlich bei Norbert Grube, Margret Dörr, Martina Richter und Thomas Haas. 16

vorzuspielen oder zu verbergen. Gefühlsmanagement wiederum rechne mit der Beeinflussbarkeit von Gefühlen des Selbst oder der Anderen und ziele darauf ab, mittels inneren Handelns auf diese derart Einfluss zu nehmen, dass man nicht nur so erscheine, sondern auch so fühle und empfinde als ob (Hochschild 2006, S. 30 32, 50 60; vgl. auch Magyar-Haas, 2017, S. 50). Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Erkenntnisse lassen sich Hochschilds Analysen durchaus kritisieren: Diese scheinen Gefühle im Privatleben zu idealisieren und beachten nur marginal interaktive Machtgewinne, die aus dem Emotionsmanagement ebenfalls resultieren. Auch vermögen sie die Autonomie der Akteur_innen ihren eigenen Gefühlen gegenüber zu überschätzen sowie die paradoxen Verwobenheiten bspw. zwischen Freiheit und Zwang, zwischen dem Erleben von Gefühlen als authentisch und ihrer marktwirtschaftlichen Angepasstheit zu missachten. Vor allem erweist sich die der Untersuchung innewohnende implizite Unterscheidung zwischen echten und unechten bzw. realen und gespielten Gefühlen als problematisch, da damit übersehen wird, dass auch authentische Emotionen [ ] soziale Konstrukte [sind], die von gesellschaftlich erlernten Bewertungsmustern und Ausdruckregeln schon mitgeprägt worden sind (zu diesen Kritiken und ihrer Systematisierung vgl. Neckel 2006, S. 21 24, Zitat auf S. 23). Dieser kritischen Einwände zum Trotz legt Hochschilds Studie zugleich offen, was in den professionellen Dienstleistungsbereichen unverhohlen erwartet wird: die Kontrolle des Gefühlsausdrucks sowie der Gefühle selbst zur besseren Vermarktbarkeit der Dienstleistung, die mit einer wirtschaftlichen Verwertung der Emotionen einhergeht. An ihrer Kritik: Wir übertragen die Regeln und Muster unserer Gefühlsarbeit aus dem Leben auf dem Markt auf unsere nicht-marktförmigen Lebensbereiche, hält Hochschild auch 2006 (S. 9, herv. i. O.) in ihrem Vorwort zur deutschen Neuausgabe weiterhin fest und formuliert damit eine Zeitdiagnose, die für kapitalistische Gesellschaften allgemein gelte. Mit solchen Ansprüchen, in professionellen Dienstleistungskontexten die eigenen Gefühle zu bearbeiten oder zu managen, sind Mitarbeiter_innen im Kontext Sozialer Arbeit ebenfalls konfrontiert, auch wenn auf eine subtilere Art und Weise nicht zuletzt da das Erlernen der professionellen Gefühlsarbeit und des Gefühlsmanagements, im Gegensatz zu den von Hochschild in den 1970er-Jahren bei Delta Airline interviewten Flugbegleiterinnen, keinen expliziten Bestandteil ihrer Ausbildung bildet. Dass Gefühle sowie die Umgangsweisen mit ihnen in wissenschaftlichen Analysen zu sozialpädagogischen Kontexten lange kaum thematisiert worden sind, mag eher von der unterstellten Selbstverständlichkeit der eingeforderten emotion work als von ihrer Irrelevanz zeugen. So wird etwa bei den Darlegungen der historischen und zeitgenössischen Verschränkung von Profession und Geschlecht zwar auf die Nähe der 17

sozialarbeiterischen Tätigkeiten zu Haus- oder Sorgearbeit hingewiesen und darauf, dass bei der Entstehung Sozialer Arbeit als Beruf, insb. am Ende des 19. Jahrhunderts, die (bürgerlichen) Frauen sich selbst relevante Charaktereigenschaften wie Geduld, Fürsorge, Mitgefühl etc. zuschrieben (vgl. Brückner 2008), die am stärksten in dem Begriff der geistigen Mütterlichkeit kulminierten. Mit solchen geschlechtsspezifischen Zuschreibungen, die u. a. mit bestimmten, als spezifisch weiblich angesehenen und für das Soziale positiv konnotierten Emotionen einhergingen, wurden Zulassungsordnungen zur Berufswelt sowie zur Ausbildung bzw. zum Studium genauso etabliert wie Geschlechter- und Sozialpolitik gestaltet (vgl. Großmaß 2008; Heite 2010, 2013). Auch wenn diese Inverhältnissetzung von Profession und Geschlecht in sozialpädagogischer Forschung und Theoriebildung zentral ist, erfuhr eine systematische Berücksichtigung des politisierten Verhältnisses von Geschlechterdifferenzierung und Gefühl tendenziell genauso marginale Aufmerksamkeit wie die Frage danach, ob und wie Professionelle ihre Emotionen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und/oder situationsspezifischer Anforderungen und Herausforderungen zu bearbeiten und zu managen vermögen. Hinsichtlich letzterer Frage lässt sich kurz auf zwei Diskurse verweisen: auf die