Die Umrisse des zukünftigen Nahen Ostens zeichnen sich ab

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Transkript:

Die Umrisse des zukünftigen Nahen Ostens zeichnen sich ab... Experte Dr. Samir Nassif Region: Maghreb und Naher Osten Im Nahen Osten ist der Iran der Keil, der die USA und Russland auseinandertreibt. Teherans Ambitionen könnten zu Zusammenstößen seiner Truppen mit amerikanischen und israelischen Streitkräften in Syrien führen (Foto: dpa) In den vergangenen Monaten kam es im Nahen Osten zu einigen entscheidenden Veränderungen sie geben einen Hinweis darauf, was in der Region in den kommenden Jahren passieren dürfte. Verständigung über Syrien Die Vereinigten Staaten und Russland scheinen eine stillschweigende Einigung über eine Lösung für Syrien erzielt zu haben. In der Praxis bedeutet das, dass US- Präsident Donald Trump seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin hier weitgehend freie Hand lassen wird. Vor Ort kann man bereits russische und iranische Truppen beobachten, die in der Nähe der Golanhöhen operieren. In Geheimgesprächen mit den Russen in Amman (Jordanien) forderten die israelischen Verhandlungsführer die Einrichtung von Sicherheitszonen und den Rückzug aller www.gisreportsonline.com SEITE 1

iranischen Truppen aus Syrien. Eine solche Sperrzone bei den Golanhöhen würde der israelischen Armee erlauben, notfalls schnell zu intervenieren, ohne dabei mit russischen Truppen aneinanderzugeraten. Sie würde der syrischen Opposition auch einen potenziellen Rückzugsort bereitstellen, von dem aus sie weiterhin das Regime von Präsident Baschar al-assad und die Iraner bekämpfen könnten. Bis jetzt wurde keine dieser israelischen Forderungen beachtet obwohl sie von Saudi-Arabien unterstützt wurden, das ebenfalls Sicherheitszonen und einen Rückzug der Iraner will. Das wichtigste für die Israelis und ihre arabischen Freunde ist, die Iraner aus Syrien zu entfernen. Es wäre undenkbar, Teheran den Aufbau von Raketenstützpunkten zu gestatten und somit das politische Gleichgewicht zugunsten der alawitischen Schiiten zu verschieben. Um dies zu verhindern, arbeitet Israel daran, die territorialen Verluste des IS auszunutzen und in Syrien Fuß zu fassen. Ein Anzeichen für diese zunehmenden Aktivitäten war Mitte August der Vorwurf Israels, dass der Iran in Baniyas, einer Stadt im Nordwesten Syriens, eine Fabrik zur Herstellung von Langstrecken-Scud-Raketen errichte. Israel hat erklärt, dass es solche Entwicklungen nicht akzeptieren und gegen jegliche Bedrohung vorgehen werde. Trump vs. Putin Um seine Unterstützung für die sunnitischen arabischen Staaten zu unterstreichen, hat Präsident Trump am 20. Mai 2017 seine erste längere Auslandsreise mit einem Besuch in Saudi-Arabien begonnen. Aus diesem Anlass hatten die Saudis 17 arabische Staatsoberhäupter für einen aufwendig choreografierten Arabisch- Islamisch-Amerikanischen Gipfel zusammengebracht, um die Solidarität zwischen diesen Ländern und den USA zu demonstrieren. Neben der Möglichkeit, Absichtserklärungen über den Verkauf von amerikanischen Waffen im Gesamtwert von 110 Milliarden US-Dollar zu unterzeichnen, bot Trumps Reise eine perfekte Bühne, um die Unterstützung der USA für die arabischen Staaten gegen den gemeinsamen Feind Iran zu veranschaulichen. Ein weniger beachteter Aspekt war, dass dies seit vielen Jahren das erste nachdrückliche Zeichen der Einheit unter den arabischen Nationen war. Auf dem Gipfel wurde der alte Feind Israel kaum erwähnt, www.gisreportsonline.com SEITE 2

