Rede der Vizepräsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, anlässlich der KIP NI-Jahresveranstaltung am 22. November 2018 in Hannover

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Transkript:

Rede der Vizepräsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Martina Schaffer, anlässlich der KIP NI-Jahresveranstaltung am 22. November 2018 in Hannover Zeitdauer: ca. 15 Minuten Es gilt das gesprochene Wort! Anrede, ich freue mich, sie auch in diesem Jahr so zahlreich begrüßen zu können. Mit mehr als 200 Anmeldungen sind wir fast schon überbucht. Diese unglaubliche Resonanz zeigt, dass der Umgang mit Rückkehrern und Rückkehrerinnen aus den Jihadgebieten die Präventionsakteure sehr beschäftigt. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hat das von ihr kontrollierte Gebiet sowohl im Irak als auch in Syrien fast vollständig eingebüßt. Es ist zu erwarten, dass der IS als Reaktion darauf sein Augenmerk noch stärker auf die Medien- und Propagandaarbeit sowie die Durchführung von Anschlägen speziell in Europa legen wird. Damit wird sie ihre Handlungsfähigkeit weiter unter Beweis stellen wollen. Eine Abnahme der Anschlagsgefahr ist deshalb trotz des Zerfalls des Kalifats nicht zu erwarten. Die Gefährdungslage wird auch durch die sogenannten Rückkehrer beeinflusst. Dabei sprechen wir von möglichen ehemaligen Kämpfern, aber auch deren mitreisenden Familienangehö- 1

rigen wie Frauen und Kindern. Sie könnten nun nach dem Zerfall des Kalifats nach Deutschland zurückkehren. Von den mehr als 80 Personen, die nach Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden aus Niedersachsen in Krisengebiete Syriens oder des Iraks ausgereist sind, kehrten zwischenzeitlich 37 Personen wieder zurück. Mit weiteren Rückkehrern und Rückkehrerinnen nach Niedersachsen ist zu rechnen, auch mit Minderjährigen, die zumeist mit ihren Eltern ausgereist sind oder in Syrien oder im Irak geboren wurden. Um mögliche Gefährdungen möglichst frühzeitig feststellen zu können, treffen die Sicherheitsbehörden daher umfangreiche Vorkehrungen: Die Bearbeitung von Rückkehrern erfolgt in enger Abstimmung zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Eine wesentliche Grundlage hierfür bildet ein abgestimmter standardisierter Maßnahmenkatalog von Polizei und Verfassungsschutz. [ 1 ] Die darin festgelegten umfassenden Maßnahmen der nachrichtendienstlichen Aufklärung, polizeilichen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Zusammenspiel der lokal und regional zuständigen Sicherheitsstrukturen sind insbesondere auf salafistische Brennpunkte und den Umgang mit Rückkehrern zugeschnitten. Darüber hinaus haben das LKA NI und der Verfassungsschutz in dem besagten Maßnahmenkatalog ein Set von Präventionsmaßnahmen festgelegt. Im Mittelpunkt steht die Blickschärfung für die Radikalisierungsgefahren durch salafistische Bestrebungen sowie die Stärkung des Sicherheitsgefühls vor Ort. Zielgruppen sind im Wesentlichen: Muslimische Gemeinschaften vor Ort, 1 Richtlinie LKA NI Standardisierter Maßnahmenkatalog der nds. Sicherheitsbehörden i.z.m. salafistischen Brennpunkten sowie Jihad-Ausreisenden u. Rückkehrern (VS-NfD) mit Stand 11.01.2016. 2

Kommunale Entscheidungsträger, Präventionsräte u. Ordnungsbehörden, Flüchtlingseinrichtungen, Schulen u. Sozialarbeiter sowie Einrichtungen der Justiz, wie z.b. Vollzugsanstalten. Außerdem werden im Rahmen von Einzelfallkonferenzen Radikalisierungsfälle darunter auch Rückkehrersachverhalte - mit allen beteiligten Behörden (neben den Sicherheitsbehörden u. a. auch Jugend- und Sozialämter sowie Bildungseinrichtungen) erörtert einschließlich der Abstimmung einzuleitender operativer Maßnahmen. Bei der Initiierung und Durchführung solcher Fallkonferenzen nimmt die KIP NI eine Schlüsselrolle ein. Rückkehrer sind keine homogene Gruppe. Deshalb sind Maßnahmen erforderlich, die auf die jeweiligen Einzelfälle abgestimmt sind und nicht ausschließlich sicherheitsbehördliche Schritte umfassen. Neben der Strafverfolgung müssen auch Maßnahmen der Deradikalisierung und der Prävention erfolgen. Die KIP NI hat das bedeutsame Thema Rückkehrer und Rückkehrerinnen aus Syrien und dem Irak aufgegriffen und entwickelt derzeit eine ressortübergreifende Abstimmung der Handlungsmöglichkeiten und Maßnahmen. Im Februar 2018 wurde ausgehend von den Erfahrungen aus der Praxis die Arbeitsgruppe Umgang mit Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus Syrien/dem Irak unter der Moderation des Niedersächsischen Verfassungsschutzes eingerichtet. Das Ziel dieser interministeriellen Arbeitsgruppe besteht zum einen darin, bereits gut funktionierende Instrumente und Maßnahmen der Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung zu sammeln. Hierbei fließen die Expertise und die Erfahrungen aller an KIP NI-beteiligten Ressorts mit ein. Zum anderen sollen die sich aus der Praxis heraus ergebenden Herausforderungen benannt und ggf. Optimierungsbedarf herausgearbeitet werden. Es bedarf der Mitwir- 3

