Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe



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Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe Empfehlungen zuhanden der Sozialhilfeorgane von Bund, Kantonen, Gemeinden und Organisationen der privaten Sozialhilfe

Richtlinien für die Ausgestaltung der Sozialhilfe Konzept und Redaktion: Illustration und Umschlag: Druck: Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe Fredy Grimm, 3098 Schliern bei Köniz Rub Media AG, Druckerei, Bern 3. Ausgabe Dezember 2000, letzte Anpassungen Mai 2003 Das Urheberrecht an diesen Richtlinien steht der SKOS zu. Ohne schriftliche Genehmigung der SKOS dürfen die Richtlinien weder übersetzt noch in irgendeiner Form vervielfältigt und verbreitet werden. Bestelladresse: Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe Mühlenplatz 3, 3000 Bern 13 Fax 031 326 19 10 E-Mail admin@skos.ch Internet www.skos.ch

Zur Bedeutung dieser Richtlinien Die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) sind Empfehlungen zuhanden der Sozialhilfeorgane des Bundes, der Kantone, der Gemeinden sowie der Organisationen der privaten Sozialhilfe. Die Richtlinien setzen eine zielbezogene Zusammenarbeit der öffentlichen und privaten Träger der Sozialhilfe voraus. Zusammenarbeit bedeutet, dass wirksame Hilfe im Rahmen verschiedener Institutionen und Strukturen geleistet werden kann. Dabei sind jedoch die in diesen Richtlinien formulierten grundlegenden Prinzipien von allen Beteiligten zu beachten. Die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe haben im Laufe der Jahre in Praxis und Rechtsprechung ständig an Bedeutung gewonnen. Verbindlich werden die Richtlinien erst durch die kantonale Gesetzgebung, die kommunale Rechtsetzung und die Rechtsprechung. Die Richtlinien sind an sich nur Empfehlungen, doch dienen sie als Referenz für die Rechtsprechung. Damit bieten sie Gewähr für mehr Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit. Sie lassen aber auch Spielraum für angepasste, einzelfall- und bedürfnisgerechte Lösungen offen.

Diese Richtlinien gelten für alle längerfristig unterstützten Personen (inkl. anerkannte Flüchtlinge), die in Privathaushaltungen leben und die fähig sind, den damit verbundenen Verpflichtungen nachzukommen. Sie können deshalb auf nur vorübergehend unterstützten Personen oder auf Personen ohne eigenen Haushalt lediglich sinngemäss und entsprechend der individuellen Situation angewendet werden. Von diesen Richtlinien nicht direkt erfasst werden Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene sowie Auslandschweizerinnen und -schweizer. Die Richtlinien werden grundsätzlich der Preis- und Lohnentwicklung angepasst. Die SKOS überprüft diese Richtlinien laufend und aktualisiert sie in der Regel jährlich.

Stellungnahme der Konferenz der Kantonalen Sozialdirektoren und -direktorinnen SODK Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS hat als Fachverband die bestehenden Richtlinien für die Bemessung der Sozialhilfe grundlegend überarbeitet und den heutigen Erfordernissen angepasst. Die vorliegenden Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe geben fachlich breit abgestützte Antworten zu Fragen der Ausgestaltung der Sozialhilfe im Allgemeinen und zur Bemessung des sozialen Existenzminimums im Speziellen. Die SODK hat von den Ergebnissen der Vernehmlassung Kenntnis genommen und festgestellt, dass die Anliegen der Kantone gebührend berücksichtigt worden sind. Die SODK empfiehlt den Kantonen, die von der SKOS erarbeiteten Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe anzuwenden.

Inhaltsverzeichnis A VORAUSSETZUNGEN UND GRUNDSÄTZE A.1 ZIELE DER SOZIALHILFE A.1 1 A.2 ZUM ETHISCHEN VERSTÄNDNIS DER SOZIALHILFE A.2 1 A.3 SOZIALHILFE IM LICHT DER GESELLSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG A.3 1 A.4 GRUNDPRINZIPIEN DER SOZIALHILFE A.4 1 A.5 RECHTE UND PFLICHTEN UNTERSTÜTZTER PERSONEN A.5 1 A.5.1 RECHTE A.5 1 A.5.2 PFLICHTEN A.5 3 A.6 UNTERSTÜTZUNGSBUDGET UND UNTERSTÜTZUNGSBEDÜRFTIGKEIT A.6 1 A.7 AUSZAHLUNG VON UNTERSTÜTZUNGSLEISTUNGEN A.7 1 A.8 KÜRZUNGEN VON UNTERSTÜTZUNGSLEISTUNGEN A.8 1 A.8.1 GRUNDSÄTZE A.8 1 A.8.2 KÜRZUNGSGRÜNDE A.8 2 A.8.3 KÜRZUNGSUMFANG A.8 3 A.8.4 NICHTGEWÄHREN RESP. EINSTELLUNG VON LEISTUNGEN A.8 4 A.9 ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER PRIVATEN UND ÖFFENTLICHEN SOZIALHILFE A.9 1 A.9.1 AUSGANGSLAGE A.9 1 A.9.2 GRUNDSÄTZE A.9 2 A.9.3 MASSNAHMEN A.9 3 B MATERIELLE GRUNDSICHERUNG B.1 BEGRIFF UND BEDEUTUNG B.1 1 B.2 GRUNDBEDARF FÜR DEN LEBENSUNTERHALT B.2 1 B.2.1 ANSPRUCH UND INHALT B.2 1 B.2.2 GRUNDBEDARF I FÜR DEN LEBENSUNTERHALT B.2 3 B.2.3 ZUSCHLAG ZUM GRUNDBEDARF I B.2 5 B.2.4 GRUNDBEDARF II FÜR DEN LEBENSUNTERHALT B.2 6 B.2.5 PERSONEN IN STATIONÄREN EINRICHTUNGEN B.2 8 B.3 WOHNUNGSKOSTEN B.3 1 B.4 MEDIZINISCHE GRUNDVERSORGUNG B.4 1 B.4.1 KRANKENVERSICHERUNG UND SELBSTBEHALTE / FRANCHISEN B.4 1 B.4.2 ZAHNARZTKOSTEN B.4 3

C SITUATIONSBEDINGTE LEISTUNGEN C.1 BEGRIFF UND ANSPRUCH C.1 1 C.2 KRANKHEITS- UND BEHINDERUNGSBEDINGTE SPEZIALAUSLAGEN C.2 1 C.3 ERWERBSUNKOSTEN C.3 1 C.4 FREMDBETREUUNG VON KINDERN C.4 1 C.5 SCHULE UND ERSTAUSBILDUNG C.5 1 C.6 STEUERN C.6 1 C.7 URLAUB / ERHOLUNG C.7 1 C.8 WEGZUG AUS DER GEMEINDE C.8 1 C.9 WEITERE SITUATIONSBEDINGTE LEISTUNGEN C.9 1 D MASSNAHMEN ZUR SOZIALEN UND BERUFLICHEN INTEGRATION D.1 AUSGANGSLAGE D.1 1 D.2 GRUNDSÄTZE UND NEUE UNTERSTÜTZUNGSMODELLE D.2 1 D.2.1 GRUNDSÄTZE D.2 1 D.2.2 NEUE UNTERSTÜTZUNGSMODELLE D.2 5 D.3 MASSNAHMEN ZUR SOZIALEN UND BERUFLICHEN INTEGRATION D.3 1 D.4 ORGANISATORISCHE UND FINANZIELLE ASPEKTE D.4 1 D.4.1 ORGANISATION D.4 1 D.4.2 FINANZIERUNG D.4 2 D.4.3 WEITERVERRECHNUNG NACH ZUG D.4 3 E ANRECHNUNG VON EINKOMMEN UND VERMÖGEN E.1 EINKOMMEN E.1 1 E.1.1 GRUNDSATZ E.1 1 E.1.2 ERWERBSEINKOMMEN E.1 2 E.1.3 EINKOMMEN VON MINDERJÄHRIGEN E.1 3 E.2 VERMÖGEN E.2 1 E.2.1 GRUNDSATZ UND FREIBETRÄGE E.2 1 E.2.2 GRUNDEIGENTUM E.2 4 E.2.3 LEBENSVERSICHERUNGEN E.2 5 E.2.4 LEISTUNGEN DER PRIMÄREN SOZIALEN SICHERUNG E.2 6 E.3 SOZIALHILFERECHTLICHE RÜCKERSTATTUNGSPFLICHT E.3 1

