Burkard Sievers Geheimnis und Geheimhaltung in sozialen Systemen

Ähnliche Dokumente
Klaus Merten. Kommunikation

Reiner Schmalz-Bruns Ansätze und Perspektiven der Institutionentheorie

Detlef Matthias Hug. Konflikte und Öffentlichkeit

Fitter. Chilenische Entwicklungswirklichkeit und Entwicklungsstrategie

Schneider. Karriereplanung als Aufgabe der Personalplanung

Monika Alisch Soziale Stadtentwicklung

Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 1

Sebastian Lerch. Selbstkompetenzen. Eine erziehungswissenschaftliche Grundlegung

Wilfried Röhrich Politik und ökonomie der Weltgesellschaft

JUrgen HUther. Sozialisation durch Massenmedien

Yizhak Ahren Christoph Melchers Werner Seifert Werner Wagner. Das Lehrstiick "Holocaust"

Konzeption von Kommunikation

Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften

Talcott Parsons Zur Theorie sozialer Systeme

Ulrich von Alemann Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland

Klaus Grimm Theorien der Unterentwicklung und Entwicklungsstrategien

Bildungspolitik und Leistungsvergleichsstudien

Irene Raehlmann Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft in der Weimarer Republik

DIE WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN HERAUSGEBER: PROF. DR. DR. h. c. E. GUTENBERG. KÖLN

VOM PÄDAGOGISCHEN BEZUG ZUR PÄDAGOGISCHEN BEZIEHUNG

Soziologie in Deutschland

Masken und Maskierungen

Susanne von Bassewitz Stereotypen und Massenmedien Zum Deutschlandbild in französischen Tageszeitungen

Seminar: Von der Institution zum System Gehlen, Schelsky, Luhmann

Peter Atteslander. Hans-Ulrich Kneubiihler. Verzerrungen im Interview

Bernhard Frevel. Sicherheit. Ein (un)stillbares Grundbedürfnis. 2. Auflage

David Reichel. Staatsbürgerschaft und Integration

Ralf Bohnsack Rekonstruktive Sozialforschung

Globale Gesellschaft und internationale Beziehungen. Herausgegeben von Th. Jäger, Köln, Deutschland

Berens. Prüfung der Fertigungsqualität

Gerhard Schmied Sterben und Trauern in der modemen Gesellschaft

Peter Schlobinski. Empirische Sprachwissenschaft

Iris Nentwig-Gesemann Krippenerziehung in der DDR

Rainer Greshoff. Die theoretischen Konzeptionen des Sozialen von Max Weber und Niklas Luhmann im Vergleich

Dieter Steiner (Hrsg.) Mensch und Lebensraum

Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schulen verankern

Emotionen, Sozialstruktur und Moderne

Veröffentlichungen der Schmalenbach-Gesellschaft, Band 33

Wissensmanagement in Innovationsnetzwerken - eine agency-theoretische Untersuchung

Thomas Köhler. Das Selbst im Netz

Helmut Scherer Massenmedien, Meinungsklima und Einstellung

Springer Essentials sind innovative Bücher, die das Wissen von Springer DE in kompaktester Form anhand kleiner, komprimierter Wissensbausteine zur

Helge Lothar Batt Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit im vereinigten Deutschland

Steffen Wenzel Streetball

Das Konzept der organisationalen Identität

Handbuch Wahlforschung

Institut für Sozialwissenschaften

Eduard Schwitajewski-Schürkmann. Kommunale Medienarbeit

DER WESTDEUTSCHE KONSUMGüTEREXPORT NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG

Boreout Biografien der Unterforderung und Langeweile

Kritik der Pädagogik Pädagogik als Kritik

UTB. Uni-Taschenbücher FtJRWISSEN SCHAFT. Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Nr Herausgegeben. im Auftrage des Ministerpräsidenten Dr. Pranz Meyers. von Staatssekretär Professor Dr. h. c. Dr. E. h.

Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit

Andreas Geier Hegemonie der Nation

Heinz Zielinski (Hrsg.) Die Modernisierung der Städte

Hans Rosenkranz/Reinhard Breuel. Von der Gruppendynamik zur Organisationsentwicklung

Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland

Diätassistenten auf dem Weg zur Profession

Jürgen Eiben Von Luther zu Kant- Der deutsche Sonderweg in die Moderne

Dietmar Braun Theorien rationalen Handeins in der Politikwissenschaft

Wir alle spielen Theater

Sozialtechnische Regeln in der Werbung

Monika Jungbauer-Gans. Ungleichheit, soziale Beziehungen und Gesundheit

Konzeption und Entwicklung von Umsetzungsmöglichkeiten einer Personal Balanced Scorecard, dargestellt am Beispiel der DB Cargo AG

Rechtsextremismus unter ost- und westdeutschen Jugendlichen

Seminar: Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft/ Vorlesung: Wissen und Gesellschaft II

Beratung für Menschen mit geistiger Behinderung

Zimmermann. Die Diplomarbeit

Wieland Jäger. Reorganisation der Arbeit

Koch, Betriebliche Pluung

ANALYSE DER PREISSPANNEN IM WESTDEUTSCHEN KONSUMGÜTEREXPORT

Otto G. Schwenk Soziale Lagen in der Bundesrepublik Deutschland

Tilmann Sutter (Hrsg.) Beobachtung verstehen, Verstehen beobachten

Gesellschaft und Tiere

Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit

Andrea Reinartz "Leben und Lernen sind weit auseinander!"

Christoph Wiethoff. Übergangscoaching mit Jugendlichen

Pädagogik und Gesellschaft

Politische Bildung. Herausgegeben von C. Deichmann, Jena I. Juchler, Potsdam

Ideal oder real? Die Darstellung weiblicher Schönheit in der Werbung der Dove-Kampagne "Initiative für wahre Schönheit"

kultur- und sozialwissenschaften

Wie kommt es zu sozialer Exklusion im Wohlfahrtsstaat und was kann der Staat dagegen tun?

Wolfgang Luthardt. Sozialdemokratfsche Verfassungstheorie in der Weimarer Republik

Christine Schlickum. Selbst- und Fremdzuschreibungen im Kontext von Europa

Studien zum Weber-Paradigma

UTe Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Flexible Arbeitssysteme im Maschinenbau

Was Coaching wirksam macht

Vertrauen und Kooperation in der Arbeitswelt

Kreatives Schreiben in der Grundschule

Selbstgesteuertes Lernen bei Studierenden

Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen

Wemer Gephart, Bilder der Moderne

Peter Joachim Lapp. Der Ministerrat der DDR

Sammlung Metzler Band 246

Ulrike Röttger (Hrsg.) Theorien der Public Relations

Springer Essentials sind innovative Bücher, die das Wissen von Springer DE in kompaktester Form anhand kleiner, komprimierter Wissensbausteine zur

Soziale Arbeit in Theorie und Wissenschaft. Herausgegeben von E. Mührel, Emden B. Birgmeier, Eichstätt-Ingolstadt

Diskriminierungsfreie Personalrekrutierung im Rahmen des 11 AGG

Transkript:

Burkard Sievers Geheimnis und Geheimhaltung in sozialen Systemen

Studien zur Sozialwissenschaft Band 2.3 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Bur kard Sievers Geheimnis und Geheimhaltung in sozialen Systemen Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

ISBN 978-3-531-11256-5 ISBN 978-3-663-14422-9 (ebook) DOI 10.1007/978-3-663-14422-9 1974 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1974. Umschlaggcstaltung: studio für visuelle kommunikation, Düsseldorf Satz: M. Seifert, Erkrath Alle Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfältigung (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages.

