www.ssoar.info Rezension: Thomas Bischof, 2014: Angewandte Mathematik und Frauenstudium in Thüringen Vogel, Ulrike Veröffentlichungsversion / Published Version Rezension / review Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: Verlag Barbara Budrich Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Vogel, Ulrike (Rev.): Bischof, Thomas: Bildung in Europa. T. 1, Angewandte Mathematik und Frauenstudium in Thüringen: eingebettet in die mathematisch-naturwissenschaftliche Unterrichtsreform seit 1900 am Beispiel Dorothea Starke. Jena: Garamond, 2014. In: Gender : Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 7 (2015), 1, pp. 162-165. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-444991 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an. Terms of use: This document is made available under Deposit Licence (No Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, nontransferable, individual and limited right to using this document. This document is solely intended for your personal, noncommercial use. All of the copies of this documents must retain all copyright information and other information regarding legal protection. You are not allowed to alter this document in any way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the document in public, to perform, distribute or otherwise use the document in public. By using this particular document, you accept the above-stated conditions of use.
162 Rezensionen Akzentuierungen unterschiedlicher Zughörigkeitsdimensionen (wie Geschlecht, Ethnizität und Jugend) als zentrales Ergebnis herausstellt. Mit dem Verständnis von Identitäten als Positionierungen im Gefl echt von Zugehörigkeiten gelingt es, das Potenzial kritischer Ethnizitäts-/Rassismusforschung von Hall in Verbindung mit dem Zugehörigkeitskonzept von Yuval-Davis für intersektionale Geschlechterforschung fruchtbar zu machen. Huxels Analysen der Positionierungen im Gefl echt von Zugehörigkeiten im Feld Schule erscheinen als theoretisch wie empirisch gewinnbringend und enthalten Impulse zur Reformulierung theoretischer Konzepte von Männlichkeiten in intersektionaler Perspektive. Zukünftig weiter zu vertiefen wären Rekonstruktionen der Verhältnisse von Männlichkeit(en) und Rassismus sowie ein Vergleich von Hauptschülern mit Besuchern anderer Schulformen wie Gymnasien, um die Dynamiken von Bildungsverläufen zu differenzieren. Alle, die an Debatten um Heterogenität in der Schule oder in der Geschlechterforschung und -pädagogik interessiert sind, fi nden in Huxels Ansatz und ihren Erkenntnissen spannende Anregungen 1. Der Studie ist eine breite Rezeption zu wünschen, denn sie ist gleichermaßen für weitere intersektionale (Forschungs-)Aktivitäten sowie für diversitätsbewusste Pädagogik/Soziale Arbeit und Geschlechter-/Männerpolitiken wertvoll und zu empfehlen. Zur Person Michael Tunç, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung, Universität Duisburg-Essen (2013 2014). Arbeitsschwerpunkte: Männlichkeit, Väterlichkeit, Migration und Interkulturalität, Intersektionalität und Diversität, Väterarbeit, Evaluation. Kontakt: Paffrather Mühle 1, 51469 Bergisch Gladbach E-Mail: post@michael-tunc.de Ulrike Vogel Thomas Bischof, 2014: Angewandte Mathematik und Frauenstudium in Thüringen. Hrsg. v. Martin Hermann: Bildung in Europa, Teil I. Jena: Garamond. 257 Seiten. 18,90 Euro Thomas Bischof stellt in seiner Studie mit dem Titel Angewandte Mathematik und Frauenstudium in Thüringen das Leben und Wirken von Dorothea Starke vor, der einzigen Frau, die in Jena bis zum Zweiten Weltkrieg in Mathematik promoviert hat. Mit ihrer Arbeit im Bereich der relativ neu etablierten Angewandten Mathematik betrat sie 1 Zukünftig sollten intersektionale Ansätze der Männlichkeitsforschung, die an Huxels Studie anknüpfend insbesondere an Fragen von Diversität bzgl. Migration, Interkulturalität und Rassismus interessiert sind, das Spannungsfeld aus Männlichkeitskritik und Empowerment vertiefend diskutieren (vgl. dazu Michael Tunç 2012: Männlichkeitsforschung und Intersektionalität. URL: http:// portal-intersektionalitaet.de/uploads/media/tunc.pdf).
