Medizinische Rehabilitation als Aufgabe von Jugendhilfe und Krankenversicherung*



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Transkript:

Prof. Peter-Christian Kunkel Fachhochschule Kehl Hochschule für öffentliche Verwaltung Medizinische Rehabilitation als Aufgabe von Jugendhilfe und Krankenversicherung* I. Jugendämter und Krankenkassen als Rehabilitationsträger Sowohl die Jugendämter als auch die Krankenkassen sind nach 6 SGB IX Rehabilitationsträger für die medizinische Rehabilitation. Übersicht 1: Jugendämter und Krankenkassen als Rehabilitationsträger 4 II Leistungen zur Teilhabe 5 4 Leistungsgruppen Medizinische Teilhabe am Unterhalts- Teilhabe am Rehabilitation Arbeitsleben sicherung Leben in der ( 26-32) ( 33-43) ( 44-54) Gemeinschaft ( 55-58) 6 7 Leistungs(Reha-)träger Kranken- BA-Arbeit Unfall- Renten- Kriegsopfer- Jugend- Sozialkassen versicherung versicherung versorgung hilfe hilfe Während die Jugendämter nicht nur Träger der medizinischen Rehabilitation sind, sondern auch Rehabilitationsträger für die Teilhabe am Arbeitsleben und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, sind die Krankenkassen lediglich für die medizinische Rehabilitation und die Unterhaltssicherung zuständig. * Überarbeitete Fassung eines Referats, das der Verfasser auf einer Fachtagung des Landeswohlfahrtsverbands Baden am 6.3.2003 gehalten hat.

II. Medizinische Rehabilitation nach dem jeweiligen Hausgesetz 2 1. Medizinische Rehabilitation nach dem SGB V Nach 11 Abs. 2 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V subsumiert die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter die Krankenbehandlung. Als Leistungen der medizinischen Rehabilitation nennt 40 Abs. 1 SGB V die ambulante Krankenbehandlung, die auch in Rehabilitationseinrichtungen und in wohnortnahen Einrichtungen erfolgen kann. Eine weitere Leistung ist die stationäre Rehabilitation in Rehabilitationseinrichtungen ( 40 Abs. 2 SGB V). Als Rehabilitationseinrichtungen definiert 107 Abs. 2 SGB V solche Einrichtungen, die unter ständiger ärztlicher Verantwortung stehen. Medizinische Rehabilitation ist somit Rehabilitation in Verantwortung von Medizinern. Dies gilt auch dann, wenn eine ambulante Rehabilitationsleistung in einer wohnortnahen Einrichtung gem. 40 Abs. 1 SGB V erbracht wird, da es sich dabei um medizinische Leistungen handeln muss. Zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation treten die ergänzenden Leistungen nach 43 SGB V und die nichtärztlichen sozialpädiatrischen Leistungen nach 43a SGB V. Neben die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und die ergänzenden Leistungen tritt im Rahmen der ärztlichen Behandlung nach 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V die Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung nach dem Psychotherapeutengesetz vom 16.6.1998. Durch dieses Gesetz werden die Psychologischen Psychotherapeuten den Ärzten gleichgestellt. 28 Abs. 3 SGB V weist die psychotherapeutische Behandlung den Psychotherapeuten zu, worunter die Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten verstanden werden, und außerdem den Vertragsärzten. Zur Krankenbehandlung gehört ferner die Versorgung mit Heilmitteln ( 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i.v.m. 32 SGB V). 34 SGB V gibt die Möglichkeit, Heilmittel von der Versorgung auszuschließen. Dies muss durch Rechtsverordnung geschehen ( 34 Abs. 4 SGB V), die in der Praxis angewandten Heilmittelrichtlinien (HMR) genügen also nicht. Außerdem ist ein Ausschluss nur möglich, wenn der therapeutische Nutzen gering oder umstritten ist. Der generelle Ausschluss der Behandlung einer Rechenschwäche (Dyskalkulie) in Anlage 2 der HMR ist durch das Gesetz daher nicht gedeckt. 2. Medizinische Rehabilitation nach dem SGB VIII 35a SGB VIII regelt die Leistungen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, i.v.m. 41 Abs. 2 SGB VIII auch für junge Volljährige. Die Art der Leistungen richtet sich nach 35a Abs. 3 SGB VIII. 1 Dieser verweist weiter auf 40 BSHG. In 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BSHG werden die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als Leistungen der Eingliederungshilfe genannt. Zu deren näherer Bestimmung wird auf 1 Vgl. näher hierzu Vondung in LPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2003, 35a RN 16.

