Beschwerdemanagement



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Transkript:

Beschwerdemanagement Kundenbeziehungen erfolgreich managen durch Customer Care von Bernd Stauss, Wolfgang Seidel 3. Auflage Hanser München 2002 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 446 21967 0 Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

CARL HANSER VERLAG Bernd Stauss, Wolfgang Seidel Beschwerdemanagement Kundenbeziehungen erfolgreich managen durch Customer Care 3-446-21967-6 www.hanser.de

1.1 Beschwerden als unternehmerische Herausforderung 1 Beschwerdemanagement im kundenorientierten Unternehmen 1.1 Beschwerden als unternehmerische Herausforderung Alle im Unternehmen hassen Beschwerden. Mitarbeiter im Kundenkontakt fürch ten Situationen, in denen sie von aufgebrachten Kunden beschimpft werden. Mitarbeiter verschiedener Entscheidungsebenen fühlen sich durch Beschwer den auf nicht zutreffende und unzulässige Weise kritisiert. Sie sind auch verärgert, weil sie für die Bearbeitung von Kundenproblemen Zeit und andere Ressourcen einsetzen müssen, die für diese Zwecke nicht eingeplant sind und häufig nicht zur Verfügung stehen. Während man sich um irgendwelche fernen Kundenprobleme kümmern soll, wachsen die eigenen Probleme, weil Zeit- und Kostenpläne durcheinander geraten. Vorstandsmitglieder sehen sich mehr und mehr damit konfrontiert, dass Kunden ihre Beschwerden an sie persönlich richten und auch eine persönliche Antwort erhalten wollen. Doch das Zeitbudget des Topmanagements ist für die Beschäftigung mit strategischen Fragen bereits verteilt. Zudem gehört es nicht zum Selbstverständnis von Vorstandsmitgliedern, sich mit Detailproblemen unbekannter Kunden herumzuschlagen. Deshalb geben sie in der Regel nur die Anweisung, eine Lösung herbeizuführen. Top-down werden dann die Beschwerden durchgereicht, wobei es häufig die primäre Zielsetzung der Beschwerdebearbeitung ist, Kundenanliegen soweit wie möglich abzuwehren und/oder innerbetrieblich Schuldige zu finden. Dementsprechend machen es viele Unternehmen ihren Kunden immer noch schwer, sich bei ihnen zu beschweren. Weder Produktverpackungen noch Werbeanzeigen enthalten Hinweise darauf, an wen sich ein unzufriedener Kunde wenden soll. Gelingt es dem Kunden aber doch, z.b. telefonisch, mit dem Unternehmen Kontakt aufzunehmen, findet er keinen, der sich zuständig fühlt. Nicht selten wird er mehrfach mit neuen, nicht verantwortlichen, gereizten oder inkompetenten Gesprächspartnern verbunden, ohne einer Problemlösung näher zu kommen. Aus solchen Erfahrungen ziehen Kunden Konsequenzen. Sie nehmen eine innere Kündigung der Geschäftsbeziehung vor und wählen beim nächsten Kauf ein Konkurrenzangebot. Damit ist für das Unternehmen zukünftiges Geschäftspotenzial dauerhaft verloren. In besonders gravierenden Fällen übergibt der Kunde den Fall seinem Rechtsanwalt, oder er wendet sich an die Redaktion einer Verbrauchersendung bzw. an eine Verbraucherzentrale. Aufgrund deren Aktivitäten werden die Unternehmen dann zur Reaktion gezwungen. Aber meist ist es gleichgültig, wie diese ausfällt: Der Gegner Kunde wird in der Regel nicht wiedergewonnen, und die Kosten der Beschwerdebearbeitung und 19

