Kleine Kinder in Not Herausforderungen für die Jugendhilfe



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Transkript:

Kleine Kinder in Not Herausforderungen für die Jugendhilfe Was brauchen kleine Kinder von der Jugendhilfe? Hilfe bei der Interessenvertretung Hilfe zur Überwindung von Entwicklungsdefiziten und zur Lösung von Entwicklungsaufgaben Hilfe zu einer sicheren Bindung Beendigung belastender Lebensbedingungen 1

Abschätzung von Gefährdungen: Bei welchen Merkmalen des Kindessollte sollte das Kind nicht in der Familie verbleiben? Deprivationsstörungen: Entwicklungsverzögerungen, großflächige Schaukelbewegungen, stereotypes Verhalten Bindungsstörungen: z.b. distanzlose Freundlichkeit gegenüber Fremden Traumabedingte Störungen Differentialdiagnostische Abklärung ist wichtig Sorgfältige Anamnese und Beobachtung Ausschluss anderer Störungsbilder Abschätzung von Gefährdungen: Bei welchen Merkmalen der Elternist mit einer Fortsetzung von Kindeswohlgefährdungen in der Familie zu rechnen? Psychische Erkrankung/Sucht der Mutter /des Vaters bereits früher bekannt gewordene Gefährdungsereignisse in der Familie Gefährdungserfahrungen der Mutter/des Vaters während der Kindheit geringe Belastbarkeit und grob unangemessene Strenge des Vaters Unterschätzung der Gefährdung des Kindes Ablehnung einer Zusammenarbeit mit dem ASD Strobel, B. Ch. Liel & H. Kindler (2008): Validierung und Evaluierung des Kinderschutzbogens. Ergebnisbericht, DJI, geförd. durch das Jugendamt der Landeshauptstadt Stuttgart, S. 29 ff. 2

Können Psychiater oder Drogenberater die Erziehungsfähigkeit von Eltern einschätzen? Ärzte und Berater haben zu wenig Überblick über die Lebenssituation ihrer Patientinnen und Patienten sind unsicher über die Grenzen des Berufsgeheimnisses befürchten bei Weitergabe kritischer Einschätzungen an den Sozialen Dienst das Zerbrechen der therapeutischen Beziehung die weitere Destabilisierung der Patientin oder des Patienten Ziele der Hilfe für Familien beim Verbleib des Kindes im Elternhaus Die allgemeine Verbesserung der Lebensumstände in der Familie genügt nicht Ermöglichen von sicheren Bindungserfahrungen des Kindes durch Verbesserung der elterlichen Erziehungsfähigkeit Förderung der kindlichen Entwicklung, ggf. Kompensation bereits eingetretener Entwicklungsdefizite 3

Wie sollte die ambulante Hilfe für die Eltern gestaltet werden? (Kindler, H., G. Spangler (2005): Wirksamkeit ambulanter Jugendhilfemaßnahmen bei Misshandlung bzw. Vernachlässigung. Kindesmisshandlung und vernachlässigung, 8, 110-116) 116) aufsuchende Hilfen mit einer Mindestdauer von ½, möglichst bis zu 11/2 Jahren, die alltagsnahe, detaillierte Anleitung der Eltern bei der angemessenen Versorgung und Erziehung der Kinder bedarfsgerechte Ergänzungen durch Dienste der Suchthilfe, der Sozialpsychiatrie organisieren. Dokumentation und Evaluation: Bei Nichtgelingen: Umsteuern, nicht einfach verlängern Wie kann die kindliche Entwicklung im Rahmen ambulanter Hilfen gefördert werden? Förderung in Regelangeboten? Nur bei begleitender aufsuchender Familienarbeit im Rahmen einer aufsuchenden erzieherischen Hilfe Erzieherinnen sind keine Ersatzbindungspersonen Vorsicht bei bereits stark verhaltensauffälligen Kindern: hier droht Gefahr der Ablehnung durch die anderen Kinder und/oder durch die Einrichtung 4

Inobhutnahme: Hilfe für Kinder zur Gestaltung der Trennung Gestaltung des Übergangs Kindgerechte Aufklärung Entlastung von Schuldgefühlen Altersgerechte Beteiligung Vertretung kindlicher Interessen Verfahrensbeistand im gerichtlichen Verfahren Ergänzungspflegschaft im behördlichen Verfahren Inobhutnahme: Welche Unterbringung für kleine Kinder? Auswahl einer altersgerechten Unterbringung: Bereitschaftspflege Bei sehr belastender Vorgeschichte zunächst Beobachtung im Heim Unterbringung von Geschwistern: nicht bei massiver Konkurrenz und Feindseligkeit nicht bei Kindern, die schon für die Versorgung eines Geschwisters zuständig waren 5

