Städte und Gemeinden: der Aufschwung kommt in den Kassen nicht an

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Transkript:

WIRTSCHAFTSPOLITISCHE INFORMATIONEN NR. 1 Januar 2011 VER.DI BUNDESVORSTAND BEREICH WIRTSCHAFTSPOLITIK WWW.WIPO.VERDI.DE Städte und Gemeinden: der Aufschwung kommt in den Kassen nicht an Keine Entwarnung... 2 Einnahmen bleiben zurück... 3 Auswirkung der Schuldenbremse... 5 Notwendige Ausgaben steigen... 5 Die Gemeindefinanzkommission... 7 Gewerbesteuer noch immer in Gefahr... 8 Gemeinden ausreichend und gerecht finanzieren!... 9 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundesvorstand Paula-Thiede-Ufer 10 10179 Berlin Ressort 1 Frank Bsirske Bereich Wirtschaftspolitik: Ralf Krämer, Dr. Sabine Reiner, Dr. Norbert Reuter, Kontakt: wirtschaftspolitik@verdi.de

Keine Entwarnung Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 2 2010 mussten Städte und Gemeinden mit elf Milliarden Euro ihr bisher mit Abstand größtes Finanzierungsdefizit hinnehmen. Auch für 2011 erwartet der Deutsche Städte- und Gemeindebund ein zweistelliges Milliardendefizit. Die positive wirtschaftliche Entwicklung und Stabilisierung der Steuereinnahmen konnten lediglich verhindern, dass das Defizit nicht noch größer ausfiel für 2010 war ursprünglich ein Minus von 15 Milliarden Euro erwartet worden. Die Schlaglöcher auf den Straßen und die Haushaltlöcher der Städte und Gemeinden sind so tief wie noch nie. Die Finanznot der Städte und Gemeinden ist nur teilweise mit den Folgen der Wirtschaftsund Finanzmarktkrise zu erklären. Der Grund für die langjährigen Defizite ist eine strukturelle Unterfinanzierung, die sich in der Krise weiter zugespitzt hat. Nur in den kurzen Jahren des Wirtschaftsaufschwungs 2006-2008 konnten die Kommunen Überschüsse erwirtschaften. Auch davor wurden jahrelang milliardenschwere Defizite geschrieben nicht etwa wegen explodierender Ausgaben, sondern wegen ausbleibender Einnahmen. Wiederholte Steuersenkungen haben Städte und Gemeinden finanziell ausgeblutet. Zwischen 1995 und 2005 blieben die Ausgaben der Kommunen mit nominal rund 150 Milliarden Euro praktisch konstant, sind inflationsbereinigt also erheblich gesunken. Erst ab 2005 sind die Ausgaben spürbar angestiegen auf aktuell rund 180 Milliarden Euro. Der Anstieg war bis zur Krise jedoch schwächer als der zeitgleich einsetzende Einnahmeanstieg. Ohne Moos nichts los Defizite/Überschüsse der Städte und Gemeinden in Milliarden Euro ver.di Bundesvorstand Bereich Wirtschaftspolitik 10 8,6 7,7 5 2,2 2,2 1,9 2,8 0-5 -4-2,8-4,1-3,7-3,9-2,2-10 -8,3-6,6-5,8-7,3-8,4-7,2? -11-11 -15 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Quellen: Statistisches Bundeamt, 2010/11 Schätzung Deutscher Städte- und Gemeindebund

