Tagungsreihe des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, 6. 7. Juni 2011, Kleisthaus 4. Fachtagung: PROBLEMATIK ZWISCHEN ARZNEI- UND HEILMITTELVERSORGUNG UND ÄRZTLICHEN VERORDNUNGEN Richtlinien bei der Arznei- und Heilmittelversorgung Impulsreferat: Martin Marquard, ISL
Richtlinien bei der Arznei- und Heilmittelversorgung Stellen die Arzneimittel- und die Heilmittel-Richtlinie des G-BA eine bedarfsgerechte Versorgung von Menschen mit Behinderung sicher?
2a SGB V: Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen.
Art. 25 Behindertenrechtskonvention (BRK): Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung.
Es soll eine kostenlose oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie anderen Menschen zur Verfügung gestellt werden. (Art 25 BRK)
Den Menschen mit Behinderung sollen alle Gesundheitsleistungen angeboten werden, die sie speziell wegen ihrer Behinderungen benötigen. (BRK)
Michael Seidel, Neurologe, Psychiater und ärztlicher Direktor in Bethel, beklagt die mangelnde gesundheitliche Versorgung insbesondere der Personengruppe der Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung, die in der Regel nur über geringe Finanzmittel verfügt.
Viele können sich im Bedarfsfall eine medizinische Behandlung oder den Kauf von Medikamenten nicht oder nicht im nötigen Umfang leisten.
Unter dem Licht des 2a SGB V und des Art. 25 BRK kann von einer bedarfsgerechten Versorgung z.b. der geistig und schwermehrfach behinderten Menschen keine Rede sein.
Michael Seidel fordert deshalb ein Umdenken im Sinne der International Classification of Functioning, Disability and Health, der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)
Das bedeutet vereinfacht gesagt: Grundsätzliche Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen der Behinderung und den Lebens- und Umweltbedingungen des/der Versicherten, seiner/ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation sowie seiner/ihrer allgemeinen Lebenslage
Handlungsbedarf Einsparungen dürfen nicht zu Lasten von Chronisch kranken und behinderten Menschen gehen. Ein verändertes Verordnungsverhalten der Ärzte/Ärztinnen und eine stärkere Regulierung des Arzneimittelmarktes würden Milliarden Einsparungen bringen. Einführung einer Positivliste
Probleme mit der Heilmittelrichtlinie bei notwendigen Langzeitverordnungen: Viele Ärzte/Ärztinnen verordnen grundsätzlich nicht außerhalb des Regelfalles. Sie fürchten Budgetüberschreitung, Wirtschaftlichkeitsprüfung und mögliche Rückzahlungspflicht.
Die Heilmittelrichtlinie ist ihnen auch nach der gerade beschlossenen Änderung nicht eindeutig genug. Möglicherweise wird erst das geplante GKV-Versorgungsgesetz eine für alle Seiten befriedigende Lösung bringen.
Weitere Änderungen der Heilmittelrichtlinie: Fortschritt: Therapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Integrations-Kitas und Schulen sowie Sondereinrichtungen
Rückschritt: Altersbegrenzung auf 18 Jahre Erwachsene Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen in Tagesfördereinrichtungen können diese Gesundheitsleistung nicht mehr in Anspruch nehmen.
Handlungsbedarf: Perspektivenwechsel Die Verordnung und Erbringung von Gesundheitsleistungen für Menschen mit Behinderung müssen sich grundsätzlich am tatsächlichen Bedarf unter Einbeziehung der besonderen Lebenssituation der Betroffenen (ICF) orientieren, und nicht an formalen Durchschnittswerten, Richtgrößen oder Altersgrenzen.
Nach Art. 4 BRK haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, ihr politisches Handeln an den Regelungen der Konvention auszurichten, d.h.: Geeignete Gesetzgebung-, Verwaltungs- und sonstige Maßnahmen zu treffen, Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten oder Praktiken, die der BRK entgegenstehen, aufzuheben oder zu ändern und die Behindertenrechte in allen politischen Konzepten und Programmen zu berücksichtigen.
Vorschlag: Ein erster Schritt Bei allen Entscheidungen im Gesundheitswesen soll immer verbindlich die Frage nach den Auswirkungen für Menschen mit Behinderung gestellt werden ähnlich dem Gender-Check zur Geschlechtergerechtigkeit.
Und schließlich: Noch stärkere Einbeziehung der betroffenen Menschen in die Arbeit des G-BA und anderer Gremien des Gesundheitswesens. Auch das ist eine Forderung der BRK.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!