während Präsident Trump lautstark für seine Aufrufe zur Bekämpfung des Terrorismus und der Isolierung des Irans bejubelt wurde. Im Juni 2017 beendeten mehrere arabische Länder unter der Führung Saudi- Arabiens, Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrains ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar. Sie beschuldigten das Emirat, den Terrorismus zu finanzieren und im Geheimen mit dem Iran zusammenzuarbeiten. Präsident Trump begrüßte den Schritt des arabischen Quartetts und ignorierte damit die wichtige US-Luftwaffenbasis in Katar. Seitdem haben diese Länder strenge Reise- und Handelssanktionen gegen Katar verhängt und aufrechterhalten. Ohne Präsident Putins Hilfe hätte sich Baschar al-assad nicht lange in Syrien halten können, und die Alawiten wären abgetaucht. Es waren die Russen, nicht die Iraner, die das Regime gerettet haben. Die Russen führten im Dezember 2016 den verheerenden Angriff zur Rückeroberung von Aleppo an und russische Luftangriffe haben die Überlegenheit der Regierung auch auf anderen Schlachtfeldern des Bürgerkrieges garantiert. Als Vermittler der militärischen Situation in Syrien hat Russland mit den Flotten- und Luftwaffenstützpunkten in Tartus und Latakia eine feste Präsenz im östlichen Mittelmeerraum errichtet. Es ist unwahrscheinlich, dass der Kreml sie bald aufgeben wird. Nach dem Ende des Bürgerkriegs wird die russische Wirtschaft zudem von den Verträgen für den Wiederaufbau in Syrien profitieren, die sich nach ersten Schätzungen auf mehr als 100 Milliarden Dollar belaufen dürften. Der iranische Keil Präsident Trump begann sein Amt mit der Absicht, die Beziehungen zu Wladimir Putin und Russland zu verbessern. Während dies für die globale Stabilität gut wäre, haben die Ereignisse die russisch-amerikanischen Beziehungen in eine andere Richtung verlagert. Jede Hoffnung auf eine Annäherung wurde durch ein Gesetz des Kongresses zunichte gemacht, das ausdrücklich darauf abzielte, Trump daran zu hindern, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Die Maßnahme veranlasste Russland im Gegenzug dazu, 755 amerikanische Diplomaten auszuweisen, um www.gisreportsonline.com SEITE 3

zumindest ein bisschen das Gesicht zu wahren. Im Nahen Osten ist der Iran der Keil, der die Interessen der USA und Russlands auseinandertreibt. Die Trump-Regierung gerät durch Israel und durch die arabischen Golfstaaten zunehmend unter Druck, die Iraner und die Hisbollah aus Syrien zu vertreiben, was Teherans Pläne zur Ausweitung seines regionalen Einflusses beenden würde. Die Stärke und Effektivität der Reaktion der USA wird in hohem Maße bestimmen, wie viel Vertrauen die Araber in Präsident Trump setzen. Bislang gab es viel Lärm, aber kaum Ergebnisse. US-Außenminister Rex Tillerson erklärte, die USA würden mit Russland zusammenarbeiten, da alle ausländischen Kämpfer Syrien verlassen müssen. Mitte Juli kündigten die USA neue Sanktionen gegen den Iran an, wegen dessen ballistischer Raketenversuche und wegen Menschenrechtsverletzungen. Diese Maßnahmen wurden Ende Juli, nachdem die Iraner eine Satelliten-Starthilfsrakete erprobt hatten, verschärft. Teheran antwortete trotzig, dass es mit all seinen Kräften das Raketenprogramm vorantreiben würde. Während der ganzen Zeit drohte Präsident Trump, das Atomabkommen von 2015 mit dem Iran abzuschaffen. Der iranische Präsident Hassan Rohani, der selbst als moderater Reformer angesehen wird, antwortete darauf, dass der Iran seinerseits das Abkommen sehr schnell verlassen würde, falls die Amerikaner weiterhin Sanktionen und Zwangsmaßnahmen durchführen würden. Saudische Spannungen Für einen externen Beobachter sieht es mehr und mehr danach aus, als ob Präsident Rohani sehr wenig Spielraum in den auswärtigen Angelegenheiten hat, während Ayatollah Ali Khamenei und das Korps der Islamischen Revolutionsgarden weiterhin die ausschließliche Kontrolle über Militär- und Sicherheitsangelegenheiten innehaben. Die beiden strategischen Ziele des Irans sind die Schaffung eines schiitischen Halbmondes, der sich vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer erstreckt, sowie die Zerstörung seines Erzfeinds Saudi-Arabien. Beide Ziele sind schwer zu erreichen. Die Errichtung einer Landbrücke durch den Irak und Syrien zu den von der Hisbollah dominierten Gebieten im Libanon erforderte die Eroberung der www.gisreportsonline.com SEITE 4