3 26 SGB IX weiterverwiesen. Die in 26 SGB IX aufgeführten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gehen weiter als die nach 40 SGB V. Die mit dem SGB IX angestrebte Vereinheitlichung ist damit schon begrifflich nicht geglückt. Übersicht 2: Leistungen für seelisch behinderte Kinder, Jugendliche und junge Volljährige nach SGB V und SGB VIII. Leistungen Krankenversicherung nach 11 SGB V Jugendhilfe nach 35a SGB VIII Vorrang/ Nachrang 1. Psychotherapie 27 Abs.1 S.2 Nr.1, 28 Abs.2 i.v.m. 26 Abs.2 Nr.5 SGB IX 2. Medizinische Rehabilitation a) ambulant b) ambulant in Einrichtungen - Rehaeinrichtungen - wohnortnahe Einrichtungen c) stationär in Rehaeinrichtungen 27 Abs.1 S.2 Nr.6, 40 Abs.1 und 2 i.v.m. 26 Abs.2 u. 3 SGB X 3. Nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen (psychologische, heilpädagogische, psychosoziale unter ärztlicher Verantwortung zur Früherkennung u. Frühförderung 43a 26 Abs.2 Nr.2, 30 Abs.1 S.1 Nr.2 SGB IX Vorrang d. Krankenversicherung ( 10 Abs.1 SGB VIII) a) Interdisziplinäre Frühförderstellen 43a i.v.m. 26 Abs.2 Nr.2, 30 Abs.1 S.1 Nr.1 u. Abs.2 SGB IX b) Sozialpädiatrische Zentren 119 i.v.m. 26 Abs.2 Nr.2, 30 Abs.1 S.1 Nr.1 SGB IX 4. Heilmittel 32, 34 i.v.m. 26 Abs.2 Nr.4 SGB IX

4 III. Medizinische Rehabilitation nach dem SGB IX Im Unterschied zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB V, insbesondere 40 SGB V umfasst die medizinische Rehabilitation nach 26 SGB IX nicht nur medizinische Leistungen. Vielmehr werden zur medizinischen Rehabilitation alle Leistungen erbracht, die eine Behinderung abwenden, beseitigen, mindern, ausgleichen oder ihre Verschlimmerung verhüten. Der Begriff der Behinderung ergibt sich aus 2 SGB IX und bezieht sich auf die körperliche Funktion, die geistige Fähigkeit oder die seelische Gesundheit des Menschen. Nur beispielhaft ist die Aufzählung einzelner Leistungen der medizinischen Rehabilitation in 26 Abs. 2 SGB IX. Diese Aufzählung umfasst nicht nur die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V, sondern auch sonstige Leistungen der Krankenbehandlung, wie sie sich aus 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 3 SGB V ergeben (vgl. hierzu Übersicht 2). In einzelnen Punkten gehen die Regelungen der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in den 26 bis 32 SGB IX aber über die Regelungen zur Krankenbehandlung nach den 27 bis 43b SGB V hinaus: Die Heilmittel werden näher definiert und schließen physikalische, Sprach- und Beschäftigungstherapie mit ein. Ein Ausschluss von Heilmitteln, wie er nach 34 SGB V ermöglicht wird, ist in 32 SGB IX nicht vorgesehen. Die Früherkennung und Frühförderung nach 30 SGB IX entspricht im Wesentlichen den mit 43a, 119 SGB V getroffenen Regelungen. Sozialpädiatrische Zentren sind im SGB IX nicht begrifflich erwähnt, fallen aber unter 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX. Die in 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IX aufgeführten nichtärztlichen Leistungen entsprechen denen des 43a SGB V. Während aber in 43a SGB V die psychologischen, heilpädagogischen und psychosozialen Leistungen lediglich beispielhaft als Arten sozialpädiatrischer Leistungen aufgeführt sind, stellt 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IX psychologische, heilpädagogische und psychosoziale Leistungen den sozialpädiatrischen Leistungen gleich und lässt im Unterschied zu 43a SGB V keinen Spielraum für sonstige sozialpädiatrische Leistungen. Eigens aufgenommen ist aber die Beratung der Erziehungsberechtigten. Nach beiden Büchern müssen die nichtärztlichen Leistungen immer unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden. In 30 Abs. 1 S. 2 SGB IX wird bestimmt, dass sowohl die medizinischen Leistungen nach 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 als auch die nichtärztlichen Leistungen nach 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IX als Komplexleistung i.v.m. heilpädagogischen Leistungen nach 56 SGB IX erbracht werden. Da heilpädagogische Leistungen schon im Komplex der Leistungen nach 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IX aufgeführt sind, ist ihre Erwähnung in 30 Abs. 1 S. 2 SGB IX nur für die medizinischen Leistungen nach 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX sinnvoll. Eine Erweiterung der Leistungen bringt 30 Abs. 2 SGB IX gegenüber den nach 43a SGB V erbrachten Leistungen insoweit, als in den dort genannten interdisziplinären Frühförderstellen auch therapeutische und sonderpädagogische Leistungen erbracht werden; im Unterschied zu 43a SGB V stehen diese und die anderen nichtärztlichen Leistungen nicht unter einem Ärztevorbehalt. 43a 2. Halbs.