Einnahmen bleiben zurück Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 3 Der Rückgang der Einnahmen wurde ab 2001 maßgeblich durch die damalige Senkung von Einkommen- und Körperschaftsteuer verursacht. Die Steuersenkungen, von denen vor allem Bezieher und weniger Bezieherinnen von hohen Einkommen sowie finanzstarke Unternehmen profitierten, hatten für die Kommunen Einnahmeausfälle von bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr zur Folge. Mit den weiteren Steuersenkungen, die Bestandteil der Konjunkturpakete und des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes sind, summieren sich die Einnahmeausfälle auf gegenwärtig über acht Milliarden Euro pro Jahr, also auf den größten Teil des Finanzierungsdefizits. Ausfälle durch die seit 1997 nicht mehr erhobene Vermögensteuer, die als Ländersteuer über den kommunalen Finanzausgleicht wesentlich auch den Kommunen zugute kam, sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Steuergeschenke an Reiche und finanzstarke Unternehmen reißen seit Jahren riesige Löcher in die Haushalte von Städten und Gemeinden. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind die Einnahmen wie die Ausgaben der Städte und Gemeinden durch die Entstaatlichungspolitik der letzten Jahrzehnte deutlich gesunken. Anfang der 1990er Jahre betrug ihr Anteil wie auch Anfang der 1980er noch rund 8,5 Prozent. 2008, vor dem krisenbedingten Wiederanstieg, waren es noch gut sieben Prozent. Lägen Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden noch auf dem früheren Niveau, hätten sie jährlich mindestens 30 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Kommunalfinanzen Einnahmen und Ausgaben in Prozent am Bruttoinlandsprodukt ver.di Bundesvorstand Bereich Wirtschaftspolitik 8,5% 8,1% 8,4% 8% 7,7% 7,6% Einnahmen 7,3% 7,3% 7,3% Ausgaben 6,9% 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, eigene Berechung

Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 4 Fast 40 Prozent ihrer Finanzmittel erhalten die Gemeinden aus Steuereinnahmen. Den größten Teil macht die Gewerbesteuer aus, dicht gefolgt vom Gemeindeanteil an der Einkommensteuer. Sonstige Steuereinnahmen, darunter die Grundsteuern und der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer, machen weniger als zehn Prozent der Gesamteinnahmen aus. Ebenfalls fast 40 Prozent der Gesamteinnahmen stammen aus Zuweisungen von den Ländern und dem Bund. Gebühren und Sonstiges (unter anderem Veräußerungserlöse, Ausgleichszahlungen, Beiträge) machen etwa ein Viertel aus. Städte und Gemeinden sind auf stabile Steuereinnahmen angewiesen. Gebühren und ähnliches können nur einen kleinen Teil beitragen. Die Zuweisungen sind zu rund 60 Prozent allgemeine, sogenannte Schlüsselzuweisungen, die als Teil des kommunalen Finanzausgleichs je nach Steuerkraft den Gemeinden nach einem bestimmten Schlüssel zugewiesen werden. Etwa 40 Prozent sind zweckgebundene Zuweisungen zum Beispiel für Soziales, für Schule und Kultur, öffentliche Einrichtungen oder Straßen. Die Zuweisungen stammen im Wesentlichen aus den Steuern und Steueranteilen der Länder, darunter wiederum vor allem aus den Länderanteilen an der Einkommen- und der Umsatzsteuer. Von der Einkommensteuer erhalten Bund und Länder je 42,5 Prozent, die Gemeinden 15 Prozent. Der Länderanteil bei der Umsatzsteuer beträgt 43 Prozent, der Gemeindeanteil zwei Prozent. Woher bekommen Gemeinden ihr Geld? ver.di Bundesvorstand Bereich Wirtschaftspolitik sonstige Einnahmen 27 Mrd. Gewerbesteuer 24 Mrd. 16 % 15 % 2010: 166 Mrd. 14 % Einkommensteueranteil 22 Mrd. 38 % 8 % Zuweisungen von Land/Bund 63 Mrd. 9 % sonstige Steuern 14 Mrd. Gebühren 16 Mrd. Quelle: Gemeindefinanzbericht 2010