F FINANZIELLE ANSPRÜCHE GEGENÜBER DRITTEN F.1 GRUNDSÄTZE F.1 1 F.2 BEVORSCHUSSTE LEISTUNGEN DRITTER F.2 1 F.3 EHELICHE UND ELTERLICHE UNTERHALTSPFLICHT F.3 1 F.3.1 GRUNDSATZ F.3 1 F.3.2 EHELICHE UNTERHALTSPFLICHT F.3 2 F.3.3 ELTERLICHE UNTERHALTSPFLICHT F.3 4 F.4 FAMILIENRECHTLICHE UNTERSTÜTZUNGSPFLICHT (VERWANDTENUNTERSTÜTZUNG) F.4 1 F.5 WOHN- UND LEBENSGEMEINSCHAFTEN F.5 1 F.5.1 BEGRIFF UND GRUNDSÄTZE F.5 1 F.5.2 ENTSCHÄDIGUNG FÜR HAUSHALTSFÜHRUNG F.5 3 G RECHTSGRUNDLAGEN G.1 BUNDESGESETZE G.1 1 G.2 KANTONALE SOZIALHILFEGESETZE G.2 1 G.3 ENTSCHEIDE G.3 1 G.3.1 URTEILE DES BUNDESGERICHTS G.3 1 G.3.2 ENTSCHEIDE DES BESCHWERDEDIENSTES DES EJPD G.3 7 G.4 RECHTSLITERATUR G.4 1 H PRAXISHILFEN H.1 ZU KAPITEL A.6: BERECHNUNGSBLATT H.1 1 H.2 ZU KAPITEL B.4.2: ERLÄUTERUNGEN ZU ZAHNÄRZTLICHEN BEHANDLUNGEN H.2 1 H.3 ZU KAPITEL F.3.3: BERECHNUNG VON ELTERNBEITRÄGEN H.3 1 H.4 ZU KAPITEL F.4: BERECHNUNG DER VERWANDTENUNTERSTÜTZUNG H.4 1 H.5 ZU KAPITEL D.3: EXTERNE FACHBERATUNG H.5 1 H.6 ZU KAPITEL D.3: AUS-, FORT- UND WEITERBILDUNG H.6 1 H.7 ZU KAPITEL D.3: UNTERSTÜTZUNG VON SELBSTÄNDIG ERWERBENDEN H.7 1 H.8 ZU KAPITEL B.4.1: EMPFEHLUNGEN ZUR KRANKENVERSICHERUNG BEI PERSONEN OHNE UNTERSTÜTZUNGSWOHNSITZ H.8 1 H.9 ZU KAPITEL E.3: BERECHNUNG DER SOZIALHILFERECHTLICHEN RÜCKERSTATTUNGSPFLICHT H.9 1 H.10 ZU KAPITEL D.2.2: RAHMENBEDINGUNGEN FÜR PILOTPROJEKTE H.10 1 H.11 JUNGE ERWACHSENE IN DER SOZIALHILFE H.11 6

Stichwortverzeichnis A Abfindung E.1 3 AHV-Vorbezug E.2 6 AHV-Mindestbeiträge B.1 1 Akteneinsicht A.5 2 Alimente E.1 3, F.3 3 Alimentenverpflichtung F.3 1 Alternativmedizin C.2 1 Altersguthaben BVG E.2 6 Angemessenheit A.4 1 Anreiz A.3 2, C.3 1, C.9 1, D.2 1, E.1 1, H.10 1 Anschaffungen E.1 2 besondere C.8 1 Äquivalenzskala B.2 3 Arbeit freiwillig, unbezahlt C.3 1, D.3 1 Ausbildung C.5 1, D.3 1, F.3 1, H.6 1 Ausbildungskosten H.3 1 Auskunftspflicht A.5 3 Auto C.3 1, E.2 1 B Bandbreite Bedarfsdeckung Bedürftigkeit Begleichung von Rechnungen Bekleidung Besuchsrecht Bildung Bücher Budgetberatung Budgetierung Bundesverfassung BVG B.2 6 A.4 2 A.5 3, A.6 1 B.2 4 B.2 1 C.9 1 B.2 2 B.2 2 B.2 4 C.3 1 A.1 1 E.2 4

C Coiffeur B.2 2 D Dentalhygiene Drittauszahlung B.4 3 F.2 1 E Ehegattenunterhalt F.3 2 Eigentum E.2 1 Elektroboiler B.3 1 Elternbeitrag F.3 4, H.3 1 Entscheid A.5 1, H.10 2 Energieverbrauch B.2 1 Erstausbildung C.5 1, F.3 3 Erstausbildung bei Volljährigen H.6 1 Erwerbstätigkeit C.3 1, E.1 2, H.7 1 Erwerbsunkosten allgemeine C.3 2, H.9 1, H 10 1 effektive C.3 1 Existenz menschenwürdige A.6 1, B.1 1, B.2 3 Existenzminimum absolutes A.1 1, A.6 1, A.8 1, A.8 3, B.1 1 betreibungsrechtliches B.2 3 soziales A.1 1, A.6 3, B.4 1 Existenzsicherung A.1 1, A.2 2, A.4 1, D.1 1, D.2 2, F.3 1 Existenzbedarf F.2 1

F Fachberatung Fachbegleitung Ferien Förderung der Eigeninitiative Fort- und Weiterbildung Franchisen Freizeit Freizügigkeitskonto Fremdbetreuung Fremdplazierung A.4 3, H.5 1 H.5 1 C.7 1 C.9 1 H.6 1 B.2 1, B.4 1 B.2 2 E.2 6 C.3 2, C.4 1, F.3 4 F.3 4 G Gemeinschaft familienähnliche Genugtuung Gegenleistung Gegenseitigkeit Gerechtigkeit soziale Geschenke Gesundheitspflege Getränke auswärts Getrenntleben Gratifikation Grundbedarf für den Lebensunterhalt B.2 7, B.3 2, F.5 1 E.2 2 A.3 2, D.2 2 D.2 2 A.2 2 B.2 2 B.2 1 B.2 1 B.2 2 F.3 2 E.1 2 A.6 1, B.1 1, B.2 1, H.9 1, H.10 2 Grundbedarf I für den Lebensunterhalt B.2 1, B.2 3, H.10 2 Grundbedarf II für den Lebensunterhalt B.2 6 Grundeigentum E.2 4, F.4 2 Grundpfandsicherheit B.3 2 Grundrechte A.5 1, F.4 2 Grundsicherung materielle A.3 2, A.6 1, B.1 1, H.10 2 Grundversorgung medizinische A.1 1, A.6 1, B.1 1, B.4 1, C.2 1

H Haftpflichtversicherung Halbtaxabo Handlungsfähigkeit Haushaltsgegenstände kleine Hausratversicherung Haustierhaltung Heime Heizung Hortlager Hypothekarzins C.9 1, H.4 2 B.2 1 A.5 1 B.2 1 C.9 1, H.4 2 B.2 2 B.2 8 B.3 1 C.5 1 B.3 1 I Immobilien im Ausland E.2 4 Immobilienbesitz E.2 4 Individualisierung A.4 1 Integration berufliche A.1 1, D.1 1, D.3 1 soziale A.1 1, A.6 1, B.2 3, B.2 6, B.3 1, C.3 1, D.3 1 Integritätsentschädigung E.2 2 J Jugendliche B.2 5, E.1 3