1.1 Beschwerden als unternehmerische Herausforderung Problemlösung auf Seiten des Unternehmens sind höher, als sie im Falle einer frühzeitigen Reaktion ausgefallen wären. Die Barrieren, die Unternehmen errichten, um unzufriedene Kunden von Beschwerden abzuhalten, haben in den meisten Fällen eine noch viel unmittelbarere Wirkung: Kunden scheuen vor allem bei wenig gravierenden Problemen den Ärger, den Zeitaufwand und die Mühen, die mit der Suche nach verantwortlichen Ansprechpartnern verbunden sind, und beschweren sich nicht, sondern wandern gleich zur Konkurrenz ab. Da Unternehmen dies häufig überhaupt nicht erfahren oder allenfalls indirekt und mit großer Zeitverzögerung über die Auswertung von Umsatzzahlen, ziehen sie oft völlig falsche Konsequenzen. Sie verweisen auf niedrige Beschwerdequoten und auf die hohe Zufriedenheit, die sich in entsprechenden Ergebnissen von Kundenbefragungen widerspiegelt. Sie setzen dabei fälschlicherweise niedrige Beschwerdequoten mit Kundenzufriedenheit gleich und übersehen, dass sie in Kundenzufriedenheitsbefragungen in der Regel nur die Kunden befragen, die zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht abgewandert sind. Aufgrund dieser betrieblichen Fehleinschätzung über das Auftreten von Kundenproblemen wird häufig kein Handlungsbedarf gesehen, und selbst wenn er empfunden wird, unterbleiben zielgerichtete Aktivitäten, weil die üblichen negativen Erfahrungen mit Beschwerden eine Art interne Abwehrreaktion hervorrufen. Keineswegs alle Unternehmen haben erkannt, dass der Umgang mit Beschwerden ein hochrangiges Managementproblem darstellt. Es gibt sogar nicht wenige Führungsverantwortliche, die schon die Begriffe Beschwerde oder Beschwerdemanagement am liebsten verbannen wollen, um die damit verbundenen negativen Assoziationen zu vermeiden. Dies ist allerdings recht kurzschlüssig gedacht. Schon die knappe Schilderung der vielfach schlechten Erfahrungen, die Kunden und Unternehmen im Beschwerdefall machen, zeigen auf den ersten Blick, welche komplexen Managementaufgaben hier zu lösen sind. Innerbetriebliche Kommunikations- und Leistungsprozesse zur Beschwerdebearbeitung und Problemlösung sind einzurichten und zu überwachen. Mitarbeiter sind zu informieren und auszubilden, wie sie sich gegenüber dem unzufriedenen Kunden verhalten sollen. Die in den Beschwerden enthaltenen Informationen sind auszuwerten und in Entscheidungsprozesse einzubringen. Individuelle und organisatorische Kompetenzen sind festzulegen, und durch die entsprechende Gestaltung der Rahmenbedingungen muss sichergestellt werden, dass diese Verantwortung auch tatsächlich übernommen werden kann. Diese Liste wichtiger Managementaufgaben ließe sich leicht erweitern und konkretisieren. Doch die Wichtigkeit des Beschwerdemanagements ergibt sich nicht 20