Region Deir Ezzor in Syrien, die Teil eines strategischen Dreiecks ist, in dem auch die von den USA und den arabischen Golfstaaten unterstützten Kräfte aktiv sind. In Saudi-Arabien vergeht keine Woche, ohne dass Teheran dem Königreich mit völliger Verwüstung droht, nur Mekka und Medina werden verschont. Diese Drohungen sind die Reaktion auf eine harsche Erklärung von Mohammed bin Salman, dem saudischen stellvertretenden Kronprinzen und Verteidigungsminister, nach der Saudi-Arabien ein primäres Ziel für das iranische Regime ist. Wir werden nicht darauf warten, dass der Kampf nach Saudi-Arabien getragen wird. Wir werden daran arbeiten, dass der Kampf bei ihnen im Iran stattfindet. Die Saudis fühlten sich durch die unterstützende Haltung der Trump-Regierung, die stark mit dem Verfall der Beziehungen zwischen den beiden Ländern unter Präsident Barack Obama kontrastiert, ermutigt, diesen kämpferischen Tonfall anzuschlagen. Die Iraker haben ebenfalls die Verschiebung beobachtet, was den irakischen Schiiten-Führer Muqtada Al-Sadr dazu veranlasste, Anfang August einen überraschenden Besuch in Saudi-Arabien zu absolvieren. Al-Sadr wurde prompt vom Iran angegriffen, der ihn als Paria, Abtrünnigen und Außenseiter bezeichnete. Dies gab einen Vorgeschmack auf den derzeitigen Krieg der Worte zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, der jeden Augenblick in einen echten Krieg ausarten könnte. Die nordkoreanische Krise hat sich auf den Nahen Osten ausgewirkt. Die markigen Worte von Präsident Trump gegen Kim Jong-un wurden von allen wichtigen Akteuren der Region laut und deutlich verstanden. Der Iran und Nordkorea kooperieren seit vielen Jahren bei der Entwicklung ballistischer Raketen. Theoretisch könnte diese strategische Allianz sogar zu nordkoreanischen Lieferungen von nuklearen Sprengköpfen an den Iran führen gemeinsam mit den entsprechenden Experten, die erklären, wie man diese an iranische Raketen anpasst. Dies würde sofort eine Situation im Nahen Osten schaffen, die mit der Kubakrise von 1962 vergleichbar wäre und die einen Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auslösen könnte. Die Trümmer des IS Der Bodenkrieg gegen den IS hat sich erheblich ausgeweitet. Im Juli vertrieb die www.gisreportsonline.com SEITE 5