K Kaution für Mietzins Kehrichtgebühren Kinderzulagen Kindesschutzmassnahmen Kindesvermögen Kino Klinik Komplementärmedizin Konkubinat Konzession Radio/TV Körperpflege Kosten-Nutzen-Verhältnis Krankenversicherung Kürzungen Kürzungsgründe B.3 1, C.8 1 B.2 1 E.1 3 F.3 4 E.2 2 B.2 2 B.2 8 C.2 1 F.5 1 B.2 2 B.2 2 A.4 1, F.4 1 B.4 1, F.2 1H.8 1 A.8 1, A.8 3 A.8 2 L Landwirtschaftliche Betriebe Lebensgemeinschaft Lebensstandard Leistungen situationsbedingte Leistungsbezug unrechtmässiger Leistungskürzungen Liegenschaften H.7 2 F.5 1 A.6 1, B.2 6 A.6 1, A.8 3, Kap.C.1 9 A.8 3, E.3 1 A.8 1, A.8 2 E.2 1

M Medikamente selbst gekauft B.2 1 Menschenwürde A.2 1, A.4 1 Merkblatt A.5 1 Mietzins B.3 1, C.8 1 anrechenbar B.3 2 überhöht B.3 1 Mietzinsberechnung in familienähnlichen Gemeinschaften F.5 1 Mietzinsgutsprache B.3 1 Mindeststandard A.1 1 Mitwirkungspflicht A.5 3 Möbelanschaffungen C.9 1 Mofa B.2 1 Monatslohn 13. E.1 2 Musikinstrumente C.5 1, C.9 1 Musikunterricht C.5 1 N Nachhilfeunterricht Nachlass Nachrichtenübermittlung Nahrungsmittel Naturalleistungen Notfallbehandlung zahnärztliche Notunterkunft C.5 1 E.3 1 B.2 2 B.2 1, C.3 1 A.7 1 H.2 1 B.3 2 O Objektfinanzierung D.4 2

P Pflichtverletzung Post Prämienverbilligung Privatfahrzeug Professionalität Pro-Rata-Auszahlungen A.8 2 B.2 2 B.4 1 E.2 1 A.4 1 B.2 4 R Rechtliches Gehör Rechtsfähigkeit Rechtsmissbrauch Rechtsmittelbelehrung Rechtsverweigerung Rechtsverzögerung Reinigung Rückerstattung Rückkauf von Lebensversicherungen A.5 2 A.5 1 A.8 2 A.7 1 A.5 1 A.5 1 B.2 1 E.3 1, H.9 1 E.2 5 S Schadenersatz Schonvermögen Schreibmaterial Schuhe Schulbesuch Schulden Schuldenberatung Schullager selbständig Erwerbende Selbstbehalte Selbsthilfe Sozialversicherung Beiträge A.4 2, E.1 3 E.2 1 B.2 2 B.2 1 B.2 2, C.5 1 E.1 2 H.5 1 C.5 1 H.7 1 B.2 1, B.4 1 A.1 1, A.4 2, C.7 1D.2 1 E.2 6, F.2 1 D.4 4

Sprachkurse Spezialernährung Spezialunterricht Spielsachen Sport Starthilfe Steuern Subjektfinanzierung Subsidiarität SUVA-Tarif H.5 1 C.2 1 C.5 1 B.2 2 B.2 2, B.2 5 E.1 2, H.10 1 C.6 1, E.1 2, H.3 1, H.4 2, H.9 1, H.10 2 D.4 2 A.4 1 B.4 3 T Tabakwaren Telefon Toilettenartikel B.2 1 B.2 2 B.2 2 U Überbrückung H.7 1 Umzug B.3 1, C.8 1 Umschulung H.6 1 Unfallversicherung B.4 1 Unterhaltsbeiträge eheliche F.3 2 elterliche F.3 4, H.3 1 Unterstützung kurzfristig A.6 2 Unterstützungsbudget A.6 1 Unterstützungseinheit F.5 1 Unterstützungsmodelle D.2 1 Urlaub C.7 1, E.1 1

V Velo Vereinsbeiträge Verfügung Verkehrsauslagen Vermögensanfall Vermögensfreibetrag Verwandtenunterstützung Verwertung des Vermögens Verwertung von Immobilien Vollmacht Vorbezug Altersleistungen Vorsorge berufliche B.2 1 B.2 2 A.5 2, A.7 1, A.8 2 B.2 1 E.3 1 E.2 1, E.2 3, H.10 1 F.4 1, H.4 1 E.2 1 E.2 4 A.5 1 E.2 6 E.2 6 W Waisenrente Warmwasser Wegzug aus der Gemeinde Weiterbildung Wohneigentum Wohngemeinschaften therapeutische Wohnnebenkosten Wohnungskosten F.3 4 B.3 1 B.3 1, C.8 1 H.6 2 B.3 1, E.2 5 B.2 8, D.3 1 B.2 1, B.3 1 A.6 1, B.3 1, C.8 1 Z Zahnbehandlung Zeitidentität Zeitungen Zusatzrente für Kinder Zuschlag zum Grundbedarf I Zwangsmassnahmen Zweitausbildung B.4 3, H.2 1 F.2 2 B.2 2 F.3 4 B.2 1, B.2 5 A.8 2 H.6 1

Voraussetzungen und Grundsätze Conditions et principes généraux Premessa e principi generali A

A Voraussetzung und Grundsätze A.1 Ziele der Sozialhilfe Sozialhilfe sichert die Existenz bedürftiger Personen, fördert ihre wirtschaftliche und persönliche Selbständigkeit und gewährleistet die soziale und berufliche Integration. Die wirtschaftliche Existenzsicherung und die persönliche Hilfe werden von der neuen, seit 1. Januar 2000 gültigen Bundesverfassung ausdrücklich garantiert. Gemäss Artikel 12 der neuen Bundesverfassung besteht ein Recht auf Hilfe in Notlagen. Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. In seiner bisherigen, noch unter der alten Bundesverfassung ergangenen Praxis anerkannte das Bundesgericht ein ungeschriebenes Grundrecht auf Existenzsicherung (BGE 121 I 367). Dadurch war lediglich das zum Überleben absolut notwendige Minimum bzw. das absolute Existenzminimum (Ernährung, Kleidung, Obdach und medizinische Grundversorgung) gewährleistet. Die Gewährleistung des Rechts auf Existenzsicherung bildet die Grundlage der Sozialhilfe. Das soziale (im Gegensatz zum absoluten) Existenzminimum umfasst nicht nur die Existenz und das Überleben der Bedürftigen, sondern auch ihre Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben. Es fördert die Eigenverantwortung und die Hilfe zur Selbsthilfe. A.1 1

Sozialhilfe umfasst neben der physischen Existenzsicherung die Teilnahme und Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben der Gemeinschaft. Die Sozialhilfe, wie sie in den kantonalen Sozialhilfegesetzen geregelt ist, verfolgt weitergehende Ziele als das absolute Existenzminimum. A.1 2

A.2 Zum ethischen Verständnis der Sozialhilfe Die Sozialhilfe entwickelte sich im Verlaufe der Jahrhunderte von den Bettelordnungen des 16. Jahrhunderts über die Wohltätigkeitsvereine des Industriezeitalters zur öffentlichen Sozialhilfe im letzten Jahrhundert. Von Epoche zu Epoche wurden die Probleme der Armut und der Umgang mit den Armen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten angepackt, die jeweils das Bild des Menschen und des Staates in einer bestimmten Zeit widerspiegeln. Die vorliegenden Richtlinien beruhen auf einer modernen Auffassung der Sozialhilfe, die unserer Kultur, unserer Gesellschaft und unserer Zeit entspricht. Alle Fürsorge besteht darin, dass man entweder einem Menschen hilft, sich in der gegebenen Umwelt einzuordnen, zu behaupten, zurechtzufinden oder dass man seine Umwelt so umgestaltet, verändert, beeinflusst, dass er sich darin bewähren, seine Kräfte entfalten kann. (Alice Salomon, 1926) Moderne Sozialhilfe beruht auf zwei Pfeilern: Sie fördert die vorhandenen Ressourcen der Menschen, die aus welchen Gründen auch immer vorübergehend oder für längere Zeit nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten bzw. auch sonst für sich selber zu sorgen, indem zielgerichtete materielle und immaterielle Hilfe im Einzelfall erbracht wird. Dabei muss diese so ausgestaltet sein, dass die Teilnahme und Teilhabe der Betroffenen am Sozial- und Arbeitsleben und damit die Eigenverantwortung und die Hilfe zur Selbsthilfe gefördert werden. Auf der anderen Seite ist es die Aufgabe der Sozialhilfeorgane sich dafür einzusetzen, dass die gesellschaftlichen Strukturen (Erwerbsarbeit, Bildung, Gesundheit, Wohnen) so ausgestaltet sind, dass möglichst A.2 1

