Über das Benetzungsverhalten. polymermodifizierter Grenzflächen



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Über das Benetzungsverhalten polymermodifizierter Grenzflächen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Fakultät für Angewandte Wissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg vorgelegt von Ulrike Mock aus Ludwigshafen am Rhein Freiburg im Breisgau September 2004

Dekan: Prof. Dr. Jan G. Korvink 1. Referent: Prof. Dr. Jürgen Rühe 2. Referent: Prof. Dr. Roland Zengerle Vorsitzender der Prüfungskommission: Prof. Dr. Jan G. Korvink Beisitzender: Prof. Dr. Gerald Urban Tag der Disputation: 13.12.2004

Inhaltsverzeichnis i Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung...1 2 Grenzflächenspannung und Benetzung...9 2.1 Plausibilitätsbetrachtung: zwischenmolekulare Kräfte...9 2.2 Thermodynamische Betrachtung... 10 2.3 Gleichgewicht an gekrümmten Oberflächen... 11 2.4 Methoden zur Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten... 13 2.5 Kontaktwinkelmessungen an Festkörpern/Young-Gleichung... 14 2.6 Bestimmung der freien Grenzflächenenergie von Festkörpern... 15 2.7 Nichtideale Oberflächen... 17 2.7.1 Kontaktwinkelhysterese... 17 2.7.2 Benetzung rauer hydrophober Oberflächen... 18 3 Autophobizität... 23 3.1 Plausibilitätsbetrachtung... 23 3.2 Skalierungsansatz... 24 3.3 Motivation/Ziel... 26 3.4 Darstellung oberflächengebundener Polymerschichten... 28 3.4.1 Physisorption von Blockcopolymeren... 28 3.4.2 Anpfropfen (''grafting to'') von Polymeren... 29 3.4.3 Der ''grafting from'' Ansatz... 32 3.5 Untersuchtes System... 34 3.6 Ergebnisse... 36

ii Inhaltsverzeichnis 3.6.1 Charakterisierung der Benzophenonmonolagen...36 3.6.2 Charakterisierung der Polystyrolmonolagen...38 3.6.3 Autophobizitätsexperimente...44 3.7 Diskussion...49 3.8 Zusammenfassung...50 4 Tropfenaufprall...51 4.1 Motivation/Ziel...52 4.2 Theoretische Aspekte des Tropfenaufpralls...52 4.2.1 Qualitative Beschreibung des Tropfenaufpralls...53 4.2.2 Ermittlung quantitativer Parameter...54 4.3 Untersuchte Systeme...57 4.4 Charakterisierung der verwendeten Oberflächen...58 4.5 Tropfenaufprallexperimente Ergebnisse und Diskussion...62 4.5.1 Qualitativer Vergleich der strukturlosen Substrate...62 4.5.2 Quantitative Auswertung des Tropfenaufpralls auf PS-Oberflächen...64 4.5.3 Ergebnisse für strukturierte PS-Oberflächen zentraler Aufprall...69 4.5.4 Ergebnisse für strukturierte PS-Oberflächen verschobener Aufprall...73 4.5.5 Ergebnisse für strukturierte, geneigte PS-Oberflächen...74 4.6 Vergleich Experiment Theorie...79 4.7 Tropfenaufprall auf chemisch strukturierte Arrays...80 4.8 Untersuchtes System...80 4.9 Kommensurabler Aufprall...81 4.10 Inkommensurabler Aufprall...82 4.11 Diskussion...82 4.12 Zusammenfassung...84 5 Benetzung biomimetischer Oberflächen...86

Inhaltsverzeichnis iii 5.1 Benetzung elastischer haarartiger Strukturen... 87 5.2 Motivation/Ziel... 88 5.3 Allgemeine Vorgehensweise zur Darstellung biomimetischer Oberflächen... 89 5.4 Ergebnisse... 90 5.4.1 Erzeugung der Edelstahlstempel mittels Funkenerosion... 90 5.4.2 Herstellung der Edelstahlmasken... 91 5.4.3 Monomerauswahl... 92 5.4.4 Polymerisation im Edelstahlmasken-Negativ... 93 5.4.5 Direkte Replikation der Frauenmanteloberfläche... 95 5.4.6 Polymerisation im Frauenmantel-Negativ... 95 5.5 Diskussion... 96 5.6 Zusammenfassung... 97 6 Experimentelles... 99 6.1 Reagenzien und Lösungsmittel... 99 6.2 Si-Scheiben... 101 6.3 Benzophenonsilan (BP-Silan)...101 6.3.1 Synthese von 4-Allyloxybenzophenon... 101 6.3.2 4-(3'-Chlorodimethylsilyl)propyloxybenzophenon (BP-Silan)... 101 6.4 Immobilisierung der Chlorsilane auf den Oberflächen... 102 6.5 Biomimese der Frauenmanteloberfläche... 102 6.5.1 Charakterisierung... 102 6.5.2 Funkenerosion... 102 6.5.3 Abformen der Vorlagen... 102 6.5.4 Abformen der Frauenmantel-Elastomermaske... 103 6.5.5 Polymerisationen... 103 6.6 Autophobizitätsuntersuchungen... 104

iv Inhaltsverzeichnis 6.7 Tropfenaufprallexperimente... 104 6.7.1 Darstellung PHEMA... 104 6.7.2 Darstellung PFA... 104 6.7.3 Probenpräparation... 105 6.7.4 Messanordnung... 105 6.7.5 Bildverarbeitung... 106 6.8 Oberflächencharakterisierung... 107 6.8.1 Kontaktwinkelmessungen... 107 6.8.2 Ellipsometrie... 108 6.8.3 Röntgenreflektometrie (XRR)... 108 6.8.4 Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS)... 108 6.8.5 Rasterkraftmikroskopie (AFM)... 108 7 Zusammenfassung & Ausblick... 109 8 Summary & Outlook... 112 9 Literaturverzeichnis... 115 10 Abkürzungen... 123 Danksagung... 128

Einleitung 1 1 Einleitung In den letzten Jahrzehnten sind große Fortschritte in der Grundlagenforschung und der Darstellung von Oberflächen definierter Benetzbarkeit erzielt worden. Besonders in Biologie und Medizin spielen hydrophile Oberflächen eine bedeutende Rolle, weil ein Großteil biologischer Reaktionen an Ober- und Grenzflächen wässriger Systeme stattfindet. [1] Nur wenn die Oberflächeneigenschaften geeignet sind, d. h. die richtige Kombination aus Oberflächenhydrophilie, Rauhigkeit und Elastizität vorhanden ist, kann sich an der Substratoberfläche innerhalb von Nanosekunden eine Hydrathülle bilden, so dass nachfolgende Reaktionen wie Proteinadsorption und Zellwachstum möglich werden. [2] Extrem hydrophobe Beschichtungen haben hingegen den Vorteil, dass sie sich oft sehr inert verhalten und wenig beschmutzen bzw. leicht gereinigt werden können. Dies ist beispielsweise von Bedeutung für transparente optische Systeme, mikrofluidische Systeme oder biotechnologische Anwendungen. Mittlerweile existieren einige erste kommerzielle selbstreinigende Oberflächen [3], die im Folgenden vorgestellt werden. Gemeinsam ist diesen Konzepten, dass die gewünschten Eigenschaften durch eine definierte Mikro- bzw. Nanostrukturierung der Oberfläche und eine gezielte Einstellung der Oberflächenenergien erreicht wird. Die zwei existierenden Ansätze zur Selbstreinigung beruhen auf der Oberflächenbeschaffenheit: Ist die Oberfläche sehr benetzbar, wird der Schmutz von der Oberfläche als Film abtransportiert; im Fall eines sehr hydrophoben Substrats wird der Schmutz mit Wassertropfen von der Oberfläche weggeschwemmt. Diese von der Natur bevorzugte Möglichkeit ist im Zusammenhang mit dem so genannten Lotus-Effekt oftmals diskutiert worden. Die Lotuspflanze gilt in asiatischen Regionen schon seit Jahrhunderten als Symbol der Reinheit, da sowohl Wasser als auch sehr viskose Materialien wie Honig und Klebstoff von ihr abperlen. Auch Ruß und andere Feststoffe wie z. B. Sporen und Bakterien werden mit Wassertropfen vom Lotusblatt abtransportiert, selbst bei nur schwacher Neigung der Oberfläche. Mitte der neunziger Jahre untersuchten Barthlott et al. die Blattoberflächen der Lotuspflanze und anderer Wasser abweisender Pflanzen und stellten fest, dass eine Kombination aus Mikro- und Nanostrukturen zusammen mit den sich auf der Oberfläche befindlichen epikutikularen Wachskristallen zu beobachtetem Wasser abweisenden Verhalten und verminderter Partikeladhäsion führen (s. Abbildung 1.1). [4-7] Auch bei einigen Käferarten sind Mikrostrukturen bekannt, die nach dem vorgestellten Prinzip funktionieren: [8] So zeigt die Oberfläche des Kongo-Rosenkäfers Pachnoda marginata eine 10 µm periodische Struktur im Chitinpanzer, die aus regulären Erhebungen (Stippen) an den Zellgrenzen besteht.

