4.3 Zusatzstoffe und Gentechnik 4.3.1 Einleitung In der Öffentlichkeit wird immer wieder behauptet, dass Gentechnik bei Zusatzstoffen eine Rolle spielt. Tatsächlich können verschiedene der in der EU und damit auch in Deutschland zugelassenen Zusatzstoffe aus herkömmlichen wie aus genetisch veränderten Organismen gewonnen werden. Aufgrund der Kennzeichnungsvorschriften werden diese Zusatzstoffe in Deutschland i. d. R. nur aus konventionellen Pflanzen gewonnen, soweit auf die genetische Veränderung hingewiesen werden muss. In anderen Fällen gelangt kein Material aus der genetischen Veränderung in die Zusatzstoffe, sodass Vorbehalte gegen diese Stoffe sachlich nicht gerechtfertigt sind. Weil keine realen Gesundheitsbedenken bestehen, können die Gesetzgeber auch keine Verbote rechtfertigen. Sie können aber um auf die real bestehenden Bedenken und Ängste zu reagieren Kenntlichmachung fordern. Mögliche Quellen für genetisch veränderte Stoffe Die Gentechnik betrifft die Zusatzstoffe, die aus genetisch veränderten Pflanzen oder Mikroben gewonnen werden. Bei Pflanzen kommen die hauptsächlich angebauten genetisch veränderten Pflanzen Soja und Raps infrage, aus denen Lecithine und Tocopherole, aus Soja auch Sojabohnenpolyose isoliert werden können, und Baumwolle als Quelle für Cellulose. Indirekte Quelle für solche Stoffe könnte Mais sein. Nur von diesen Pflanzen sind genetisch veränderte Varianten in der EU und damit ihren Mitgliedstaaten zugelassen [1]. Eventuell können künftig auch z. B. Tomaten als Ausgangsmaterial für Lycopin oder grüne Pflanzen als Quelle für Chlorophyll dazukommen. Fermentativ hergestellte Zusatzstoffe Für fermentativ hergestellte Zusatzstoffe können genetisch veränderte Mikroorganismen eingesetzt werden. Solche Stoffe bedürfen in der EU einer eigenen Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und auch einer eigenen Zulassung [2]. HB Gentech. u. Lebensm., 13. Akt.-Lfg. 10/10 1
In den USA ist eine Reihe von solchen Stoffen als GRAS (Generally Recognized As Safe/allgemein als sicher anerkannt) eingestuft, bei denen Gene aus anderen Organismen in besonders geeignete Produktionsstämme eingeschleust worden sind [3]. In der fermentativen Herstellung von Stoffen werden oft selbstklonierte Organismen eingesetzt, bei denen die Eigen-Gene für die Produktion dieser Stoffe vervielfacht sind. Dadurch lässt sich die Ausbeute gegenüber dem Ursprungsorganismus deutlich steigern, was zu reineren und höher konzentrierten Produkten führt. Zusatzstoffe können auch mithilfe genetisch veränderter Mikroorganismen produziert werden, in die fremde Gene eingeschleust wurden. Dazu gehören z. B. einzelne, aber nicht alle Produktionsverfahren für β-cyclodextrin [4], Riboflavin [5] oder Lycopin [6]. Teilsynthetische Stoffe Bei einer Reihe von Zusatzstoffen werden landwirtschaftliche Rohstoffe modifiziert, um spezielle Funktionen zu erreichen. Ausgangsmaterial dafür können wiederum Soja und Raps für Fettsäuren, Mais für Stärke und Stärkehydrolysate und Baumwolle für Cellulose sein. Wenn die gleichen Materialien wie aus konventionellen Pflanzen eingesetzt werden, liegt keine erhebliche Änderung des Herstellungsverfahrens vor. Durch die bei der Produktion solcher Stoffe üblichen Verfahren einschließlich der Reinigungsschritte sind i. d. R. im Endprodukt keine genetisch veränderten Nukleinsäuren oder Proteine aus dem Ausgangsorganismus mehr zu finden. 