Inhalt Vorwort......................................... 9 I. Geheimnis in handlungstheoretischer Perspektive - Fragestellungen bisheriger Ansätze................................... 11 1. Geheimnis als Wissen um Nichtwissen: Georg Simmel............. 11 2. Geheimnis als soziale Disposition: Wilhelm Stok.................. 12 3. Geheimnis als Selbstdarstellungsstrategie: Erving Goffman........... 14 4. Geheimhaltung im 'awareness-context': Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss...................................... 16 5. Zentrale Problemstellungen und Kritik........................ 17 //. Geheimnis in kommunikations- und systemtheoretischer Perspektive.... 19 1. Geheimnis und Kommunikation............................. 19 2. Duplizität der Kommunikationsebenen und -sprachen.............. 21 3. Geheimnis als Kommunikationsmodus......................... 24 4. Reflexivität der Modalisierung.............................. 26 5. Einfache und reflexive Geheimhaltung........................ 30 6. Zusammenfassung...................................... 34 IIL Geheimhaltung in einfachen Sozialsystemen.................... 36 1. Strukturmerkmale einfacher Systeme......................... 36 a) Reziproke Wahrnehmung............................... 38 b) Sprachliche Kommunikation............................. 39 2. Geheimhaltung in einfachen Systemen......................... 40 3. Geheimhaltung als Strategie personaler Systeme.................. 45 4. Systemstruktur und Geheimnis............................. 47 IV. Geheimhaltung in komplexen Sozialsystemen: Am Beispiel von Organisationen........................................ 50 1. Einige Merkmale sozialer Organisationen....................... 50 2. Kommunikation in sozialen Organisationen..................... 53 3. Systemfunktionen der Geheimhaltung......................... 56 4. Formale Geheimhaltung.................................. 60 5

5. Informale Geheimhaltung................................. 68 6. Grenzen und Folgen einer Geheimhaltung in Organisationen.......... 73 V Reflexive Geheimhaltung.................................. 80 1. Geheimhaltung von Geheimnissen............................ 80 2. Voraussetzungen und Möglichkeiten reflexiver Geheimhaltung......... 83 3. Verstellung und Lüge.................................... 88 4. Täuschung und Vertrauen................................. 92 Anmerkungen........................................... 96 Literaturverzeichnis....................................... 107 Register............................................... 114 6

Für Colin Cherry's Hund Pym 7

"Es charakterisiert jedes Verhältnis zwischen zwei Menschen oder zwischen zwei Grnppen, ob und wieviel Geheimnis in ihm ist; denn auch wo der Andre das Vorliegen eines solchen nicht bemerkt, wird damit doch jedenfalls das Verhalten des Verbergenden, und also das ganze Verhältnis modifiziert." Georg Simmel 8

Vorwort Obgleich dem Geheimnis und-der Geheimhaltung sowohl für den Bereich sozialen Alltagsverhaltens als auch.in Organisationen und gesellschaftlichen Teilbereichen wie etwa dem politischen oder dem Wirtschaftssystem eine wichtige Bedeutung zukommt, und Geheimhaltungsinteressen nicht gerade selten sind, wird dieses Thema in der neueren Soziologie nur sporadisch behandelt. Daß Geheimhaltungsphänomenen grundsätzlich eine Relevanz für soziales Verhalten zukommt, gehört zwar zumindest seit den Arbeiten von Erving Goffman zu den soziologischen Allgemeinplätzen; ein genuin soziologisches Interesse an den Geheimhaltungsinteressen personaler und sozialer Systeme besteht jedoch kaum. Diese Diskrepanz zwischen sozialer und soziologischer Relevanz des Geheimnisses wird beispielsweise deutlich, wenn man den Umfang soziologischer Publikationen zu diesem Thema mit der Zahl deutscher juristischer Dissertationen vergleicht, die in den letzten Jahren zum Amts-, Berufs-, Post- oder Staatsgeheimnis erschienen sind oder sie der Fülle dokumentarischer bzw. populärwissenschaftlicher Arbeiten aus dem Bereich staatlicher Nachrichtendienste, industrieller Spionage sowie der Skandale in Politik, Wirtschaft oder Sport gegenüberstellt. Während das Geheimnis vor allem in der älteren deutschen Soziologie eine gewisse Bedeutung gehabt hat und beispielsweise von Georg Simmel im Kontext seiner formalen Soziologie oder von Wilhelm Stok innerhalb der Beziehungslehre Leopold von Wieses thematisiert wurde, liegen die wenigen neueren Arbeiten, die sich überhaupt mit Geheimhaltungsphänomenen befassen, außerdem eher am Rande der theoretischen Entwicklung der gegenwärtigen Soziologie. Eine Durchsicht der wichtigsten vorliegenden Arbeiten macht deutlich, daß das Problem der Geheimhaltung bislang ausschließlich interaktionistisch bzw. eher sozialpsychologisch angegangen wurde (I). Angesichts einer solchen generellen Beschränkung der Fragestellung wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, Geheimnis und Geheimhaltung als Kommunikationsphänomen im Kontext einer Theorie sozialer Systeme zu problematisieren, um so eine neue Sichtweise zu eröffnen (II). In einem ersten Ansatz erweist sich Geheimnis in kommunikations-und systemtheoretischer Perspektive als partielle Negation kommunikationsinterner Informationsmöglichkeiten, ohne daß dabei jedoch zugleich die Kommunikation als solche negiert wird. In einer eingehenderen, an die kommunikationstheoretischen Grundlagen der soziologischen Schizophrenieforschung der Palo Al to Gruppe um Bateson und Watzlawick angelehnten Betrachtungsweise erfahren Mitteilungen im Kontext von Geheimhaltung eine besondere Qualifikation. Geheimnis kann somit verstanden werden als Modus potentieller oder aktueller Mitteilungen, der dem Geheimhaltenden die Retention von in einer Kommunikation relevanten Bewußtseinsinhalten ermöglicht. Für den Fall, daß eine Geheimhaltung vor anderen verborgen bleiben soll, kann diese schließlich reflexiv werden. 9