2 Einleitung Zu dem 1992 geprägten Begriff "Lotus-Effekt" existieren mittlerweile eine Reihe technischer Anwendungen. [9] Ein erstes Produkt ist die Wandfarbe Lotusan der Firma Sto AG, durch deren Einsatz ähnlich raue und Wasser abweisende Oberflächen wie bei der Lotuspflanze erzeugt werden können. Die mit Lotusan gestrichenen Häuserwände sollen auch nach Jahren noch sauber erscheinen. Nachteile des Anstrichs liegen in den hohen Kosten und der Empfindlichkeit gegenüber mechanischer Belastung, da ein eventueller Abrieb an einer Hauswand dazu führt, dass sich sämtlicher Schmutz an einer einzigen, relativ kleinen Stelle sammelt und dadurch besonders auffällig wirkt. Die Creavis GmbH hat in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) an der Herstellung großflächiger Lotus-Kunststofffolien gearbeitet. [10] Das Produkt ist allerdings nicht auf dem Markt eingeführt worden, da neben dem bereits erwähnten Problem des Abriebs auch Schwierigkeiten auftreten, wenn Tenside oder andere waschaktive Substanzen zur Reinigung der Strukturen benutzt werden. Die Carl Zeiss AG hat dieses Jahr unter dem Namen LotuTec Kunststoff-Brillengläser vorgestellt, die eine lotusähnliche Oberfläche zeigen, indem Nanopartikel auf die Hartschicht aufgebracht werden und zusätzlich eine sog. "Clean-Coat"-Beschichtung für Wasser abweisendes Verhalten sorgt. Die BASF Future Business GmbH entwickelte mincor, eine in Textil-, Automobil- und Bauindustrie eingeführte Oberflächenbeschichtung, die neben einem extrem hydrophoben Polymer Nanopartikel enthält und während des Trocknens lotusähnliche Strukturen ausbildet. Abbildung 1.1: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer adaxialen Blattoberfläche eines Lotusblattes, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Projektgruppe Lotus-Effekt, Universität Bonn 1. Eine Anwendung, die auf der Hydrophilie der zu reinigenden Oberfläche basiert, beruht auf der Verwendung von TiO 2 als Oberflächenschicht. [11] Das photokatalytisch aktive Metalloxid führt bei Bestrahlen mit UV-Licht zu extrem niedrigen Kontaktwinkeln von deutlich unter 20. Durch Anregung wird bei Bestrahlen ein Elektron aus dem Valenzband in das Leitungsband überführt. Wenn nicht innerhalb weniger Sekunden eine Rekombination stattfindet, können nachfolgende Redoxreaktionen auftreten. Es wird angenommen, dass während des Prozesses im Leitungsband Ti 4+ in Ti 3+ überführt wird, das dann sowohl zu 1 www.botanik.uni-bonn.de/system/bionik_flash.html

Einleitung 3 hydratisiertem Ti(IV)OH reagiert als auch Oberflächenverunreinigungen reduziert. Selbstreinigende Fenster, die auf diesem Effekt beruhen, werden mittlerweile von mehreren Firmen angeboten (PPG, Pilkington, TOTO). In wieweit die Fenster einen kommerziellen Erfolg darstellen, bleibt noch abzuwarten, da ihre Alterung unter realen Bedingungen nicht bekannt ist. Auch die Kombination lokal hydrophiler und hydrophober Stellen auf Oberflächen kann nützlich sein, wie ein natürliches Beispiel demonstriert: [12] auf den zusammengewachsenen Flügeln (Elytra) des Namib- Wüstenkäfers Stenocara sp. rollen 5 mm große Tropfen, die sich durch Ansammlung von Tautröpfchen der Größe 1-40 µm bilden, die Elytra herunter bis zum Mund, so dass der Käfer sich auf diese Weise mit Wasser versorgen kann. Makroskopisch gesehen befinden sich auf der Elytra Erhebungen, die einen Abstand von 0,5-1,5 mm und einen Durchmesser von 0,5 mm aufweisen. Auf mikroskopischer Ebene sind die Spitzen dieser Erhebungen glatt, während die Vertiefungen und Seitenwände von einer Wachs-Mikrostruktur bedeckt sind. Diese besteht aus abgeflachten Halbkugeln mit 10 µm Durchmesser, die in einer regulären hexagonalen Packung angeordnet sind, so dass ein superhydrophobes System ähnlich wie auf dem Lotusblatt resultiert. Tauwasser wird zunächst auf den hydrophilen Stellen adsorbiert, so dass sich dort schnell wachsende Tropfen bilden, die schließlich eine Größe erreichen, bei der die gesamte hydrophile Fläche bedeckt ist. Danach nimmt das Verhältnis von Tropfenmasse zu Oberflächenkontaktfläche rapide zu, bis die Kapillarkraft, deren Stärke von der Größe der hydrophilen Fläche abhängt, überwunden wird. Dann löst sich der Tropfen und rollt die geneigte Oberfläche entlang bis zum Mund. Für technologische Anwendungen ist dieses Prinzip beispielsweise beim Bedrucken von (Mikro-)Arrays von Bedeutung, in denen kleine Flüssigkeitsvolumina eines bestimmten Biomoleküls präzise auf bestimmten Stellen einer Oberfläche abgesetzt werden sollen (s. Kap. Tropfenaufprall). Auch bestimmte andere Eigenschaften wie z. B. Reibung oder Haftung können durch eine definierte Oberflächenstruktur und chemie eingestellt werden. Zur Minimierung der Reibung hat beispielsweise die Firma Speedo den Schwimmanzug "Speedo Fast Skin" entwickelt, der die Oberfläche der Haifischhaut nachahmt und bei den olympischen Spielen im Jahr 2000 erstmals zum Einsatz kam. [13] Untersuchungen der Haifischhaut ergaben, dass sie aus Dentin-Schuppenplatten besteht, deren Größe zwischen 200 und 500 µm variiert (s. Abbildung 1.2). [14] Sie sitzen sehr dicht zusammen oder überlappen teilweise. Jede Schuppenplatte ist wiederum gerieft; die Länge der Riefen beträgt einige Zehntelmillimeter. Die Schuppenstrukturen sind auf unterschiedliche Körperbereiche des Hais optimiert. An der Schnauze und den Flossenvorderkanten sind relativ glatte Schuppen, welche die widerstandsarme Laminarströmung begünstigen, während die stark strukturierten Schuppen an den übrigen Stellen Turbulenzen unterdrücken. [14] Tests mit 700 m 2 Ribletfolie an einem Airbus 320 ergaben eine Widerstandsverminderung von 1,5 %. [15]