Auseinandersetzung um emotionale Erschöpfung sowie auf die zeitgenössischen Analysen zu Scham und Beschämung. Emotionale Erschöpfung wird in einigen soziologischen und psychologischen Gegenwartsanalysen als Zeitkrankheit (Bröckling 2013) zur Diskussion gestellt. Das Phänomen, das mit Überlastung, Überforderung aber auch Enttäuschung von (meist unrealistischer) eigener und fremder (Leistungs-)Erwartungen einhergeht, wurde von Herbert J. Freudenberger (1974), dessen Arbeit in der Literatur zu Burnout forschungshistorische Bedeutung zugesprochen werde (Hedderich 2009, S. 13), in den 1970er-Jahren im New Yorker Helfermilieu u. a. bei angehenden, engagierten Sozialarbeiter_innen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden beobachtet und als Burnout beschrieben (Neckel/Wagner 2013, S. 9 12). Waren in den 1980er-Jahren bereits Analysen zu Burnout populär, die die emotionale Aufladung beruflicher Arbeit und die Verschränkung des beruflichen und privaten Lebens problematisierten, heben zeitgenössische Erklärungen zu den Ursachen von Burnout die Erwartungen, sich mit der Arbeit zu identifizieren, sich mittels dieser zu optimieren, zu verwirklichen, die eigenen Leistungen und Erfolge performativ immer wieder hervorzubringen, sowie die mit solchen Erwartungen einhergehenden destruktiven Wettbewerbsformen hervor (ebd., S. 14 17). Letzteren gegenüber sind, über Mitarbeiter_innen in Konzernen und Unternehmen hinaus, auch diejenigen in den Tätigkeitsfeldern Sozialer Arbeit u. a. durch die wettbewerbsförmige Organisationsstruktur ausgesetzt. 18

Burnout in dieser Hinsicht markiert dabei weniger die Grenze unternehmerischer Zugriffe auf Subjekte, vielmehr macht es deutlich, dass solche Zugriffe vor den Subjekten, vor ihren Unzulänglichkeiten und Verletzbarkeiten keinen Halt machen: Bei einer emotionalen Erschöpfung ist das Selbst nicht mehr in der Lage, sich gemäß gesellschaftlicher Anforderungen, wie sehr es diese auch internalisiert haben mag und selbst bedienen möchte, zu inszenieren, herangetragene Erwartungen zu bedienen und erst recht kaum, dabei ihre Gefühle zu bearbeiten. Als Grenze verschiedener Zugriffe auf die Subjekte lässt sich vielmehr das Phänomen der Scham ausmachen insbesondere wenn hervorgehoben wird, dass es für die Fragilität unserer Existenz in der Begegnung mit den anderen (Meyer-Drawe 2009, S. 48) stehe und damit als Schildwache der eigenen Fragilität, die die existenzielle Aussetzung eines Menschen bekunde, fungiere (ebd., S. 38). Mit einer solchen Auslegung von Scham, die mit der Verletzbarkeit, Unzulänglichkeit und mit Machtverhältnissen in sozialen Beziehungen implizit bereits rechnet, scheint kaum überraschend, dass Studien der letzten Jahre aus dem Bereich sozialpädagogischer Forschung gerade diese Emotion in den Blick nehmen, wenn sie Gefühle analysieren (vgl. Schoneville 2013; Magyar-Haas 2012; Frost 2016; Gibson 2016; s. Beitrag Lorenz/Magyar- Haas/Neckel/Schoneville i. d. B.). Ins Zentrum solcher Untersuchungen rücken zunächst die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen des Entstehens dieses sozialen, moralischen und normativen Gefühls und weniger die Frage nach dem Management sowie nach den Umgangsweisen mit dieser Emotion. Scham lässt sich als affirmatives Gefühl beschreiben, da es indem es Normverstöße erkennbar sanktioniert gesellschaftlich geteilte Normen und Werte bestätigt und reproduziert (vgl. Neckel 1991). Unter der Perspektive der Bearbeitbarkeit und Regulierbarkeit dieses Gefühls legt gerade sein plötzliches Auftreten, seine körperliche Erscheinungsweise offen, dass Scham zunächst kaum kontrolliert werden kann. Damit zeugt sie vom Affektiven, vom Unverfügbaren: Affektive Gefühle, und über Scham hinaus lassen sich hier auch Wut und Ärger anführen, entziehen sich der momenthaften Bearbeitung umso stärker müssen sie im Sozialen, in pädagogischen Verhältnissen, so die These, ex post bearbeitet werden. Vor dem dargestellten Hintergrund stellen sich folgende Fragen: Was sind es für kontextspezifische Anforderungen und Bedingungen, die eine Regulierung der eigenen Gefühle sowie ihrer Darstellungsweise (v)er(un)möglichen? Wie wird auf Gefühle seitens der Anderen und des Selbst in (sozial-)pädagogischen Verhältnissen zugegriffen mit dem Anspruch, ganz bestimmte, normativ erwartete Gefühle hervorzubringen? Zur Diskussion dieser Aspekte und zur Entfaltung der theoretischen Bedingungen der Möglichkeit, Gefühle als beeinflussbar und bearbeitbar anzusehen, 19