Rezensionen 163 inhaltlich und methodisch Neuland. Mit dieser Studie wird sie erstmals für die Forschung entdeckt. Dorothea Starke promovierte 1929 nach mehrjähriger Förderung durch ihren Doktorvater Max Winkelmann, bei dem sie seit 1928 als Assistentin am Lehrstuhl für Angewandte Mathematik beschäftigt war. Ihre Stelle wurde in dieser Zeit von der Carl-Zeiss- Stiftung fi nanziert (S. 11). Anlässlich ihrer Heirat gab sie 1931 zwar die Tätigkeit als Assistentin auf (S. 115), war jedoch in ihrem bisherigen Nebenfach, der Astronomie, weiter wissenschaftlich tätig. Sie arbeitete an der Sternwarte Jena im Bereich Theoretische Astrophysik (S. 116) sowie an der Sternwarte Hamburg-Bergedorf (S. 118). Mit ihrem Mann, Helmut Werner, der ebenfalls Forscher und Astronom sowie später Leiter des Planetariums Jena war (S. 119), teilte sie ihre wissenschaftlichen Interessen. Sie arbeitete und veröffentlichte jedoch auch als Mutter eines Kindes selbstständig und kontinuierlich bis zu ihrem Tod 1943 (S. 118 f. u. S. 152). Die Relevanz der Studie von Thomas Bischof liegt in der Sichtbarmachung des Zusammenwirkens von drei Entwicklungen, das der Autor innerhalb der Biografi e von Dorothea Starke herausarbeitet: Bei diesen Entwicklungen handelt es sich erstens um die Etablierung der Angewandten Mathematik als Folge der mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichtsreform seit Ende des 19. Jahrhunderts, die im Sinne von mehr Praxisnähe von Industriellen und Ingenieuren auch in Thüringen gefordert wurde; zweitens um die Förderung von Angewandter Mathematik und Physik durch die ortsansässige Industrie, hier die Carl-Zeiss-Stiftung; und drittens um den Beginn des Frauenstudiums an der Universität Jena als damals einziger Universität in Thüringen (S. 7f.). Dabei werden im Wesentlichen die Jahre 1902 bis 1949 betrachtet (S. 39ff.). Die Bedeutung dieser drei Entwicklungen für die Biografi e von Dorothea Starke spiegelt sich auch in der Gliederung des Buches wider. So schließen sich an die Einführung (1) die Kapitel Regionale Industrie und Universität (2), Mathematisch- Naturwissenschaftliches Frauenstudium in Thüringen (3), Angewandte Mathematik in Jena (4) und der umfangreichste Abschnitt über Die Mathematikerin Dorothea Starke (5) an. Nach den Schlussbemerkungen (6) fi ndet sich ein Verzeichnis von fast 20 Seiten zu Literatur, Archivalien und Internetquellen sowie ein Abbildungs- und Tabellenverzeichnis (S. 159 178). Zum Buch gehört darüber hinaus ein fast 80 Seiten umfassender Anhang mit Dokumenten zur Diskussion um das Frauenstudium in Thüringen, zu Frauen, die in Jena zwischen 1924 und 1945 das Lehramtsexamen abgelegt haben, zu Promotionen von Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften in Jena in den Jahren 1904 bis 1948, zu Mathematikprofessoren in Jena von 1789 bis 1945 sowie mit Material zum Leben von Dorothea Starke: vier von ihr selbst verfasste Lebensläufe, davon zwei jeweils für das Promotionsverfahren und die Dissertation, einer für das Lehramtsexamen und einer für ihre Tätigkeit für das Mathematische Wörterbuch. Weiter fi nden sich: ein Verzeichnis der von ihr besuchten Vorlesungen, Unterlagen zu ihrer Doktorprüfung, Zeugnisse, Fotos und ein Verzeichnis ihrer Publikationen einschließlich der Reproduktion einzelner Arbeiten (S. 179 257). Die Arbeit von Thomas Bischof zeichnet sich durch eine akribische wissenschaftshistorische Vorgehensweise aus. Auf der Basis von Literatur, Statistiken und unveröffentlichten Archivalien, zu denen neben amtlichen Dokumenten auch solche aus persönlichen Nachlässen gehören, mit eigenen Auswertungen von Daten sowie selbstständigen