5 SGB V schlägt die Brücke zu 30 SGB IX und bezieht die mit ihm vorgenommene Erweiterung in 43a SGB V ein. Eine wesentliche Erweiterung der Leistungen nach dem SGB V erfolgt durch 26 Abs. 3 SGB IX. Danach sind auch psychologische und pädagogische Hilfen zu erbringen, um das Ziel der medizinischen Rehabilitation zu erreichen. Nur beispielhaft sind dann einzelne Hilfen aufgeführt, so in Nr. 5 Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz. Übersicht 3: Erweiterung des Leistungsspektrums der Krankenkassen durch 26 bis 30 SGB IX Regelung Inhalt 26 Abs.1 26 Abs.1 Nr.4 30 Abs.1 S.1 Nr.2 30 Abs.1 S.1 Nr.1 30 Abs.2 26 Abs. 3 alle zur Rehabilitation erforderlichen Leistungen physikalische, Sprach- und Beschäftigungstherapien als Heilmittel Beratung der Erziehungsberechtigten medizinische Leistung (insbesondere in Sozialpädiatrischen Zentren) als Komplexleistung mit heilpädagogischen Leistungen - auch therapeutische und sonderpädagogische Leistungen in Frühförderstellen - alle nichtärztlichen Leistungen in Frühförderstellen ohne Ärztevorbehalt psychologische und pädagogische Hilfen zur Rehabilitation, insbes. - Hilfen zur seelischen Stabilisierung - Förderung der sozialen Kompetenz - Training lebenspraktischer Fähigkeiten - Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen IV. Anwendbarkeit des SGB IX Während die Jugendhilfeträger sich der Anwendung des SGB IX nicht verschließen, sondern dieses Buch geradezu begrüßen, verhalten sich die Krankenkassen durchweg SGB IX-resistent, teilweise auch renitent, wenn sie von Jugendämtern auf ihre vorrangige Leistungspflicht angesprochen werden. Teilweise können die Kassen sich auch schon auf höchstrichterliche Rechtsprechung berufen; so hat beispielsweise das Bayerische Landessozialgericht (Beschluss vom 29. Mai 2002; Az. L 4 B 106/02 KR ER ausgeführt, dass die Regelungen des SGB IX die Rechtsgrundlage des SGB V nicht verändert habe. Seine Regelungen seien deklaratorischer Art, dies gelte insbesondere für 26 SGB IX. Begründet wird die Auffassung der Krankenkassen und des Landessozialgerichts damit, dass 7 SGB IX besage, dass für die Leistungen zur Teilhabe die

