KSI. ES erich schmidt verlag. Krisen-, Sanierungsund. Insolvenzberatung Wirtschaft Recht Steuern



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69037 04. 6. Jahrgang Juli/August 2010 Seiten 145 192 www.ksidigital.de Herausgeber: Peter Depré, Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator (cvm), Fachanwalt für Insolvenzrecht Dr. Lutz Mackebrandt, Unternehmensberater, Vizepräsident des BDU 10 KSI Krisen-, Sanierungsund Insolvenzberatung Wirtschaft Recht Steuern WP/StB Gerald Schwamberger, Vizepräsident der StBK Niedersachsen Herausgeberbeirat: Heinrich Dreyer, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsbeistand, Hannover Wolf Dieter Kelch, Geschäftsführer Funk Health Care Consulting GmbH, Berlin WP/StB Prof. Dr. H.-Michael Korth, Präsident des StBV Niedersachsen/Sachsen- Anhalt e.v. Prof. Dr. Harald Krehl, DATEV eg, Nürnberg Prof. Dr. Jens Leker, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Sonderdruck aus KSI 4/2010: Dr. Bernhard Becker / Konrad Martin / Prof. Dr. Stefan Müller Fortentwicklung der Anforderungen an die Erstellung von Sanierungs konzepten Eine Analyse wesentlicher Neuerungen in IDW S 6 und IDW PS 800 Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Universität Siegen, Innovations minister des Landes NRW Dr. Wolfgang Schröder, Rechtsanwalt und Notar, Berlin Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Richter a. D., Honorarprofessor an der Universität zu Köln Udo Wittler, Vorstandsvorsitzender BAG Bankaktiengesellschaft, Hamm ES erich schmidt verlag 69037

KSI 4/10 154 Anforderungen an Sanierungskonzepte Fortentwicklung der An forderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten Eine Analyse wesentlicher Neuerungen in IDW S 6 und IDW PS 800 Dr. Bernhard Becker / Konrad Martin / Prof. Dr. Stefan Müller* Trotz von politischer Seite angekündigter Deregulierung wurden für eine Vielzahl von Unternehmen die Anforderungen in Krisensituationen eindeutig verschärft. So verlangt der Gesetzgeber eine deutlich stärkere Unternehmensüberwachung und hat demzufolge die dazugehörigen Rechnungslegungsvorschriften verändert. Von Seiten der Gerichte kommen Konkretisierungen zur Krisendefinition und des dabei möglichen Handlungsspielraums. Das IDW hat zudem im November 2009 den IDW S 6 veröffentlicht 1, der die Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten erhöht. Im vorliegenden Beitrag sollen ausgehend von der kurzen Einordnung in das rechtliche Umfeld der IDW S 6 dargestellt und die Änderungen zur vorherigen Fassung aufgezeigt werden. Die Ausführungen werden ferner um einen Überblick zum IDW PS 800 ergänzt, um die Grenzen für eine mögliche Sanierung aufzuzeigen. 1. Einleitung rungskonzepts. Als neuer Leitfaden für Sanierungskonzepte gilt der IDW S 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.v. (IDW), der die alten Vorgaben des FAR 1/1991 ersetzt. Eine weitere wesentliche Neuerung wird die Umsetzung des IDW PS 800 sein, da sich dieser Standard mit dem Thema der Ermittlung der Zahlungsfähigkeit beschäftigt. Insbesondere die retrograde Betrachtung einer möglichen Zahlungsunfähigkeit wird in Zukunft noch viele offene Fragen nach sich ziehen. 