viele Menschen ihr Leben selbstverantwortlich und selbstbestimmt gestalten können und die Entstehung von Armut verhindert wird. Soziale Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenwürde sind die Grundlagen eines modernen Verständnissses von Sozialhilfe. Jedes Mitglied unserer Gesellschaft hat die Pflicht, in Selbstverantwortung sein Leben zu gestalten; das Gemeinwesen sorgt solidarisch dafür, dass denjenigen, die es nötig haben, angepasste und wirksame Hilfe zukommt. Sozialhilfe ist Existenzsicherung und Integration: Die Sozialhilfe versteht sich als unterstes Netz der sozialen Sicherheit, das verhindert, dass Personen oder Personengruppen von der Teilnahme und Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Sie trägt wesentlich dazu bei, die Grundlagen unseres demokratischen Staates zu erhalten und den sozialen Frieden zu sichern. A.2 2

A.3 Sozialhilfe im Licht der gesellschaftlichen Entwicklung Die soziale Sicherung in der Schweiz in ihrer heutigen Form stammt aus der Nachkriegszeit. Das fortgesetzte wirtschaftliche Wachstum erlaubte bis in die späten 8oer Jahre einen kontinuierlichen Ausbau der Sozialversicherungen. Die zentralen Säulen, auf denen das System der sozialen Sicherung basiert, sind die traditionelle Familienform und die Vollbeschäftigung. Beide Stützen haben sich radikal verändert. Für die neuen sozialen Risiken, die sich aus der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und aus dem Wandel der sozialen Lebensformen ergeben, ist das traditionelle System der sozialen Sicherheit schlecht vorbereitet. Der Sozialversicherungsschutz ist darum für weite Bevölkerungskreise brüchig geworden. Dies sind die Gründe, warum in den letzten zehn Jahren die Sozialhilfe einen wesentlichen Teil der Auswirkungen des wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandels und damit eine stetig wachsende Zahl der davon Betroffenen aufzufangen und abzusichern hat. Die Bewältigung neuer struktureller und sozialer Problemlagen wird stillschweigend den Kantonen, Gemeinden und privaten Organisationen überlassen. Zwar funktioniert die Sozialhilfe nach wie vor subsidiär, sieht sich aber mit einem drastischen Zuwachs der Fallzahlen und damit auch der Kosten konfrontiert. Hinzu kommen neue soziale Problemlagen, die früher gar nicht oder zumindest nicht in dem gravierenden Ausmass bestanden haben. Was sind die Hintergründe dieser Entwicklung? Durch die Liberalisierung und Deregulierung nationaler Märkte, durch die dritte technologische Revolution im Bereiche der Kommunikation und Information und durch neue Strategien bei den grossen Konzernen (Produktivitätssteigerung, Konzentration auf Kerngeschäfte, Outsourcing, globales Optimieren des Standort-Portfolios) hat sich der Wettbewerb zwischen den Unternehmen und zwischen den Wirtschaftsstandorten deutlich verschärft. Arbeitsplätze werden abgebaut, andere, die neue Fähigkeiten verlangen, entstehen. Der Sozialstaat wird als Standortfaktor interpretiert. Die soziale Verantwortung der Wirtschaft wird in Frage gestellt. A.3 1

Diese Entwicklungen haben die Handlungsgrundlagen der Sozialhilfe radikal verändert. Die Sozialhilfeorgane in der Schweiz haben quantitativ und qualitativ von völlig neuen Voraussetzungen auszugehen. Der Sozialhilfe wird eine neue Rolle zugeschoben. Bisher war die Sozialhilfe mit folgenden vier Merkmalen beschreibbar: Sie war subsidiär zum Sozialversicherungssystem. Ihre Angebote waren vorübergehend und meist nur kurzfristig notwendig und konzentrierten sich auf die Bereiche, in denen die Sozialhilfeabhängigen ihre Selbständigkeit noch nicht wieder erreicht haben. Der Kernauftrag der Sozialhilfe lag in der Bewältigung individueller Notlagen. Demgegenüber hat die Sozialhilfe heute neu eine komplementäre Funktion bei der materiellen Existenzsicherung und bei der sozialen Integration zu garantieren. Mangels Alternativen (soziale Integration durch Integration in den Arbeitsmarkt) hat sie diese Funktion nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft zu übernehmen. Um den wirtschaftlichen und sozialen Ausschluss der Betroffenen zu verhindern, entwickelt sie Angebote für diejenigen, die die Möglichkeit zur wirtschaftlichen und sozialen Selbständigkeit nicht mehr haben. Damit bewältigt die Sozialhilfe nicht mehr nur individuelle, sondern in einem wesentlichen Ausmass auch strukturelle Notlagen. Die Sozialhilfe muss, um sozialen Ausschlussprozessen zu begegnen, kompensierende Angebote zum sich verengenden Arbeitsmarkt bereitstellen. Materielle Grundsicherung und Beratung im Einzelfall sind mit Massnahmen zur sozialen und beruflichen Integration zu verbinden (vgl. Kapitel D). Die Sozialhilfe ist gegenüber diesem schleichenden und einschneidenden Wandel ihrer Rolle nicht untätig geblieben. Im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel reagiert sie offensiv auf die neuen Aufgaben. Sie entwickelt Integrationsprogramme, die auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung basieren, und fördert Anreize, um aus der Sozialhilfeabhängigkeit herauszukommen. A.3 2

Die Integrationsaufgabe wird zunehmend wichtiger. Das Ziel der Wiedereingliederung von erwerbslosen, behinderten und bedürftigen Personen ist der Invalidenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe gemeinsam. Darum drängt sich gerade in diesem Bereich eine enge und intensive Zusammenarbeit zwischen den Sozialversicherungen und der Sozialhilfe auf, um Doppelspurigkeiten zu verhindern und für die Betroffenen unabhängig ihres Status optimale Möglichkeiten zur beruflichen und sozialen Integration zu eröffnen. A.3 3

A.4 Grundprinzipien der Sozialhilfe Die Sozialhilfe kennt fundamentale Prinzipien, die in der Gesetzgebung vielfach nur angedeutet werden: Wahrung der Menschenwürde Subsidiarität Individualisierung Bedarfsdeckung Angemessenheit der Hilfe Professionalität Kosten-Nutzen-Verhältnis Wahrung der Menschenwürde Dieser Grundsatz besagt, dass jede Person um ihres Menschseins willen vom Gemeinwesen die Sicherung der baren Existenz fordern darf. Zudem setzt dieser Grundsatz voraus, dass der unterstützten Person ein Mitspracherecht zukommt, so dass sie nicht zum Objekt staatlichen Handelns degradiert wird. Subsidiarität Sozialhilfe wird dann gewährt, wenn die bedürftige Person sich nicht selbst helfen kann, und wenn Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist. Es besteht kein Wahlrecht zwischen vorrangigen Hilfsquellen und der Sozialhilfe. Die Sozialhilfe ist subsidiär gegenüber folgenden Hilfsquellen: A.4 1

