Gesamtsicht. Bundesamt für Justiz z.h. Frau Debora Gianinazzi Bundesrain 20 3003 Bern. Bern, 2. November 2012



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Transkript:

Bundesamt für Justiz z.h. Frau Debora Gianinazzi Bundesrain 20 3003 Bern Bern, 2. November 2012 Stellungnahme zum Vernehmlassungsentwurf: Änderung des Zivilgesetzbuchs (Kindesunterhalt), der Zivilprozessordnung (Art. 296a) und des Zuständigkeitsgesetzes (Art. 7) Sehr geehrte Frau Bundesrätin Sehr geehrte Damen und Herren Für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Vernehmlassungsentwurf zur Änderung des Zivilgesetzbuchs (Kindesunterhalt), der Zivilprozessordnung (Art. 296a) und des Zuständigkeitsgesetzes (Art. 7) danken wir Ihnen bestens. Als zentraler Akteurin in der Sozialhilfe ist der SKOS an einer Stärkung des Kindesunterhalts gelegen im Sinne eines Beitrages zur Verminderung des Armutsrisikos nach einer Scheidung oder Trennung. Gesamtsicht Grundsätzlich begrüsst die SKOS die Neuregelung des Unterhaltsrechts. Nachdem mit der gemeinsamen elterlichen Sorge das Sorgerecht nach einer Scheidung oder Trennung neu geregelt wurde, bedarf es auch einer Anpassung im Bereich der Unterhaltspflicht. Scheidungen und Trennungen stellen ein Armutsrisiko dar, weil das bisherige Familieneinkommen die Existenz von zwei Haushalten sichern muss. Wenn das Einkommen nicht ausreichend ist, wird gemäss heutiger Regelung dem Unterhaltspflichtigen das betreibungsrechtliche Existenzminimum belassen, während der betreuende Elternteil mit den Kindern das Manko tragen und dadurch in vielen Fällen Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss. Im Sinne einer rechtlichen Gleichbehandlung ist die heutige Praxis zu überdenken. Die SKOS begrüsst deshalb grundsätzlich eine Neuregelung des Unterhaltsrechts und das Ansinnen des Gesetzgebers, das Kind und seinen Unterhaltsanspruch ins Zentrum der Revision zu stellen. Eine Stärkung des Unterhaltsanspruchs des Kindes sowie die rechtliche Gleichstellung unterschiedlicher Familienformen werden von der SKOS als wünschenswert erachtet. Die SKOS bedauert jedoch, dass der vorliegende Vernehmlassungsentwurf keine entscheidenden Fortschritte in Bezug auf die Bekämpfung des Armutsrisikos von Familien nach einer Scheidung oder Trennung bringt und das Manko weiterhin einseitig der betreuenden Person und den Kindern übertragen wird. Die SKOS würde daher die Prüfung alternativer Vorschläge begrüssen.