2. Rahmenbedingungen der Anpassung von IDW-Standards Die Notwendigkeit zur Anpassung der IDW- Standards begründet sich recht vielfältig, insbesondere durch die wirtschaftliche Gesamtlage. Auch Wirtschaftsprüfer geraten zunehmend unter Druck. Uneingeschränkte Testate werden von den Banken erwartet, um überhaupt eine Kreditprüfung vornehmen zu können. Zugleich wird darauf abgestellt, dass der Fachmann per Testat die Bonität des Unternehmens bestätigt. Nicht selten kommt es jedoch vor, dass ein Unternehmen, welches noch im April mit einem uneingeschränkten Testat versehen wurde, das Jahresende nicht mehr erlebt. Weiterhin sind es die hohen Anforderungen, die die Banken angesichts vielfältiger Vorgaben (Basel II, KonTraG, MaRisk etc.) zu erfüllen haben, der wachsende Rendite- und Liquiditäts- Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise geraten viele Unternehmen direkt oder indirekt in eine Liquiditätskrise, die die weitere Unternehmensfortführung zunehmend bedroht. Folgeeffekte bei den Gläubigern ziehen häufig einen Dominoeffekt nach sich, sodass im Nachgang zur Krise des einen Unternehmens ebenfalls Problemlagen bei Lieferanten und Kunden, aber auch bei den Kreditfinanzierern eintreten können. Von Seiten des Gesetzgebers wurde u. a. durch eine Anpassung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStG) auf diesen Sachverhalt reagiert. Der Begriff der Überschuldung wurde zunächst bis 2013 neu gefasst. Ebenso kann eine positive Fortführungsprognose die Insolvenzantragspflicht verhindern. Die Fortführungsprognose ist dabei in der Form eines Fortführungskonzepts eine besondere Art eines umfassenden Sanie- druck der Unternehmen, steigende Insolvenzen sowie Unklarheiten und Fehler in der Beurteilung von Insolvenztatbeständen, die zu zunehmendem Druck führen und damit eine Anpassung der Standards erzwingen. Die rechtlichen Notwendigkeiten des Wirtschaftsprüfers, die Risiken des Unternehmens zu betrachten, sind indirekt ohnehin bereits im KonTraG ( 91 Abs. 2 AktG) verankert. Dort heißt es: Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Im Falle einer Krise hat der Vorstand ( 93 Abs. 2 AktG) zu beweisen, dass er sich objektiv und subjektiv pflichtgemäß verhalten hat. Auch im Lage- * Dr. Bernhard Becker ist Partner und Gesellschafter der comes Unternehmensberatung, Oldenburg, und Mitgesellschafter weiterer mittelständischer Unternehmen. Er ist Mitautor verschiedener mittelstandsrelevanter Fachbeiträge, www.comes.de; Konrad Martin ist Managementberater bei der comes Unternehmensberatung, Hamburg; Prof. Dr. Stefan Müller ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg (Kontakt: smueller@hsu-hh.de). 1 Vgl. FN-IDW 11/2009 S. 578 596.

Anforderungen an Sanierungskonzepte KSI 4/10 155 Die positive Fortführungsprognose ist die Grundlage für ein Sanierungskonzept. bericht hat der Unternehmer die Verpflichtung, auf die Risiken der künftigen Entwicklung einzugehen. Dieser ist durch den Wirtschaftsprüfer gutachterlich zu prüfen ( 289 Abs. 1 HGB, 317 Abs. 2 und 4 HGB). Ein Sanierungskonzept darf jedoch nicht vom Abschlussprüfer des betreffenden Unternehmens erstellt werden, da er eigene Unterlagen nicht zum Gegenstand der Prüfung machen kann. Lediglich die Beurteilung eines vorhandenen Sanierungskonzepts ist zulässig 2. 3. Sanierungskonzepte auf der Grundlage von Fortführungsprognosen 3.1 Begriff und Notwendigkeit der Fortführungsprognose Zur Bewertung und konzeptionellen Planung einer möglichen Unternehmenssanierung ist ein Sanierungskonzept unabdingbar. Steht jedoch erst einmal die Beurteilung der Auswirkungen einer Erfolgskrise oder einer bereits eingetretenen bzw. unmittelbar bevorstehenden Liquiditätskrise an, so muss zuerst eine Fortführungsprognose evtl. als Bestandteil eines späteren Sanierungskonzepts erstellt werden. Oft wird der Begriff der Fortführungsprognose fälschlicherweise mit einer Fortbestehensprognose verwechselt. Die insolvenzrechtlich geprägte Fortbestehensprognose trifft jedoch lediglich eine Aussage zur Liquiditätssituation. Eine Liquiditätsvorschau bewertet dabei die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit für den Zeitraum der