Produktivität und Qualität im Flugzeugbau Das Fliegen ist inzwischen für viele Menschen selbstverständlich geworden. Schnelligkeit, Komfort und der hohe Sicherheitsstandard beflügeln den zivilen Luftverkehr. Diese drei Faktoren führen dazu, daß höchste Anforderungen an die Maßgenauigkeit und Qualität der zum Teil sehr Komplexen Bauteile gestellt werden. Qualitätssicherung automatisieren Die Forderungen nach verkürzten Produktentwicklungszyklen, reduzierten Kosten bei verbesserter Qualität und schnellerer Marktreife, setzen die Flugzeughersteller immer mehr unter Druck. Um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, gehen diese deshalb verstärkt dazu über, die Qualitätssicherung zu automatisieren. Bisher war es üblich, die Werkstücke mit Lehren zu messen. So wurde aber nur bestimmt, ob das Teil innerhalb der spezifizierten Toleranzgrenzen liegt, und somit den Qualitätsanforderungen entspricht, oder ob es nachbearbeitet werden muß. Dies hatte jedoch den Nachteil, daß pro Flugzeugtyp bis zu mehreren tausend solcher Lehren benötigt wurden. Was natürlich kostenintensiv ist. Der Vermessungsprozeß an sich, ist zudem noch unproduktiv, da während den Messungen kostbare Produktionszeit verloren geht. Ein weiterer zu kritisierender Punkt ist, daß das Ergebnis der Messung in vielen Fällen nicht ausreicht, denn die Lehren geben nur eine Aussagen darüber, ob ein Teil gut oder fehlerhaft ist. Sie geben jedoch keine Ausage welche Schritte unternommen werden sollten, um die Qualität zu verbessern. Nach jeder Messung folgt also ein Trial-and-error - Verfahren. Das Werkstück muß neu gefertigt werden und zudem noch die entsprechende Lehre. Dieser Prozeß ist oft sehr langwierig, denn bis das Teil den Qualitätsanforderungen entspricht sind mehrere
Änderungsiterationen notwendig. Jede noch so kleine Konstruktionsänderung erfordert eine neue Lehre. Um den Aufwand für die Vermessung von Werkstücken, Fertigungsmitteln sowie zum Teil komplexen Werkzeugen mit 3D-Freiformflächen zu verringern und eine lückenlose Qualitätskontrolle sicherzustellen, setzt der Flugzeughersteller Boeing, bereits seit 1992, die Qualitätssicherungs-Software Valisys in der Fertigung von Verkehrsflugzeugen, Raumfahrzeugen und militärischen Flugzeugen ein. Boeing, 1910 von William Boeing gegründet, ist der führende Hersteller auf dem Luft- und Raumfahrtsektor. Das Unternehmen trug wesentlich zur Einführung der Jet- Flugzeuge bei Linienflüge bei. 1958 wurde der Jetliner Model 707 erstmals bei der Pan American auf der Tansatlantic Route eingesetzt und läutete somit das moderne Jet-Zeitalter in der zivilen Luftfahrt ein. Diese Vorreiterrolle verpflichtet Boeing auch die modernsten Software-Tools in der Entwicklung und Fertigung einzusetzen. So vertritt der Marktführer die Devise, daß eine offensive Qualitätssicherung bereits in der Vorausentwicklung beginnen sollte und sich in den Entwicklungs- und Konstruktionsprozessen fortsetzt. Da im Gegensatz zu den Fertigungsabläufen in der Qualitätssicherung noch eine Lücke klafft, benötigt man hier ein Hilfsmittel, das die qualitätsbezogenen Prozesse unterstützt. Das Software- System Valisys von Tecnomatix stellt Funktionen zur Verfügung, um auf Basis von CAD-Daten Merkmale zu generieren, welche die geometrisch bestimmte Qualität beschreiben. So wird die Integration von Meßmaschinen und Meßmitteln durch Direktanbindung an das CAD-System unterstützt. Digitale Lehren Ein wichtiges Merkmal des Moduls Design von Valisys ist das Softgauge -Verfahren. Hierbei handelt es sich um 2
Geometrieelemente, die, basierend auf dem CAD-Modell, Toleranzen als Geometrie zur Verfügung stellen. Also in gewisserweise, eine digitale Software-Lehre des Bauteils. Das 3D-Modell der Toleranz wird später mit den aktuellen Meßdaten verglichen. Diese Toleranzen werden bereits in der Konstruktionsphase definiert und es wird sichergestellt, daß sie in den nachfolgenden Fertigungs- und Montageprozessen eingehalten werden. Bei Boeing wird das Werkstück durch einen an der NC- Bearbeitungsmaschine angebrachten Infrarot-Meßfühler vermessen. Die Meßwerte werden an Valisys zurückgemeldet, wo sie mit den im CAD-Master-Modell gespeicherten zulässigen Toleranzen verglichen werden. Zusätzlich kann durch Toleranzsimulation das Zusammenspiel der Toleranzen beim Zusammenbau überprüft