Möglichkeiten der Selbsthilfe: Die hilfesuchende Person ist verpflichtet, alles Zumutbare zu unternehmen, um eine Notlage aus eigenen Kräften abzuwenden oder zu beheben. In Frage kommen insbesondere die Verwendung von vorhandenem Einkommen oder Vermögen sowie der Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Leistungsverpflichtungen Dritter: Dem Bezug von Sozialhilfe gehen alle privat- oder öffentlich-rechtlichen Ansprüche vor. In Frage kommen insbesondere Leistungen der Sozialversicherungen, familienrechtliche Unterhaltsbeiträge, Ansprüche aus Verträgen, Schadenersatzansprüche und Stipendien. Freiwillige Leistungen Dritter: Sozialhilfeleistungen sind grundsätzlich auch subsidiär gegenüber Leistungen Dritter, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden. Individualisierung Das Prinzip der Individualisierung verlangt, dass Hilfeleistungen jedem einzelnen Fall angepasst sind und sowohl den Zielen der Sozialhilfe im allgemeinen als auch den Zielen der betroffenen Person im besonderen entsprechen. Bedarfsdeckung Dieses Prinzip besagt, dass die Sozialhilfe einer Notlage abhelfen soll, die individuell, konkret und aktuell ist. Die Hilfe darf nicht von den Ursachen der Notlage abhängig gemacht werden. Sozialhilfeleistungen werden nur für die Gegenwart und (sofern die Notlage anhält) für die Zukunft ausgerichtet, nicht jedoch für die Vergangenheit. Angemessenheit der Hilfe Unterstützte Personen sollen materiell nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als Menschen in ihrer Umgebung, die ohne Sozialhilfeleistungen in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen leben. A.4-2

Professionalität Sozialhilfe umfasst in der Regel eine genaue Abklärung der sozialen Situation der hilfesuchenden Person, einen gemeinsam mit ihr ausgearbeiteten Hilfsplan und ein auf ihre Situation zugeschnittenes Hilfsangebot. Die materielle Hilfe wird, wenn nötig, durch persönliche Fachberatung ergänzt. Kosten-Nutzen-Verhältnis Das Kosten-Nutzen-Verhältnis soll durch gewisse Standardisierungen optimiert werden. Neben einfachen Richtlinien zur Berechnung des Unterstützungsbudgets gilt es auch an verschiedene Möglichkeiten der Sozialberatung zu denken: Nicht alle Sozialhilfesuchenden brauchen in gleichem Mass individuelle Beratung und in vielen Fällen ist eine gruppenweise Beratung möglich (z.b. im Rahmen von Integrationsprogrammen). A.4 3

A.5 Rechte und Pflichten unterstützter Personen Die Sozialhilfeorgane sollten die allgemeinen Rechte und Pflichten von Sozialhilfesuchenden auf einem Merkblatt festhalten. A.5.1 Rechte Die Sozialhilfeorgane sind verpflichtet, die Grundrechte (materielle Rechte und Verfahrensrechte) der unterstützten Personen zu respektieren. Rechts- und Handlungsfähigkeit Die Tatsache, dass eine Person Sozialhilfe bezieht, schränkt ihre zivilrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit nicht ein. Sie kann insbesondere nach wie vor Verträge abschliessen, ein Testament abfassen oder Prozesse führen. Die Unterstützung hat keine Auswirkung auf die Ausübung der elterlichen Sorge. Sozialhilfeorgane dürfen nur dann im Namen der unterstützten Person Rechte und Pflichten begründen, wenn sie dazu ausdrücklich ermächtigt sind (Vollmacht). Verbot der Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung Sozialhilfeorgane dürfen eine Entscheidung nicht ausdrücklich ablehnen oder stillschweigend unterlassen. Sie dürfen die Behandlung eines Gesuches auch nicht über Gebühr verzögern. A.5 1

Rechtliches Gehör und Akteneinsicht Unterstützte Personen haben das Recht auf Akteneinsicht, das Recht auf Orientierung, Äusserung und Mitwirkung bei der Sachverhaltsabklärung, das Recht auf Prüfung der Vorbringen und auf Begründung des Entscheides sowie das Recht, sich im Verfahren anwaltlich vertreten zu lassen. Schriftlich begründete Verfügung Die Sozialhilfeorgane eröffnen ihre Entscheide schriftlich unter Angabe der Rechtsmittel. Nicht vollumfänglich gutgeheissene Gesuche sowie belastende Verfügungen sind zu begründen. Die Begründung muss so umfassend sein, dass die betroffene Person in der Lage ist, die Tragweite der Verfügung zu beurteilen und diese allenfalls, in voller Kenntnis der Umstände, an die Beschwerdeinstanz weiterzuziehen. In der Verfügung müssen die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Sozialhilfeorgane leiten liessen und auf die sie sich stützen. Vorbehalten bleibt das kantonale Recht. Hilfe zur Selbsthilfe Die Sozialhilfeorgane sind verpflichtet, den Betroffenen solche Hilfe anzubieten, die sie in den Stand setzt, eine Notlage abzuwenden oder ihre Situation selbständig zu verbessern bzw. zu stabilisieren. A.5 2

A.5.2 Pflichten Die Pflichten der unterstützten Personen richten sich primär nach den kantonalen Sozialhilfegesetzen (Ausnahme: Asylbereich). Auskunftspflicht Wer Sozialhilfe beantragt, ist verpflichtet, wahrheitsgetreu über seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse Auskunft zu geben. Insbesondere muss Einsicht in Unterlagen wie Mietverträge, Lohnabrechnungen, Gerichtsentscheide etc. gewährt werden. Mitwirkungspflicht Die hilfesuchenden Personen sind verpflichtet, bei der Abklärung des Sachverhaltes mitzuwirken und alle Veränderungen in ihren persönlichen und finanziellen Verhältnissen zu melden, soweit sie für die Sozialhilfe relevant sind. Minderung der Unterstützungsbedürftigkeit Wer Sozialhilfe erhält, muss seinerseits alles in seiner Kraft Stehende tun, um die Notlage zu lindern oder zu beheben. Sozialhilferechtliche Rückerstattungspflicht Vgl. Kapitel E.3 A5 3

A.6 Unterstützungsbudget und Unterstützungsbedürftigkeit Das individuelle Unterstützungsbudget setzt sich aus der materiellen Grundsicherung und aus situationsbedingten Leistungen zusammen. Zur materiellen Grundsicherung zählen folgende Positionen: Grundbedarf I und II für den Lebensunterhalt Wohnungskosten (samt üblichen Nebenauslagen) medizinische Grundversorgung (einschliesslich Zahnarztkosten) Durch die materielle Grundsicherung wird das Recht auf eine menschenwürdige Existenz verwirklicht. Eine Kürzung oder Beschneidung von Budgetpositionen muss deshalb besonders hohen Anforderungen genügen (vgl. Kapitel A.1). Sie darf auf keinen Fall das absolute Existenzminimum tangieren. Die situationsbedingten Leistungen (vgl. Kapitel C) tragen (über die Existenzsicherung hinaus) dazu bei, soziale Integration zu erhalten, Desintegration aufzuhalten und Reintegration zu fördern. Die finanziellen Leistungen der Sozialhilfe ermöglichen den unterstützten Personen in der Regel einen Lebensstandard, der über dem absoluten Existenzminimum liegt. A.6 1

Ob eine Person unterstützt werden muss, zeigt nur ein genauer Vergleich der anrechenbaren Ausgaben und Einnahmen für ihren Haushalt. Je nach Situation kann der Bedarf bei gleicher Haushaltsgrösse auch mit identischen Wohnungs- und Gesundheitskosten unterschiedlich hoch sein. In der Regel sind Haushaltungen unterstützungsbedürftig, wenn das verfügbare monatliche Einkommen nicht ausreicht, um die Kosten für das soziale Existenzminimum zu decken. Diese Berechnung des Unterstützungsbudgets gilt für alle längerfristig unterstützten Personen, die in Privathaushaltungen leben und die fähig sind, den damit verbundenen Verpflichtungen nachzukommen. Vorbehalten bleiben kurzfristige Unterstützungen mit Überbrückungscharakter (während max. 3 Monaten) und einer realistischen Chance für Wiederherstellung der materiellen Unabhängigkeit. In diesen Fällen kann das soziale Existenzminimum sowohl unterschritten als auch überschritten werden, wobei das absolute Existenzminimum in jedem Fall gewährleistet sein muss. Die Darstellung auf der folgenden Seite gibt einen Überblick über die verschiedenen Ausgabepositionen des individuellen Unterstützungsbudgets. Die darin aufgeführten Rubriken entsprechen den einzelnen Teilen in den Kapiteln B und C dieser Richtlinien. A.6 2