wird im Folgenden auf einzelne primär (gefühls-)philosophische Ansätze eingegangen. Auf kognitivistisch angelegte emotionstheoretische Literatur wird Bezug genommen, um den Zusammenhang von Emotionalität und Rationalität in den jeweiligen Ansätzen darzulegen. Als Gegenentwurf wiederum zu solchen Arbeiten lassen sich phänomenologische Perspektiven anführen, die die leibliche Betroffenheit von Gefühlen relevant setzen. Nach der Skizzierung solcher heterogener Inverhältnissetzungen von Gefühlen, Rationalität und Leiblichkeit wird anschließend in empirischer Hinsicht danach gefragt, wie Professionelle und Adressat_innen ihre Emotionen in situ bearbeiten. Dazu wird auf eine in einer offenen Mädcheneinrichtung durchgeführte videographische Studie (Magyar-Haas 2015) zurückgegriffen. Was sich im Rahmen einer ethnographischen Forschung im Alltag zeigt, ist eher das Resultat einer unproblematisch funktionierenden Gefühlsarbeit. Sollen Aussagen über die Herausforderungen getroffen werden, dann bietet es sich bei der Analyse von Beobachtungsprotokollen an, den Brüchen intensivere Beachtung zu schenken, also Aspekten und Szenen, in denen auf einer kollektiven Bühne ritualisierte Prozesse irritiert, Geschehnisse oder Formulierungen hinterfragt werden. Von solchen Irritationen zeugen auch gewisse Haltungen aber auch körperliche Zeichen der Scham, etwa klassisch: das Erröten. Diese weisen auf Komplexitäten der Gefühlsarbeit und des -managements sowie ihre sozialen, kontextuellen Bedingungen hin die anhand zweier Sequenzen rekonstruiert werden sollen: Während die erste Szene die Schwierigkeiten offenbart, in situ die eigenen Gefühle zu kontrollieren und sich zu diesen und zu den Gefühlen der Anderen zu verhalten, zeugt die zweite von den Herausforderungen einer nachträglichen Bearbeitung der vorangegangenen, emotionalisierten Szene in Form des kollektiven Sprechens über Gefühle. Dadurch lassen sich konkrete Bearbeitungsweisen, ihre Bedingungen und Grenzen veranschaulichen. Implizit handelt es damit von der Frage, welche Aussagen Emotionen über soziale (Macht-)Verhältnisse erlauben und inwiefern soziale Verhältnisse eine Bedeutung dafür haben, was wie gefühlt wird oder werden kann. Theoretische Bedingungen der Betrachtung der Gefühle als bearbeitbar Ob Gefühle als Widerfahrnisse oder als Krankheiten der Seele betrachtet, ob sie als Ermöglichungsbedingungen oder als Störelemente moralischen Handelns oder als eigene Leistungen angesehen wurden und werden allen Bestimmungen wohnt die Annahme inne, ob und wie mit Gefühlen umzugehen sei, in welcher Hinsicht sie für ein zuträgliches soziales Zusammenleben oder 20

für ein sozial oder ökonomisch adäquates Selbst- und Weltverhältnis zu bearbeiten wären (Landweer/Renz 2008, S. 6). Gefühle sind kulturell, sozial, diskursiv reguliert, formiert und überformt, sodass sie genauso Ausdruck oder eben: Produkt sozialer Verhältnisse und Stellungnahmen zu diesen seien, wie sie auch soziale Verhältnisse mitproduzieren. Eine Unterscheidung zwischen Gefühlen und Emotionen wird in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen im deutsch- und englischsprachigen Raum heterogen vorgenommen: Was für die Philosophie Emotion ist, ist für die Hirnforschung Gefühl und was die Neurowissenschaft Emotion nennt, ist für andere Disziplinen der Affekt. (Scheer i. E.) In diesem Beitrag wird den terminologischen, systematisch angelegten Vorschlägen von Christoph Demmerling und Hilge Landweer (2007, S. 5) gefolgt, die den Begriff Gefühl in einem weiteren und engeren Sinne verwenden. Weit gefasst lassen sich unter Gefühle die gesamte Klasse der affektiven Phänomene, also Empfindungen, Stimmungen und Emotionen fassen. Gefühle in einem engen Verständnis meinen wiederum diejenigen Phänomene, die in der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussion häufig auch mit dem Ausdruck Emotion bezeichnet werden (ebd.; vgl. Magyar-Haas 2017, S. 41 42). Gefühle im Sinne von Emotionen haben Objekte und sind in spezifischer Weise auf die Welt bezogen, wie beispielsweise Scham, Neid oder Trauer (Demmerling/Landweer 2007, S. 5, herv. d. V.). Diese gerichtete Weltbezogenheit unterscheidet Emotionen von Stimmungen, die sich weniger durch eine spezifische Bezogenheit auf die Welt auszeichnen und im Gegensatz zu Emotionen auch keine intentionalen Objekte haben. Wird die Zeitlichkeit weiter berücksichtigt, so können Emotionen weniger lang andauern, während Stimmungen eine längere Dauer haben können. Dabei lassen sich keine deutlichen Grenzen ziehen, weil häufig Übergangsphänomene zu beobachten sind (ebd.). Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit zeigt sich zwischen Emotionen und Haltungen: Während Erstere einem/einer widerfahren können, werden Letztere als Ergebnisse der Arbeit an der eigenen Person (ebd., S. 6) betrachtet. Haltungen können eingenommen, erworben oder angeeignet, bewahrt oder verloren werden. Zugleich stehen Haltungen und Emotionen in einer Wechselwirkung zueinander. Während Gefühle zu Bestandteilen einer Haltung werden bzw. sich zu einer Haltung verstetigen oder auswachsen können, sind Haltungen wiederum auf Gefühle und Emotionen bezogen: Diese werden durch Haltungen auch überformt und gelenkt, mittels Haltung kann Stellung zu diesen bezogen werden (ebd.; vgl. auch Bollnow 1941/2009, S. 22 25, 116 120). So lässt sich das Gefühl des Zorns als Emotion beschreiben, während eine Neigung zur aggressiven Haltung als eine charakterliche Disposition dargestellt werden kann (Demmerling/ Landweer 2007, S. 6). Eine solche Unterscheidung erweist sich in den Analysen 21

von Jon Elster (1999; Demmerling/Landweer 2007, S. 9) hinsichtlich der Frage nach der (rationalen) Bearbeitbarkeit der Gefühle bzw. nach dem (rationalen) Zugriff auf diese als wesentlich: Während auch bei ihm akute oder episodische Emotionen als Widerfahrnisse gefasst werden, die entsprechend unverfügbar und unkontrollierbar seien, könne auf Gefühlsdispositionen, die auch als Haltung bezeichnet werden könnten, mit bestimmten, etwa psychotherapeutischen Mitteln, durchaus zugegriffen werden, sodass diese veränderbar seien. In Bezugnahme auf heterogene philosophiegeschichtliche Positionierungen ließe sich ein noch breiteres Spektrum an Zusammenhängen zwischen Gefühl, Emotion, Stimmung oder Haltung in den Blick nehmen. Dabei sind nicht nur die Anlässe, die Gefühle wie Scham oder Neid hervorrufen, historisch, sozial und kulturell divergent, sondern auch die theoretische, wissenschaftliche oder eben die Alltagssprache, in welche die Emotionen transportiert werden. Auf die daraus resultierenden Grenzen der Vergleichbarkeit von Emotionstheorien aus verschiedenen Epochen haben Hilge Landweer und Ursula Renz (2008, S. 5) hingewiesen, da in diesen die Beschreibung emotionalen Erlebens historisch und kulturspezifisch different vorgenommen worden sei jedoch argumentieren sie, dass epochenübergreifende Gemeinsamkeiten nicht auszuschließen seien und heben gar hervor, dass die Gefühle selbst vom Wandel der Theorien nur mittelbar tangiert sind. Auch wenn mit Emotionen bereits in den Philosophien der Antike eine Auseinandersetzung erfolgte, seien diese erst im 17. Jahrhundert zum Gegenstand eines rein theoretischen, wissenschaftlichen Interesses (ebd.) geworden. Dass antike Affektenlehren Gefühle eher in lebenspraktischen Konnexen beleuchteten, werde exemplarisch auch an Aristoteles erkennbar, der sich mit Emotionen intensiver in der Rhetorik als in der Seelenlehre befasste, obwohl er diese als Widerfahrnisse der Seele begriff. Dabei habe sein Erkenntnisinteresse in urteilstheoretischer und nicht primär sprachphilosophischer Hinsicht den Gefühlen gegolten: Die Schlussfolgerung von Aristoteles, dass Menschen in ihren Urteilen mittels Gefühle beeinflussbar seien, basierte auf seiner Annahme, dass ein enger Zusammenhang besteht zwischen dem akuten Gefühlszustand eines Subjekts und den Urteilen, die es in diesem Zustand fällt (ebd., S. 6). Unabhängig davon, ob Emotionen in der Ethik der Antike als unentbehrlich für moralisches oder zweckmäßiges Handeln oder aber als Störfaktor dafür beschrieben worden seien, ließe sich in beiden Fällen die Konsequenz ableiten: Emotionen sind zu bearbeiten, damit sie den Handlungszielen angemessen oder moralisch wertvoll sein können. (Ebd.) Entsprechend wurden Gefühle in der Antike, aber auch in der Philosophiegeschichte allgemein, selten als natürliche Ereignisse betrachtet, die sich der eigenen, personalen Verantwortlichkeit entziehen würden. Auch wenn die Stoiker Affekte als Fehlurteile und Irrtümer 22