Beurteilung der Vernehmlassungsvorlage Einführung des Betreuungsunterhalts (Art. 125 Abs.2 Ziff.6 ZGB / Art 285 Abs. 2 VE-ZGB) Die SKOS unterstützt die Berücksichtigung des Betreuungsunterhalts bei der Bemessung des Kindesunterhalts. Die Gleichstellung von geschiedenen/getrennten Alleinerziehenden mit ledigen Alleinerziehenden ist sinnvoll und führt zu einer Besserstellung der ledigen Alleinerziehenden bei finanzieller Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Dadurch, dass der Pflichtige den Betreuungsunterhalt dem Kind schuldet und nicht dem betreuenden Elternteil, wird das Wohl des Kindes gestärkt und das Verhältnis der geschiedenen Eltern entlastet. Ausserdem kommt der Betreuungsunterhalt in der Alimentenbevorschussung infolge der vorrangigen Bevorschussung von Kinderalimenten in einer Mehrheit der Kantone eher zum Tragen. Explizit begrüsst wird, dass die Betreuung durch Dritte im Betreuungsunterhalt anrechenbar ist. Allerdings hängt es aktuell von der kantonal sehr unterschiedlichen Praxis der Gerichte ab, wie hoch der Betreuungsunterhalt angesetzt wird. Es müssen daher nebst der Zurechnung des Betreuungsunterhalts zum Kindesunterhalt Kriterien zur Berechnung des Betreuungsunterhalts festgelegt werden. Der Betreuungsunterhalt soll sich dabei am Bedarf orientieren und nicht an der Leistungsfähigkeit des oder der Pflichtigen. Zudem wäre der Betreuungsunterhalt auch bei der Festlegung des gebührenden Unterhalts, wie er im Vernehmlassungsvorschlag vorgesehen ist, zu berücksichtigen. Aufnahme der Priorität des Kindesunterhalts ins ZGB (Art. 276a VE-ZGB) Die SKOS begrüsst die Priorisierung des Kindesunterhalts vor anderen familienrechtlichen Verpflichtungen. Es ist im Grundsatz richtig, dass der Anspruch der Kinder vorgeht, da sie schwächer sind und weniger in der Lage, etwas für ihren eigenen Unterhalt zu tun. Theoretisch kann diese Lösung mündige, aber wirtschaftlich noch nicht selbständige Kinder benachteiligen. In der Praxis wird aber schon heute dem Unterhaltsanspruch unmündiger Kinder der Vorrang gegeben gegenüber dem Unterhaltsanspruch mündiger Kinder. Dies ist der Fall, weil die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem unmündigen Kind im Gegensatz zum Mündigenunterhalt nicht ausdrücklich an die Voraussetzung der Zumutbarkeit gebunden ist, so dass bei nur beschränkter Leistungsfähigkeit der Eltern das unmündige Kind vorgeht. Die beabsichtigte Vorrangstellung des unmündigen Kindes stärkt also primär seine Stellung gegenüber dem unterhaltsberechtigten Ehepartner. Die SKOS erachtet es als wichtig, dass der Kinderunterhalt bis zum Abschluss der Erstausbildung gewährleistet ist. Dementsprechend wäre die Priorisierung des Kindesunterhalts auch auf mündige Kinder in Ausbildung auszudehnen, damit ihr Unterhalt ebenfalls dem Unterhalt des ehemaligen Ehepartners vorgeht. Ausserdem wären die heutigen Regelungen zur Dauer des Unterhaltstitels zu überprüfen. Verwandtenunterstützung (Art. 329 Abs.1bis VE-ZGB) Die SKOS spricht sich für die generelle Abschaffung der Verwandtenunterstützung aus und lehnt die einseitige Abschaffung der Verwandtenunterstützung für eine bestimmte Familienform ab. Wer nach einer Trennung oder Scheidung wegen der Beschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder in Not gerät, soll gemäss neuer Regelung nicht mehr der Verwandtenunterstützung unterliegen. Damit werden neue Ungleichheiten geschaffen. Um diese zu vermeiden, müssen zumindest auch unverheiratete Alleinerziehende von der Verwandtenunterstützung ausgenommen werden. Statt der Schaffung von Ausnahmen für einzelne Familienformen, spricht sich die SKOS im Sinne der rechtlichen Gleichstellung für eine generelle Abschaffung der Verwandtenunterstützung aus. 2