Je nach dem jeweiligen Systemkontext differieren die Möglichkeiten einer Geheimhaltung sowie ihre Funktionen und Folgen. In einfachen Sozialsystemen (111), deren Strukturmerkmal in der wechselseitigen Wahrnehmbarkeit unter Anwesenden besteht, bleibt Geheimnis vorwiegend auf eine Strategie personaler Systeme beschränkt. Geheimhaltung als Strategie eines sozialen Systems ist ausgeschlossen, solange ein einfaches Sozialsystem nicht aufgrund zusätzlicher Abstraktionsleistungen eine Handlungsfahigkeit als System erreicht. Die besondere Relevanz, die dem Geheimnis als Strategie sozialer Systeme zukommt, wird am Beispiel von Organisationen aufgezeigt (IV). Dabei gilt es, deutlich zwischen den offiziellen Geheimhaltungsinteressen einer Organisation und solchen Geheimhaltungen zu unterscheiden, die sich formal nicht legitimieren lassen, auf die eine Organisation jedoch gleichwohl angewiesen ist, um faktisches Handeln zu ermöglichen. Wenngleich einer formalen Geheimhaltung in Organisationen in der Regel eine eher marginale Bedeutung zukommt, läßt sich doch andererseits eine solche Geheimhaltung nicht unbeschränkt ausweiten, ohne an Effektivität zu verlieren und dysfunktionalefolgen entstehen zu lassen. Auf eine Darstellung der besonderen Erscheinungsweisen, Funktionen und Folgeprobleme, die dem Geheimnis und der Geheimhaltung in einzelnen gesellschaftlichen Subsystemen wie dem der Politik, der Wirtschaft oder der Familie und dem sie umgebenden Intimbereich zukommen, muß hier verzichtet werden, weil das den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Abschließend werden die speziellen Probleme und Möglichkeiten aufgezeigt, die sich ergeben, wenn Geheimhaltungen selbst wieder zum Gegenstand von Geheimhaltung werden (V). Um ein Geheimnis derart reflexiv werden zu lassen, bedarf es meist zusätzlicher Verstellungen, Lügen oder sonstiger Täuschungsmanöver. Daß diese Arbeit aus einer entsprechenden Themenstellung durch Niklas Luhmann im Rahmen einer früheren Diplomklausur entstanden ist und darüber hinaus Niklas Luhmann und Otthein Rammstedt wichtige Anregungen und wiederholte Kritik verdankt, soll nicht verheimlicht werden. 10