Soziales Existenzminimum Situationsbedingte Leistungen Grundbedarf II(GB II) Grundbedarf I für den Lebensunterhalt (GB I) Medizinische Grundversorgung Wohnungskosten Absolutes Existenzminimum (durch die Verfassung geschützt) A.6 3

A.7 Auszahlung von Unterstützungsleistungen Unterstützungsleistungen werden auf Grund einer Verfügung der zuständigen Behörde gewährt. Gestützt auf das kantonale Prozessrecht gewährt das zuständige Sozialhilfeorgan Unterstützungsleistungen mittels einer Verfügung. Diese kann einen Rahmencharakter haben und nur die anrechenbaren Bedarfs- und Einnahmepositionen enthalten. Die zuständige Dienststelle hat so die Möglichkeit, das Budget regelmässig den effektiven Kosten (Ausgaben) und Einnahmen anzupassen. Ist die hilfesuchende Person mit der Bemessung der Unterstützung bzw. dem ausbezahlten Betrag nicht einverstanden, hat sie Anspruch auf eine schriftliche Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung. Das zuständige Sozialhilfeorgan überweist den Unterstützungsbetrag in der Regel auf ein Konto der betroffenen Person oder händigt ihn in Form eines Schecks aus. In begründeten Fällen, das heisst, wenn die Person ihr Geld nicht einteilen kann oder wenn sie vom bargeldlosen Zahlungsverkehr überfordert ist, kann die zuständige Dienststelle die Unterstützung ratenweise bar ausbezahlen oder die Rechnungen direkt begleichen. Naturalleistungen haben einen diskriminierenden Charakter. Sie dürfen deshalb nur in Ausnahmefällen und mit besonderer Begründung abgegeben werden. A.7 1

A.8 Kürzungen von Unterstützungsleistungen A.8.1 Grundsätze Die Sozialhilfeorgane haben einerseits die Pflicht, die materielle Existenz sicherzustellen, angepasste soziale Integrationsmassnahmen anzubieten und besondere Integrationsanstrengungen von Sozialhilfesuchenden auch finanziell anzuerkennen. Sie haben andererseits auch das Recht, Leistungskürzungen zu prüfen, wenn es an Kooperation mangelt, wenn die Integrationsanstrengungen ungenügend sind, oder wenn Unterstützung unrechtmässig bezogen wird. Leistungskürzungen brauchen eine gesetzliche Grundlage (in der kantonalen Gesetzgebung), müssen im öffentlichen Interesse liegen und haben dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu entsprechen. Kürzungen dürfen nicht in das verfassungsrechtlich geschützte absolute Existenzminimum eingreifen. A.8 1

A.8.2 Kürzungsgründe Die Kürzungsgründe ergeben sich aus dem kantonalen Recht. Sozialhilfeleistungen können gekürzt werden, wenn unrechtmässiger Leistungsbezug, grobe Pflichtverletzungen oder Rechtsmissbrauch vorliegen. In diesen Fällen besteht ein öffentliches Interesse an einer Leistungskürzung. Leistungskürzungen sind schriftlich, in Form einer beschwerdefähigen Verfügung zu eröffnen. Sie sind zu begründen. Vorgängig muss das Informations- bzw. Mahnverfahren durchgeführt werden. Bei der Kürzung von Sozialhilfeleistungen ist zu prüfen, ob die Auflagen und Weisungen der Sozialhilfeorgane zumutbar waren; die betroffene Person vorgängig klar informiert und verwarnt worden ist, so dass sie sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst ist; die Kürzung in einem angemessenen Verhältnis zum Fehlverhalten bzw. Verschulden steht; die betroffene Person durch eine Änderung ihres Verhaltens selbst dafür sorgen kann, dass der Anlass für die Kürzung wegfällt und diese deshalb zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben werden kann; die berechtigten Interessen von Kindern und Jugendlichen angemessen berücksichtigt sind. Zwangsmassnahmen sind im Rahmen des Sozialhilferechts nicht zulässig. A.8 2

A.8.3 Kürzungsumfang Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit können folgende Kürzungen abgestuft oder kombiniert vorgenommen werden: Nichtgewähren, Kürzen oder Streichen von situationsbedingten Leistungen. Nichtgewähren, Kürzen oder Streichen des Grundbedarfs II für den Lebensunterhalt, erstmalig für die Dauer von maximal zwölf Monaten. Diese Massnahme kann jeweils nach einer gründlichen Überprüfung um maximal weitere zwölf Monate verlängert werden. Der Grundbedarf I für den Lebensunterhalt kann um maximal 15% für die Dauer von bis zu sechs Monaten gekürzt werden, sofern qualifizierte Kürzungsgründe vorliegen (grobe Pflichtverletzung, unrechtmässiger Leistungsbezug in besonders gravierenden oder wiederholten Fällen). In Ausnahmefällen kann die Kürzung verlängert und die Hilfe auf das absolute Existenzminimum reduziert werden. Diese Massnahme muss in der Regel innert sechs Monaten überprüft werden. Weitergehende Kürzungen haben keine Grundlage. Sie sind nicht zulässig (vgl. Kapitel A.1). A.8 3

A.8.4 Nichtgewähren resp. Einstellung von Leistungen Es ist unzulässig, Unterstützungsleistungen nicht zu gewähren oder einzustellen. Wenn jedoch eine betroffene Person sich weigert, die zur Bedarfsbemessung nötigen Angaben beizubringen, obwohl sie ermahnt wurde und ihr die Konsequenzen schriftlich angedroht worden sind, muss das zuständige Sozialhilfeorgan erhebliche Zweifel an der Bedürftigkeit dieser Person haben. Das zuständige Sozialhilfeorgan kann deshalb in diesem Falle mit schriftlicher Verfügung Unterstützungsleistungen nicht gewähren resp. einstellen. A.8 4

A.9 Zusammenarbeit zwischen der privaten und öffentlichen Sozialhilfe A.9.1 Ausgangslage Die Aufgabenteilung zwischen öffentlichen und nichtstaatlichen, nicht profitorientierten sozialen Institutionen hat heute komplementären Charakter. Das Ausmass der privaten Ausgaben im Funktionsbereich der Sozialhilfe beläuft sich auf rund ein Drittel der Ausgaben der öffentlichen Hand. Private Institutionen stellen nicht wegzudenkende soziale Angebote und Dienstleistungen zur Verfügung. Dieser namhaften Rolle ist Rechnung zu tragen. Deshalb gilt es, die Beziehungen zwischen öffentlichen und privaten Institutionen im Hinblick auf das Ziel der sozialen und beruflichen Integration von hilfesuchenden Personen partnerschaftlich zu gestalten. A.9 1

A.9.2 Grundsätze Die Koordination der öffentlichen und privaten Sozialhilfe hat zum Ziel, die sozialen Leistungen für die Betroffenen zu verbessern. Dieses Ziel wird erreicht durch die Schaffung eines kohärenten und harmonisierten sozialen Netzwerks von öffentlichen und privaten Diensten; den Austausch von Informationen, Wissen und Kompetenzen; die Teilnahme der privaten Institutionen an der Ausgestaltung und Realisierung der Sozialpolitik; den Zugang bedürftiger Personen zu geeigneten sozialen Stellen. A.9 2

A.9.3 Massnahmen Leistungsaufträge Die Ausgestaltung von Leistungsaufträgen mit verbindlichen Zielvereinbarungen zwischen Institutionen erfolgt auf partnerschaftlicher Basis. Gesetzliche Grundlage Der Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen Sozialinstitutionen wird in die kantonalen Sozialhilfegesetze aufgenommen. Öffentlichkeitsarbeit Um die Kenntnisse über Ausmass und Charakter der privaten sozialen Hilfe zu fördern, wird eine offensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Vertrauensbildende Massnahmen Öffentliche und private Institutionen fördern den Fachaustausch und etablieren einen reibungslosen Informationsfluss. Koordination Mit der flächendeckenden Schaffung von Koordinations- und Kompetenzzentren wird ein interdisziplinärer Integrationsansatz verfolgt. A.9 3