4 Einleitung 400 µm Abbildung 1.2: Schematische Darstellung einer Seidenhaihaut, die aus gerieften Dentinplatten besteht (nach [14] ). Eine neue Generation von Klebebändern könnte nach dem Prinzip, das den Füßen von Geckos, Spinnen und einigen Käfern zugrunde liegt, gestaltet werden. All diese Insekten können sich außergewöhnlich gut an Oberflächen unterschiedlicher Topographie und Benetzbarkeit festhalten, wie z. B. Blätter, Holz, Gestein und Glas. [16] Aus mikroskopischen Untersuchungen ist bekannt, dass diese Insekten an den Fußsohlen feine Härchen tragen, die eine Art Bürste bilden. So besteht ein Geckofuß aus etwa 5 10 5 Keratinhaaren, den sog. Setae. Jede 30 130 µm lange Seta ist etwa 5 µm dick und enthält Hunderte feiner Enden, die einen Durchmesser von 0,2 0,5 µm haben und Spatulae genannt werden. [17] Durch van-der-waals- und Kapillarkräfte können die 5000 Setae/mm 2 eines Geckos auf einer Kontaktfläche von 1 cm 2 eine Adhäsionskraft von 10 N produzieren. Kürzlich wurde erstmals ein Prototyp eines "Geckoklebebandes" vorgestellt, das durch Erzeugen eines dichten Mikroarrays flexibler Polyimidsäulen hergestellt wurde und eine auf Kollektivadhäsion optimierte Struktur innehatte. [18] Die Säulen waren 2 µm hoch, 0,5 µm dick und hatten eine Periodizität von 1,6 µm. Diese flexible Struktur wurde auf ein kommerzielles Klebeband überführt, um das System flexibler zu machen und dadurch die Anzahl der wechselwirkenden Säulen etwa um den Faktor 1000 zu erhöhen. Die mittlere Kraft pro Haar wurde zu 70 nn bestimmt; ein 1 cm 2 großes Stück der beschriebenen Struktur war in der Lage, eine Gesamtkraft von 3 N zu halten. Um diesen Ansatz kommerziell nutzbar zu machen, sind allerdings sowohl Materialien gefragt, die mehr Anknüpfungs-Entfernungs-Zyklen überstehen als auch Prozesse, welche die Herstellung großer Flächen der gewünschten Struktur kostengünstig ermöglichen.

Einleitung 5 0,5 cm Abbildung 1.3: Foto eines Madagaskar-Taggecko-Fußes (Phelsuma madagascariensis) von unten, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Ingo Arndt 2. Allen oben genannten theoretischen Konzepten und technischen Verfahren ist gemeinsam, dass eine Kontrolle der Grenzflächenenergien durch eine gezielte Oberflächenmodifizierung erreicht wird, oftmals in Kombination mit einer definierten Struktur. Auch die vorliegende Arbeit befasst sich mit Oberflächenmodifizierungen, die zu einer gezielten Änderung der Grenzflächenenergie führen und damit ein bestimmtes Benetzungsverhalten zur Folge haben, der Fokus liegt dabei auf Polymeroberflächen. Polymergrenzflächen stellen interessante Systeme dar, da viele Polymerisationsmethoden bzw. Methoden zur Filmpräparation existieren und die Eigenschaften der entstehenden Grenzflächen über weite Bereiche eingestellt werden können. In dieser Arbeit wird anhand dreier Beispiele untersucht, wie eine bestimmte Benetzbarkeit durch gezielte Oberflächenmodifizierung bzw. strukturierung eingestellt werden kann. Das erste Beispiel betrifft das Verhalten hochmolekularer dünner Filme an Grenzflächen. Diese Fragestellung ist besonders bedeutend für Situationen, in denen eine Oberfläche mit einer dünnen/monomolekularen Polymerschicht bedeckt wird und in Kontakt mit weiteren Polymermolekülen in Form einer Polymerschmelze kommt. Darüber hinaus ist die Stabilität dünner flüssiger Filme allgegenwärtig und teilweise von erheblicher technologischer Bedeutung: So schützt der Tränenfilm auf der Hornhaut vor Austrocknung, ein Ölfilm in der Pfanne verhindert das Anbrennen, der Schmierfilm zwischen Kolben und Zylinder ermöglicht ein Gleiten des Kolbens im Verbrennungsmotor und Lackschichten dienen als Rostschutz bzw. zum Anfärben bestimmter Oberflächen. [19] Prinzipiell hat sich gezeigt, dass ein dünner oberflächengebundener Polymerfilm mit Schichtdicken von bis zu wenigen hundert Nanometern als Haftvermittler für eine Polymerschmelze fungieren kann. Unter bestimmten Bedingungen jedoch, wenn die Polymere zu dicht an die Oberfläche gepfropft sind (Polymerbürsten), kann der gegensätzliche Effekt auftreten und die Schmelze entnetzt von der oberflächengebundenen Schicht, selbst wenn oberflächengebundene Polymermo- 2 www.arndt-photo.de

6 Einleitung leküle und solche in der Schmelze chemisch identisch sind. [20] Dieses als Autophobizität 3 bezeichnete Verhalten wird für ein System untersucht, bei dem die oberflächengebundene Schicht und die Polymerschmelze aus Polystyrol bestehen (s. Abbildung 1.4). Die oberflächengebundene Schicht wird durch Bildung einer monomolekularen Schicht eines Silans erzeugt, das eine photoaktive Gruppe aufweist; eine nachfolgend aufgeschleuderte Polymerschicht wird dann durch Bestrahlen kovalent an der Oberfläche gebunden. Sodann wird eine Polymerschmelze durch Aufschleudern aufgebracht. Nach Tempern des Systems wird untersucht, welche Kombination oberflächengebundener und aufgeschleuderter Molekulargewichte zu einem Entnetzen des Films geführt haben. Außerdem wird diskutiert, ob durch Kontaktwinkelmessungen auf entnetzten Filmen ein quantitativer Zusammenhang zur freien Enthalpie G des Systems gefunden werden kann. Abbildung 1.4: Schematische Darstellung möglicher Ergebnisse nach Tempern einer Polymerschmelze auf einer oberflächengebundenen Schicht des identischen Polymers: (a) Benetzung, (b) Entnetzung. Das zweite Beispiel befasst sich mit dem dynamischen Benetzungsverhalten chemisch mikrostrukturierter hochmolekularer Filme. Dies ist besonders für industrielle Prozesse wie Sprühbeschichten und Tintenstrahldrucken von Interesse, da Tropfen bei diesen Verfahren mit einer signifikanten Geschwindigkeit auf die Oberfläche treffen. Da Benetzungseigenschaften von Oberflächen üblicherweise nur durch statische Kontaktwinkelmessungen untersucht werden, wird in diesem Kapitel erörtert werden, welche Parameter zur vollständigen Beschreibung eines dynamischen Aufprallprozesses nötig sind. Weiterhin wird der Tropfenaufprall auf Oberflächen definierter Hydrophilie/Hydrophobie qualitativ und quantitativ untersucht und im Folgenden mit dem Aufprall auf strukturierte Oberflächen verglichen. Diese bestehen aus einem hydrophilen kreisförmigen Bereich hoher Benetzbarkeit ( = 20 ) mit Durchmessern im mm-bereich und sind umgeben von Polymeren niedrigerer Benetzbarkeit. Für drei unterschiedliche Beschichtungen wird untersucht, unter welchen Bedingungen sich der aufprallende Wassertropfen, der an der Grenze zwischen hydrophilem und hydrophobem Bereich eine resultierende Kraft zum hydrophilen Bereich erfährt, noch auf dem hydrophilen Bereich zentriert. Dieser sog. "Selbstzentrierungseffekt" wird sowohl auf ebenen als auch auf geneigten Oberflächen und für unterschiedliche Aufprallgeschwindigkeiten, Tropfengrößen und Aufprallpositionen untersucht (s. Abbildung 1.5). Auch die Entwicklung des dynamischen Kontaktwinkels wird eingehend geprüft. 3 Altgr. " ": selbst, " ": Angst, Furcht