164 Rezensionen Befragungen von ZeitzeugInnen und ExpertInnen (S. 11f., S. 39, S. 105ff. u. S. 115) können neue Erkenntnisse gewonnen werden. So wird beispielsweise der Nachweis über zwei bisher in der entsprechenden Datenbank für die 1920er Jahre in Jena nicht dokumentierte promovierte Frauen erbracht sowie Einblick in die weitere wissenschaftliche Tätigkeit von Dorothea Starke nach dem Ausscheiden aus ihrer Assistentinnenstelle gegeben (S. 58 u. S. 116 Anm. 18). Der Wechsel zwischen der Interpretation von Tabellen und Grafi ken (S. 48ff.) auf der einen und der exemplarischen Skizzierung von Einzelfällen auf der anderen Seite, u. a. mit Hinweisen auf andere Wissenschaftlerinnen zu dieser Zeit (S. 40ff. u. S. 67ff.), erhöht die Anschaulichkeit und Zugänglichkeit der präsentierten Forschungsergebnisse. Der Autor greift für seine Darstellung nicht nur auf die zehn Thesen der Mathematikhistorikerin Renate Tobies 2 1 zu günstigen Bedingungen für den Zugang von Frauen zum Studium von Mathematik und Naturwissenschaften zurück (z. B. S. 39). Er erarbeitet auch eine eigene Systematisierung zur Entwicklung der Anzahl von Studentinnen an der Universität Jena zwischen 1902 und 1945 (S. 52f.). In seinen Schlussbemerkungen gibt Bischof Ausblicke auf mögliche weitere Forschungsbereiche; dazu zählt er vor allem zusätzliche Analysen von Frauenkarrieren in Mathematik und Naturwissenschaften und hier insbesondere im Vergleich zu denen von Männern. Auch in der Untersuchung der Bedeutung des Ehemanns von Dorothea Starke für die Astronomie der 1930er und 1940er Jahre sieht der Autor Potenzial für darüber hinausgehende Erkenntnisse. Als wichtig stellt er zudem eine intensivere Analyse der Zusammenhänge zwischen der Carl-Zeiss-Stiftung und dem Studium bzw. den Berufskarrieren von Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften in Jena heraus sowie eine entsprechende Gegenüberstellung zu anderen Universitäten (S. 37 u. S. 152ff.). Die wissenschaftshistorische Studie von Thomas Bischof arbeitet in dieser Form bisher nicht erforschte Materialien und Zusammenhänge heraus, doch hätten bei einzelnen Befunden die Diskussionen in der Frauen- und Geschlechterforschung sowie die Verbindung zu dieser deutlicher hervorgehoben werden können. So werden z. B. die Schwierigkeiten von Mathilde Vaerting, die 1923 als erste Frau einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften an der Universität Jena erhielt, allein darauf zurückgeführt, dass bei der Besetzung durch die Landesregierung die Fakultät übergangen worden sei (S. 40f.). Ein Hinweis darauf, dass der Widerstand vonseiten der Hochschule gegenüber der Förderung von Frauen durch die Politik ein Muster auf dem Weg von Frauen in Hochschulkarrieren war, bleibt jedoch aus. Ebenso wird der Widerspruch zwischen der heftigen Ablehnung Mathilde Vaertings als Frau in einer Führungsposition insbesondere durch Ludwig Plate, Professor der Zoologie (S. 41), und dessen gleichzeitiger Förderung von Doktorandinnen (S. 63) nicht als ein Muster benannt, nach dem Frauen in der Wissenschaft akzeptiert werden, solange sie Schülerinnen sind. Insgesamt ist es dem Verfasser jedoch gelungen, in seiner durch Renate Tobies angeregten Analyse eine bis dahin so nicht beleuchtete Verfl echtung von Wissenschaftsentwicklung, Förderung durch die Industrie und Chancen für Frauen in der Wissenschaft als Rahmen für die Laufbahn einer Vorreiterin anschaulich und gut lesbar darzustellen. Der Materialreichtum dieser Arbeit könnte zudem als Anregung für weitere Untersuchungen im Bereich von Hochschule und Wissenschaftsentwicklung unter Berücksich- 12 Tobies, Renate. (2008). Aller Männlichkeit zum Trotz : Frauen in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag, S. 18 56.