Eigener Unterstützungswohnsitz (Art. 7 VE-ZUG) Die vorgesehene Änderung von Art. 7 des Zuständigkeitsgesetzes ZUG ist nicht zielführend für die Stärkung des Unterhaltsanspruchs des Kindes und wird deshalb von der SKOS abgelehnt. Der Vernehmlassungsentwurf schlägt vor, Art. 7 des ZUG dahingehend zu ändern, dass das unmündige Kind von geschiedenen oder getrennten Eltern in der Sozialhilfe einen eigenen Unterstützungswohnsitz begründet. Damit wird beabsichtigt, dass die Sozialhilfebehörde für jedes Kind ein eigenes Dossier führt und dadurch seine Sozialhilfeleistungen weder der Rückerstattungspflicht noch der Verwandtenunterstützung unterliegen. Ausserdem sollen dadurch die Leistungen für das Kind abgegrenzt werden können für eventuelle Rückforderungen beim Pflichtigen. Die SKOS befürwortet die Absicht des Gesetzgebers, den Umgang mit Mankofällen nach einer Scheidung oder Trennung zu verbessern. Sie erachtet den Weg über das ZUG aber sowohl aus juristischer als auch aus praktischer Sicht der Sozialhilfe als unglücklich und untauglich. Das Zuständigkeitsgesetz ZUG regelt lediglich die Zuständigkeit zwischen den Kantonen und kann damit nicht in das materielle Sozialhilferecht eines Kantons eingreifen. Überdies begründet ein eigener Unterstützungswohnsitz nicht unbedingt eine eigene Unterstützungseinheit. In Bezug auf die Unterstützungseinheit in der Sozialhilfe würde sich demnach auch bei Annahme der vorgeschlagenen Anpassung nichts ändern. Hingegen könnten sich im Falle von Fremdplatzierungen juristische Unklarheiten ergeben, weil die Absätze 1 und 3 von Art. 7 ZUG für solche Fälle nicht mehr kohärent sind. Allerdings lassen Differenzen in der deutschen und französischen Fassung unterschiedliche Interpretationen zu. Des Weiteren kann der Bundesgesetzgeber, unabhängig von der Unterstützungseinheit in der Sozialhilfe, keinen Einfluss nehmen auf die kantonalen Regelungen zur Rückerstattungspflicht. Die Richtlinien der SKOS zur Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe empfehlen bereits heute auf die Geltendmachung von Rückerstattungen aus späteren Einkommen zu verzichten und bei einem späteren Vermögensanfall den rückerstattungspflichtigen Personen angemessene Freibeträge zu gewähren (Richtlinie E.3.1). Die Verbindlichkeitserklärung dieser Richtlinie für alle Kantone wäre nur in Zusammenhang mit dem Bundesrahmengesetz zur Sozialhilfe möglich. Bereits heute verzichten einige Kantone auf die Rückforderung von Sozialhilfeleistungen für Kinder und haben für die Praxis einfach umsetzbare Lösungen zur Abgrenzung des Kinderanteils gefunden. Wie die Verwandtenunterstützung hätte aber auch die Abschaffung der Rückerstattungspflicht für diese Zielgruppe eher symbolischen Charakter, da sie in der Praxis nur geringen Rückfluss einbringt. Aus Sicht der Sozialhilfe ist die Absicht für das unmündige Kind ein eigenes Dossier zu führen an sich abzulehnen. Der Vorschlag untergräbt das Prinzip des Haushalts als Unterstützungs- und Beratungseinheit in der Sozialhilfe. Der administrative Aufwand wäre sehr hoch, einerseits infolge der separaten Budgetberechnung für das Kind, andererseits infolge der zusätzlich zu verwaltenden Dossiers. Aufgrund der neuen Regelung ergäben sich auch neue Fragen im Bereich der Zuständigkeit und der Fallführung, die im Falle einer Umsetzung geklärt werden müssten. Ausserdem führt der Vorschlag zu einer Ungleichbehandlung von Kindern bzw. Haushalten mit einem Anspruch auf richterlich