kung aller staatlichen Akteure, aber ebenso der Zivilgesellschaft und Wissenschaft, um das Phänomen Rückkehrer und Rückkehrerinnen zu erfassen und ihm letztendlich operativ und präventiv begegnen zu können! Hierfür ist eine enge Vernetzung unentbehrlich, wie sie im Rahmen der KIP NI umgesetzt wird. Die KIP NI-Geschäftsführung wird gemeinsam und gleichberechtigt durch den Verfassungsschutz und das LKA NI wahrgenommen. Der Verfassungsschutz widmet sich im Rahmen der KIP NI der Rückkehrer-Herausforderung auf unterschiedlichen Ebenen. Neben der Erarbeitung von ressortübergreifenden Konzepten und dem Ausbau von Netzwerkstrukturen können Rückkehrer und Rückkehrerinnen direkt über das Aussteigerprogramm Aktion Neustart Islamismus betreut werden. Das Aussteigerprogramm Aktion Neustart arbeitet sowohl im Phänomenbereich Rechtsextremismus als auch beim Islamismus mit proaktiven Ansprachen. Das heißt, dass aktive Extremisten, die noch keinen Ausstiegswillen formuliert haben, gezielt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Aktion Neustart angesprochen werden, um ihnen eine Alternative aufzuzeigen. Zusätzlich hat das Aussteigerprogramm sein Methodenrepertoire diesen Sommer erweitert. Über die Website www.aktionneustart.de bietet es auch Online-Beratung an. Diese Form eines niedrigschwelligen Angebots und die Möglichkeit der Anonymität im Internet bewirken, dass Online-Beratungen rege in Anspruch genommen werden. Gerade Menschen, die das Aufsuchen einer Beratungsstelle scheuen oder Bedenken haben, eine Hotline beim Verfassungsschutz anzurufen, kann die Online-Beratung einen erfolgreichen Zugang zum Aussteigerprogramm ermöglichen. Ebenso wie Radikalisierung ist die Deradikalisierung mitunter ein langer Prozess. Und so wie die Radikalisierungsmotive und -gründe vielfältig sind, ist auch der Deradikalisierungsprozess 4

höchst individuell. Die Loslösung von dem extremistischen Weltbild, der Aufbau von neuen Beziehungen privat wie auch beruflich und die Anbindung an neue Bezugsgruppen brauchen Zeit. Insbesondere die Verarbeitung der extremistischen Vergangenheit kann in der Betreuung von Rückkehrern und Rückkehrerinnen eine bedeutende Rolle spielen. Je nach Einzelfall kann die Verarbeitung des Erlebten in einem Kriegsgebiet die Anbindung an traumatherapeutische Zentren notwendig machen. Dies ist umso entscheidender im Kontext der zurückkehren Kinder! Diese und ähnliche Herausforderungen werden im Rahmen der KIP NI interdisziplinär diskutiert und gemeinsam angegangen. Auch hierbei leistet der Verfassungsschutz einen Beitrag: durch die Aufstockung des Aussteigerprogramms Aktion Neustart für den Phänomenbereich Islamismus werden sich ab nächstem Jahr ein weiterer Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin u. a. vertieft mit Rückkehrer-Fällen beschäftigen. Anrede, das Sicherheitsrisiko, das von Rückkehrern und Rückkehrinnen ausgehen kann, ist ernst zu nehmen. Die Bundesregierung hat dazu formuliert: Grundsätzlich muss bei der Mehrzahl der Zurückgekehrten davon ausgegangen werden, dass sie weiterhin an ihrer islamistischen Grundhaltung festhalten. Ihre Fähigkeit, sich unauffällig in westlichen Staaten zu bewegen (z. B. durch ihre angepasste äußerliche Erscheinung oder den legalen Besitz westlicher Reise- und Identitätsdokumente), macht sie aus Sicht islamistischer Organisationen geeignet, Anschläge zu konzipieren und auch zu realisieren. Ein Sicherheitsrisiko stellen vor allem die überwiegend männlichen Personen dar, die während ihres Auf- 5