Inobhutnahme: Clearing Körperlicher Gesundheitszustand Heilbehandlung erforderlich? Entwicklungsstand? Motorik Sprache Geistige Entwicklung Seelischer Gesundheitszustand Traumabedingte Störungen? Wann wird eine Rückführung in die Herkunftsfamilie dem Kind nicht gerecht? Kind war/ist von einer Bindungsstörung betroffen Traumatisierung des Kindes durch die Person, zu der zurückgeführt werden soll Kind hat nach anhaltenden Belastungserfahrungen in den Pflegeeltern die sozialen Eltern gefunden Erziehungsfähigkeit der zukünftigen Elternperson wird diesem Kind nicht gerecht 6

Gestaltung der Rückkehr in die Herkunftsfamilie Begleitende erzieherische Hilfen nach der Rückkehr Deutliche Verbesserung der elterlichen Erziehungsfähigkeit im Rahmen des kindlichen Zeithorizontes Intensive erzieherische und sonstige Hilfen gegenüber den Eltern schon vor der Rückkehr des Kindes Intensive Umgangskontakte zur Verbesserung des elterlichen Beziehungsangebots Kindlicher Zeithorizont Kinder in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres gehen schon nach wenigen Monaten sichere Bindungen zu fürsorglichen Pflegeeltern ein (Stovall, Ch., K., M. Dozier (2000): The development of attachment in new relationships: Single subject analyses for 10 foster infants. Development and psychopathology, 12, S.133-156,151ff.) Empfehlung Dettenborn: Kinder unter drei Jahren sollten nicht länger als 6 Monate von den Eltern getrennt sein (Dettenborn, H. (1996): Zwischen Bindung und Trennung die Kindesherausgabe aus psychologischer Sicht; FPR, 2, 76-87) 7

Gestaltung ist mühsam: Was geschieht, wenn nicht gestaltet wird? Rückführungen des Kindes zu einer inzwischen fremden Familie Abbruch einer sicheren Bindung an Pflegeeltern bei belasteter Vorgeschichte Fragliche Erziehungsfähigkeit der Elternperson gegenüber einem durch die Wegnahme von den Pflegeeltern verstörtem Kind Mindestens: Leben des Kindes mit der Aussicht auf Wegnahme von den Pflegeeltern Gestaltung einer dauerhaften Unterbringung in der Pflegefamilie Beratung der Herkunftsfamilie Beratung der Pflegeeltern Schaffung von Rechtssicherheit Förder- und Therapieangebote für das Kind 8

Beratung der Herkunftseltern Wahrnehmung von Elternverantwortung auf eine andere Weise Entwicklung einer Lebensperspektive ohne dieses Kind Gestaltung des Umgangs: Akzeptanz der neuen Lebensverhältnisse des Kindes, keine Verunsicherung in Zugehörigkeit Tenhumberg, A., M. Michelbrink (2001): Vermittlung traumatisierter Kinder in Pflegefamilien. In: Stiftung Zum Wohl des Pflegekindes : 1. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Schwerpunktthema: Traumatisierte Kinder, 125-145, 2. Auflage, Schulz-Kirchner Verlag, Idstein Beratung der Pflegeeltern Kindliches Verhalten verstehen und angemessen beeinflussen Auseinandersetzung mit der Herkunft des Kindes ermöglichen Entlastungsmöglichkeiten schaffen 9

Förder- und Therapieangebote Schaffung eines gelingenden Alltags in einer stabilen Beziehung hat Vorrang Förderung im Tempo des Kindes Sich vom Kind an die Hand nehmen lassen (Nienstedt, Westermann, Pflegekinder, Klett-Cotta, Stuttgart, 2007) Schaffung von Rechtssicherheit Verbleibensanordnung gilt nur bis auf weiteres, deshalb ggf. Entzug der elterlichen Sorge Idealerweise: Adoption in der Pflegefamilie Vorsicht bei Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie, um andernorts Adoption zu ermöglichen: Rechtsstellung vs. Bindung 10

Elternwohl oder Kindeswohl? Ein dritter Weg ist möglich: Anerkennung der Tatsache, dass nicht alle Eltern ihre Elternrolle im Alltag leben können Beratung zur Entwicklung einer Lebensperspektive ohne tägliche Elternverantwortung Ermöglichung eines guten Kinderlebens außerhalb der Herkunftsfamilie 11