angesetzten Prognose. Die Prüfung der Überschuldung nach 19 InsO kann darauf aufbauend erstellt werden 3. Die Fortführungsprognose hingegen ist das durch Gesetzgeber und Rechtsprechung geforderte Instrument zur Bewertung der Fortführungsfähigkeit. Zusätzlich zur Liquiditätsprognose ist auch eine Reinvermögensvorschau, also eine Betrachtung des Vermögens abzgl. des Fremdkapitals notwendig, um nicht nur eine drohende Zahlungsunfähigkeit, sondern auch eine drohende Überschuldung feststellen zu können 4. Die Basis hierfür ist eine integrierte Planung 5. Die Fortführungsprognose wird i. d. R. in Verbindung mit einem Fortführungskonzept erstellt, das Maßnahmen für die Fortführungsfähigkeit erarbeitet, jedoch nicht den Umfang und Anspruch eines Sanierungskonzepts haben kann 6. 3.2 Aufbau des Sanierungskonzepts Die positive Fortführungsprognose ist lediglich die Grundlage für ein nachhaltiges und umfassendes Sanierungskonzept 7 (das bei einer Insolvenzgefahr zur Pflicht wird 8 ), welches das Leitbild des sanierten Unternehmens und die Sanierungsmaßnahmen zu dessen Erreichung beschreibt 9. Das Sanierungskonzept in Form eines Gutachtens hat zunächst die aktuelle Unternehmenslage zu beschreiben, die Krisenursachen aufzudecken sowie im Hinblick auf das Leitbild des sanierten Unternehmens Lösungsansätze (einschl. deren Chancen und Risiken) zu bewerten, deren Ergebnisse dann in die integrierte Planung einfließen 10. Schlussendlich soll im Fazit eines umfassenden Sanierungskonzepts eine Aussage zur Sanierungsfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Fortführungsfähigkeit mit einer andauernden Wettbewerbs- und Renditefähigkeit getroffen werden 11. Die Anforderungen an Sanierungskonzepte sind dabei wie der BGH hierzu festgestellt hat nicht abhängig von der Größe des Unternehmens; lediglich das Ausmaß der Prüfung kann dem Umfang des Unternehmens und der zur Verfügung stehenden Zeit angepasst werden 12. Smid kommentiert dieses folgendermaßen: Ein ernsthafter Sanierungsversuch setzt mindestens ein in sich schlüssiges Konzept voraus, das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und nicht offensichtlich undurchführbar ist. Sowohl für die Frage der Erkennbarkeit der Ausgangslage als auch für die Prognose der Durchführbarkeit ist auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen nicht notwendigerweise unbeteiligten branchenkundigen Fachmanns abzustellen, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorliegen. Eine solche Prüfung muss die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysieren und die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfassen. 13 Generell ist dabei nach 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB eine Orientierung am Grundsatz der Unternehmensfortführung gefordert, demzufolge bei der Bewertung von Vermögensgegenständen und Schulden von der Fortführung eines Unternehmens auszugehen ist. Die Erstellung eines Sanierungskonzepts muss somit vom Standpunkt der Unternehmensfortführung ausgehen. 2 Vgl. IDW S 6, Tz. 26. 3 Vgl. IDW S 6, Tz. 78, zur Überschuldung vgl. ausführlich Weller, in: Federmann/ Kußmaul/Müller (Hrsg.), Handbuch der Bilanzierung, 2010, Beitrag Zahlungsunfähigkeit, Rz. 1 ff. 4 Vgl. IDW S 6, Tz. 79 ff. 5 Vgl. IDW S 6, Tz. 4. 6 Vgl. FN-IDW 11/2009 S. 596. 7 Vgl. IDW S 6, Tz. 82. 8 Vgl. IDW S 6, Tz. 12. 9 Vgl. Pfitzer, in: Wirtschaftsprüfer-Handbuch 2006, Bd. II, 13. Aufl. 2006, Tz. 104. 10 Vgl. IDW S 6, Tz. 2. 11 Vgl. IDW S 6, Tz. 10 und 14. 12 Vgl. BGH-Urteil vom 4. 12. 1997 IX ZR 47/97. 13 Stellungnahme von Smid zum IDW ES 6, S. 6, abrufbar unter www.idw.de/idw/ download/idwes6_prof_dr_smid.pdf?id=590318&property=datei.