Einleitung 7 Abbildung 1.5: Schematische Darstellung unterschiedlicher Tropfenaufprall-Experimente; der Aufprallpunkt ist jeweils mit einem Kreuz markiert: Aufprall auf ein (a) strukturloses Substrat, (b) zentraler Aufprall auf ein strukturiertes Substrat, (c) verschobener Aufprall auf ein strukturiertes ebenes Substrat, (d) zentraler Aufprall auf ein geneigtes strukturiertes Substrat, (e) Aufprall auf ein geneigtes Substrat unterhalb der strukturierten Fläche, (f) Aufprall auf ein geneigtes Substrat oberhalb der strukturierten Fläche. Während sich die ersten beiden Beispiele mit dem Benetzungsverhalten dünner Schichten, d. h. zweidimensionalen Systemen, auseinandersetzen, umfasst das dritte Beispiel Benetzungsaspekte dreidimensionaler strukturierter Polymernetzwerke, indem ein dreidimensionales Modellsystem Wasser abweisender behaarter Pflanzenoberflächen untersucht wird. Prinzipiell sind zwei Arten von Blattoberflächen bekannt: Wie oben angeführt, zeigt die Lotuspflanze als Vertreter der ersten Kategorie eine makroskopisch glatte Oberfläche; das Wasser abstoßende Verhalten resultiert aus mikroskopischer Rauhigkeit in Verbindung mit hydrophoben epikutikularen Wachsen. Als Vertreter der zweiten Kategorie von Blattoberflächen gilt der Frauenmantel, Alchemilla vulgaris L. (s. Abbildung 1.6). 1cm Abbildung 1.6: Wassertropfen auf einem Frauenmantelblatt. Untersuchungen haben ergeben, dass Wassertropfen einer bestimmten Größe nicht auf der Kutikula des Blattes sitzen sondern auf der hydrophilen Blattbehaarung; auf den Haaren werden Kontaktwinkel von etwa 60 beobachtet. Ein Modell zur Erklärung des von den gängigen Benetzungstheorien abweichenden Verhaltens (s. Kap. 2.7) wird vorgestellt und die Parameter für das Wasser abweisende Verhalten diskutiert:

8 Einleitung die Elastizität der Haare, deren Aspektverhältnis sowie der mittlere Haar- zu Haar-Abstand. Ein geeignetes Modellsystem soll dabei den Einfluss der genannten Parameter klären sowie die Minimalkriterien für ein Wasser abweisendes Verhalten hydrophiler Haare aufzeigen. Zur Präparation des Modellsystems wird einerseits von natürlichen Blattoberflächen ausgegangen, andererseits von Metallmasken, die durch Funkenerosion erzeugt werden. Durch Abformen der Schablonen mit einem Elastomer wird zunächst ein Negativ erzeugt, in dem dann durch radikalische Polymerisation ein hydrophiles, quellfähiges Polymer entsteht. Die einzelnen Prozessschritte werden geprüft und die entstehenden Strukturen auf ihre Benetzbarkeit untersucht.

Grenzflächenspannung und Benetzung 9 2 Grenzflächenspannung und Benetzung Im vorliegenden Kapitel werden einige wichtige Aspekte in Bezug auf Grenzflächenspannung 4 und Benetzung diskutiert. Nach einer Plausibilitätsbetrachtung der an einer Oberfläche herrschenden Kräfte und einer thermodynamischen Definition der Oberflächenspannung wird auf das Gleichgewicht an gekrümmten Grenzflächen eingegangen; einige Methoden zur Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten werden vorgestellt. Die zur Bestimmung der freien Grenzflächenenergie von Festkörpern benötigten Kontaktwinkelmessungen und die damit verknüpfte YOUNG-Gleichung werden diskutiert, bevor Erweiterungen auf reale, d. h. chemisch heterogene und/oder raue Oberflächen vorgenommen werden. 2.1 Plausibilitätsbetrachtung: zwischenmolekulare Kräfte Flüssigkeiten und Gase stehen in Abwesenheit äußerer Kräfte als isotrope fluide Medien unter einem gleichförmigen Druck. [21] Dieser beruht einerseits auf der Bewegung der Moleküle (kinetischer Druck), andererseits auf der Kohäsion infolge der attraktiven zwischenmolekularen Wechselwirkungen (Kohäsionsdruck). Diese beiden Beiträge, der kinetische Druck (p kin ) und der Kohäsionsdruck (p koh ), hängen von der Teilchenanzahldichte N/V bzw. der molaren Stoffmengendichte c = n/v im Medium ab. Für den kinetischen Druck in Gasen und Flüssigkeiten gilt das ideale Gasgesetz p kin = crt, wobei R die Gaskonstante und T die Temperatur darstellen. Entsprechend ist der kinetische Druck p kin in Flüssigkeiten deutlich größer als in Gasen; jedoch wird dieser in der Flüssigkeit weitgehend durch den Kohäsionsdruck kompensiert, so dass im Gleichgewicht einer Flüssigkeit mit ihrem Dampf der resultierende Druck im Innern der beiden Phasen gleich groß ist. Zur Veranschaulichung sei die Wechselwirkung zwischen einzelnen Molekülen in der Oberflächenschicht betrachtet (Abbildung 2.1). Während sich die zwischenmolekularen Kräfte im Inneren der Flüssigkeit vektoriell kompensieren, ist dies in der Oberflächenschicht nicht der Fall, da die Oberflächenmoleküle nach außen hin nicht von Nachbarn umgeben sind. Sie erfahren einen Zug ins Innere der Flüssigkeit, d. h. die 4 Üblicherweise wird von Oberflächenspannung gesprochen, wenn Flüssigkeiten und deren Volumengrenze zu Luft (Inertgas, mit dem Dampf der Flüssigkeit gesättigte Luft) gemeint sind, d. h. die Kohäsionskräfte für das Verhalten der Flüssigkeit entscheidend sind. Demgegenüber bezeichnet Grenzflächenspannung die entsprechende Kraft zwischen kondensierten Phasen, für welche die Adhäsion zwischen den Phasen ausschlaggebend ist.