Auswirkung der Schuldenbremse Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 5 Die 2009 beschlossene Schuldenbremse scheint Städte und Gemeinden nicht zu betreffen, weil sie direkte Vorgaben nur für den Bund und die Länder macht. Doch Kommunen sind ohnehin zur Haushaltskonsolidierung verpflichtet, wenn ein Haushaltsausgleich mittel- und längerfristig gefährdet ist. Nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young hatte 2009 jede sechste Gemeinde ein Haushaltssicherungskonzept verabschiedet. Für 2010 befürchtete bereits jede dritte Kommune, keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können und die Finanzplanung von der Kommunalaufsicht genehmigen lassen zu müssen. Die Schuldenbremse setzt Bund und Länder unter Druck, die Ausgaben für die Gemeinden weiter zu kürzen. Die Schuldenbremse schreibt den Bundesländern vor, ab 2020 schuldenfreie Haushalte vorlegen zu müssen. Dafür entwickeln die einzelnen Bundesländer wie der Bund bereits Abbaupfade für die Ausgaben. Die Schuldenbremse wird absehbar den Druck erhöhen, die Zuweisungen an die Kommunen zu senken. Bundesländer haben immer wieder versucht, Finanzprobleme zu Lasten ihrer Kommunen zu mildern. So hat etwa die Hessische Landessregierung angekündigt, die Zuweisungen an die Kommunen ab 2011 um 400 Millionen Euro zu senken ein beträchtlicher Anteil gemessen an der bisherigen Höhe der Zuweisungen von gut drei Milliarden Euro. Notwendige Ausgaben steigen Sicherlich finden sich immer irgendwo Ausgaben, die eine Stadt oder Gemeinde sich sparen könnte. Aktuell sind die Kommunen etwa bei der Elbphilharmonie in Hamburg und beim Stuttgarter Bahnhof dabei. In den meisten Gemeinden geht es heute aber nicht darum, ob man sich eine Investition oder ein Prestigeprojekt leisten kann oder will. Es geht um die laufenden Ausgaben für die Musikschule, das Jugendhaus, den Seniorentreff, den Sportplatz, die Bibliothek, so vorhanden das Theater oder Museum, den Zuschuss für den Nahverkehr. Gemeinden sehen sich genötigt, Leistungen zu verschlechtern, hohe Gebühren und Eintrittspreise zu erheben oder sogar ganz zu streichen. Mit einem Kahlschlag bei den sogenannten freiwilligen Leistungen lassen sich die grundlegenden Finanzprobleme zwar nicht lösen. Aber er scheint angesichts der Defizite alternativlos. Und wer sich den als Spartugend angepriesenen Kürzungsorgien nicht unterwerfen will, erntet den Vorwurf, über den Verhältnissen zu leben. Entsprechend kritisierte etwa der Ministerpräsident von Baden-Württemberg die beitragsfreien Kindergärten in Berlin. Ein fernes Beispiel zeigt, dass es, wenn man will, trotzdem geht: Jón Gnarr, der Bürgermeister von Reykjavik, der Hauptstadt des von größenwahnsinni-

Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 6 gen Finanzmarktjongleuren besonders gebeutelten Islands hat mitten in der Finanzkrise für Kinder freien Eintritt in Schwimmbädern durchgesetzt. Die größten Ausgabeblöcke der Kommunen sind Personal (25 Prozent der Gesamtausgaben), soziale Leistungen (23 Prozent) und laufender Sachaufwand (21 Prozent). Die Investitionsausgaben spielen mit aktuell 13 Prozent nur noch eine nachrangige Rolle. 1995 machten sie noch 19 Prozent der Gesamtausgaben aus. Die Folgen sind unter anderem jetzt im Winter wieder auf den Straßen zu besichtigen. Die Investitionsausgaben haben sich zuletzt wieder etwas erholt, vor allem durch Konjunkturpaket-Ausgaben. Jeder sechste Investitions-Euro wurde 2009 und 2010 so finanziert. Die Gefahr ist groß, dass die Investitionsausgaben nach dem Auslaufen des Konjunkturpakets nun wieder erheblich zurückgefahren werden. Rabiater Beschäftigungsabbau, heruntergekommene Gebäude und Straßen, teure Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind die Realität in den Gemeinden. Personalausgaben sind der knapp größte Ausgabenblock. Allerdings stagnieren sie seit Jahren. Als Anteil an den stagnierenden Gesamtausgaben sind sie gesunken. Dies ist Ergebnis eines rabiaten Beschäftigungsabbaus: Die Anzahl der Beschäftigten im unmittelbaren öffentlichen Dienst der Kommunen ist von knapp zwei Millionen 1991 auf gut 1,2 Millionen gesunken, die Zahl der Vollzeitbeschäftigten hat sich sogar von 1,6 Millionen auf 760.000 mehr als halbiert. Der Beschäftigungsabbau im öffentlichen Dienst der Kommunen war damit noch stärker als der Abbau im gesamten öffentlichen Dienst. Kommunen brauchen mehr Geld vor allem für Soziales Ausgewählte Ausgabenbereiche der Kommunen ver.di Bundesvorstand Bereich Wirtschaftspolitik 50 in Mrd. 45 Personal Soziale Leistungen Investitionen 40 35 30 25 20 15 10 5 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Gemeindefinanzbericht,2010

Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 7 Bei stagnierenden Einnahmen und struktureller Unterfinanzierung entwickeln sich die schnell steigenden Sozialausgaben zum großen Problem für die Kommunen. Sie liegen heute bei über 40 Milliarden Euro, 2003 waren es noch 30 Milliarden. Und der Anstieg setzt sich kontinuierlich fort. Zu den Sozialleistungen gehören vor allem die Kosten für Unterkunft und Heizung für ALG-II-Beziehende, Ausgaben der Jugendhilfe und Ausgaben für Sozialhilfe, darunter Kosten der Grundsicherung im Alter, Hilfe zur Pflege und Wiedereingliederungshilfe. Durch steigenden Ausgabebedarf für Behinderte, Erwerbslose, arme Alte und Kinder wird der Handlungsspielraum für Kommunen immer enger. Der Bund zahlt zwar Anteile an verschiedenen Ausgaben, diese reichen aber bei weitem nicht aus und überlassen den Kommunen den größeren Teil der Verantwortung für die schnell wachsenden Ausgaben. Der finanzielle Handlungsspielraum wird so für die Kommunen immer enger und der Druck auf Kürzungen immer größer. Die Gemeindefinanzkommission Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat Anfang des Jahres 2010 eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung erarbeiten soll. Ihre Absichten hat die Regierung bereits im Koalitionsvertrag formuliert: Die Kommission soll den Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer prüfen. Die Kommunen haben nie um eine Abschaffung der Gewerbesteuer gebeten. Sie möchten im Gegenteil die Gewerbesteuer stärken. Man wird den Verdacht nicht los, dass es einigen politischen Akteuren nicht in erster Linie darum geht, die kommunale Finanzlage zu verbessern, sondern wieder einmal nur um die Abschaffung der Gewerbesteuer. Gemeindefinanzbericht 2010, Seite 1 Die Kommission hat die Arbeit auf drei Arbeitsgruppen aufgeteilt: Kommunalsteuern, Standards und Rechtsetzung. Letztere soll klären, wie Kommunen bei Gesetzgebungsverfahren, die für sie finanzwirksam werden, beteiligt werden können. Die AG Standards soll Entlastungen auf der Ausgabenseite zum Beispiel durch Flexibilisierung prüfen eine freundliche Formulierung, die die Gefahr eines fortgesetzten und vertieften sozialpolitischen Kahlschlags verdecken soll. Für die AG Standards wurde zunächst eine wilde Mischung von über 300 Einzelposten zusammengestellt, die durch Verwaltungsvereinfachung, durch stärkere oder vollständige Kostenübernahme des Bundes oder durch Absenkung von Leistungsstandards den Kommunen Erleichterung verschaffen sollten. Vor allem letzteres würde durch Leistungsverschlechterung etwa für Pflegebedürftige, Schwerbehinderte oder in der Jugendhilfe gravie-

Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 8 rende Verschlechterungen bedeuten, obwohl es die Kostendynamik bei den sozialpolitischen Ausgaben nicht brechen kann. Die einzelnen Vorschläge werden weiter geprüft. 1 Ein denkbar schlechtes Ergebnis der Gemeindefinanzkommission wäre: Die grundlegenden Ursachen der Finanzprobleme werden nicht angegangen. Um aber überhaupt ein Ergebnis vorlegen zu können, werden diverse Flexibilisierungen beschlossen, die minimale Finanzwirksamkeit aber maximale soziale Kälte bedeuten. Noch schlechter wäre das Ergebnis, wenn zum Leistungsabbau auch noch ein weiteres Ausbluten der öffentlichen Haushalte kommt, denn nichts anderes bedeutet der Verzicht auf die Gewerbesteuer, die Thema der dritten Arbeitsgruppe, der AG Kommunalsteuern ist. Gewerbesteuer noch immer in Gefahr Die Gewerbesteuer ist die mit Abstand wichtigste Gemeindesteuer. Sie wird von den ortsansässigen Unternehmen bezahlt. Ihre Abschaffung würde erneut Unternehmen entlasten, Bürger und Bürgerinnen dagegen über Zuschläge zur Einkommensteuer oder Erhöhung der Mehrwertsteuer belasten. ver.di setzt sich ebenso wie die Kommunen 2 und die drei Oppositionsparteien im Bundestag für ihren Erhalt und ihre Stärkung ein. Das Ziel der Abschaffung der Gewerbesteuer scheint die schwarz-gelbe Bundesregierung vorerst aufgegeben zu haben. Denn im November 2010 verkündete Finanzminister Schäuble, sie solle nicht gegen den Willen der Kommunen abgeschafft werden. Doch jetzt fordert etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie wenigstens die weitere Aushöhlung ihrer Basis. Die Gewerbesteuer ist ein Teil der Unternehmensbesteuerung, der an die Stadt oder Gemeinde gezahlt wird, in der das Unternehmen sitzt. Aktiengesellschaften und GmbHs zahlen die Gewerbesteuer zusätzlich zur Körperschaftsteuer. Gewerbliche Einzelunternehmer und Personengesellschaften zahlen Gewerbesteuer und können sie anschließend mit der Einkommensteuer verrechnen. Die Hinzurechnungsdebatte ist ein verklausulierter Kampf der Unternehmerlobby für die Ausweitung von Steuerprivilegien. Die Ursache der notorischen Kritik der Unternehmerlobby an der Gewerbesteuer: Die Ermittlung des für die Besteuerung relevanten Gewinns ist weniger großzügig als bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Für letztere können Betriebe Zinsen, Mietzahlungen, Pachten, 1 Ein Zwischenbericht der AG Standard findet sich auf der Website des BMF unter http://www.bundesfinanzministerium.de/de/wirtschaft und Verwaltung/Finanz und Wirtschaftspolitik/Foederale Fin anzbeziehungen/kommunalfinanzen/20100708-laender 1,templateId=raw,property=publicationFile.pdf 2 Vgl. Deutscher Städtetag, Die Gewerbesteuer eine gute Gemeindesteuer, Berlin und Köln, Juli 2010

Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 9 Lizenz- und Leasinggebühren vom Gewinn abziehen, bevor die zu zahlende Steuer ermittelt wird. Für die Gewerbesteuer müssen sie einen Teil der Abzüge wieder hinzurechnen. Die Möglichkeit Zinsen, Mieten, Lizenzgebühren usw. vom Gewinn abzuziehen, eröffnet für große Unternehmen erhebliche steuerliche Gestaltungspielräume. Bekannte Beispiele sind die hohen, gewinnschmälernden Mieten der Karstadt-Kaufhäuser oder die hohen Lizenzgebühren, die Ikea Deutschland an den Mutterkonzern zahlt. Ikea konnte in der Vergangenheit durch die Nutzung von Steuerschlupflöchern die Gewinnsteuern in Deutschland ganz legal auf rund 15 Prozent drücken. Es ist bisher empirisch nicht nachgewiesen worden, dass sich durch gewinnunabhängige Steuerbestandteile die Zahl der Insolvenzen erhöht hätte. In den Medien aufgegriffene Fälle haben stets ergeben, dass diese Unternehmen Steuersparmodelle gefahren und sich in ihren eigenen steuersparenden Gestaltungen verheddert haben. Deutscher Städtetag, Oktober 2010 Die Einbeziehung der sogenannten ertragsunabhängigen Elemente wie Mieten, Zinsen usw. in die Basis für die Gewerbesteuer ist keine Substanzbesteuerung wie Unternehmer und ihre Lobby behaupten. Sie werden aus der im Unternehmen erzeugten Wertschöpfung bezahlt, sind also eine Gewinnausschüttung an Eigentümer und Fremdkapitalgeber. Ihre Einbeziehung bei der Gewerbesteuer sorgt dafür, dass die vor Ort erarbeitete Wertschöpfung eines Betriebes der Kommune steuerlich zugute kommt. Unternehmen geraten dennoch auch in Krisenzeiten durch die Gewerbesteuer finanziell nicht in Probleme dafür sorgen Freibeträge und der gewerbesteuerliche Verlustausgleich. Die von Unternehmerverbänden geforderte Abschaffung der Hinzurechnung soll der grundsätzlichen Abschaffung der Gewerbesteuer den Boden bereiten. Denn dadurch würden die Bemessungsgrundlagen für Gewerbe-, Einkommen- und Körperschaftsteuer einander angenähert und eine Unterscheidung der Steuerarten würde überflüssig. Gemeinden ausreichend und gerecht finanzieren! Statt einer Abschaffung fordert ver.di die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer. Die zuletzt wieder eingeschränkten Hinzurechnungen müssen stark ausgeweitet werden. Zusätzlich sollen Freiberufler und andere Selbstständige in die Gemeindewirtschaftsteuer einbezogen werden. Sie sind bisher von der Gewerbesteuer ausgenommen, auch wenn sie höhere Einkommen erwirtschaften als viele kleine Gewerbebetriebe. Sie können die Steuer aber, wie bisher auch die Gewerbesteuer, von der Einkommensteuer abziehen.