IDW S 6 definiert die zentralen Begriffe und setzt damit Maßstäbe für die Praxis. KSI 4/10 156 Anforderungen an Sanierungskonzepte IDW FAR 1/1991 IDW S 6 keine Bearbeitung von Teilaspekten vollständige Erfassung und Zusammenstellung aller Daten des Unternehmens kein expliziter Ausschluss einer Aussage zur Sanierungswürdigkeit Ziel der Sanierung ist die Sicherung des finanziellen Gleichgewichts Begriffsbestimmung nicht einheitlich vorgenommen Abb. 1: Exemplarische Übersicht wichtiger Änderungen 4. Relevante IDW-Standards 4.1 Überblick innerhalb eines Sanierungskonzepts können auch nur Teile bearbeitet werden angepasst an das jeweilige Krisenstadium deutlicher Fokus auf zukünftige Entwicklungen expliziter Ausschluss einer Aussage zur Sanierungswürdigkeit Ziel ist die nachhaltige Wettbewerbsund Renditefähigkeit als Grundlage einer Sanierungsfähigkeit Definition von Fortbestehensprognose, Fortführungsprognose, Sanierungsfähigkeit, Leitbild, nachhaltige Sanierung etc. Mangels eines gesetzlich vorgegebenen Leitfadens zur Erstellung eines Fortführungsbzw. Sanierungskonzepts haben sich insbesondere die Verlautbarungen des IDW nicht nur bei Wirtschaftsprüfern in der Praxis als Standard durchgesetzt. Dabei stehen im Zuge einer Beurteilung der Fortführungsfähigkeit oder der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens der IDW S 6 und der IDW PS 800 im Vordergrund. 4.2 IDW S 6 4.2.1 Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit Der IDW S 6 Anforderung an die Erstellung von Sanierungskonzepten 14 ersetzt die IDW Stellungnahme FAR 1/1991. Insbesondere anzumerken ist hier die Novellierung der Kernaussagen zur Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit eines Unternehmens. War in der FAR-Stellungnahme noch von der Sanierungsfähigkeit im Sinne einer Unternehmensfortführung auszugehen, wenn die Insolvenzgründe nach 17 19 InsO beseitigt werden und damit eine nachhaltige Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit gegeben ist 15, sieht der S 6 eine Sanierungsfähigkeit des erwerbswirtschaftlichen Unternehmen nur dann vor, wenn das Sanierungskonzept nicht nur die Fortführungsfähigkeit des Unterneh- mens i. S. des 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB sichert, indem es durch geeignete Maßnahmen etwaige tatsächliche und rechtliche Gegebenheiten beseitigt, die einer Fortführung entgegen stehen, sondern wenn das Unternehmen darüber hinaus durch geeignete Maßnahmen sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Renditefähigkeit wieder erlangen kann und damit nachhaltig fortführungsfähig ist 16. Deutlicher noch zeigen sich die Veränderungen in der Annahme der Sanierungswürdigkeit. Sanierungswürdigkeit war nach FAR 1/1991 gegeben, wenn es für die beteiligten Parteien lohnend und sinnvoll war, die Gesellschaft zu sanieren 17. Da der Begriff der Sanierungswürdigkeit subjektive Wertungselemente aus Sicht eines Stakeholders einschließt, kann jedoch dem S 6 zufolge die Sanierungswürdigkeit kein tauglicher Orientierungsmaßstab sein: Der Begriff der Sanierungswürdigkeit wird als zu unbestimmt erachtet und erfüllt wegen seiner Mehrdeutigkeit nicht die Anforderungen an eine intersubjektive Nachprüfbarkeit. Im Ergebnis sollen laut S 6 bei der Erstellung eines Sanierungskonzepts nur objektive oder objektivierte Kriterien zugrunde gelegt werden (vgl. Abb. 1) 