10 Grenzflächenspannung und Benetzung Verkleinerung der Oberfläche ist mit einem Energiegewinn verbunden, wenn die Moleküle von der Oberfläche in die Volumenphase eintreten. Oberflächenschicht Volumenphase Abbildung 2.1: Vektorielle Darstellung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und Festkörpern. Die Oberflächenschicht zeichnet sich durch einen besonderen energetischen Zustand aus(nach [22] ). 2.2 Thermodynamische Betrachtung Bildet eine kondensierte Phase eine Grenzfläche aus, so sind deren physikalische Eigenschaften in die Beschreibung des energetischen Verhaltens mit einzubeziehen. [22] Eine Änderung der freien Enthalpie G ist abhängig von der Temperatur T, dem äußeren Druck P und der Ober- bzw. Grenzfläche A: G f ( T, P, A) (Gleichung 2.1) Für das totale Differential der freien Enthalpie gilt dann: G dg T P, A G dt P T, A G dp A P, T da. (Gleichung 2.2) Unter isothermen und isobaren Bedingungen reduziert sich Gleichung 2.2 zu: G dg A P, T da. (Gleichung 2.3) Unter diesen Bedingungen wird die partielle Ableitung als Grenzflächenkoeffizient der freien Enthalpie bzw. als differentielle Änderung der freien Enthalpie der kondensierten Phase nach der Ober- bzw. Grenzfläche definiert: G 0 bzw. dg0 da, (Gleichung 2.4) A P, T wobei die Ober- bzw. Grenzflächenspannung darstellt und dg 0 die differentielle Änderung der freien Oberflächen- oder Grenzflächenenthalpie ist. Demnach ist die Grenzflächenspannung die reversible

Grenzflächenspannung und Benetzung 11 Arbeit, die unter isothermen und isobaren Bedingungen aufzuwenden ist, um die Grenzfläche um eine Einheit (1 m 2 bzw. 1 cm 2 ) zu vergrößern. In SI-Einheiten entspricht dies: J N kg. (Gleichung 2.5) m m s 2 2 Die Oberflächenspannung vieler Flüssigkeiten liegt im Bereich zwischen 10 und 100 mn/m. Außerdem ist die Oberflächenspannung temperaturabhängig; gegen Luft nimmt sie mit steigender Temperatur ab. Am Gefrierpunkt ist sie am Größten. Aus Gleichung 2.4 wird deutlich, warum Flüssigkeitstropfen Kugelgestalt annehmen. 2.3 Gleichgewicht an gekrümmten Oberflächen Liegt eine fluide Phase in Form eines Tropfens vor, so existiert zwischen Tropfeninnerem und der Gasphase eine Druckdifferenz, die mithilfe der Young-Laplace-Gleichung quantifiziert werden kann. [23] Zur Herleitung sei ein kleiner Bereich einer Flüssigkeitsoberfläche betrachtet (s. Abbildung 2.2). X d D A B C R2 dl R1 Abbildung 2.2: Schema zur Ableitung der Young-Laplace-Gleichung (nach [23] ). Alle Punkte auf dem Kreis haben denselben Abstand d zum Punkt X. Betrachtet werden die beiden Querschnitte AXB und CXD. An einem kleinen Bereich der Kreislinie bei B wirkt die Grenzflächenspannung mit der Kraft dl. Die Kraft in vertikaler Richtung an dieser Stelle ist dlsin. Für kleine Oberflächen und kleine Winkel gilt näherungsweise d/r 1, wobei R 1 den Kurvenradius zwischen AXB bezeichnet. Für die Kraftkomponente in vertikaler Richtung ergibt sich somit: d F vertikal dl. (Gleichung 2.6) R 1 Die Summe der vier vertikalen Komponenten an den Punkten A, B, C und D beträgt folglich: 2d 2d 1 1 dl dl 2d. (Gleichung 2.7) R1 R2 R1 R2

12 Grenzflächenspannung und Benetzung Dieser Ausdruck ist unabhängig von der Orientierung von AB und CD. Integration über die Grenzfläche liefert die gesamte Vertikalkraft, die durch die Grenzflächenspannung hervorgerufen wird: 2 1 1 d. (Gleichung 2.8) R1 R2 Im Gleichgewicht muss diese nach unten gerichtete Kraft durch eine in die Gegenrichtung wirkende Kraft kompensiert werden. Diese nach oben wirkende Kraft wird durch einen erhöhten Druck P an der konkaven Flüssigkeitsseite kompensiert (F= d 2 P). Durch Gleichsetzen beider Kräfte ergibt sich: 2 2 1 1 1 1 P d d P. (Gleichung 2.9) R1 R2 R1 R2 Da die Betrachtung für einen beliebigen kleinen Teil der Flüssigkeitsoberfläche gilt, muss die Young-Laplace-Gleichung überall gültig sein. Die stoffspezifische Größe 2 g (Gleichung 2.10) wird Kapillarlänge genannt. Die Form der Flüssigkeitsoberfläche wird allein durch diese Größe bestimmt. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass Gravitationseffekte vernachlässigt werden können, wenn die Kapillarlänge groß ist im Vergleich zur Tropfengröße des jeweiligen Mediums. Für Wasser beträgt sie = 3,8 mm bei 25 C. [23] Gleichung 2.9 lässt sich verallgemeinern für beliebig gekrümmte Grenzflächen. Danach ist die Krümmung einer Grenzfläche an jedem Punkt durch Angabe der Krümmungsradien r 1 und r 2 in zwei zueinander orthogonalen Richtungen gegeben. Dann gilt für den Kapillardruck die Young-Laplace-Gleichung: p p p C 1 C ). (Gleichung 2.11) ( 2 Wenn also keine äußeren Kräfte herrschen, nimmt die Grenzfläche zwischen zwei Phasen eine solche Gestalt an, dass der Kapillardruck p -p an jedem Punkt der Grenzfläche gleich groß ist, d. h. dass auch der Krümmungsradius an jeder Stelle der Grenzfläche gleich groß sein muss. Für einen frei fallenden Tropfen ergibt dies beispielsweise Kugelgestalt. Aus der Young-Laplace-Gleichung können mehrere Schlussfolgerungen gezogen werden. Ist die Kontur der Flüssigkeitsoberfläche bekannt, kann die Druckdifferenz berechnet werden. Ist die Druckdifferenz zwischen Tropfen um Umgebung bekannt und zusätzlich das Flüssigkeitsvolumen und die Kontaktfläche, kann mit der Young-Laplace-Gleichung die Gleichgewichtsform der Flüssigkeitsoberfläche berechnet werden.

Grenzflächenspannung und Benetzung 13 2.4 Methoden zur Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten Die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten ist durch direkte Messungen festzustellen. [21-23] Die Messverfahren lassen sich in statische und dynamische Verfahren einteilen. Charakteristisch für die dynamischen Verfahren ist eine Änderung der Grenzfläche, während sie bei den statischen Methoden unverändert bleibt. Es existieren unter anderem die Drahtbügelmethode nach Lenard (statisch) und die Ringmethode nach de Noüy (statisch), die Vertikalplattenmethode nach Wilhelmy (statisch), die Kapillaranstiegmethode (statisch), die Tropfengewichtsmethode (dynamisch), die Stalagmometermethode (dynamisch), die Blasendruckmethode (dynamisch), die Tropfengewichtsmethode (statisch), die Methode des rotierenden Tropfens (statisch) und die Methode des liegenden Tropfens (statisch). Einige dieser Methoden werden im Folgenden kurz dargestellt. Die Ringmethode nach de Noüy funktioniert analog wie die Bügelmethode nach Lenard: ein Drahtring oder ein Bügel wird unter die Flüssigkeitsoberfläche getaucht. Wird der Ring aus der Flüssigkeit gezogen, so misst man die Kraft, die nötig ist, um den Ring von der Oberfläche der gemessenen Flüssigkeit zu entfernen (s. Abbildung 2.3): F 2 ( r i r ). (Gleichung 2.12) a Dieses Verfahren, welches auch bei schwierigen Benetzungsverhältnissen unkritisch ist, kann ebenfalls zur Bestimmung der Grenzflächenspannung zwischen zwei nichtmischbaren Flüssigkeiten verwendet werden. (a) (b) (c) r a 2l l r i nicht benetzend benetzend Abbildung 2.3: Schematische Darstellung dreier Methoden zur Oberflächenspannungsmessung: (a) Ringmethode nach de Noüy,(b) Vertikalplattenmethode nach Wilhelmy,(c) Tropfengewichtsmethode. Die Vertikalplattenmethode nach Wilhelmy ist eine Universalmethode, die speziell geeignet ist zur Messung der Oberflächenspannung über einen längeren Zeitbereich. In modifizierter Form dient sie zum Studium des Kontaktwinkels. Es wird die Kraft gemessen, die aufzuwenden ist, damit eine Platte, die von der zu untersuchenden Flüssigkeit vollständig benetzbar sein muss, nicht in der Flüssigkeit einsinkt. Die Kraft beträgt dann nach Abziehen der Gravitationskraft 2 l, wobei l die Länge der Platte angibt (s. Abbildung 2.3). Die Tropfengewichtsmethode beruht auf der geometrischen Ausmessung eines am Kapillaraustritt hängenden Flüssigkeitstropfens und eignet sich besonders für extrem niedrige Oberflächenspannungen, extreme Drücke und Temperaturen. Zur Bestimmung der Oberflächenspannung sind die Dichte der Flüssig-