6 Vorschriften des SGB IX erst dann gälten, wenn in den Leistungsgesetzen für den jeweiligen Rehabilitationsträger nichts Abweichendes geregelt sei. 7 S. 2 SGB IX stelle zudem klar, dass sich Zuständigkeit und Voraussetzungen für Leistungen nur nach dem jeweiligen Spezialgesetz, also hier nach SGB V richteten. Dies ergebe sich auch aus 11 Abs. 2 S. 3 SGB V, wonach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur soweit nach dem SGB IX erbracht werden, als im SGB V nichts anderes bestimmt sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Erweiterung des Leistungsspektrums der Krankenkassen durch 26 bis 30 SGB IX (vgl. Übersicht 3) keine Abweichung von Regelungen des SGB V ist, sondern eine Ergänzung. Lediglich in 30 Abs. 2 SGB IX findet sich eine Abweichung gegenüber 43a SGB V, indem für die nichtärztlichen Leistungen der Ärztevorbehalt fehlt. Diese Abweichung ist aber durch 43a 2. Halbs. SGB V in den Geltungsbereich des SGB V einbezogen. Der Geltungsvorbehalt in 7 S. 2 SGB IX bezieht sich lediglich auf Zuständigkeit für und Voraussetzungen von Leistungen. 26 SGB IX ist aber keine Vorschrift, die Zuständigkeit oder Voraussetzungen für Leistungen regelt; vielmehr regelt sie Art und Umfang von Leistungen. In der Normstruktur gehört sie nicht auf die Tatbestandsseite der Norm, sondern auf die Rechtsfolgeseite. Die sachliche oder örtliche Zuständigkeit der Krankenkassen wird in 26 SGB IX nicht geregelt. Sachlich zuständig ist eine Krankenkasse vielmehr nach 11 Abs. 1 und 2 SGB V, wenn ein Krankenversicherter krank ist und Anspruch auf Krankenbehandlung erhebt, wozu auch die medizinische Rehabilitation gehört ( 11 Abs. 2, 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB V). Krank ist der Mensch, wenn ein regelwidriger Zustand des Körpers, des Geistes oder der Seele der Behandlung bedarf (BVerwGE 30, 62). Ist aus der Krankheit eine Behinderung geworden oder droht eine solche, besteht der Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

7 Übersicht 4: Voraussetzungen und Umfang der Eingliederungshilfe nach 35a SGB VIII Tatbestandsvoraussetzungen (1) Kind oder Jugendlicher* (2) (Drohende) seelische Behinderung Rechtsfolge Rechtsanspruch auf Jugendhilfe im Umfang nach (1) 40, 41 BSHG + * für Volljährige über 41 Abs.2 SGB VIII (2) 39 Abs.4 S.1 BSHG i.v.m. 26 32 33 43 55 58 SGB IX VO zu 59 SGB IX Übersicht 5: Voraussetzungen und Umfang der medizinischen Rehabilitation nach 27 SGB V Tatbestandsvoraussetzungen (1) Krankenversicherter (2) (Drohende) Behinderung Rechtsfolge Rechtsanspruch auf Krankenbehandlung im Umfang nach (1) 27 43a SGB V + (2) 26 30 SGB IX Fazit: Liegen die genannten Tatbestandsvoraussetzungen vor, sind die Krankenkassen verpflichtet, alle erforderlichen Leistungen zur Beseitigung, Milderung usw. der Behinderung zu erbringen. Bei Teilleistungsschwächen wie Legasthenie, Dyslexie oder Dyskalkulie ist deshalb die vorrangige Zuständigkeit der Krankenkasse gegeben. 2 2 Im Ergebnis ebenso aber unter Ableitung aus 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 SGB V DIJuF-Rechtsgutachten vom 3.9.2002, JAmt 2003, 73, wo aber der Begriff der Krankheit unzulässig auf einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand verkürzt wird.