festgelegte Unterhaltsbeiträge und demzufolge separaten Dossiers und Kindern in Haushalten von verheirateten oder Konkubinatspaaren, bei denen für die Kinder kein eigenes Dossier geführt wird. Falls der Vorschlag des separaten Dossiers für Kinder umgesetzt würde, müsste er gemäss dem Prinzip der Gleichbehandlung für alle Kinder gelten unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern. Dies würde den administrativen Aufwand aber noch einmal stark vergrössern. Die SKOS lehnt die Anpassung von Art. 7 ZUG aus diesen Gründen ab und fordert den Bundesgesetzgeber auf, alternative Vorschläge zur rechtlichen Stärkung des Unterhaltsanspruchs von Kindern nach einer Scheidung oder Trennung zu prüfen (siehe Abschnitt Alternative Vorschläge). Die SKOS wünscht sich rechtlich klare Regelungen, um die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Kantonen nach Möglichkeit zu verringern oder zumindest nicht zu verstärken. 3

Rückforderung vom Pflichtigen (Art. 286a Abs.2 VE-ZGB) Die SKOS begrüsst die Regelung. Der Unterhaltsanspruch des Kindes wird im Grundsatz gestärkt, wenn künftig der Anspruch auf fünf Jahre rückwirkend geltend gemacht werden kann, bei einer Verbesserung der finanziellen Verhältnisse des Pflichtigen. Dass dieser Anspruch beim Bezug von Sozialhilfeleistungen teilweise auf das Gemeinwesen übergeht, ist zu begrüssen. Allerdings ändert sich dadurch in der Praxis wenig. Es wird weiterhin zufällig bleiben, ob eine Verbesserung der finanziellen Lage des Pflichtigen den Sozialhilfebehörden bekannt wird, da eine systematische Prüfung einen unverhältnismässigen Aufwand bedeuten würde. Ausserdem gilt es zu verhindern, dass sich vergangene und zukünftige Ansprüche konkurrenzieren. Gebührender Unterhalt (Art. 296a VE-ZPO) Die SKOS spricht sich für die Festlegung eines gebührenden Unterhalts aus, auch als Orientierungsgrösse für die Alimentenbevorschussung. Auch wenn bei nicht ausreichender Leistungsfähigkeit des Pflichtigen der gebührende Unterhalt keinen unmittelbaren Einfluss auf den effektiven Unterhalt hat, wird doch ein Zeichen gesetzt im Sinne des Kindeswohls. Deshalb begrüsst die SKOS die Regelung. Um eine effektive Besserstellung des Kindes zu erreichen, sollte dem gebührenden Unterhalt allerdings eine grössere Bedeutung beigemessen werden (siehe Abschnitt Alternative Vorschläge). Heute gibt es grosse Unterschiede in den Kantonen bei der Festlegung des Unterhaltsanspruchs, was zu Ungleichheiten bei den Betroffenen führt. Um solche zu verhindern, müssen verbindliche Kriterien für die Festsetzung des gebührenden Unterhalts gefunden werden, wobei der gebührende Unterhalt sowohl den Betreuungsunterhalt als auch den Kinderunterhalt berücksichtigen muss. Als Referenzgrösse für den gebührenden Kinderunterhalt könnte die maximale einfache Waisenrente bei AHV und IV dienen. Ausserdem muss sichergestellt werden, dass im Unterhaltstitel ein Betrag festgelegt ist, welcher für die Alimentenbevorschussung Gültigkeit hat. Heute kann nicht oder nur eine kleine Summe bevorschusst werden, wenn der tatsächlich geschuldete Betrag durch die Gerichte sehr tief oder auf null gesetzt ist. Das Festhalten des gebührenden Unterhalts wird daran nichts ändern, wenn sich die Alimentenbevorschussung nicht daran orientiert. Harmonisierung der Inkassohilfe (Art. 131 und 290 VE-ZGB) Die SKOS begrüsst die Vereinheitlichung und Verbesserung der Inkassohilfe vorbehaltlos. Eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Inkassohilfe führt zu einer besseren Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs und entlastet dadurch die Sozialhilfe. Alternative