14 Grenzflächenspannung und Benetzung keit sowie der Durchmesser des Tropfens im Gleichgewicht am Kapillaraustritt erforderlich. Der Tropfen fällt von der Kapillare ab, wenn die Gravitationskraft m g des Tropfens der Masse m nicht mehr länger von der Oberflächenspannung ausgeglichen werden kann. Die an der Oberfläche wirkende Kraft ist gleich der Oberflächenspannung multipliziert mit dem Umfang der Kapillare des Radius r K : mg 2 r K. (Gleichung 2.13) Je nachdem ob die Flüssigkeit die Kapillare benetzt oder nicht, muss der äußere bzw. der innere Radius der Kapillare berücksichtigt werden (s. Abbildung 2.3). 2.5 Kontaktwinkelmessungen an Festkörpern/Young-Gleichung Während die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten der direkten Messung zugänglich ist, können für Festkörper nur indirekte Messverfahren zur Bestimmung der Oberflächenspannung verwendet werden. Die Mehrzahl der zur Verfügung stehenden Messverfahren ist dynamisch, wie die Pulver-Kontaktwinkel- Methode, die Einzelfaser-Wilhelmy-Methode und die dynamische Wilhelmy-Methode. Für statische Messungen eignet sich die Methode des sitzenden Tropfens. Die Pulver-Kontaktwinkel-Methode erlaubt die Messung von Kontaktwinkeln und Adsorptionsverhalten an Pulvern und anderen porösen Stoffen, indem die Gewichtszunahme als Funktion der Zeit gemessen wird. Mit der dynamischen Wilhelmy-Methode können Fortschreit- und Rückzugswinkel an Festkörperproben mit definierter Geometrie bestimmt werden. Analog funktioniert die Einzelfaser- Wilhelmy-Methode zur Bestimmung des Fortschreit- und Rückzugswinkels an Einzelfasern. Die klassische Kontaktwinkelmessung, die zur Bestimmung des punktuellen Benetzungsverhaltens an Festkörperoberflächen sehr häufig angewendet wird, ist die Methode des liegenden Tropfens. Bereits im Jahr 1805 zeigte Young, dass die Kontur eines Flüssigkeitstropfens auf einem idealen Festkörper unter Vernachlässigung seiner rheologischen Eigenschaften nur durch die Schwerkraft und die Grenzflächenspannung bestimmt wird. [24] Wenn der Tropfen in Wechselwirkung mit einem Festkörper steht, so bestimmt dessen Oberflächenenergie den Kontaktwinkel des Tropfens: sv sl cos, (Gleichung 2.14) lv wobei ij die Grenzflächenspannung der Grenzfläche ij bezeichnet, und die Buchstaben s, l und v die Phasen des Festkörpers, der Flüssigkeit und der Gasphase bezeichnen. Zur Herleitung dieser Beziehung betrachtet man beispielsweise eine makroskopische Ecke eines Flüssigkeitstropfens auf einem Festkörper, an der die drei Phasen Festkörper, Flüssigkeit und Dampfphase im Gleichgewicht stehen (Abbildung 2.4) und durch ihre Grenzflächenspannungen charakterisiert sind. [25]

Grenzflächenspannung und Benetzung 15 Dampf dxcos A Kern A` C C` B Flüssigkeit B` Festkörper L Abbildung 2.4: Translation einer ''Flüssigkeitsecke'' um den Betrag dx. Die Punkte A, B und C werden in die Punkte A', B' und C' überführt. Die Dreiphasenlinie L steht senkrecht zur Papierebene. Die Energie bleibt während des Prozesses unverändert; daraus ergibt sich die YOUNG-Gleichung. Befindet sich das System im Gleichgewicht, so sollte eine Änderung dx der Linienposition keine Energieänderung hervorrufen. So verändert sich nur die Größe der beteiligten Grenzflächen: um +dx für die s/v-phasengrenze, um -dx für die s/l-phasengrenze und um cos dx für die l/v-phasengrenze. Dann gilt als Gleichgewichtsbedingung: sv sl lv cos 0. (Gleichung 2.15) Der Tropfen muss allerdings eine optimale Größe besitzen. [26] Ist er größer als die Kapillarlänge (Gleichung 2.10), wirken Gravitationskräfte. Bei kleinen Tropfen muss evtl. die Linienspannung L beachtet werden, da der Kontaktwinkel bei zunehmendem Verhältnis von Länge zu Oberfläche des Tropfens größer wird. Dieser Effekt ist vernachlässigbar für Tropfen, die größer als 1 µm sind. 2.6 Bestimmung der freien Grenzflächenenergie von Festkörpern Um aus Kontaktwinkelmessungen an Festkörpern (s. Kap. 2.5) Grenzflächenenergien zu bestimmen, existieren eine Anzahl unterschiedlicher Methoden, u. a. das Verfahren nach Zisman, das Verfahren nach Owens, Wendt, Rabel und Kaelble, die Auswertung nach Fowkes, die Auswertung nach Wu und die Auswertung nach Schultz. [27] Sie unterscheiden sich in der Berücksichtigung unterschiedlicher Wechselwirkungen zwischen Oberfläche und Testflüssigkeit. In der Praxis werden am Häufigsten die Verfahren von Zisman und von Owens, Wendt, Rabel und Kaelble verwendet. Das älteste Verfahren ist die Auftragung nach Zisman, bei der die fortschreitenden Kontaktwinkel für beliebig viele, aber mindestens zwei Flüssigkeiten mit bekannter Oberflächenspannung auf dem zu untersuchenden Festkörper gemessen werden. [28] Abbildung 2.5 zeigt das Verfahren für Polyethylen niederer

16 Grenzflächenspannung und Benetzung Dichte (LDPE). Der Kosinus der gemessen Winkel wird gegen die Oberflächenspannung der jeweiligen Flüssigkeit aufgetragen. Dort, wo die Ausgleichsgerade ihren Schnittpunkt mit cos = 1 hat, erhält man die kritische Grenzflächenspannung krit, unterhalb derer jede Flüssigkeit mit einer niedrigeren Oberflächenspannung auf dem Festkörper spreitet. Für den hier beschriebenen beträgt sie krit = 18 mn/m. Dieser Wert stellt allerdings nur dann die freie Oberflächenenergie des Festkörpers dar, wenn rein unpolare Wechselwirkungen vorliegen. Dies ist z. B. für Polymere wie Polyethylen oder Polyethylenterephthalat erfüllt. Schon bei leicht polaren Oberflächen von Polyestern, Polyacrylaten, Polycarbonaten usw. liefert die Methode nur unzureichende Ergebnisse, da polare Wechselwirkungen vernachlässigt werden. Außerdem kann die Messung verfälscht werden, wenn die Polymere im Lösungsmittel quellen oder wenn grenzflächenaktive Substanzen in der Messlösung vorhanden sind (s. a. Kap. 2.7.1). cos 1,0 0,9 0,8 0,7 Pentan ( lv = 16 mn/m) spreitet Hexan = 12 Heptan = 21 Oktan =26 Nonan = 32 Dekan = 35 Undekan = 39 Dodekan = 42 Tetradekan =44 Hexadekan =46 0,6 0 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 lv [mn/m] Abbildung 2.5: Zisman-Plot für LDPE (nach [29] ). Nach dem Verfahren von Owens, Wendt, Rabel und Kaelble, das häufig für Polymeroberflächen verwendet wird, können polare und unpolare Wechselwirkungen getrennt voneinander bestimmt werden. [30] Dazu misst man den fortschreitenden Kontaktwinkel einer Flüssigkeit mit bekannten polaren und dispersen p d Anteilen, L und L, auf der Festkörperoberfläche. Die Grenzflächenenergie wird definiert als das geometrische Mittel der Grenzflächenspannung der Flüssigkeit und des Festkörpers: L d L p L und S d S p S. (Gleichung 2.16, Gleichung 2.17) Für SL wird folgende Berechnung zugrunde gelegt: SL S L d S d L p S p L 2 (Gleichung 2.18) Bei Einsetzen dieses Ausdrucks in die YOUNG-Gleichung und Umstellen nach den unbekannten Größen erhält man eine Geradengleichung y = ax + b mit:

Grenzflächenspannung und Benetzung 17 y p 1 cos L L, x 2 d d L L, p a S und d b S. (Gleichung 2.19) Durch die Auftragung von y gegen x kann aus der Steigung einer Ausgleichsgeraden der Wert p d L bestimmt werden. Aus dem Achsenabschnitt lässt sich L berechnen. Prinzipiell bleibt festzustellen, dass sich je nach verwendetem Verfahren unterschiedliche Werte ergeben und eine Bestimmung von Absolutwerten kritisch ist. [31] Auch ist es nicht möglich, die freie Grenzflächenenergie einer unbekannten Oberfläche aus Messungen an Materialien bekannter Oberflächenenergien vorherzusagen. Weiterhin spielt die Rauhigkeit der zu vermessenden Oberflächen eine bedeutende Rolle (s. Kap. 2.7). Falls möglich, bietet sich die Auswahl des Verfahrens an, das für die zu charakterisierenden Oberflächen sinnvoll erscheint, so dass mehrere Messungen untereinander vergleichbar werden. Oft wird lediglich die Methode des liegenden Tropfens angewandt, um die Benetzungseigenschaften einer Oberfläche zu charakterisieren, und die Kontaktwinkelhysterese (s. Kap. 2.7.1) bestimmt, um den Einfluss der Oberflächenrauhigkeit grob festzustellen. 2.7 Nichtideale Oberflächen In der Realität zeigt sich, dass Benetzung ein deutlich komplexeres Phänomen ist als in Kap. 2.5 dargestellt. Für reale Oberflächen können oft mehrere Kontaktwinkel bestimmt werden, sowohl an einer Stelle als auch an verschiedenen Stellen der Probe. 2.7.1 Kontaktwinkelhysterese Wird der Kontaktwinkel bei Zunahme des Tropfenvolumens gemessen, bevor die Kontaktlinie anfängt sich zu bewegen, erhält man den sog. fortschreitenden Kontaktwinkel. Wird das Tropfenvolumen anschließend wieder verringert und der Kontaktwinkel erneut gemessen, kurz bevor sich die Kontaktlinie zurückzieht, bestimmt man den rückschreitenden Kontaktwinkel. Die Differenz aus fortschreitendem und rückschreitendem Kontaktwinkel ist die sog. Kontaktwinkelhysterese. Sie beträgt üblicherweise zwischen 5 und 20, aber kann auch deutlich höher sein. [23] f r Abbildung 2.6: Schematische Darstellung des fortschreitenden ( f ) und rückschreitenden ( r ) Kontaktwinkels eines Tropfens. f - r gibt die Kontaktwinkelhysterese an.

18 Grenzflächenspannung und Benetzung Es existieren mehrere Gründe für das Auftreten einer Hysterese. [32-34] Einen bedeutenden Einfluss hat die (physikalische) Oberflächenrauhigkeit, die man sich als eine Ansammlung von Erhebungen vorstellen kann. Jedes Mal, wenn der Tropfen auf eine Erhebung trifft, wird er auf eine Position springen, in welcher derselbe Kontaktwinkel wie vorher erreicht wird. Dann wird der Tropfen an der weiteren Ausbreitung gehindert bis er so groß ist, dass er die Erhebung überwinden kann und sich weiter ausbreitet. Bei Verkleinerung des Tropfens taucht derselbe Effekt auf und eine Hysterese resultiert. Ein weiterer Hysteresegrund ist die chemische Heterogenität der Oberfläche. Breitet sich der Tropfen auf einer solchen Oberfläche aus, wird die Dreiphasenkontaktlinie durch relativ lyophobe (flüssigkeitsabweisende) Regionen festgehalten ("pinning"), bei kleiner werdendem Tropfen wird die Kontaktlinie von lyophilen Bereichen festgehalten. Eine weitere Hystereseursache sind mögliche Verunreinigungen der Messlösung, die sich bevorzugt an der Dreiphasenkontaktlinie anreichern, so dass ein Ausbreiten oder Zurückziehen der Flüssigkeit durch diese Substanzen behindert bzw. erleichtert wird. Auf weichen Oberflächen, z. B. Polymeroberflächen, können an der Dreiphasenkontaktlinie Kräfte auftreten, die so groß sind, dass die darunterliegende Schicht mechanisch deformiert wird, was ebenfalls zu einer Hysterese führen kann. [35, 36] Außerdem ist die Adsorption und Desorption von Molekülen beim Ausbreiten und Zurückziehen der Flüssigkeit mit Energiedissipation verbunden, was eine weitere Hysteresequelle darstellt. Oftmals treten mehrere Effekte in Kombination auf. Eine Heterogenität der Oberflächenrauhigkeit kann z. B. an bestimmten Stellen der Dreiphasenkontaktlinie zu einem pinning führen, so dass die Kontaktlinie mikroskopisch wie eine Zickzacklinie aussieht. Besonders wichtig ist die Größenordnung und Topographie der Rauhigkeit, da sie die Benetzungseigenschaften am Stärksten beeinflusst (s. Kap. 2.7.2). 2.7.2 Benetzung rauer hydrophober Oberflächen Für die Herstellung besonders Wasser abweisender Oberflächen sind zwei Faktoren dominierend: die Oberflächenenergie und die Oberflächenrauhigkeit. Zur Erzeugung niedriger Oberflächenenergien wurden bislang diverse Verfahren angewendet. Durch Beschichten, Mischen oder Polymerisation niedrigenergetischer Materialien wie z. B. Fluoroalkylsilanen (Perfluorooktyltrichlorsilan [37], Heptadecafluorodecyltrimethoxysilan [38-40], Perfluorodecyltrichlorsilan [41] ), Fluoropolymeren (PTFE [42, 43], Polyvinylidenfluoriden [43], Polyperfluoroalkylacrylaten [44] ), organischer Polymere, Wachse (Paraffin [45], Alkylketendimere [46, 47] ) und fluorierter Komponenten (fluorierte Monoalkylphosphate [37, 48], C 4 F 8 -Gas [49] ) wurden sehr hydrophobe Oberflächen erzeugt. Neben einer geeigneten Polarität ist ein weiterer wichtiger Aspekt eine geeignete Oberflächenrauhigkeit zur Erzeugung einer stark Wasser abweisenden Oberfläche. Dabei kann die Rauhigkeit sowohl geometrischer als auch chemischer Natur sein. In der Vergangenheit sind hauptsächlich zwei empirische Gesetze zur Beschreibung des Kontaktwinkels eines Tropfens auf einer heterogenen Oberfläche verwendet worden. Wenzel führte einen mittleren Kontaktwinkel auf einer rauen, chemisch homogenen Oberfläche ein. [50] Dazu definierte er den Kontaktwinkel auf rauen Oberflächen * als Funktion des YOUNG-Kontaktwinkels :