irakische Armee die Islamisten nach einer großen Schlacht aus Mossul. Der irakische Premierminister Haider Al-Abadi zögerte nicht, den Amerikanern für ihre Unterstützung bei diesem Sieg zu danken. Nach der Einnahme der nördlichen Stadt Tal Tafal im August ist die irakische Armee im Wesentlichen mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Mit Ausnahme der Region westlich von Kirkuk dürfte der IS im Irak besiegt worden sein. Das Unabhängigkeitsreferendum in Kurdistan untergrub das strategische Ziel der USA, die einen ungeteilten Irak befürworten. Doch diese Abstimmung könnte als Blaupause für den Status vieler anderer ethnischer Minderheiten im Nahen Osten dienen (Foto: dpa) Seine verbleibenden Hochburgen befinden sich allesamt in Syrien. IS-Milizen halten sich in einigen Stadtteilen ihrer ehemaligen Hauptstadt Rakka auf und versuchen, in der Nähe von Deir Ezzor, wo die syrische Armee im September eine dreijährige Belagerung durchbrach, einen Gegenangriff zu starten. Doch die eigentlichen Kämpfe finden nun zwischen zwei Koalitionen statt, die versuchen, so viel Territorium wie möglich zu kontrollieren: die syrische Regierungsarmee, die von russischen und iranischen Truppen unterstützt wird, sowie die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die in erster Linie aus kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) www.gisreportsonline.com SEITE 6

zusammengesetzt sind und die von den USA aus der Luft und logistisch unterstützt werden. An der Nordfront um Rakka haben die SDF eindeutig die Oberhand erlangt, aber das hat die Türkei, die die YPG als Verbündete ihres Todfeindes, der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), betrachtet, nur noch stärker alarmiert. Ankara hat bereits mit seinen lokalen Verbündeten (die hauptsächlich aus der Freien Syrischen Armee oder FSA kommen) militärisch in Nordsyrien eingegriffen und sich in sporadischen Kämpfen mit den YPG engagiert. Man überlegt zudem, eine Alternative zu den YPG zu unterstützen die sogenannten syrischen Peschmerga, die im irakischen Kurdistan ausgebildet und ausgerüstet wurden, doch diese türkischen Vorstöße sind bisher zurückgewiesen worden. Neuer Staat Ein genauerer Blick auf das Gebiet zeigt, dass sich ein autonomer kurdischer Staat im Aufbau befindet. Dieses Kurdistan erstreckt sich von der nordwestlichen Ecke des Irans durch den Nordirak, die nördlichen Grenzregionen Syriens und ein gutes Stück hinein in die Südosttürkei. Dieses Territorium mit geschätzten 28 Millionen Kurden hat in etwa die Größe der Türkei. Während diese kurdisch besiedelten Regionen geografisch und politisch fragmentiert sind, teilen sie dennoch den gemeinsamen Wunsch, einen Nationalstaat zu schaffen Kurdistan eben. Diese Ambition wurde am 25. September 2017 zum Ausdruck gebracht, als 92 Prozent der Wähler im irakischen Kurdistan die Unabhängigkeit in einem unverbindlichen Referendum unterstützten. Die Entscheidung, die Abstimmung durchzuführen, wurde von der internationalen Gemeinschaft, die daran interessiert ist, den Irak zusammenzuhalten, nahezu einmütig abgelehnt. Der Präsident des irakisch-kurdischen Staates, Massoud Barzani, hatte jedoch seine eigenen Gründe vor allem den Wunsch, eine sich verschärfende wirtschaftliche und politische Krise zu überwinden, indem er die Unterstützung der Bevölkerung mobilisierte. Die Vereinigten Staaten hatten darauf gedrängt, das Referendum zu verschieben und stattdessen zum Dialog mit den Behörden in Bagdad aufgefordert. Barzani www.gisreportsonline.com SEITE 7