Vorschläge Es ist unbestritten, dass die heutige Regelung des Unterhaltsrechts aus Sicht der Sozialhilfe unbefriedigend ist. Der vorliegende Entwurf ändert daran nichts. Neu wird die gemeinsame elterliche Sorge zum Regelfall. Es ist nicht einsichtig, warum die gemeinsame Verantwortung nur auf die elterliche Sorge, nicht aber auf die Unterhaltspflicht angewendet wird. Ausserdem werden mit der heutigen Praxis der Mankoüberbindung zivilrechtliche Ansprüche, die den Lebensunterhalt von Kindern sicherstellen, gegenüber anderen zivilrechtlich begründeten Ansprüchen schlechter gestellt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich die Unterhaltsschuld nach der Leistungsfähigkeit des Schuldners bemessen soll, während jede andere Schuld unabhängig davon besteht. Das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners soll geschützt werden, aber wie bei anderen Schulden auf der Vollzugsebene und nicht indem die Schuld bereits im Rechtsurteil herabgesetzt 4

oder gänzlich gestrichen wird. Die Unterhaltspflicht muss bestehen bleiben und das Manko geteilt werden. Falls die Teilung des Mankos nicht umgesetzt werden kann, wäre zumindest eine rechtliche Besserstellung der Unterhaltsberechtigten in der Sozialhilfe ins Auge zu fassen, indem die Verwandtenunterstützung abgeschafft und eine Aufhebung der Rückerstattungspflicht in Zusammenhang mit dem Rahmengesetz zur Sozialhilfe angestrebt würde. Die SKOS fordert den Bundesgesetzgeber jedoch unbedingt auf, alternative Vorschläge zu prüfen, wie die Mankoteilung umgesetzt werden könnte, ohne den Unterhaltspflichtigen in die Verschuldung und die Unterhaltsberechtigten gleichwohl in die Sozialhilfe zu führen. Im Folgenden werden aktuell debattierte Lösungsvorschläge präsentiert, die aus Sicht der SKOS zu prüfen wären. Anrechnung der Alimente in der Sozialhilfe Wird das Manko geteilt und der unterhaltspflichtige Elternteil kann die Unterhaltsbeiträge nicht bezahlen, wird ihm auf dem Vollstreckungsweg trotzdem das betreibungsrechtliche Existenzminimum belassen. Die Schuld bleibt aber bestehen, eine massive Verschuldung ist die Folge. Wendet sich der Unterhaltspflichtige an die Sozialhilfe, kann die Verschuldung trotzdem nicht abgewendet werden, da die Sozialhilfe gemäss SKOS-Richtlinie F.3.1 Alimentenverpflichtungen nicht übernimmt. Um im Falle einer Mankoteilung die Verschuldung des Unterhaltspflichtigen zu verhindern, wäre die Möglichkeit einer Anrechnung der Alimentenschuld in der Sozialhilfe zu prüfen. Die SKOS ist bereit, die Konsequenzen für die Sozialhilfe zu erörtern und die Möglichkeit einer Anrechnung der Alimentenschuld in der Sozialhilfe im Verband zu diskutieren. Garantierter Mindestunterhalt im Unterhaltstitel Die Alimentenbevorschussung ist ein taugliches Instrument zur Bekämpfung des Armutsrisikos nach Scheidung oder Trennung und kann verhindern, dass Alleinerziehende mit Kindern Sozialhilfe beziehen müssen. Die Alimentenbevorschussung leistet einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Armut in Fällen, in denen der Unterhaltspflichtige die Alimente nicht bezahlt. Sind im Unterhaltstitel aber nur reduzierte oder gar keine Unterhaltsbeiträge festgesetzt, weil der Unterhaltspflichtige finanziell nicht leistungsfähig ist (Mankoüberbindung), kann die Alimentenbevorschussung keine Beiträge ausrichten, da sie nur tatsächlich geschuldete Unterhaltsbeiträge bevorschusst. Deshalb ist die Festlegung eines garantierten Mindestunterhaltsbeitrags, an den die kantonale Gesetzgebung zur Alimentenhilfe anknüpfen kann (solange der Bund keine entsprechenden Kompetenzen