18. Bei der Erarbeitung eines Sanierungsgutachtens ist deutlich zu kennzeichnen, ob es sich um ein umfassendes Sanierungskonzept handelt oder ob nur Teilbereiche Gegenstand der Aufgabenstellung sind, wie z. B. die Erstellung einer Liquiditätsplanung zum Zwecke einer Fortführungsprognose. Im Bericht des Ausstellers ist der Umfang des Auftrags kurz zu beschreiben und für den Fall, dass es sich nicht um ein umfassendes Sanierungskonzept handelt, auf die nicht bearbeiteten Teilbereiche explizit hinzuweisen 19. 4.2.2 Grundlagen der Erarbeitung eines Sanierungskonzepts Grundlage eines Sanierungskonzepts ist die vollständige Erfassung und Zusammenstellung aller für das Unternehmen wesentlichen Daten so die Beschreibung der bisherigen Unternehmensentwicklung sowie der rechtlichen, finanzwirtschaftlichen und leistungswirtschaftlichen Verhältnisse. Um eine uneingeschränkte Datenaufnahme zu gewährleisten, sollten in den Auftragsbedingungen der Zugang zu allen Geschäftsunterlagen, ein umfassendes Auskunftsrecht sowie der Anspruch auf eine Vollständigkeitserklärung verankert werden. Bei der Festlegung von Art, zeitlichem Ablauf und Umfang ist auf die Wesentlichkeit von Geschäftsvorfällen sowie darauf zu verweisen, dass fehlerhafte oder fehlende Informationen zu falschen Annahmen und Schlussfolgerungen im Sanierungskonzept führen können 20. Die Darstellung und Analyse des Unternehmens ist auf die sanierungsrelevanten Bereiche auszurichten 21. Eingangs werden Ba sisinformationen zu 14 Vgl. dazu die in KSI bereits veröffentlichten Beiträge, insbesondere in KSI 02/ 2009 S. 53 ff. und 83 ff. sowie in KSI 2/2010 S. 53 ff. 15 Vgl. Crone/Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, 2007, S. 84. 16 Vgl. IDW S 6, Tz. 10. 17 Vgl. Crone/Werner, Handbuch modernes Sanierungsmanagement, 2007, S. 85. 18 Vgl. IDW S 6, Tz. 16. 19 Vgl. IDW S 6, Tz. 4 f., 19. 20 Vgl. IDW S 6, Tz. 20 24. 21 Vgl. IDW S 6, Tz. 28, 45.

Anforderungen an Sanierungskonzepte KSI 4/10 157 Notwendig ist der Einsatz einer integrierten Erfolgs-, Finanzund Bilanzplanung. rechtlichen, organisatorischen, finanzwirtschaftlichen, leistungswirtschaftlichen und personalwirtschaftlichen Verhältnissen erhoben 22. Die sich anschließende Analyse des Unternehmens umfasst sämtliche Teilbereiche des Unternehmens sowie dessen gesamtwirtschaftliches und branchenbezogenes Umfeld. Sie mündet im Ergebnis in die Darstellung der internen Unternehmensverhältnisse inkl. einer Ergebnis-, Finanz- und Vermögensanalyse sowie der Feststellung des Krisenstadiums. 4.2.3 Auftragsinhalt je nach Krisenstadium Bei der Feststellung des aktuellen Krisenstadiums ist zu beachten, dass Unternehmen in der Entwicklung einer Krise verschiedene Stadien durchlaufen. Die verschiedenen Krisenstadien spitzen sich im Zeitablauf i. d. R. zu. Die Krisenursachen der vorgelagerten Krisenstadien sind zu identifizieren und zu beheben 23. Denn nicht identifizierte bzw. nicht behobene Krisenursachen wirken weiter und führen dazu, dass die Krise nur vorübergehend überwunden wird 24. Der S 6 unterscheidet sechs Krisenstadien: 1. Stakeholderkrise, 2. Strategiekrise, 3. Produkt- und Absatzkrise, 4. Erfolgskrise, 5. Liquiditätskrise und 6. Insolvenzlage 25. Sowohl das aktuelle Krisenstadium als auch die durchlaufenen Krisenstadien entscheiden maßgeblich über die Festlegung des Auftragsinhalts 26. Das