des Verstandes [begriffen], die eigentlich gegen die Ordnung der Natur verstoßen und letztlich Krankheiten der Seele darstellen, hieß dies noch nicht, dass die Menschen diesen ausgeliefert seien (ebd., S. 7, herv. d. V.; zu den vernünftigen und mit der Natur in Einklang stehenden, in der Rezeption eher vernachlässigten Emotionen in der Stoa vgl. Buddensiek 2008). Vielmehr galt das nahezu therapeutische Vorhaben, gegen solche Krankheiten mit Heilmitteln anzukämpfen oder präventive Maßnahmen zu ergreifen (Landweer/Renz 2008, S. 7). So lässt sich schlussfolgern: Unabhängig davon, wie in der Philosophiegeschichte Emotionen dargestellt und über sie reflektiert wurde, war die Frage, wie (manche) Affekte zu vermeiden oder doch mindestens in eine bekömmliche Form zu bringen sind, stets virulent (ebd.). Den notgedrungen verkürzten Ausführungen zu einigen emotionsphilosophischen Annahmen in der Antike lassen sich zentrale Aspekte entnehmen (vgl. ebd., S. 11), die auch für die neueren analytisch-philosophischen Debatten um Gefühle relevant werden sollten: so etwa der gegenseitige Zusammenhang zwischen (kognitivem) Denken/Urteilen und (emotionalem) Erleben, da nicht nur Gefühle das Denken, sondern auch das Denken das Erleben präge; die vor allem bei Aristoteles angenommene intersubjektive Verfasstheit von Emotionen und die dadurch sich öffnende Möglichkeit der Einflussnahme auf Urteile Anderer; aber auch die Vorstellung, die eigenen Emotionen mittels vernünftiger Steuerung so unter Kontrolle zu bringen, über diese derart Macht zu erlangen, dass sie für unerwünschte Steuerungsversuche Anderer unverfügbar sind. In den zeitgenössischen philosophischen Analysen werden Emotionen mit den Eigenschaften Kognition, Intentionalität sowie Propositionalität ins Verhältnis gesetzt Merkmale, die als Bedingungen für die mögliche Rationalität von Emotionen herangeführt wurden. Von Kognition wird dabei gesprochen, wenn das Gefühl irgendwie mit Gedanken verbunden (Demmerling/Landweer 2007, S. 6) sei. Intentionalität drückt die Bezogenheit der Gefühle auf Tatsachen oder Sachverhalte aus und mit dem Begriff der Propositionalität wird hervorgehoben, dass auch Gefühle aussageförmig strukturierte Gebilde (ebd.) seien. Auch wenn in solchen kognitivistischen Ansätzen diese Aspekte in einem engen Zusammenhang betrachtet werden, ginge es in der aktuellen gefühlsphilosophischen Forschung vermehrt darum, Kognition, Intentionalität und Propositionalität stärker voneinander zu entkoppeln. So sollen (kognitive) Gehalte nicht notwendigerweise an sprachliche Artikulationsformen im engeren Sinne gebunden sein; sie müssen nicht propositional strukturiert sein und können durchaus auch im Kontext ästhetischer Erfahrungen bzw. der mit solchen Erfahrungen verbundenen Erlebnisse aufgefunden werden (ebd., S. 10). Mit Konzeptionalisierungen gegenseitiger Einflussnahme zwischen Gefühl und Vernunft in verschiedenen philosophischen Ansätzen, aber auch in histori- 23

schen und literarischen Werken setzt sich Jon Elster (1999) auseinander und so auch mit der Frage, welche Bedeutung der Rationalität hinsichtlich der Emotionen zugedacht und auch umgekehrt: wie der Einfluss von Gefühlen auf die Vernunft diskutiert wurde. In Bezugnahme auf Arbeiten von Ronald de Sousa (1987) und Antonio Damasio (1995) legt Elster dar, dass in ihren Analysen, in denen sie aufzuzeigen trachten, dass Emotionen bei solchen Entscheidungen relevant werden und so von einer spezifischen Form von Rationalität zeugen, in denen die kognitive Rationalität allein nicht weiterführe, eine Verwechslung vorliege: de Sousa und Damasio könnten über die Rationalität der Emotionen kaum Aussagen treffen, lediglich nachzeichnen, dass Emotionen als eine Art funktionales Äquivalent zu Rationalität fungieren. Wenn dem jedoch so sei, dass Emotionen Rationalität ergänzen können, dann können sie diese ebenso gut unterlaufen (Demmerling/Landweer 2007, S. 7 8). Vor diesem Hintergrund legt Elster dar, dass Gefühle bestimmte rationalistische und ökonomistische Annahmen über menschliches Handeln irritieren und tangieren mögen: Während kurzlebige Emotionen wie Zorn die Vorstellung vom Menschen als einem Wesen, das rational handelt, unterminieren[, stellen ] die langlebigen wie Liebe, Hass oder Verachtung [ ] die Idee des Menschen als eines homo oeconomicus in Frage auch wenn er sich von der These abgrenzt, dass Gefühle an sich bereits rationalen Charakter hätten (ebd. S. 9, herv. i. O.). Diese Perspektive