antwortete, dass die Menschen in der Region Kurdistan Garantien und Alternativen für ihre Zukunft erwarten würden, im Gegensatz dafür, ihren lang gehegten Traum aufzugeben. Was das Referendum geleistet hat, war ein Zusammenrücken der drei Staaten, die der Idee eines neuen Kurdistans besonders feindlich gegenüberstehen: des Irans, des Iraks und der Türkei. Der Stabschef der iranischen Armee, General Mohammad Bagheri, hat Mitte August einen bisher beispiellosen Besuch in Ankara absolviert und Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geführt. Kurz nach dem Referendum in Kurdistan flog Präsident Erdogan am 4. Oktober nach Teheran zu Gesprächen mit Präsident Rohani. Beide Länder haben in Nordsyrien und im Irak militärische Kräfte stationiert und beide werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um die Schaffung eines kurdischen Staates zu verhindern. Die Hoffnungen der Minderheiten Die große Schwäche der territorialen Teilung des Nahen Ostens, die sich aus dem Sykes-Picot-Abkommen (1916) ergab, ist, dass kulturelle und religiöse Unterschiede nicht berücksichtigt wurden. Diese Unterschiede haben sich in den vergangenen 50 Jahren verstärkt und könnten nun den Grundstein für neue unabhängige oder föderierte Staaten bilden. Man hätte vor 100 Jahren schon eine Menge Weitsicht aufbringen müssen, um die Aufteilung der Region so zu konzipieren, dass sie die Unterschiede in Traditionen, Kulturen, Sprachen, Ethnien, Kleidungs-, Ess- und Sozialisierungsvorschriften und insbesondere die große Kluft zwischen den Religionen tatsächlich widerspiegeln würde. Andre Malrauxs Prophezeiung, nach der das 21. Jahrhundert entweder äußerst oder gar nicht religiös sein werde, hat sich tatsächlich bewahrheitet der religiöse Extremismus fegt durch den gesamten Nahen Osten. Es gibt kein militärisches Gegenmittel gegen einen derartigen Hass. Kriege werden im Namen Gottes geführt, auch wenn Gott nie jemanden darum gebeten hat, für ihn zu kämpfen. Kriege werden begonnen, um andere dazu zu zwingen, sich religiösen Überzeugungen zu unterwerfen. Selbst winzige Unterschiede zwischen dem schiitischen und dem sunnitischen Islam haben Hunderte von Angriffen und Tötungen ausgelöst. www.gisreportsonline.com SEITE 8

In Anbetracht der Tatsache, dass die drei monotheistischen Religionen in derselben Region geboren wurden, sind die aktuellen Umwälzungen für den Rest der Welt von Bedeutung. Es gibt keine Wunderheilung, aber eines ist klar: Die Feindseligkeiten werden nicht aufhören, bis jede Minderheit das erhält, was ihr nach eigener Meinung zusteht. Das ist der Preis der Stabilität im Nahen Osten. Seit Jahrzehnten kämpfen die Kurden für ihre Freiheit, und ihr geographisch zusammenhängendes Territorium wäre am einfachsten in einen Staat zu verwandeln. Die Vereinigten Staaten, Israel, Ägypten und einige Teile Europas befürworten seine Schaffung. Die Türkei, der Iran und der Irak sind unnachgiebig dagegen. Dies zeigt, dass ein unabhängiges Kurdistan nur durch Gewalt geschaffen werden kann. Während der jüngsten Kämpfe in Syrien und im Irak haben die Kurden sowohl die Männer als auch die Frauen ihre Entschlossenheit zum Sieg an den Tag gelegt. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass ein kurdischer Staat wenn auch in gestutzter Form noch vor Jahresende gegründet wird. Die Gründung Kurdistans wird von den anderen Minderheiten der Region sorgfältig beobachtet werden: den Alawiten, den Jesiden, den Christen, den Drusen, den Sunniten und den Schiiten. Sogar Israel könnte endlich den Status eines jüdischen Staates genießen. In einer Region, die aus Minderheiten besteht, wird es keinen Platz mehr für Extremismus geben. Der IS und andere islamistische Gruppen werden besiegt und aus ihren derzeitigen Hochburgen im Nahen Osten vertrieben werden. Unglücklicherweise werden sie wahrscheinlich anderswo auftauchen, auch in Europa das sich zu einer Achillesferse und zu einem Zufluchtsort für Extremisten entwickelt hat. www.gisreportsonline.com SEITE 9