enthaltes in Syrien und im Irak ideologisch indoktriniert, militärisch ausgebildet und in Kämpfen eingesetzt wurden. 2 Die Tatsache, dass Islamisten und Islamistinnen aus den ehemals vom IS gehaltenen Gebieten in Syrien bzw. im Irak nach Niedersachsen zurückkehren, stellt Kommunen, Sicherheitsbehörden und Präventionsakteure vor große Herausforderungen. Im Fall von Rückkehrern und Rückkehrerinnen muss eine Vielzahl an Behörden und Einrichtungen gut koordiniert zusammenarbeiten, um die Personen und Familien wieder zu integrieren, ein Wiedereintauchen in die Szene möglichst zu verhindern und die besonderen Erfordernisse hinsichtlich psychologischer und ärztlicher Behandlung zu erfüllen. KIP NI hat sich im vergangenen Jahr u. a. verstärkt mit der Einbeziehung der niedersächsischen Kommunen in eine ganzheitliche und gut vernetzte Islamismusprävention beschäftigt. Örtliche Akteure haben gemeinsam mit den KIP NI-Vertreterinnen und Vertretern lokale Netzwerke für Islamismusprävention entwickelt, die auf die jeweiligen kommunalen Gegebenheiten abgestimmt sind. Über die einzelnen Aktivitäten wird im Verlauf dieser Veranstaltung die KIP NI-Geschäftsführung berichten. Ich denke, wir sind uns einig, dass weder Sicherheitsbehörden noch Justiz oder Schule allein das Phänomen erfassen können. Jeder muss sich einbringen und es bedarf der Koordinierung einzelner Expertisen. KIP NI bietet genau diesen Rahmen für ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen. Dass sich KIP NI bewährt hat, wird auch dadurch deutlich, dass das Kabinett im Oktober beschlossen hat, KIP NI zum Landesprogramm für Islamismusprävention auszubauen. 2 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Umgang mit IS-Rückkehrern vom 15.12.2017 (Drucksache 19/284), S. 13, online verfügbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/002/1900284.pdf [zuletzt besucht am 09.08.2018]. 6

Wir haben vielleicht noch nicht umfassende Antworten auf alle Fragen in Bezug auf das Thema der heutigen Tagung, aber wir wissen um die Herausforderungen und wollen diese gern mit Ihnen diskutieren. In den Workshops am Nachmittag haben Sie u. a. die Gelegenheit sich über die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen der Sicherheitsbehörden auszutauschen, über die Herausforderungen, denen sich der Bereich Schule stellt, zu diskutieren und sich über die Fragen, die sich in der Umfeldberatung von Rückkehrern und Rückkehrerinnen ergeben, zu informieren. Wir werden aber zunächst einen Auszug aus dem Theaterstück Djihad von Ismaël Saidi sehen, das vom Jungen Staatstheater Braunschweig aufgeführt wird. Wir begleiten drei junge Männer in ihrer Entscheidung, für den sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen. Sich des Themas inhaltlich zunächst mittels einer szenischen Darstellung zu nähern, hat mehrere Vorteile. Zum einen bekommt die Motivation zur Ausreise nun Leben eingehaucht. Wir alle kennen die Erklärungsansätze zu Radikalisierungsprozessen, die bis hin zur Ausreise führen können. Nun erhalten wir die Möglichkeit, diese Faktoren mit Emotionen zu verknüpfen. Die Dynamik, die junge Menschen entscheiden lässt, in ein Kriegsgebiet auszureisen, wird sichtbar. Zum anderen ist das Theaterstück Djihad gleichzeitig auch bestes Beispiel dafür, wie ein solch komplexes Thema auch mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen bearbeitet werden kann. Theater als Instrument der Prävention dies wird das Thema in einem der Nachmittagsworkshops sein. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Jungen Staatstheater Braunschweig für Ihre Bereitschaft, heute hier in Hannover diese KIP NI- Jahresveranstaltung mitzugestalten! In der Vorankündigung des Jungen Staatstheaters Braunschweigs heißt es: 7

Sie lassen ihre Heimat, die für sie nie eine war, hinter sich, entschieden, im Namen Allahs Ungläubige zu töten und letztlich als Märtyrer ins Paradies zu kommen. Doch die Realität im Kriegsgebiet ist unübersichtlicher als gedacht und hat überhaupt nichts mehr mit Call of Duty zu tun: Wer schießt hier eigentlich auf wen und wie erkennt man den Feind? Und überhaupt: War es richtig herzukommen? Es geht also um die Zweifel und Infragestellung der eigenen Entscheidung auszureisen und die anschließende Rückkehr nach Deutschland. Solche und ähnliche Fragen beschäftigen nicht nur die fiktiven Charaktere dieses Theaterstückes. Es sind eben auch jene Fragen und Zweifel, die möglicherweise die Ausgereisten aus Niedersachsen und bundesweit zu einer Rückkehr bewogen haben und mit denen wir nun konfrontiert sind. Ich wünsche uns allen eine interessante Veranstaltung und freue mich auf frische Impulse zu der Thematik sowie spannende Diskussionen in den Workshops und in der Mittagspause. 8