Sanierungskonzept muss im Gegensatz zum Fortführungskonzept das Leitbild des Unternehmens nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen enthalten 27. Die Zielsetzung ist dabei, nachhaltige Überschüsse zu erwirtschaften, ein finanzielles Gleichgewicht zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Die Erkenntnisse zum zukunftsfähigen Geschäftsmodell fließen im Leitbild des Unternehmens zusammen, welches u. a. die wesentlichen Geschäftsfelder des Unternehmens, die angestrebte Wettbewerbsposition, die erforderlichen Ressourcen und Fähigkeiten sowie die langfristige Grundstrategie des Unternehmens umfasst 28. Plan-GuV Unfertige Leistungen, Erzeugnisse Wertberichtigungen Rückstellungen Zahlungsfristen Zinsbelastung Planbilanz Liquiditätsplan 4.2.4 Sanierungsmaßnahmen und ihre Verdichtung zu einer integrierten Planung Die Sanierungsmaßnahmen zeigen, auf welchem Weg das Unternehmen das skizzierte Leitbild erreichen soll. Die verantwortlichen Personen sind zu benennen und über Maßnahmenkataloge sind zeitliche und inhaltliche Vorgaben zu machen 29. Die Sanierungsmaßnahmen zielen entsprechend der Dringlichkeit zunächst auf die Beseitigung von Insolvenzgründen (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung), dann auf das Erreichen der Gewinnzone durch ein effizientes Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramm und schließlich auf die strategische Neuausrichtung des Unternehmens ab 30. Die Basis für die Ausrichtung bildet stets eine sog. Planverprobungsrechnung, die die zahlenmäßige Darstellung des geplanten Sanierungsablaufs widerspiegelt 31. Eingangs ist hier eine Darstellung der Problem- und Verlustbereiche sowie insbesondere der Maßnahmeneffekte erforderlich 32. Schließlich sind im Rahmen einer integrierten Erfolgs-, Finanz- und Bilanzplanung 33 alle Funktionalbereiche des Unternehmens abzubilden und auf Plausibilität der Ansätze zu überprüfen (vgl. Abb. 2) 34. Die integrierte Planung ist insbesondere um solche Kennzahlen zu ergänzen, die das Urteil der Sanierungsfähigkeit stützen. Dies können z. B. Kennzahlen wie der Liquiditätsgrad, die Schuldentilgungsdauer oder die Kapitaldienstfähigkeit sein. Auch Ertragskennzahlen oder Vermögenskennzahlen können wichtige Indikationen ergeben 35. 22 Vgl. IDW S 6, Tz. 42. 23 Vgl. IDW S 6, Tz. 19. 24 Vgl. IDW S 6, Tz. 96. 25 Vgl. IDW S 6, Tz. 17. 26 Vgl. IDW S 6, Tz. 18, 20. 27 Vgl. IDW S 6, Tz. 83. 28 Vgl. IDW S 6, Tz. 85. 29 Vgl. IDW S 6, Tz. 95. 30 Vgl. IDW S 6, Tz. 93. 31 Vgl. IDW S 6, Tz. 124. 32 Vgl. IDW S 6, Tz. 126, 128. 33 Vgl. Lachnit/Müller, Unternehmenscontrolling, 2005, S. 193 ff. 34 Vgl. IDW S 6, Tz. 133. 35 Vgl. IDW S 6, Tz. 139. Tilgungen Investitionen Kontostände Debitoren Kreditoren Abb. 2: Bestandteile und Wirkungszusammenhänge der integrierten Planung

Auch nur geringfügige Liquidi tätslücken können zur Nicht erhaltungswür dig keit von Un ter neh men führen. KSI 4/10 158 Anforderungen an Sanierungskonzepte Integrierter Unternehmensplan Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise Abb. 3: Mindestbestandteile eines Sanierungskonzepts Beschreibung von Auftragsbestand und -umfang Sanierungskonzept Darstellung des Leitbilds des sanierten Unternehmens Darstellung der wirtschaftlichen Ausgangslage Analyse von Krisenstadium und -ursachen 4.2.5 Mindestbestandteile eines Sanierungskonzepts Eine abschließende Aussage zur Sanierungsfähigkeit des Unternehmens kann nur erfolgen, wenn die durch den S 6 geforderten Kernbestandteile innerhalb des Sanierungskonzepts bearbeitet wurden 36. Abb. 3 zeigt diese Mindestbestandteile auf. Nur wenn ein wie vorstehend skizziert erarbeitetes Konzept zur langfristigen Stärkung bzw. Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit vorliegt, kann die nachhaltige Unternehmenssanierung gelingen. Kurz- oder Mittelfristmaßnahmen sind hier anders als bei einem Fortführungskonzept, wo das laufende und das folgende Jahr im Fokus stehen 37 nicht ausreichend 38. 4.3 IDW PS 800 4.3.1 Begriff der Liquiditätslücke Die genaue Bezeichnung des IDW PS 800 lautet: Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen. Der gesamte Inhalt ist dabei unter dem maßgeblichen Leit motiv zu sehen, dass Unternehmen mit dauerhaften Liquiditätslücken nicht als erhaltenswürdig erscheinen. So hat der BGH bereits am 24. 5. 2005 geurteilt: Ein Unternehmen, das dauerhaft eine wenngleich geringfügige Liquiditätslücke aufweist, erscheint nicht als erhaltenswürdig 39, was fast wörtlich vom IDW übernommen wurde 40. Unter dem Begriff Liquiditätslücke wird eine Deckungslücke an zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln im Verhältnis zu den fälligen Verbindlichkeiten verstanden. Zur Ermittlung der Lücke und der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit i. S. des 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten zu setzen 41. Beträgt die Deckungslücke für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit am Ende des Dreiwochenzeitraums 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr, ist nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Dies gilt jedenfalls dann, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbar ist 42. Wird die Deckungslücke innerhalb des Dreiwochenzeitraums geschlossen, ist eine bloße Zahlungsstockung anzunehmen 43. Abb. 4 auf der Folgeseite verdeutlicht die zeitlichen Zusammenhänge. 4.3.2 Aufstellung eines Finanzstatus und Ableitung eines Finanzplans Wie zuvor auch wird gem. der Neufassung des IDW PS 800 (z. B. im Rahmen von Jahresabschlüssen) zum jeweiligen Stichtag ein Finanz status erstellt. Wird durch den Finanzstatus deutlich, dass eine Liquiditätslücke vorliegt, ist zwingend ein Finanzplan zu erstellen, der den folgenden Dreiwochenzeitraum betrachtet 45. Ergibt sich aus diesem keine Heilung der Sachlage, muss ein Finanzplan erstellt werden, der die kommenden drei Monate (maximal und nur ausnahmsweise die kommenden sechs Monate) abbildet 46. In diesem Zeitraum muss die Liquiditätslücke zwingend, wie oben bereits ausgeführt, zumindest fast vollständig geschlossen werden. 36 Vgl. IDW S 6, Tz. 7 ff. 37 Vgl. IDW S 6, Tz. 12. 38 Vgl. IDW S 6, Tz. 94. 39 BGH-Urteil vom 24. 5. 2005 IX ZR 123/04, Abschn. II.3.a. 40 IDW PS 800, Tz. 11. 41 Vgl. BGH vom 24. 5. 2005 IX ZR 123/04, BGHZ 163 S. 134, 138; Münch- Komm-InsO/Eilenberger, 2. Aufl. 2007, 17 Rn. 10. 42 Vgl. BGH-Urteil vom 12. 10. 2006 IX ZR 228/03, Abschn. III.1, unter Hinweis auf BGH-Urteil vom 24. 5. 2005 IX ZR 123/04; IDW PS 800, Tz. 10. 43 Vgl. BGH-Urteil vom 24. 5. 2005 IX ZR 123/04, Abschn. II.3, vgl. dazu Heublein in KSI 01/2006 S. 12 ff. 44 In Anlehnung an Becker/Janssen/Müller, DStR 2009 S. 1664. 45 Vgl. IDW PS 800, Tz. 21. 46 Vgl. IDW PS 800, Tz. 25 f.

