Hon. Prof. Dr. Veronika Bennholdt-Thomsen SoSe 2009 Vorlesung: Subsistenzkultur Dienstag 5. Mai 09 Die Subsistenzperspektive
Was heißt Subsistenz? Subsistenz ist das, was wir brauchen zum Leben: Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf, Geselligkeit Subsistenz bemisst sich NICHT mit GELD NICHT, wie viel Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf, Geselligkeit KOSTEN Sondern ob wir SATT werden, WARM und ZUFRIEDEN 2
Eine Kuh für Hillary 3
München 1994 4
Subsistenzproduktion oder Lebensproduktion umfasst alle Arbeit, die bei der Herstellung und Erhaltung des unmittelbaren Lebens verausgabt wird und auch diesen Zweck hat. Damit steht der Begriff der Subsistenz-produktion im Gegensatz zur Warenproduktion und Mehrwertproduktion. Bei der Subsistenzproduktion ist das Ziel Leben. Bei der Warenproduktion ist das Ziel Geld, das immer mehr Geld produziert, oder die Akkumulation von Kapital. Leben fällt gewissermaßen nur als Nebeneffekt an. Es ist typisch für das kapitalistische Industriesystem, dass alles, was es möglichst kostenlos ausbeuten will, zur Natur erklärt. Dazu gehört die Hausarbeit der Frauen genauso wie die Arbeit der Kleinbauern in der Dritten Welt, aber auch die Produktivität der gesamten Natur. (Maria Mies, in: V.B-Th, Claudia von Werlhof und Maria Mies: Frauen - die letzte Kolonie, rororo, Reinbek bei Hamburg 1983, 2.Auflage 1987) 5
Historische Betrachtungsweise: Die Subsistenzperspektive Die Subsistenzwirtschaft als dominante Produktionsweise wird verdrängt Aber die Subsistenzproduktion verschwindet nicht, sondern verändert ihren Charakter: Sie wird der Warenwirtschaft untergeordnet Ideologisch wird sie als Wirtschaft und als Arbeit unsichtbar Ich arbeite nicht, ich bin nur Hausfrau 6
Feministische Subsistenztheorie Gegen das Unsichtbarmachen und für die Reökonomisierung der Sorgearbeit, der Hausarbeit, der unbezahlten Arbeit für Kinder und Alte der kleinbäuerlichen Arbeit der Mütterlichkeit Gegen die Kommerzialisierung von allem und jedem 7
Entwicklungspolitik ist Kommerzialisierungspolitik Beispiel: to draw peasants from subsistence to commercial production Globalisierung ist Kommerzialisierungspolitik Beispiel: Globalisierung der Märkte Die globalisierte Supermarktökonomie zerstört den Wochenmarkt, den Tante-Emma-Laden, sowie die entsprechende Produktion: von Bäuerinnen, von HandwerkerInnen, von Selbständigen Totalitäres Warensystem Verallgemeinerung der Ware Arbeitskraft Konsumismus und die Suche nach dem billigen Preis (Hamsterrad) 8
Die Subsistenzperspektive wendet sich gegen abstrahieren vom Konkreten gegen die Anonymisierung durch Geld gegen das abstrakte Maß gegen die Gleichmacherei durch den Preis Die Subsistenzperspektive öffnet die Sinne für den Geschmack des Wassers, für personale Beziehungen für räumliche und landschaftliche Nähe für kulturelle und biologische Vielfalt 9
Kapitalismus df: Auszehren und Verelendung der Subsistenz der Naturalwirtschaft in den Kolonien des bäuerlichen Wirtschaftens der Haushaltswirtschaft Immer mehr Subsistenzbereiche werden unter die Kontrolle des Kapitals gebracht: Privatisierung der Allmende (Wasser; Land/Boden) Frauen in Minijobs; Ende der moral economy Logik des Kapitals: Lebendiges in Totes zu verwandeln Macht über menschliches Leben zu gewinnen 10
Kapitalismus im 21. Jh., df: Die Subsistenzperspektive Auszehren und Verelenden der Subsistenz Dem Kapital werden immer weitere, bislang ungeahnte Subsistenzbereiche erschlossen: durch Patente auf Lebendorganismen Genmaterial durch Bioprospektion und Naturreservate (natural heritage of mankind) Körperteile durch Transplantations - und Reproduktionstechnologie die Luft durch Emissionshandel In die Natur investieren (Sustainability Leadership Symposium, Zürich Sept. 08) 11
Zusammenfassung Die Subsistenzperspektive Die Subsistenztheorie definiert den Kapitalismus nicht als Ausbeutung und Ungerechtigkeit gegenüber den LohnarbeiterInnen, weil sie zu wenig Geld/Lohn für ihre Arbeit bekommen würden, sondern macht den Abstrahierungsschritt viel oder wenig Geld als Maßstab nicht mit. Die Subsistenzperspektive bleibt beim Konkreten: Die Geschichte der kapitalistischen Ausbeutung ist eine Geschichte der Zerstörung der Subsistenz Die Naturgrundlage der Subsistenz wird zerstört: Boden, Wasser, Luft werden verseucht Klimaerwärmung Die Subsistenzbeziehung zwischen Mensch und Natur wird zerstört: Kolonisierung: - Tribute Rohstoffplünderung Mutter Kind Beziehung Essen: Supermarkt junkfood etc. 12
im 21. Jh. Eine Kultur- und Bewusstseinsfrage, denn wir sind das Problem und wir sind auch die Lösung Schritte zur Subsistenzökonomie: Entkommerzialisierung Wo immer möglich! Schenkkreise; Tauschkreise; lokale, zinsfreie Währungen Umsonstökonomie Verteidigung und Wiederherstellen der Allmende Lokales und regionales Wirtschaften/ Märkte Bäuerliches Wirtschaften = Vorbild für Gesamtwirtschaft Produzieren mit der Natur statt gegen sie Überschaubarkeit der Stoffkreisläufe Mütterliches Wirtschaften = Vorbild für Gesamtökonomie statt Gleichberechtigung 13