lässt sich verschieben, wenn Gefühle etwa mit Micha Brumlik (2002, S. 71) als holistische, prima facie -Einstellungen der Welt gegenüber, und moralische Gefühle als wertende Stellungnahmen bestimmt werden, wodurch ihnen Urteilsfähigkeit und die Möglichkeit einer leiblichen Rationalität zugeschrieben werden könnten. Wenn etwa Peter Goldie (2000, S. 76) die kognitive Undurchdringlichkeit der Emotionen betont und diese anhand der Höhenangst zu plausibilisieren sucht, dann heißt sein Beispiel zunächst, dass bestimmte Handlungen, etwa das Treten auf die Klippe, unterlassen werden, obwohl man weiß, dass die Angst, herunterzufallen, unbegründet sei (vgl. dazu ausführlicher Magyar-Haas 2017, S. 50). Dies heißt jedoch nicht, dass das Gefühl der Angst nicht als wertende und so urteilende Stellungnahme zu der Situation begriffen werden könne. Auch das Gefühl der Scham kann durchaus als eigenständiges Werturteil fungieren: Es signalisiert, dass gegen bestimmte, von dem Selbst als grundlegend erachtete Normen verstoßen wurde (vgl. Neckel 1991, S. 18; Brumlik 2002, S. 75) und deutet zugleich an, dass diese Normen für das Selbst nicht nur Gültigkeit besitzen, sondern auch einen bestimmten Wert haben. Scham bringt zum Ausdruck, wie es in der Welt nicht zugehen sollte. Darauf, dass Gefühle als Werturteile auslegbar seien, macht auch Martha Nussbaum aufmerksam und begründet ihre Deutung mit der Intentionalität bzw. Gerichtetheit der Gefühle also damit, dass sie ein intentionales Objekt 24

hätten und so auf eine Sache oder einen Sachverhalt gerichtet seien: [W]e notice something marked in the intentional perception and the beliefs characteristics of the emotions: they are concerned with value, they see their object invested with value or importance. (Nussbaum 2001, S. 11, 25 27, Zitat auf S. 30, herv. i. O.). Intentionalität ließe sich mit ihr insofern als eine aktive Weise des Sehens deuten, als äußere Objekte eine_n nicht bloß neutral affizieren vielmehr kommt ihnen aus den jeweiligen subjektiven Perspektiven ein Wert und eine Wichtigkeit zu, die wiederum den Urteilscharakter der Gefühle ausmachen (Demmerling/Landweer 2008, S. 12). Meist anhand der subjektiven Betroffenheit von den jeweiligen Gefühlen wird in Ansätzen der analytischen Philosophie auch der Zusammenhang von Gefühlen und Leiblichkeit aufgegriffen. Für den Aspekt der Subjektivität einer Emotion kristallisierte sich in der angelsächsischen emotionstheoretischen Diskussion der Begriff feeling heraus, der sich vorrangig auf die Erlebnisqualität eines Gefühls (ebd., S. 13, herv. d. V.) beziehe. Insbesondere bei Martha Nussbaum werde feeling im Wesentlichen so kritisieren aus phänomenologischer Sicht Demmerling und Landweer zu einem körperlichen Geschehen, das nur sekundär zur Emotion hinzukommt und auch nicht alle Emotionen begleiten muss (ebd.). Damit werden Körperempfinden und Emotion als separate Bereiche konstruiert ein Vorgehen, das Problematiken generieren mag: Es erfahre keine Beachtung, dass die so genannte Feeling-Komponente [ ] ein genuiner Bestandteil des Gefühls als Ganzem sei und sich vom Gefühl nur analytisch unterscheiden ließe; ebenfalls bliebe zumeist unberücksichtigt oder als kontingent behandelt, wie dabei das Gefühl erlebt, wie es subjektiv, leiblich gespürt werde; zudem liege eine Verwechslung des leiblichen Spürens mit objektivierbaren, von außen beobachtbaren Körperprozessen nahe (ebd., S. 14). Das Gefühl, das man hat, betrachten Demmerling und Landweer (ebd., S. 23) als ein an die Körperlichkeit gebundenes subjektives Erleben das leiblich gespürt werde. Eine solche analytische Differenzierung zwischen leiblichem und körperlichem Empfinden ist zentral, zumal das leibliche Spüren nicht unbedingt mit physiologisch nachweisbaren Körperprozessen einhergehen müsse. Zum einen kann etwa das Gefühl der Dankbarkeit ohne körperliche, physiologische Anzeichen leiblich empfunden werden, zum anderen lässt sich von körperlichen Phänomenen, etwa vom Herzrasen, kaum auf leiblich empfundene Gefühle schließen: Herzrasen kann zwar Ausdruck von Wut, Verliebtsein etc. sein, genauso gut aber nach sportlicher Verausgabung eintreten (vgl. ebd., S. 14, 23). Generell lässt sich auch an den stark modifizierten, erweiterten kognitivistischen Theorien kritisieren, dass sie für die Beschreibung der Struktur der Gefühle lediglich die Alternative sehen, entweder den Körper oder den Geist 25