aus der Komplexität der Aufgabe, sondern aus ihrer strategischen Bedeutung im Rahmen einer kundenorientierten Unternehmenspolitik. Unter verschärften Käufermarktsituationen mit einer zunehmenden internationalen Konkurrenz haben in den letzten Jahren fast alle Unternehmen ihre Anstrengungen verstärkt, marktorientierter zu werden und Kundennähe zu praktizieren. Es gibt kaum mehr einen Topmanager, der sich nicht in öffentlichen Erklärungen zur Kundenorientierung als strategischer Ausrichtung und zur Kundenzufriedenheit als oberstem unternehmerischen Ziel bekennt. Die Proklamierung dieser kundenbezogenen Leitprinzipien und Zielsetzungen bleibt aber ein unverbindliches Lippenbekenntnis, sofern sie keine Auswirkungen auf die Erfahrungen unzufriedener Kunden hat. Wenn Kundenzufriedenheit tatsächlich angestrebt wird, dann gehört es zu den Minimalanforderungen an das Management, Kundenunzufriedenheit so weit es geht zu vermeiden und, wenn die Unzufriedenheit bereits eingetreten ist, sie durch ernsthafte Anstrengungen zu beseitigen. Deutlicher als in Beschwerden können Kunden den Unternehmen ihre Unzufriedenheit nicht mitteilen, und deutlicher als durch desinteressierte oder abweisende Reaktionen auf Beschwerden können Unternehmen nicht ausdrücken, dass sie an Kundenzufriedenheit nicht interessiert sind. Oder umgekehrt: Wer Kundenorientierung als Voraussetzung für die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens erkannt hat und Kundenzufriedenheit als Maxime ernst nimmt, wird Beschwerden nicht primär als abzuwehrendes Problem, sondern als Chance sehen, und das Beschwerdemanagement als Kern einer kundenorientierten Unternehmensstrategie. 1.2 Beschwerdemanagement als Kern des Kundenbeziehungsmanagements (Customer Relationship Management CRM) Schon seit Jahren ist man sich bewusst, dass in Zeiten eines globalen und intensiven Wettbewerbs eine kundenorientierte Unternehmenspolitik zu den zentralen unternehmerischen Erfolgsfaktoren gehört. Doch lange Zeit bestanden sowohl auf strategisch-konzeptioneller als auch auf informationstechnologischer Seite erhebliche Defizite, die verhinderten, dass diese Erkenntnis auch in konsequentes Handeln umgesetzt wurde. Das hat sich inzwischen nachdrücklich geändert. In konzeptioneller Hinsicht bietet das Customer Relation ship Management mit der Fokussierung auf Kundenbeziehungen eine frucht bare Perspektive, die zu einer neuen Strukturierung kundenbezogener Ma na gementaufgaben führt. Die modernen Informationstechnologien bieten zudem leistungsfähige Möglichkeiten, diese Aufgaben in bisher nicht gekannter Präzision und Effizienz zu erfüllen. 21

1.2.1 CRM als konzeptioneller Rahmen Mit dem Begriff Customer Relationship Management werden derzeit verschiedene konzeptionelle Vorstellungen verbunden, die sich grob den beiden An satz punkten der Kontaktoptimierung und Beziehungsentwicklung zuordnen lassen. CRM als Kontaktoptimierung stellt eine am Kundenwert ausgerichtete Optimierung und Integration aller kundenbezogenen Prozesse in Marketing, Vertrieb und Service dar. Sie basiert auf einer Zusammenführung und Nutzung aller Kundendaten in einer Datenbank sowie auf der Synchronisation aller kundenbezogenen Kommunikationsstellen. CRM als Beziehungsentwicklung (Kundenbeziehungsmanagement) kann sich der gleichen Technologie bedienen, allerdings steht diese nicht im Vordergrund. Das Charakteristische des Kundenbeziehungsmanagements besteht somit darin, dass die auf Dauer angelegte Beziehung zum Kunden im Mittelpunkt steht. Angestrebt wird ein Vertrauensverhältnis zwischen Anbieter und Kunde, das zu einem Commitment im Sinne einer inneren Bindung und zu faktisch loyalem Verhalten führt. Vertrauen und Loyalität lassen sich aber weder erzwingen noch erkaufen, sie müssen aufgrund positiver Erfahrungen gewonnen werden. Erst wenn Kunden in den verschiedenen Situationen der Geschäftsbeziehung tatsächlich lernen, dass sich das Unternehmen kundenorientiert verhält und daher Vertrauen verdient, ist auch damit zu rechnen, dass der Kunde von sich aus an der Geschäftsbeziehung festhält. Dieses Verständnis der Beziehungsentwicklung liegt den weiteren Ausführungen zugrunde und kennzeichnet die zukünftige Verwendung des CRM- Begriffs. Mit der Schwerpunktsetzung auf die Kundenbeziehung ist auch eine bewusste Abkehr von der traditionellen Perspektive des herkömmlichen (Transaktions-) Marketing verbunden, das primär auf die Akquisition von Neukunden und die Durchführung von isolierten Einzeltransaktionen mit Kunden ausgerichtet war. Wesentliche Grundlage für die Hinwendung zur Beziehungsorientierung ist die Erkenntnis, dass gerade in reifen Märkten mit geringen Wachstumsraten die Gewinnung neuer Kunden mit außerordentlich hohem Kosteneinsatz verbunden ist und der Verlust von Kunden zum einen das eigene Unternehmen schwächt, zum anderen den Wettbewerber stärkt. Deshalb kommt es darauf an, den Kunden nicht nur in der Vorkaufphase zu umwerben, sondern ihn in allen Kauf- und Nutzungsphasen zu begleiten und durch das Angebot von jeweils auf seine Bedürfnisse abgestimmten Problemlösungen möglichst langfristig zu binden. Das Konzept des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus Konzeptionelle Grundlage des Customer Relationship Management ist der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus. Dabei handelt es sich um eine idealtypische 22

