Kompositionalität. Christian Ebert & Fritz Hamm. Kompositionalität. 1. Dezember 2011

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Transkript:

1. Dezember 2011

sprinzip The meaning of a complex expression is determined by the meaning of its parts and the mode of composition. Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ist durch die Bedeutung seiner Teile und der Regel, mit der sie kombiniert wurden, bestimmt. Intituitv eingängig aber... heisst die, dass jeder Ausdruck eine eindeutige Bedeutung hat? Gibt es bedeutungslose Ausdrücke? was sind Bedeutungen? wann ist ein Ausdruck komplex? was sind die Teile eines Ausdrucks? was heisst bestimmt? was sind Regeln?

Warum überhaupt? Produktivität: Sprecher können nie zuvor geäusserte Sätze produzieren/beurteilen Lernbarkeit: Kinder können aus wenig Input problemlos Sprache lernen Systematicity: Sprache ist systematisch, d.h. hat klare Muster

Komplikationen Lexikalische Ambiguität: Johann steht vor einer Bank. Was ist die Bedeutung von Bank? Skopusambiguität: Jeder Student kennt einen Linguisten. Eine syntaktische Struktur, aber zwei Bedeutungen? Indexikalische Ausdrücke: Bedeutung abhängig vom Kontext 1 Der Bundeskanzler heisst Gerhard Schröder. 2 Hier stinkt s nach Pferdemist. 3 Ich bin 1,80m groß und trage eine Brille. Anaphora: Bedeutung abhängig vom Diskurs. Er ist doof. Idiomatische Wendungen Auf der Linguistik-Weihnachtsfeier steppt der Papst im Kettenhemd! Keine Gegenargumente, aber: semantische Theorie muss entsprechend komplex sein, um kompositional zu sein.

Formale Ansätze I Formale Ausspezifizerungen des Prinzips in der Literatur: Homomorphismen sortierter Algebren (Montague, 1974; Janssen, 1996; Hendriks, 2001) Frege-Erweiterungen (Hodges, 2001; Westerståhl, 2004) Zeichenbasierte (Kracht, 2001)

Formale Ansätze II Zutaten: 1 Lexikon: L = {w 1,..., w n } 2 Syntaktische Funktionen: F = {f 1,..., f m } 3 Semantische Funktionen: S = {s 1,..., s m } Damit: syntaktische Analyse eines komplexen Ausdrucks Termausdruck über F L Eine Frau mag Peter. f S (f DP (eine, Frau), f VP (mag, Peter)) Bedeutungszuweisung m ist Homomorphismus m erhält die Termstruktur: m( f i (t 1,..., t n ) ) = s i (m(t 1,..., m(t n )) m( f S (f DP (eine, Frau), f VP (mag, Peter)) ) = s S (s DP (m(eine), m(frau)), s VP (m(mag), m(peter)))

Formale Ansätze III Zum Beispiel: m(eine) = λpλq x(p(x) Q(x)) m(frau)) = λxwoman (x) m(mag) = λyλxlike (x, y) m(peter)) = peter s i : (ϕ, ψ) ϕ(ψ), i {S,DP,VP} (Funktionalapplikation)

Formale Ansätze IV Folgerung des sprinzips: Substitutionsprinzip Wenn zwei Ausdrücke a, b dasselbe bedeuten kann man sie in allen Kontexten austauschen, ohne dass sich Bedeutungen ändern. m(a) = m(b) m(. }.. {{ a.. }.) = m(. }.. {{ b.. }.) t[a] t[b] Gegenbeispiele zum Substitutionsprinzip Gegenbeispiele zu kompositioneller Semantikzuweisung z.b. Zahlennamen bei rechtsassoziativer Syntax: m(0 7) = m(7), aber m(2 (0 7)) m(2 7)

Formale Ansätze V Diskussion in den 90ern: eine kompositionelle Bedeutungszuweisung lässt sich immer finden ist nichts-sagend (engl. vacuous; s. Dever, 1999; Janssen, 1996, Kazmi & Pelletier, 1998; van Benthem, 1986; Westerståhl, 1998; Zadrozny, 1994). Aber: alle Vacuity-Beweise, ändern massiv die Syntax oder die Synonymien Achtung! L, F, S (dh. Lexikon, Syntax und semantische Kompositionsmodi) müssen gegeben sein, um über von m urteilen zu können!

Literatur I Johan van Benthem. The Logic of Semantics. In Essays in Logical Semantics, pages 198 214. Reidel, Dordrecht, 1986. Josh Dever. Compositionality as Methodology. Linguistics and Philosophy, 22, 1999. Herman Hendriks. Compositionality and model-theoretic interpretation. Journal of Logic, Language and Information, 10(1):29 48, 2001. Theo M. V. Janssen. Compositionality. In Johan van Benthem and Alice ter Meulen, editors, Handbook of Logic and Language, pages 417 473. Elsevier, Amsterdam, 1996. 3 Ali Akhtar Kazmi and Francis Jeffry Pelletier. Is Compositionality Formally Vacuous? Linguistics and Philosophy, 21(6):629 633, 1998. Marcus Kracht. Strict compositionality and literal movement grammars. In Michael Moortgat, editor, Logical Aspects of Computational Linguistics 98, volume 2014 of LNAI, pages 126 142. Springer, 2001.

Literatur II Richard Montague. The proper treatment of quantification in ordinary english. In R. Thomason, editor, Formal Philosophy: Selected Papers of Richard Montague, pages 247 270. Yale University Press, New Haven, CT, 1974. Richard Montague. Universal grammar. In R. Thomason, editor, Formal Philosophy: Selected Papers of Richard Montague, pages 222 246. Yale University Press, New Haven, CT, 1974. Dag Westerståhl. On Mathematical Proofs of the Vacuity of Compositionality. Linguistics and Philosophy, 21(6):635 643, 1998. Wlodek Zadrozny. From Compositional to Systematic Semantics. Linguistics and Philosophy, 17(4):329 342, 1994.