erhält), unabdingbar. Als Referenzgrösse für den garantierten Mindestunterhaltsbeitrag wäre wiederum die maximale einfache Waisenrente bei AHV und IV denkbar. Es wäre sinnvoll, wenn die Alimentenbevorschussung nicht nur Zahlungsverweigerung, sondern auch Zahlungsunfähigkeit als Unterstützungsgrund anerkennt und den Mindestunterhalt gewährleistet. Dadurch wäre eine Mankoteilung ohne Verschuldung des Unterhaltspflichtigen möglich. Um diese Lösung schweizweit umzusetzen ohne neue Ungleichheiten zu schaffen, wäre aber eine Harmonisierung der Alimentenbevorschussung auf Bundesebene notwendig, wie es die Standesinitiative des Kantons Zürich (09.301) vorschlägt. Wenn der garantierte Mindestunterhalt nicht nur bedürftigen Familien nach einer Trennung oder Scheidung, sondern unabhängig vom Zivilstand allen bedürftigen Familien gewährt werden soll, wäre die Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien auf Bundesebene zu prüfen. Anpassungen Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) Eine andere Möglichkeit, um eine Verschuldung des Unterhaltspflichtigen im Falle einer Mankoteilung zu verhindern, wäre eine Anpassung des SchKG. In diesem Bereich hat der Bund im Gegensatz zur Sozialhilfe und der Alimentenbevorschussung auch gesetzgeberische Kompetenzen. Es wäre zu prüfen, wie die auflaufende Unterhaltschuld mittels Bestimmungen im SchKG vermindert werden könnte (bspw. Verjährung der Schuldscheine). 5

Neben verschiedenen bereits existierenden Regelungen zur Privilegierung bestimmter Gläubiger, wird die Privilegierung der Unterhaltsschuld bzw. der Unterhaltsgläubiger gegenüber anderen Gläubigern vorgeschlagen. Damit könnte zumindest die Situation von Unterhaltsberechtigten verbessert werden, deren Ex-Partner noch anderweitig verschuldet ist. Dazu wäre ein Zusatz zu Art. 93 SchKG zu prüfen. Fazit Die Neuregelung des Unterhaltsrechts ist von zentraler Bedeutung für die Vermeidung von Familienarmut nach Scheidung und Trennung. Viele Elemente der geplanten Reform werden von der SKOS begrüsst. Allerdings wird der vorliegende Gesetzesentwurf nichts an der Tatsache ändern, dass der betreuende Elternteil zusammen mit den Kindern das Manko trägt und in vielen Fällen auf Sozialhilfe angewiesen ist. Das Armutsrisiko nach einer Scheidung oder Trennung wird also nach wie vor von der Sozialhilfe aufgefangen. Deshalb sind im Sinne einer Gleichstellung der unterhaltspflichtigen und unterhaltsberechtigten Haushalte, sowie der Verminderung von Familienarmut, alternative Vorschläge zur Anpassung des Unterhaltsrechts zu prüfen. Allerdings können weder das Unterhaltsrecht noch die Sozialhilfe die Familienarmut in der Schweiz im Alleingang bekämpfen. Dazu braucht es weitere, aufeinander abgestimmte Massnahmen. So wäre auch unabhängig von der Neuregelung des Unterhaltsrechts eine Harmonisierung der Alimentenbevorschussung sowie die Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien auf Bundesebene angezeigt, um Familien wirkungsvoll vor Armut zu schützen. Insbesondere die Ergänzungsleistungen für Familien stellen eine bedarfsgerechte Lösung dar, die unabhängig von Zivilstand und Familiensituation, das Armutsrisiko von Haushalten mit Kindern reduzieren könnte. Die SKOS bittet den Bundesrat, in der Neuregelung des Unterhaltsrechts die Stärkung des Kindeswohls konsequent umzusetzen und im Sinne der Armutsverhinderung entsprechende grundlegende Vorkehrungen zu prüfen. Im Voraus danken wir Ihnen für die Berücksichtigung unserer Anliegen. Mit freundlichen Grüssen Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS CSIAS COSAS Walter Schmid, Präsident 6