Darstellung des Verlaufs einer Geschäftsbeziehung von der Anbahnung bis zur Beendigung. Es wird unterstellt, dass eine Geschäftsbeziehung wie jede persönliche Beziehung auch verschiedene Phasen durchläuft, die mit jeweils unterschiedlichen Wachstumsraten der Beziehungsintensität verbunden sind und phasenspezifische Aufgaben des Kundenbeziehungsmanagements erfordern. Abbildung 1.1 zeigt eine einfache Variante eines solchen Beziehungsverlaufs. Der Kundenbeziehungs-Lebenszyklus Beziehungsintensität (z.b. Kundenwert) Anbahnungsphase Sozialisationsphase Gefährdungsphase Wachstumsphase Gefährdungsphase Reifephase Gefährdungsphase Degenerationsphase Kündigungsphase Abstinenzphase Revitalisierungsphase Zeit Potenzielle Kunden Aktuelle Kunden Verlorene Kunden Kundenbindungsmanagement Beziehungsauflösungsmanagement Interessentenmanagement Rückgewinnungsmanagement Quelle: in Anlehnung an Stauss 2000d, S. 16 Abbildung 1.1 23

Dabei wird die Beziehungsintensität durch den Wert des Kunden beispielsweise durch die kundenindividuellen Deckungsbeiträge ausgedrückt. In der Anbahnungsphase der Beziehung erkundigt sich der Kunde nach Einzelheiten des Angebots oder reagiert auf eine Kommunikationsmaßnahme des Anbieters. Da keine Transaktionen stattfinden, ist der kundenbezogene Ergebnisbeitrag negativ. Kommt es erstmals zum Kauf und damit zur Aufnahme der Geschäftsbeziehung, tritt der Kunde in die Sozialisationsphase ein und macht erste Erfahrungen mit Produkten und Dienstleistungen sowie der unternehmerischen Betreuung. Nimmt der Kunde Folgekäufe vor, indem er dieselbe Leistung wiederholt nachfragt oder den Nutzungsumfang auf andere Produkte ausdehnt, befindet er sich in der Wachstumsphase. Ist der Wendepunkt der Beziehungsintensitätskurve erreicht, d.h. steigt beispielsweise der Kundenwert nur noch mit sinkenden Wachstumsraten, liegt die Reifephase der Geschäftsbeziehung vor. Der Übergang zur Degenerationsphase erfolgt, wenn kein positives Wachstum mehr stattfindet, sondern die Ergebnisbeiträge im Vergleich zur Vorperiode stagnieren oder sinken. Sofern noch keine Kündigung seitens des Kunden besteht, kann die Degenerationsphase zugleich als Gefährdungsphase bezeichnet werden, denn häufig ist das Absinken des Kundenwerts ein Indikator für eine nachlassende Attraktivität des Anbieters aus Kundensicht. Es kann zu einem Abbruch der Geschäftsbeziehung kommen, wenn das Unternehmen keine Gegenmaßnahmen einleitet. Aber nicht nur am Ende, sondern auch während der gesamten Kundenbeziehung können Gefährdungsphasen auftreten, nämlich immer dann, wenn Kunden Anlass zur Unzufriedenheit haben oder sich aus anderen Gründen mit dem Gedanken der Auflösung der Geschäftsbeziehung bzw. der Einschränkung ihres Engagements befassen. In der Kündigungsphase haben die Kunden bereits ihre Entscheidung, die Geschäftsbeziehung zu verlassen, getroffen und gegenüber dem Unternehmen artikuliert. Von den Kunden, die die Kündigung endgültig vollzogen haben und aus der Geschäftsbeziehung ausgeschieden sind, wird ein Teil nie mehr bereit oder in der Lage sein, die Geschäftsbeziehung wieder aufzunehmen. Für sie endet der Beziehungs-Lebenszyklus nach Abschluss der Kündigungsphase. Andere sind nach einer Abstinenzphase zur Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung bereit, z.b. weil sich ihre Lebens und Bedürfnissituation wieder verändert hat oder weil sie vom Wettbewerbsangebot enttäuscht sind. In dieser Revitalisierungsphase sind ehemalige Kunden wieder ansprechbar, und im Erfolgsfall beginnt ein zweiter Zyklus. Bei der Betrachtung des idealtypischen Kundenbeziehungs-Lebenszyklus ist zu berücksichtigen, dass der Kunde die Geschäftsbeziehung zu jedem Zeitpunkt beenden kann, sodass in bestimmten Fällen die Kundenbeziehung nur von kurzer Dauer ist. Die grundlegende Aufgabe des CRM besteht somit darin, den Lebenszyklus nachhaltig zu verlängern bzw. Maßnahmen zu ergreifen, die die Kundenbeziehung in der Wachstums- bzw. Reifephase halten. 24