Materielle Grundsicherung Couverture des besoins de base Copertura di bisogni primari B

B Materielle Grundsicherung B.1 Begriff und Bedeutung Die materielle Grundsicherung umfasst alle in einem Privathaushalt notwendigen Ausgabepositionen. Diese sind im Umfang der empfohlenen Beträge bzw. der effektiven Kosten anzurechnen. Abweichungen von dieser Regelung sind nur im Rahmen der kantonalen Gesetzgebung oder im Rahmen der vorliegenden Richtlinien zulässig. Sie müssen durch das zuständige Sozialhilfeorgan begründet verfügt werden. Über die materielle Grundsicherung wird nicht nur das verfassungsmässige Recht auf eine menschenwürdige Existenz eingelöst, sondern auch der in der Schweiz übliche Unterstützungsstandard gemäss den kantonalen Sozialhilfegesetzen vorgegeben. Dieser Unterstützungsstandard übersteigt das absolute Existenzminimum (vgl. Kapitel A.1). Die materielle Grundsicherung umfasst den Grundbedarf für den Lebensunterhalt (je nach Grösse und Zusammensetzung des Haushaltes abgestuft), die Wohnungskosten (einschliesslich der unmittelbaren Nebenkosten), die Kosten für die medizinische Grundversorgung. AHV-Mindestbeiträge gelten nicht als Sozialhilfeleistungen und unterliegen keiner Rückerstattungspflicht. Aufgrund der Bundesgesetzgebung über die AHV/IV (Art. 11 AHVG und Art. 3 IVG) übernimmt das zuständige Gemeinwesen die AHV-Mindestbeiträge für bedürftige Personen. SKOS-Richtlinien 12/02 B.1 1

SKOS-Richtlinien 12/02

B.2 Grundbedarf für den Lebensunterhalt B.2.1 Anspruch und Inhalt Allen Bedürftigen, die in einem Privathaushalt leben und fähig sind, einen solchen zu führen, steht der Grundbedarf für den Lebensunterhalt zu (vgl. Kapitel A.6). Der Grundbedarf für den Lebensunterhalt umfasst alle notwendigen Lebenshaltungskosten und setzt sich zusammen aus dem nach Haushaltsgrösse abgestuften Grundbedarf I für den Lebensunterhalt, dem Zuschlag zum Grundbedarf I, dem regional differenzierten Grundbedarf II für den Lebensunterhalt. DER GRUNDBEDARF FÜR DEN LEBENSUNTERHALT UMFASST DIE FOLGENDEN AUSGABEPOSITIONEN: Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren Bekleidung und Schuhe Energieverbrauch (Elektrizität, Gas etc.) ohne Wohnnebenkosten Laufende Haushaltsführung (Reinigung/Instandhaltung von Kleidern und Wohnung) inkl. Kehrichtgebühren Kleine Haushaltsgegenstände Gesundheitspflege ohne Selbstbehalte und Franchisen (z.b. selbst gekaufte Medikamente) Verkehrsauslagen inkl. Halbtaxabo (öffentlicher Nahverkehr, Unterhalt Velo/Mofa) SKOS-Richtlinien 12/02 B.2 1

Nachrichtenübermittlung (z.b. Telefon, Post) Unterhaltung und Bildung (z.b. Konzession Radio/TV, Sport, Spielsachen, Zeitungen, Bücher, Schulkosten, Kino, Haustierhaltung) Körperpflege (z.b. Coiffeur, Toilettenartikel) persönliche Ausstattung (z.b. Schreibmaterial) Auswärts eingenommene Getränke Übriges (z.b. Vereinsbeiträge, kleine Geschenke) Nicht inbegriffen sind die Wohnungsmiete, die Wohnnebenkosten und die Kosten für die medizinische Grundversorgung sowie die situationsbedingten Leistungen (vgl. Kapitel C). Die Zusammensetzung der Ausgabepositionen und die empfohlenen Beträge entsprechen dem Budget von Haushalten unselbständig Erwerbender mit niedrigem Einkommen (d.h. der untersten 20% des Einkommensspektrums gemäss schweizerischer Verbrauchsstatistik). Der Grundbedarf für den Lebensunterhalt wird auf den gleichen Zeitpunkt wie die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV der Teuerung angepasst. Grundlage für die Berechnung der Teuerung ist der so genannte SKOS- Index, der vom Bundesamt für Statistik ermittelt wird. Dieser wird vom Landesindex der Konsumentenpreise abgeleitet und berücksichtigt die Preisentwicklung der Waren und Dienstleistungen, die im Grundbedarf für den Lebensunterhalt enthalten sind. Ausgangswert für die Anpassungen an die Teuerung ist der SKOS-Index vom September 2000 mit einem Stand von 99.9 Punkten (auf der Basis Mai 2000 = 100 Punkte zuzüglich der nicht ausgeglichenen Teuerung von 0.8%). B.2 2 SKOS-Richtlinien 12/02

B.2.2 Grundbedarf I für den Lebensunterhalt Der Grundbedarf I für den Lebensunterhalt entspricht dem Minimum, das zu einer auf die Dauer angelegten menschenwürdigen Existenz in der Schweiz nötig ist und darf deshalb nur in begründeten Ausnahmefällen und zeitlich befristet unterschritten werden (vgl. Kapitel A.8). Der Grundbedarf I für den Lebensunterhalt wird nach der Anzahl Personen in einem gemeinsam geführten Haushalt festgesetzt. Die unterschiedliche Verbrauchsstruktur von Kindern und Erwachsenen ist im Rahmen der Gesamtpauschale in Haushalten mit weniger als drei Personen über 16 Jahren unerheblich. Im Sinne der angestrebten Harmonisierung mit dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum bildet der betreibungsrechtliche Grundbetrag für den 1-Personen-Haushalt die Ausgangsbasis für den Grundbedarf I für den Lebensunterhalt. Für die Berechnung des Bedarfs bei Mehrpersonenhaushalten kommt die von der SKOS entwickelte und erprobte Äquivalenzskala (= Vergleichbarkeit der Lebenshaltungskosten bei zunehmender Haushaltsgrösse) zur Anwendung. Diese Äquivalenzskala berücksichtigt die verfügbaren statistischen Informationen aus der schweizerischen Verbrauchsstatistik und wird wissenschaftlich als plausibel und angemessen beurteilt. Damit wird dem Auftrag der Sozialhilfe nachgelebt, die soziale Integration, insbesondere von Familien, zu fördern. SKOS-Richtlinien 12/02 B.2 3

EMPFOHLENE BETRÄGE FÜR DEN GRUNDBEDARF I FÜR DEN LEBENSUNTERHALT AB 2003: Haushaltsgrösse Pauschale/Monat Äquivalenzskala Pauschale pro (gerundet) In % Person und Monat (gerundet) Franken Franken 1 Person 1 030. 100 2 Personen 1 576. 153 788. 3 Personen 1 916. 186 639. 4 Personen 2 205. 214 551. 5 Personen 2 493. 242 499. 6 Personen 2 781. 270 463. 7 Personen 3 070. 298 438. pro weitere Person plus Fr. 285. Der Pauschalbetrag ermöglicht es Personen, die unterstützt werden, das verfügbare Einkommen selbst einzuteilen und die Verantwortung dafür zu tragen. Ist eine unterstützte Person dazu nachweislich nicht im Stand, sorgt die zuständige Stelle für geeignete Hilfe (z.b. Budgetberatung, Pro-Rata-Auszahlungen, direkte Begleichung von Rechnungen). B.2 4 SKOS-Richtlinien 12/02