Grenzflächenspannung und Benetzung 19 SV SL. cos r ' cos r ' (Gleichung 2.20) Dabei bezeichnet r' den Rauhigkeitskoeffizienten, der das Verhältnis der wirklichen Oberfläche zur geometrisch projizierten Oberfläche angibt. Da r' immer größer als eins ist, wird durch die Oberflächenrauhigkeit sowohl die Hydrophilie hydrophiler Oberflächen verstärkt als auch die Hydrophobie hydrophober Oberflächen. LV (a) (b) Abbildung 2.7: Schematische Darstellung der zwei möglichen Benetzungsfälle auf rauen Oberflächen: (a) Wenzel-Regime (homogene Benetzung); (b) Cassie-Baxter-Regime (heterogene Benetzung). Gleichermaßen wurden glatte, aber chemisch heterogene Oberflächen von Cassie und Baxter beschrieben. [51] Das Modell geht davon aus, dass in den Vertiefungen einer rauen Oberfläche Luft unter dem Tropfen festgehalten wird. Für diese Kompositoberfläche aus Luft und Festkörper ergibt sich der Kontaktwinkel * als Mittelwert der Kontaktwinkel des Tropfens auf Luft, der zu 180 angenommen wird, und auf dem Festkörper (d. h. ). Wenn eine Einheitsfläche der Oberfläche einen benetzten Anteil S an der Gesamtfläche hat, dann ergibt sich: 1 cos180 cos 1 1. cos * S cos S S (Gleichung 2.21) Es existiert eine Vielzahl an Veröffentlichungen, in denen durch Kombination einer gewissen Rauhigkeit und Verwendung einer Beschichtung mit niedriger Oberflächenenergie Oberflächen mit Kontaktwinkeln über 150 hergestellt wurden. Johnson und Dettre untersuchten beispielsweise die Kontaktwinkel eines Wassertropfens auf idealisierten sinusoidalen Oberflächen. [52] Für den Bereich, in dem die Wenzel-Beziehung gilt, konnten sie zeigen, dass der Kontaktwinkel und seine hysterese bei zunehmendem Rauhigkeitsfaktor zunimmt. Überschreitet dieser einen bestimmten Wert (~ 1,7), so steigt der Kontaktwinkel weiter an, während die Hysterese abnimmt. Die Hysterese nimmt ab, weil ab diesem Punkt durch Zunahme des Anteils an Luft an der Grenzfläche zwischen Feststoff und Wasser ein Übergang vom Wenzel- zum Cassie-Regime stattfindet. Diverse theoretische Arbeiten wurden über hydrophobe raue Oberflächen veröffentlicht. Hazlett analysierte den Effekt einer fraktalen Oberfläche auf die Hydrophobizität. [53] Auch Herminghaus zeigte, dass auf jedem Substrat mit einem Kontaktwinkel höher als 0 durch Einführen eines gewissen selbstaffinen Oberflächenrauhigkeitsprofils Kontaktwinkel nahe 180 erzielt werden können. [54] Außerdem wurde gezeigt, dass dieser Effekt zu den Wasser abweisenden Eigenschaften diverser Pflanzenoberflächen beitragen kann. Onda und Tsuji stellten eine superhydrophobe Oberfläche her, indem sie ein Alkylketendimer aus der

20 Grenzflächenspannung und Benetzung Schmelze auf der Oberfläche aushärten ließen. [46] Sie zeigten, dass die erhaltenen Kontaktwinkel in guter Übereinstimmung mit denen einer Fraktalanalyse waren. Drelich untersuchte Heterogenitäten im molekularen Bereich und schloss in die Cassie-Gleichung Linienspannung und Kontaktwinkelhysterese ein. [55] Wolansky und Marmur entwickelten eine allgemeine Gleichung für den aktuellen Kontaktwinkel auf einer rauen, einer heterogenen oder einer rauen und heterogenen Oberfläche in einer 3D-Anordnung. [56] Außerdem berücksichtigten sie Linienspannungseffekte und deren Änderung bei Änderung der Kontaktlinienposition. Für den Fall, dass Linienspannungseffekte vernachlässigt werden können, ist der aktuelle Kontaktwinkel an jedem Punkt der Oberfläche immer gleich dem Young-Kontaktwinkel. Müssen Linienspannungseffekte berücksichtigt werden, weicht der aktuelle Kontaktwinkel vom Young-Kontaktwinkel durch zwei zusätzliche Terme ab: Ein Term beschreibt die Krümmung der Kontaktlinie, der andere Term hängt von der Richtungsableitung der Linienspannung ab. Yamauchi et al. analysierten ein Kompositmaterial aus niedermolekularem PTFE und einem Binder sowohl in Bezug auf die Wenzel- als auch auf die Cassie-Gleichung durch Untersuchungen der Partikelgrößen, anzahl und verteilung. [57] Chow benutzte eine Korrelationsfunktion, um den Einfluss der Oberflächenrauhigkeit auf den Kontaktwinkel, die kritische Oberflächenspannung und das pinning der Kontaktlinie abzuleiten. [58] Es zeigte sich, dass Rauhigkeit das Benetzungsverhalten wie erwartet verstärkt und den Bereich der Dreiphasenkontaktlinie verbreitert. Sakai und Fujii untersuchten, welchen Einfluss Gravitation auf eine fest/flüssig-oberfläche hat, an der Gas adsorbiert ist und fanden, dass die Oberflächenspannung durch die Gasadsorption verstärkt wird. [59] Swain und Lipowsky betrachteten einen dreidimensionalen Flüssigkeitstropfen auf einer rauen und chemisch heterogenen Oberfläche unter dem Einfluss von Gravitation und Linienspannung. Durch Minimieren der freien Energie des Systems leiteten sie eine allgemeine Young- Gleichung ab. [60] Quéré et al. diskutieren den Unterschied adhäsiver Eigenschaften zwischen den beiden Benetzungsregimes. [61] Im Regime moderater Hydrophobie, d. h. für Young-Kontaktwinkel, die 120 nicht überschreiten, ist das Cassie-Regime metastabil. Bei Anlegen eines äußeren Drucks kann ein irreversibler Übergang zum Wenzel-Regime stattfinden, indem die Festkörper-Flüssigkeitsoberfläche der Textur der rauen Oberfläche folgt. Die Kontaktwinkel beider Regimes sind vergleichbar, aber die Hysterese wird durch den Übergang immens beeinflusst: für das Wenzel-Regime ist sie ca. zehn bis zwanzigmal höher. Danach haften Wenzel- Tropfen stark am Untergrund, so dass die Fähigkeit der Oberfläche, Wasser abweisend zu wirken, stark abnimmt bzw. ganz verloren geht. Lundgren et al. haben simuliert, wie sich Wassertropfen verhalten, die auf Säulen-Oberflächen aus Lagen von Kohlenstoff-Atomen abgesetzt werden. [62] Dabei wurde die Abhängigkeit des Kontaktwinkels von der Säulenhöhe untersucht. Bei Änderung der Säulenhöhe wird ein Übergang zwischen Wenzel- und Cassie- Baxter-Regime beobachtet. Marmur setzte das homogene Benetzungsverhalten nach Wenzel und das heterogene Verhalten nach Cassie-Baxter in einen mathematisch-thermodynamischen Zusammenhang und definierte unter Berücksichtigung der Rauhigkeitsgeometrien Bedingungen um festzustellen, wann der Übergang zwischen den