Managementaufgaben im Kundenbeziehungs-Lebenszyklus Die Kundenbeziehungs-Lebenszyklus-Betrachtung rückt die Tatsache in den Fokus, dass im Hinblick auf die Geschäftsbeziehung drei Kundengruppen unterschieden werden können, die jeweils völlig unterschiedliche Anforderungen an das Management stellen. Potenzielle ( Noch nicht -) Kunden sind Adressaten des Interessentenmanagements, aktuelle Kunden stellen die Zielgruppe des Kundenbindungsmanagements bzw. bei Vorliegen entsprechender Umstände auch des Beziehungsauflösungsmanagements dar, und auf die verlorenen ( Nicht mehr -) Kunden sind die Aktivitäten des Rückgewinnungsmanagements ausgerichtet. Das Interessentenmanagement hat zum Ziel, bei potenziellen Kunden Interesse zu wecken und Interessenten zu einem Erstkauf zu bewegen (Interessentenund Kundengewinnung). Mit Hilfe des Kundenbindungsmanagements wird angestrebt, die (attraktiven) Kunden, die man schon hat, nachhaltig an das Unternehmen zu binden und für ein Wachstum des jeweiligen Geschäftspotenzials zu sorgen. Bei gefährdeten Kundenbeziehungen werden Maßnahmen eingeleitet, den Kunden mit seinen Umsätzen und Deckungsbeiträgen auch weiterhin für das Unternehmen zu sichern (Kundenbindung, -wachstum und sicherung). Geschäftsbeziehungen zu Problemkunden oder Kunden, die auch in langfristiger Betrachtung keinen positiven Ergebnisbeitrag für das Unternehmen erwirtschaften, können im Rahmen des Beziehungsauflösungsmanagements gezielt beendet werden. Demgegenüber richtet sich das Rückgewinnungsmanagement darauf, attraktive Kunden, die explizit die Geschäftsbeziehung aufgekündigt bzw. diese tatsächlich beendet haben, erneut für das Unternehmen zu gewinnen (Rückgewinnung) (Stauss/Friege 1999; Sauerbrey/Henning 2000; Stauss 2000e). Befinden sich dabei die (Vertrags-) Kunden in der Kündigungsphase, ist es Aufgabe des Kündigungsmanagements, den Versuch zu unternehmen, den Kunden durch Dialog und Rückgewinnungsangebot von der Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu überzeugen. Ein anderes Segment und ein neuer Handlungsbereich des Rückgewinnungsmanagements liegen vor, wenn Kunden kontaktiert werden, die bereits vor längerer Zeit die Geschäftsbeziehung verlassen haben. Hier ist es wesentliches Ziel des Revitalisierungsmanagements, nach einer bestimmten Abstinenzphase die abgebrochene Geschäftsbeziehung wieder zu beleben. 25