B.2.3 Zuschlag zum Grundbedarf I Wenn in einem Haushalt mehr als zwei Personen über 16 Jahren leben, lassen sich einzelne Ausgabepositionen nicht mehr in demselben Verhältnis reduzieren (z.b. Ausgaben für Bekleidung und Schuhe, Körperpflege, Verkehrsauslagen, Sport, Bildung). Weil die in diesen Richtlinien angewendete Äquivalenzskala diesen Sachverhalt nicht genügend berücksichtigt, ist für solche Haushalte ein Zuschlag vorzusehen. Der monatliche Zuschlag zum Grundbedarf I beträgt ab der dritten Person über 16 Jahre Fr. 206. pro Person. Dieser Zuschlag wird wie folgt berechnet: (Anzahl Personen über 16 Jahre 2) x Fr. 206. Jugendliche über 16 Jahre sollen durch diesen zusätzlichen Betrag die Möglichkeit erhalten, über einen Teil ihrer Ausgaben eigenverantwortlich zu verfügen (vgl. auch Kapitel E.1.3). Er berücksichtigt bei Erwachsenen, die in Wohngemeinschaft leben, den Umstand, dass sie nur teilweise eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden. SKOS-Richtlinien 12/02 B.2 5

B.2.4 Grundbedarf II für den Lebensunterhalt Der Grundbedarf II für den Lebensunterhalt bezweckt die regional differenzierte Erhöhung des Grundbedarfs I auf ein Niveau, das eine Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben erleichtert. Er steht allen finanziell unterstützten Haushaltungen zu. Der Grundbedarf II für den Lebensunterhalt ist das materielle Bindeglied zu einem Haushaltseinkommen, das die Erhaltung der sozialen Integration resp. die Wiedereingliederung zum Ziel hat. Unterstützte gewinnen damit an Selbständigkeit: sie erhalten gewisse Wahlmöglichkeiten im Rahmen von Gütern und Dienstleistungen, z.b. für sportliche und kulturelle Aktivitäten, Bildung oder zusätzliche Verkehrsauslagen. Der Grundbedarf II für den Lebensunterhalt beträgt im Mittel 10% des Grundbedarfs I. Die Bandbreite berücksichtigt die unterschiedlichen Lebensstandards der Regionen und beträgt +/- 5% des Mittelwertes. Die Bandbreite zwischen Minimal- und Maximalansatz berücksichtigt die verfügbaren empirischen Daten über die Unterschiede bei einem bescheidenen Lebensstandard zwischen den verschiedenen Regionen der Schweiz. Zwar unterscheiden sich die effektiven Lebenshaltungskosten in unserem Land nur unwesentlich. Der Lebensstil und damit der Lebensstandard sind jedoch regional unterschiedlich. Die zuständigen Sozialhilfeorgane können dieser Tatsache Rechnung tragen, indem sie die Beträge in der vorgegebenen Bandbreite entsprechend ansetzen. Dagegen ist es unzulässig, Beträge ohne weitere Begründung im Einzelfall unterschiedlich festzulegen (Willkürverbot). B.2 6 SKOS-Richtlinien 12/02

EMPFOHLENE BETRÄGE FÜR DEN GRUNDBEDARF II FÜR DEN LEBENSUNTERHALT AB 2003: Haushaltsgrösse Pauschale Pauschale Pauschale Gültiger Minimum pro Mittel pro Maximum pro Regional- Monat Monat Monat ansatz Franken Franken Franken 1 Person 46. 103. 160. 2 Personen 71. 158. 244. 3 Personen 86. 192. 297. ab 4 Personen 100. 220. 342. Leben mehrere Erwachsene in einer familienähnlichen Gemeinschaft (vgl. Kapitel F.5.1) und bilden nur teilweise eine Wirtschaftsgemeinschaft, so ist für jede unterstützte Person der Grundbedarf II für den 1-Personen- Haushalt zu gewähren. SKOS-Richtlinien 12/02 B.2 7

B.2.5 Personen in stationären Einrichtungen Bedürftigen Personen in stationären Einrichtungen (Heimen, Kliniken etc.), in therapeutischen Wohngemeinschaften oder in Pensionen ist an Stelle des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt eine Pauschale zur Deckung der nicht im Pensionsarrangement enthaltenen Ausgabepositionen zu gewähren. Die Höhe der Pauschale ist nach der körperlichen und geistigen Mobilität abzustufen. Diese Pauschale beträgt Fr. 255. bis 510. pro Monat, falls nicht anderweitige kantonale Regelungen gelten. B.2 8 SKOS-Richtlinien 12/02

B.3 Wohnungskosten Anzurechnen ist der Wohnungsmietzins (bei Wohneigentum der Hypothekarzins), soweit dieser im ortsüblichen Rahmen liegt. Ebenfalls anzurechnen sind die vertraglich vereinbarten Nebenkosten (bzw. bei erhaltenswertem Wohneigentum die offiziellen Gebühren sowie die absolut nötigen Reparaturkosten). Kosten für Heizung und Warmwasser (z.b. Elektro- und Holzheizungen, Elektroboiler) sind nach effektivem Aufwand zu vergüten, sofern sie nicht über die Wohnnebenkosten mit dem Vermieter abgerechnet werden. Überhöhte Wohnkosten sind so lange zu übernehmen, bis eine zumutbare günstigere Lösung zur Verfügung steht. Die Sozialhilfeorgane haben die Aufgabe, die Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger bei der Suche nach günstigem Wohnraum aktiv zu unterstützen. Übliche Kündigungsbedingungen sind in der Regel zu berücksichtigen. Bevor der Umzug in eine günstigere Wohnung verlangt wird, ist die Situation im Einzelfall genau zu prüfen. Insbesondere sind folgende Punkte bei einem Entscheid zu berücksichtigen: die Grösse und die Zusammensetzung der Familie, eine allfällige Verwurzelung an einem bestimmten Ort, das Alter und die Gesundheit der betroffenen Personen sowie der Grad ihrer sozialen Integration. Beim Bezug einer preiswerten Wohnung sollte die Hinterlegung einer Kaution oder eine Mietzinsgutsprache der Sozialhilfeorgane vermieden werden. Ist dies nicht möglich, zählt dieser Betrag als eine Unterstützungsleistung im Rahmen der Wohnungskosten. Die Sozialhilfeorgane müssen die Rückerstattung sicherstellen. Bei einem Wegzug aus der Gemeinde sollte das bisherige Sozialhilfeorgan abklären, ob der künftige Mietzins in der neuen Gemeinde akzeptiert wird. Für die bei einem Wegzug zu übernehmenden Kosten gilt Kapitel C.8. SKOS-Richtlinien 12/02 B.3 1

Werden innerhalb einer familienähnlichen Gemeinschaft (vgl. Kapitel F.5.1) nicht alle Personen unterstützt, so gilt Folgendes: Im ersten Schritt wird der Mietzins festgelegt, der für die entsprechende Haushaltsgrösse angemessen ist. Im zweiten Schritt wird dieser Betrag gem. Kapitel F.5.1 auf die Personen aufgeteilt. Der anteilsmässige Betrag wird alsdann ins Unterstützungsbudget aufgenommen. Wenn eine Person längerfristig unterstützt wird, hat sie keinen Anspruch auf die Erhaltung ihres Wohneigentums. Es ist aber, wenn die Zinsbelastung vertretbar ist, stets zu prüfen, ob die Mehrkosten, die durch die Erhaltung des Eigentums für die Öffentlichkeit entstehen, nicht durch eine Grundpfandsicherheit abgedeckt werden können (vgl. Kapitel E.2.2). Weigern sich unterstützte Personen, eine günstigere Wohnung zu suchen oder in eine effektiv verfügbare und zumutbare günstigere Wohnung umzuziehen, dann können die anrechenbaren Wohnkosten auf jenen Betrag reduziert werden, der durch die günstigere Wohnung entstanden wäre. Dies bedeutet unter Umständen, dass die unterstützte Person den teureren Mietzins nicht mehr bezahlen kann und die Kündigung erhält. In diesem Fall ist das Gemeinwesen verpflichtet, eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen. B.3 2 SKOS-Richtlinien 12/02