8 V. Zuständigkeitsklärung und Erstattungsanspruch Werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beantragt, muss der Rehabilitationsträger, bei dem dieser Antrag gestellt wurde, innerhalb von zwei Wochen feststellen, ob er für die Leistung zuständig ist ( 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Wird der Antrag bei der gemeinsamen Servicestelle gestellt, muss diese innerhalb von zwei Wochen feststellen, welcher Rehaträger zuständig ist. Der von der Servicestelle für zuständig gehaltene Rehaträger muss dann die Leistung auch erbringen. Wird der Antrag unmittelbar bei einem Rehaträger gestellt, der sich für nicht zuständig hält, muss er den Antrag unverzüglich an den seiner Meinung nach zuständigen Rehaträger weiterleiten. Dieser muss dann die Leistung erbringen. Die Prüfung der Zuständigkeit erstreckt sich auch darauf, ob der Rehaträger nur nachrangig zuständig ist. Dann hat er den Antrag ebenfalls unverzüglich an den seiner Meinung nach vorrangig zuständigen Rehaträger weiterzuleiten. 3 Stellt sich später heraus, dass der erstangegangene Rehaträger seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat, hat der zweitbefasste Rehaträger einen Erstattungsanspruch nach 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX. Unberührt hiervon bleibt der Kostenerstattungsanspruch nach 104 Abs. 1 S. 1 SGB X, den der Rehaträger hat, der als erst- oder zweitbefasster Träger nur nachrangig zur Leistung verpflichtet war und diese erbracht hat. Hat beispielsweise die Krankenkasse einen Antrag an das Jugendamt weitergeleitet und hat das Jugendamt die Leistung erbracht, stellt sich aber später heraus, dass die Krankenkasse zuständig war, kann das Jugendamt sowohl den Erstattungsanspruch nach 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX als auch den nach 104 Abs. 1 S. 1 SGB X geltend machen. Das Jugendamt hat ein Wahlrecht zwischen diesen beiden Erstattungsansprüchen. Weigert sich die Krankenkasse, Erstattung zu leisten, kann der Jugendhilfeträger den Krankenversicherungsträger vor dem Sozialgericht auf Erstattung verklagen. 3 Vgl. näher zur Zuständigkeitsklärung Kunkel, ZfSH/SGB 2001, 707.

Übersicht 6: Zuständigkeits- und Bedarfsklärung nach 14 SGB IX für JA 9 Eingang Leistungsantrag 2 Wochen Feststellung der sachlichen ( 85 SGB VIII) und örtlichen ( 86 SGB VIII) Zuständigkeit einschl. des Nachrangs ( 10 SGB VIII) Abs.1 S.1 Abs.1 S.2 u. 3 Abs.6 Falls unzuständig oder Feststellung innerhalb von 2 Wochen nicht möglich oder Fremdleistung erforderlich: Weiterleitung unverzüglich an Falls zuständig oder unverzügliche Weiterleitung unterblieben** ist: unverzügliche Feststellung des Rehabedarfs durch JA als erstbefasstem Träger Abs.2 S.1 (subj.) zuständigen* Rehaträger. Dort unverzügliche Feststellung des Rehabedarfs. Wird zweitbefasster Träger nicht tätig, muss JA als erstbefassster Träger vorläufig leisten gem. 86d SGB VIII (bei örtl. Unzuständigkeit) oder 43 SGB I (bei sachl. Unzuständigkeit) Falls hierfür kein (weiteres) Gutachten notwendig: Leistungsbescheid innerhalb von 3 Wochen nach Antragseingang Abs.2 S.2 Falls Gutachten notwendig: unverzügl. Beauftragung eines Sachverständigen (Dreiervorschlag) Aufstellung des Hilfeplans 2 Wochen Abs.5 S.2 Erstellung des Gutachtens 2 Wochen Leistungsbescheid Abs.2 S.4 Abs. 4 S. 1 Abs. 4 S. 3 * Erstattung bei (obj.) Unzuständigkeit ** keine Erstattung trotz Unzuständigkeit Für die Gewährung der Eingliederungshilfe nach 35a SGB VIII ist die Aufstellung eines Hilfeplans nach 36 Abs. 2 SGB VIII notwendig. In diesem Hilfeplan wird der Bedarf festgestellt. Diese Feststellung erfolgt aber nicht aufgrund eines Gutachtens, sondern in einem gemischten Verfahren, das diagnostische Elemente mit konsensualen Elementen ( Aushandlung ) verbindet. Die Aufstellung des Hilfeplans unterliegt daher nicht der 2-Wochen-Frist des 14 Abs. 5 S. 2 SGB IX.