Die Musterklagen zur Beitragsgerechtigkeit für Familien



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Transkript:

Dr. Prof. Max Dr. Mustermann Thorsten Kingreen Referat Lehrstuhl Kommunikation für Öffentliches & Marketing Recht, Sozialrecht und Verwaltung Die Musterklagen zur Beitragsgerechtigkeit für Familien Vortrag auf der Fachtagung des Freiburger Familienbundes der Katholiken am 20. 2. 2014 in Freiburg Prof. Dr. Thorsten Kingreen

I. Ausgangsfragen: (1) Verstößt es gegen das Grundgesetz, dass in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung Mitglieder mit Kindern genauso hohe Beiträge zahlen müssen wie Kinderlose? (2) Verstößt es gegen das Grundgesetz, dass die Höhe der Beiträge in der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht von der Kinderzahl abhängt? II. Verfahrensstand - LSG Stuttgart hat drei Klagen in der Sache abgewiesen - Das Bundessozialgericht (NZS 2007, 311) hat zwar 2006 einen Verfassungsverstoß im Hinblick auf die Rentenversicherung verneint - Dennoch Zulassung der Revision durch das LSG Stuttgart wegen grundsätzlicher Bedeutung

III. Das Pflegeversicherungs-Urteil vom 3. 4. 2001 (BVerfGE 103, 242) Es ist mit Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden (BVerfGE 103, 242, Leitsatz) Kernaussagen: (1) Es geht nicht darum, ob der Staat zu wenig für Familien tut (insoweit Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers!); daher spielt auch das Grundrecht von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) nur eine untergeordnete Rolle (2) Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG): Vergleich des monetären Beitrags kinderloser Versicherter mit dem monetären Beitrag von Mitgliedern mit Kindern plus dem dazu gezogenen zukünftigen monetären Beitrag des Kindes

IV. Voraussetzungen für einen Gleichheitsverstoß: (1) Das Sozialversicherungssystem deckt ein Risiko auf, das überwiegend im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (2) Es handelt sich um ein geschlossenes, intergenerationelles System (3) Es ist absehbar, dass ein signifikanter Teil der Versicherten keine Kinder mehr bekommt V. Rechtsfolge eines Gleichheitsverstoßes: Ausgleich der spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter innerhalb des Systems (systeminterner Vorteilsausgleich). Nicht ausreichend sind daher Kompensation durch steuerrechtliche Subventionen Verbesserungen im Leistungsrecht VI. Konsequenz im Beitragsrecht der gesetzlichen Pflegeversicherung Beitragszuschlag für Kinderlose i. H. v. 0,25 Beitragssatzpunkten ( 55 Abs. 3 SGB XI)

VII. Übertragbarkeit auf die gesetzliche Rentenversicherung (1) Risiko, das überwiegend im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (+), Alter ist wichtigster Versicherungsfall, und die Rentenversicherung ist umlagefinanziert ( 153 Abs. 1 SGB VI) (2) Geschlossenheit des Systems Klassisches Gegenargument: Unsicherheit, ob die Kinder der Beitragszahler später auch Beitragszahler werden. - BVerfGE 103, 242: Es reicht aus, dass der überwiegende Teil der Kinder später wieder sozial pflegeversichert sein wird (keine individuelle, sondern systembezogene Wahrscheinlichkeit), vgl. daher schon BVerfGE 87, 1 (36): Kindererziehung hat bestandssichernde Bedeutung für das System der Altersversorgung - Kreis der Versicherten ist in der Rentenversicherung sogar weiter als in der Pflegeversicherung (Erst-recht-Schluss!)

(3) Absehbarkeit fehlender generativer Beiträge Prof. Dr. Thorsten Kingreen (+), Schreiber-Plan in den 50er Jahren und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit Beginn der 90er Jahre VIII. Einwände gegen die Übertragbarkeit auf die Rentenversicherung (1) Vorteilsausgleich auf der Leistungsseite Einwand unerheblich: - Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Kompensation der unterschiedlichen Beitragslasten und daher einen gegenwärtigen Vorteilsausgleich. - Kein Ausgleich im Leistungsrecht, sondern im Gegenteil massive Benachteiligung durch Begünstigung durchgängiger Erwerbsbiografien durch die Rentenversicherung (2) Verstoß gegen das Versicherungsprinzip Gegenargument: Die Rentenversicherung ist maßgeblich durch intergenerationelle Solidarität geprägt, beruht also nicht nur auf dem Versicherungsprinzip

(3) Zuständigkeit der Gesamtgesellschaft für das Familienlastenausgleich (= Kompensation durch Steuermittel) Dagegen sprechen: - Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einem systeminternen Ausgleich - Externer Vorteilsausgleich ist verteilungspolitisch nicht gerechter (Mehrwertsteuer!) IX. Übertragbarkeit auf die gesetzliche Krankenversicherung (1) Risiko, das überwiegend im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (+), - Leistungsbedarf tritt überproportional häufig in der älteren Generation auf - Sinkende Beitragseinnahmen durch Anknüpfung an die Rentenhöhe

(2) Mindestgeschlossenheit des Systems Prof. Dr. Thorsten Kingreen (+), Versichertenstruktur ist mit der Pflegeversicherung vergleichbar (3) Absehbarkeit fehlender generativer Beiträge (+) X. Einwand gegen die Übertragbarkeit auf die Krankenversicherung Beitragsfreie Mitversicherung der Kinder, 10 SGB V Gegeneinwand: Diese gibt es in der Pflegeversicherung auch, 25 SGB XI XI. Verfassungsmäßigkeit der Beitragsgestaltung in der Pflegeversicherung Fehlende Differenzierung nach der Kinderzahl in 55 Abs. 3 S. 1 SGB XI verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Fazit: Das Bundesverfassungsgericht profiliert die Familie im Pflegeversicherungsurteil als Leistungsträger. Es geht also nicht um einen Lastenausgleich, sondern darum, die Leistungen der Familie in der Sozialversicherung strukturell (nicht finanziell!) zu berücksichtigen.