[ ] als vorrangig zu beschreiben und sich dann für den Geist entscheiden (ebd., S. 20). Für die folgenden Betrachtungen erweist sich daher das Plädoyer von Demmerling und Landweer (ebd., S. 31 33), im Hinblick auf die Analyse von Gefühlen Perspektiven der analytischen Philosophie und Phänomenologie zusammenzuführen und entsprechend Gefühle als gerichtete, mit Gedanken und Wünschen verwobene Ganzheiten anzusehen, von denen man ergriffen, von denen man subjektiv, also auch leiblich, betroffen wird, als überaus anschlussfähig. Denn vor dem skizzierten Hintergrund emotionssoziologischer und -philosophischer Zugänge stellt sich die auch professionstheoretisch ausschlaggebende Frage, wie Professionelle auf ihre Emotionen reagieren, wie sie mit diesen umgehen. Wodurch werden sie affiziert und was ignorieren sie? Worauf lässt sich in situ bewusst und reflexiv Einfluss nehmen? Im Folgenden sollen diese Verhältnisse auf zwei transkribierten Videosequenzen und ihren Deutungen basierend (vgl. dazu und ausführlicher Magyar-Haas 2015, Kap. 6, insb. S. 151 156, 162 168) diskutiert werden. Die Wut bearbeiten? Darstellung und Analyse zweier transkribierter Videosequenzen Abstand zum Gefühl ist Scham. Fehlender Abstand ist noch viel mehr Scham. [ ] Es ist ein Skandal, so verletzbar zu sein wie ein Mensch. (Kempker/Kelly 2004, S. 13) Die folgenden beiden Sequenzen sind aus einem Tanzprojekt einer offenen Mädcheneinrichtung entnommen. In der ersten Szene steht formal die Auswahl eines Liedes, auf das die Gruppe von sechs bis acht Mädchen im Alter von zehn bis sechzehn Jahren bei einer nahenden Aufführung tanzen möchte, im Zentrum. Die sozialpädagogische Praktikantin Tamara schlägt vor, wie sie über die verschiedenen Liedvorschläge, welche die Jugendlichen mitbrachten und die Sozialpädagogin auf ein CD brannte, abstimmen sollten: Sie startet die Lieder nacheinander, und wenn das laufende Lied gefällt, sollen sich die Mädchen vor dem Spiegel, bei Missfallen vor dem Fenster, dem Spiegel gegenüber, positionieren. Das da?, fragt Tamara, als alle Jugendlichen außer Üzgül am Spiegel stehen. [ Üzgül] schaut mit einem leicht verzogenen Mundwinkel die ihr gegenüber [ ] stehenden Jugendlichen an. Lisa [ ] meint: Ja, aber guck mal, Üzgül, alle sind hier auf derselben Front, welches willst du denn? Üzgül blickt sie an und hebt die Schultern hoch. Tamara reagiert ganz rasch: Egal, das werden wir nehmen, das ist der Großteil der Gruppe, und geht aus dem kleinen Nebenzimmer [in dem sich die 26

Musikanlage befindet] in die Mitte des Sportraumes. Ja, dann mach ich nicht mit, das ist Scheiße, sagt Üzgül, zieht die Hände ganz in die Ärmel ihrer Jacke zurück, läuft mit langsamen Schritten auf die Bank zu, wo Renan sitzt und setzt sich zu ihr. Tamara schaut ihr nach. Ja, Üzgül, okay, dann ist halt, du kannst deinen Willen nicht durchsetzen. Oder wollt ihr alle zu einem Lied tanzen, das Euch nicht gefällt aber der Üzgül gefällt?, fragt sie und schaut dabei die am Spiegel stehenden Jugendlichen an. Zwei Mädchen gucken auf den Boden, Nicole blickt Tamara an und sagt Nein. Annemarie und Indira geben etwas zögerlicher dieselbe Antwort. [ Zwei Jugendliche versuchen, Üzgül in der Gruppe zu halten, indem sie sie immer wieder fragen, was sie möchte, doch Üzgül wehrt alle Vorschläge ab ] Ach ja, ich finde, du stellst dich total unsozial an der Gruppe gegenüber, weißt du? schaltet sich die Sozialpädagogin Olga in die Diskussion ein. Find ich auch! reagiert Tamara. Sie können ja weitermachen meint Üzgül, Tamara von der Bank anschauend. Ja, aber guck mal, ich dachte, man kommt so ins Projekt, weil es gefällt einem zu tanzen, aber wenn Du jetzt schon ausscheidest, das heißt also, in den nächsten Wochen machst du nicht mit sagt Tamara. Mach ich auch nicht! ruft Üzgül [ Die Jugendlichen üben verschiedene Schritte bei dem Lied. Als Üzgül und Renan sich vor den Spiegel setzen, um der Gruppe von dort aus zuzuschauen, schlagen Lisa und Nicole nach einer Weile vor, dass Üzgül doch Vorschläge machen könnte, wie der Tanz aussieht ] Ja, ich will aber erst auch was sagen unterbricht die Sozialpädagogin Ich finde das nicht okay, wenn öhm die Gruppe nach der Pfeife von einer tanzt. Ich bin, guck mal, ich bin die Trainerin [ ] Und ich ordne mich der Gruppe auch unter. [ I]ch finde das nicht in Ordnung, wenn du, Üzgül, von uns