Anforderungen an Sanierungskonzepte KSI 4/10 159 Auch Li quiditätslücken in der Vergangenheit beeinflussen die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit. Verschärfend kommt hinzu, dass die Verantwortlichen verpflichtet sind, sich laufend über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu vergewissern 47. Darüber hinaus wird erwartet, dass der Finanzplan auf der Basis einer nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen durchzuführenden und ausreichend dokumentierten integrierten Unternehmensplanung (Erfolgs-, Vermögens- und Liquiditätsplanung) fortzuentwickeln ist 48. Finanzstatus Liquidität Finanzplan Finanzplan für 3 Monate 10 % Grenze 4.3.3 Retrograde Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit Neu in den Standard aufgenommen wurde die retrograde Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zur Prüfung, ob möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hat. Erstmals vorliegende Anhaltspunkte für Rückschlüsse auf eine mögliche Zahlungsunfähigkeit setzen hier den Zeitpunkt für einen anzusetzenden Finanzstatus 49. Somit entsteht gewissermaßen eine Art Beweislastumkehr für den Unternehmer und seine Berater, bei der der Unternehmer nachweisen muss, dass er nach der damaligen Finanzplanung von einer Schließung der Liquiditätslücke ausgehen durfte. Verschärfend kommt noch hinzu, dass ein in Insolvenz geratenes Unternehmen lt. Rechtsprechung gegen Gläubiger klagen und die Zahlung einer vergangenen Rechnung anfechten und Rückzahlung verlangen kann, wenn dieser Kenntnis über die Zahlungsunfähigkeit bzw. von Umständen hat, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen ließen 50. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Hat der Gläubiger Kenntnis über die Zahlungsunfähigkeit bzw. Kenntnis von Um ständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, darf die Forderung nicht eingezogen werden. Maßgeblich ist hierbei der Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Gläubigers über die Krise des Schuldners. Insgesamt kommen somit deutlich höhere Haftungspotenziale in Bezug auf das rechtzeitige Reagieren auf den Unternehmer und seine Berater zu. + Dreiwochenzeitraum 5. Zusammenfassung Zuwarten nach besonderen Umständen des Einzelfalls Zur Bewertung einer Unternehmenskrise und der Abschätzung der Auswirkungen sind externe, neutrale Gutachten zu er stellen. In einer Fortführungsprognose werden eine Analyse der Unternehmenslage und die Ableitung von Maßnahmen als Basis für eine Fortführungsprognose erstellt. Dies gibt die Basis für ein umfassendes Sanierungskonzept, das für einen nachhaltigen Turnaround mit der Wiederherstellung bzw. Sicherung der Wettbewerbs- und Renditefähigkeit unerlässlich ist. Ein umfassendes Sanierungskonzept nach IDW S 6 trifft somit eine Aussage zur nachhaltigen Sanierungsfähigkeit. Offen bleiben jedoch auch nach der Neufassung der IDW-Standards beispielsweise Fragen dahingehend, wie die Frist zur Heilung der bilanziellen Überschuldung definiert ist, inwieweit der IDW S 6 auch von Seiten der Rechtsprechung als Maßstab für die Vollständigkeit und Güte eines Sanierungskonzepts anerkannt wird und was ein Leitfaden für ein Fortführungskonzept im Sinne einer Fortführungsprognose konkret beinhalten muss. Speziell mit der Bewertung der Zahlungsfähigkeit beschäftigt sich der IDW PS 800. Neu in den Standard aufgenommen wurde die retrograde Ermittlung der Zahlungsun fähigkeit zur Prüfung, ob möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hat. Unternehmen und Berater sehen sich zudem deutlich größeren Haftungspotenzialen gegenüber. 47 Vgl. BGH-Urteil vom 14. 5. 2007 II ZR 48/06, Abschn. II.2.b; IDW PS 800, Tz. 3, 17, 29. 48 Vgl. IDW PS 800, Tz. 21. 49 Vgl. IDW PS 800, Tz. 46 f. 50 Vgl. BGH-Urteil vom 12. 10. 2006 IX ZR 228/03, Abschn. III.2., NZI 2007 S. 36. Dauerhaft Abb. 4: Zeitliche Zusammenhänge bei Bestimmung des Finanzstatus 44