werden. Es kann analysiert werden, inwieweit jede einzelne Toleranz zur Summentoleranz der gesamten Baugruppe beiträgt. Somit können Konstrukteure genau feststellen, welchen Toleranzen enger gefaßt werden müssen oder gelockert werden können oder ob eine Konstruktionsänderung eingeleitet werden muß. Unter Verwendung der 3D-Summentoleranz-Analysetechniken für mehrteilige Baugruppen kann festgestellt werden, wie groß die Abweichungen in einer Baugruppe aufgrund der Teiletoleranzen und der fertigungsbedingten Faktoren sein wird. Die Software verwendet dafür eine Kombination von statistischen Monte-Carlo-Simulationstechniken und der Valisys TMS-Software-Technologie, um eine vollständige Analyse-Lösung bereitzustellen. Wo früher zu Prüfzwecken Koordinaten-Meßmaschinen eingesetzt wurden, kann heute vielfach die NC-Maschine selbst diese Aufgabe erfüllen. Die Analysefunktion von Valisys stellt unzulässige Abweichungen vom Sollmaß fest. In diesem Fall können die notwendigen Korrekturen direkt im Produktionsmodus vorgenommen werden, wodurch kostspielige Maschinenstillstände und die 3
Ausschußproduktion minimiert werden. Das erwünschte Resultat bei Boeing sind kürzere Produktions-Taktzeiten und damit rentablere Fertigung. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Prüfprogramm bei Bedarf zu ändern, ohne die Maschine anzuhalten. Bei Boeing denkt man sogar über weitergehende Möglichkeiten zur Kostenreduzierung nach, z.b. durch den Einsatz von etwas weniger genauen, dafür aber wesentlich kostengünstigeren Maschinen und durch Transfer der Teile zwischen den Maschinen. Ohne die exakte Toleranzkontrolle mit Valisys wäre es nicht möglich, solche Rationalisierungsmaßnahmen ohne entsprechende Qualitätsverluste zu realisieren. CMMs flexibler Einsetzen Für bestimmte Werkstücke werden weiterhin die vorhandenen Koordianten-Meßmaschinen (CMMs) genutzt. Für diese Anwendung erlaubt Valisys die Offline-Programmierung der CMMs für zukünftige Aufgaben, so daß diese Einrichtungen flexibel eingesetzt werden können. Valisys/CMM ermöglicht auch ein Automatisieren des Meßprozesses selbst. Während die Werkstücke früher manuell in Meßvorrichtungen eingespannt werden mußten, werden sie heute auf Paletten montiert und automatisch zum Meßsystem transportiert. Diese werden dort anhand spezieller Markierungen automatisch erkannt und einem Bezugskoordinatensystem zugeordnet. Auf den Paletten werden die Werkstücke durch Greifsaugnäpfe gehalten, deren Anordnung bei der Offline- Programmierung definiert wurde. So können viele Abläufe automatisiert werden, die vorher von Maschinenbedienern manuell durchgeführt wurden. Fehler, die durch ungenügendes oder nicht eindeutige Daten entstehen, können so ausgeschlossen werden. Die Rationalisierungseffekte durch das bessere Ausnutzen der Produktionressourcen, führt zu einer höheren Produktivität 4
und damit zu einer besseren Wettbewerbsposition des Flugzeugherstellers. Daneben sollte nicht vergessen werden, daß auch die Rolle des Maschinenbedieners neu definiert wird. Viele monotone und potentiell gefährliche Tätigkeit in der Produktionsumgebung werden von automatischen Systemen übernommen. Das Bedienerpersonal kann sich auf die eigentlichen Steuerungs- und Qualitätssicherungsaufgaben konzentrieren, für die ihm Valisys die nötigen Informationen liefert. Ein weiteres Beispiel vom Einsatz der Koordinatenmeßmaschinen in Verbindung mit Valisys, ist der Business-Jet-Hersteller Learjet. Der realisierte Softgauge- Prozeß löst ein zeitaufwendiges, fehleranfälliges und vor allem kostspieliges manuelles Inspektionsverfahren sowie teure Lehren (durchschnittliche Kosten 7.500 bis 15.000 DM) zur Prüfung der komplexen Werkstücke ab. Maße und Toleranzen werden heute elektronisch definiert und kontrolliert. Viele Teile, deren Fertigung wegen der komplexen Form früher an Zulieferer vergeben werden mußte, können heute zeit- und kostensparend im eigenen Hause gefertigt werden. Dies wirkte sich bei der Produktion des neuen Learjet-Typs 45 besonders vorteilhaft aus. Bei diesem auf einem fortschrittlichen Windkanal-Design basierenden, 8- bis 12- sitzigen Flugzeug konnten einige Dutzend der teuren Lehren eingespart werden. Ein weiterer Effekt war, daß das Flugzeug in einer kürzeren Produktionszeit als jeder andere Learjet zuvor gebaut werden konnte. 5