forderst, dass wir alle nach deiner Pfeife tanzen. [ ] Stimmt doch gar nicht. Sowas hab ich doch gar nie gesagt! wehrt sich Üzgül. Nein, aber das war so. [ ] Ich finde, gleiche Spielregeln für alle, und wenn jemand wirklich nicht mitmachen möchte, dann ehm, find ich, hat er auch nicht das Recht, die Gruppe aufzumischen. [ ] Jetzt kannst du was sagen. schließt Tamara. Okay, wenn man hier nicht reden darf dazu, dann sag ich nichts mehr. Dann sag ich auch nichts mehr! so Üzgül. Du darfst reden, wenn du zu unserer Gruppe gehörst. So wie ich jede Meinung, die in der Gruppe ist, berücksichtige meint Tamara. Mittels der zweiten Szene, die sich kaum später, im Anschluss an die Auseinandersetzung ereignete, lassen sich paradoxe Anforderungen hinsichtlich der Thematisierbarkeit von Gefühlen darlegen. Die Sozialpädagogin Olga kommt zu den Jugendlichen. Können wir uns kurz in den Kreis setzen? [Die Teilnehmenden bilden eine Kreisform.] So. Üzgül! Fühlst du dich von der Gruppe ausgeschlossen? Hm? fragt Olga. Wie meinst du das? Üzgül schaut Olga an. Als Außen /, setzt Lisa an und wird von Olga unterbrochen: Fühlst du dich jetzt als Außenseiter? Das mag ich jetzt nicht sagen flüstert Üzgül. Wieso denn nicht? so Olga. Ich weiß nicht sagt Üzgül betonter. Olga schaut Renan an: Also, Renan, fühlst du dich ausgeschlossen? Nein so 27

die schnelle Antwort. Okay. Öhm. Als die Üzgül die Gruppe jetzt verlassen hat, was macht das mit dir? Wie geht s-/ wie geht s dir damit? fragt die Sozialpädagogin und adressiert mit den Blicken Indira, die im Schneidersitz auf dem Boden sitzt. Na ja, schlecht, also, bin halt darüber traurig, dass sie rausgegangen ist nur wegen einem Lied. Auch den anderen Jugendlichen geht es ähnlich und sie antworten mit ja genauso. Annemarie erwidert auf Nachfrage von Olga: Das Gleiche. Hm, das Gleiche. Lisa? fragt Olga weiter. Ich find s schade, weil die Üzgül hat auch voll die coolen Tanzschritte so irgendwie / aber so / die konnte uns auch viel helfen ehm mit Hilfen und Meinungen und so sagt Lisa. [Die Jugendlichen schlagen vor, wie Üzgül doch im Projekt bleiben könnte, etwa dass sie ihr Lied nächstes Mal mitbringe.] Tamara betont, dass sie all dies problematisch sieht, weil sie mit den Mädchen eine coole Choreographie ausdenken wollte, mit allen zusammen, auf eine gemeinsame Musik hin, aber Üzgül habe keine CD mitgebracht. Sie gebe sich Mühe, Üzgül setzte sich für den Tanz aber nicht ein, sie würde zahlreiche Lieder auf eine CD schreiben, Üzgül bringe nicht einmal Musik mit. [ ] Lisa liegt auf dem Bauch auf dem Boden. Sie meldet sich und fragt, ob sie was zum Tanz sagen könnte. Zum Tanz? fragt Olga. Lisa nickt. Ja, dann wollen wir hier einen Schnitt machen? fragt die Sozialpädagogin und schlägt vor, fünf Minuten Pause zu machen, dann könnten die Mädchen auf die Toilette und dann reden sie über den Tanz. Das anhaltende Stehen Üzgüls am Fenster, auf der Nein-Seite, mag von Tamara als Boykottierung aller von ihr vorgeschlagenen Lieder, wenn nicht des Entscheidungsverfahrens oder des gesamten Projektes, gedeutet und als eindeutige Provokation gewertet werden. Die Initiative der Jugendlichen Lisa, die nach der Frage der Praktikantin Das da? auf Üzgül zunächst eingeht und sie danach fragt, welches Lied sie wolle, wird von Tamara zügig unterbrochen: Egal, das werden wir nehmen. Sie begründet diese Aussage mit dem Mehrheitsentscheid: das ist der Großteil der Gruppe auch wenn die Modalitäten des Entscheidungsverfahrens, ob alle dem Lied zustimmen sollten oder ob eine Mehrheit ausreiche, im Vorfeld nicht geklärt wurden. Als Üzgül den Mehrheitsentscheid nicht gelten lässt und sich selbst explizit als Individuum hervorhebt, das über das Lied eine eigene, zu respektierende und kaum zu hinterfragende Meinung hat: Ja, dann mach ich nicht mit, das ist Scheiße scheint die Situation für Tamara selbst überraschend und herausfordernd. In dieser Situation kann seitens der Teilnehmerinnen kaum Distanz eingenommen werden. Das Nichtmitmachen-Wollen bricht auf die Gruppe genauso ein wie die negativen Emotionen, etwa Wut und Ärger, der Hauptprotagonistinnen auf die in der ersten Szene die Aussage total unsozial genauso hindeutet 2 wie der schnelle Aus- 2 Auf die Problematik und Un-/Möglichkeit, Gefühle zu beobachten, ist in der ethnographischen Forschung mehrfach hingewiesen worden (vgl. exemplarisch Tervooren 2012, S. 84 28