Wirtschaftspolitische Informationen ver.di Bundesvorstand Berlin Seite 10 Ein Freibetrag von 25.000 Euro pro Jahr und die Beibehaltung der Anrechnung auf die Einkommensteuer stellen sicher, dass die große Mehrzahl der Betriebe und Selbstständigen nicht zusätzlich belastet werden. Die Einnahmen der Gemeinden aber blieben auch bei schwächerer wirtschaftlicher Entwicklung stabiler. Die Mehreinnahmen aus der Gemeindewirtschaftsteuer betragen per Saldo rund vier Milliarden Euro pro Jahr. Für Städte und Gemeinden kämen nochmals etwa acht Milliarden Euro hinzu, die aber durch die Anrechnung bei der Einkommensteuer zu entsprechenden Ausfällen bei Bund und Ländern führt. Die Gemeindewirtschaftsteuer erhöht also die Einnahmen aus der bisherigen Gewerbesteuer und verschiebt zusätzlich Einnahmen von Bund und Ländern hin zu den Gemeinden. Die Stabilisierung und Verbesserung der Einnahmen von Städten und Gemeinden kann keine tragfähige, dauerhafte Lösung sein, wenn sie zulasten von Bund und Ländern geht. Außerdem brauchen vor allem die am stärksten verschuldeten und unter hoher Erwerbslosigkeit leidenden Städte und Gemeinden zusätzlich einen Rettungsfonds zur Entschuldung, der ihre Handlungsfähigkeit erst wieder herstellt. Und der Bund muss die Finanzierung der steigenden Sozialausgaben der Kommunen ermöglichen. Mit dem Konzept Steuergerechtigkeit von ver.di sind Mehreinnahmen von 70 Milliarden Euro jährlich möglich. Notwendig ist eine umfassende Stärkung der Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden, wie ver.di sie im Konzept Steuergerechtigkeit 3 vorgeschlagen hat. Aus kommunaler Sicht sollten neben der Gemeindewirtschaftsteuer die Wiedererhebung der Vermögensteuer und eine stärkere Besteuerung großer Erbschaften im Vordergrund stehen. Beide sind als Ländersteuern besonders dazu geeignet, über den kommunalen Finanzausgleich der Länder die Bedingungen vor Ort zu verbessern. Darüber hinaus müssen hohe Einkommen und finanzstarke Unternehmen wieder einen größeren Beitrag zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben leisten. Die ver.di-vorschläge würden dazu führen, dass sich Deutschland beim Steueraufkommen wieder dem Niveau vergleichbarer europäischer Länder nähert. Mit Steuern und Abgaben wie in Frankreich wären die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland 150 Milliarden Euro höher. 3 http://wipo.verdi.de/broschueren/konzept_steuergerechtigkeit_1