Rezensionen 165 tigung von Einfl üssen durch die Industrie und insbesondere mit Bezug zur Frauen- und Geschlechterforschung dienen. Zur Person Ulrike Vogel, Prof. i. R. Dr., TU Braunschweig. Arbeitsschwerpunkte: Geschlechterforschung, Wissenschaftskarrieren von Frauen und Männern, Habitus im sozialen Feld von Beruf und Familie. Kontakt: Kötherberg 8, 38104 Braunschweig E-Mail: u.vogel@tu-braunschweig.de Cornelia Hippmann Silvia Hess Kottmann, 2013: Die Selbsterfindung erfolgreicher Führungsfrauen. Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Verlag. 204 Seiten. 24, 90 Euro Im deutschsprachigen Raum gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Untersuchungen, die die Problematik von Führungsfrauen in den Mittelpunkt ihrer Forschung rücken. Hintergrund dieses Interesses ist die immer noch bestehende Unterpräsenz von Frauen in den Führungsetagen und die damit verbundene geschlechtsspezifi sche Segregation des weiblichen Geschlechts in der Wirtschaft. Viele dieser Studien führen die schlechteren Zugangsmöglichkeiten von Frauen zu Macht und Einfl uss vor allem auf die geschlechtsspezifi schen Abwehr- und Ausgrenzungsmechanismen seitens der männlichen Konkurrenz zurück, die versucht, so ihre hegemoniale Position aufrechtzuerhalten. Die bisherigen wissenschaftlichen Abhandlungen erklären das Phänomen erfolgreicher Führungsfrauen größtenteils mit den diskriminierenden gesellschaftlichen sowie institutionellen Kontexten. Divergierend dazu nähert sich Silvia Hess Kottmann der Thematik in ihrer Forschung aus einer anderen Erklärungsperspektive. Sie beleuchtet die Wege erfolgreicher Führungsfrauen in der Schweiz auf Grundlage der Selbstverständnisse dieser Frauen und fügt der Debatte dadurch einen aufschlussreichen Blickwinkel hinzu. Das Buch ist in sechs Kapitel untergliedert. In der Einleitung veranschaulicht die Autorin, dass der männlich dominierte Wirtschaftsbereich inzwischen so aufgeweicht sei, dass er längst Risse bekommen habe. Da die männliche Prädominanz jedoch nach wie vor existenziell sei, habe es den Anschein, als seien Führungsfrauen gegenwärtig einer ambivalenten und paradoxen Situation ausgesetzt. Diese widersprüchliche Situation spiegele sich auch darin wider, dass sie sich zwischen Einzigartigkeit und Normalität bewege (S. 12). Im zweiten Kapitel legt die Autorin ihren Interessenschwerpunkt auf die alltägliche Arbeitswelt von Führungskräften. Hierbei skizziert sie zunächst den bisherigen umfassenden Forschungsstand über Frauen in Führungspositionen; zusätzlich zeigt sie aber auch Forschungslücken auf. Hess Kottmann betrachtet in ihrer Arbeit das kollektive