4.3.2 Zulassungspflichten Zusatzstoffe müssen nach der EG-Verordnung über Lebensmittelzusatzstoffe grundsätzlich zur Verwendung in Lebensmitteln zugelassen werden [7]. Für Stoffe aus genetisch veränderten Organismen können darüber hinaus aber noch weitere Zulassungsvorschriften gelten. Genetisch veränderte Rohstoffe Genetisch veränderte Pflanzen bedürfen einer Zulassung gemäß der EU-Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel [8]. Darin sind die Anforderungen an die Sicherheit und das Zulassungsverfahren detailliert geregelt. 2 HB Gentech. u. Lebensm., 13. Akt.-Lfg. 10/10
Zulassungen können erteilt werden für: einen genetisch veränderten Organismus und Lebensmittel, die diesen Organismus enthalten oder aus ihm bestehen, sowie Lebensmittel, die aus diesem Organismus hergestellte Zutaten enthalten oder aus solchen hergestellt sind. Lebensmittel, die aus einem genetisch veränderten Organismus hergestellt sind sowie Lebensmittel, die diese Zutat enthalten. eine aus einem genetisch veränderten Organismus hergestellte Zutat sowie Lebensmittel, die diese Zutat enthalten. Die Anforderungen an Zulassungsanträge sind in einer Leitlinie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit niedergelegt [9], die eine detaillierte Charakterisierung und Sicherheitsbewertung des modifizierten Organismus verlangt. Informationen müssen vorgelegt werden zu: der Art der genetischen Veränderung, analytischen Daten im Vergleich zum konventionellen Organismus, Toxikologie, Allergenität, Ernährungsphysiologie, Verzehrsmengen, Umweltfragen. Außerdem wird nach der Markteinführung ein Monitoring verlangt, in dem das Umweltverhalten und unerwünschte Reaktionen zu untersuchen und berichten sind. Vor dem Anbau genetisch veränderter Pflanzen muss ein Antrag dazu gemäß der Richtlinie über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt gestellt werden [10]. Die einzuhaltenden Mindestabstände zu konventionellen Pflanzen regelt die Gentechnik-PflanzenerzeugungsV von April 2008. Aus genetisch veränderten Organismen hergestellte Zusatzstoffe bedürfen keiner separaten Zulassung als Zusatzstoff, wenn der Zusatzstoff und der Organismus als solche zugelassen sind und der daraus hergestellte Zusatzstoff den Spezifikationen des zugelassenen Zusatzstoffes entspricht. Andererseits ist eine Zulassung als Zusatzstoff nicht möglich, wenn der genetisch veränderte Organismus nicht zugelassen ist [11]. HB Gentech. u. Lebensm., 13. Akt.-Lfg. 10/10 3
Verarbeitungshilfsstoffe sind, da sie definitionsgemäß nur unbeabsichtigte, technisch unvermeidbare Rückstände des Stoffes oder seiner Derivate im Enderzeugnis hinterlassen dürfen, sofern diese Rückstände gesundheitlich unbedenklich sind und sich technologisch nicht auf das Enderzeugnis auswirken [12], von der Zulassung als Zusatzstoff und als genetisch veränderte Zutat ausgenommen [13]. Allerdings unterliegt das Ausgangsmaterial ggf. den Bestimmungen über Freisetzung und Zulassung. Fermentativ hergestellte Stoffe Auch für genetisch veränderte Mikroorganismen gelten die Bestimmungen über die absichtliche Freisetzung. Allerdings gelten bei der Verwendung in geschlossenen Systemen die Regelungen der Richtlinie für die Verwendung von Mikroorganismen in solchen Systemen. Sie verlangen eine Anmeldung bei erstmaliger Verwendung und dabei die Vorlage verschiedener Informationen. Selbstklonierung nicht pathogener Organismen ist ein Verfahren, das nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt [14]. Teilsynthetische Stoffe Wenn aufgrund vergleichbarer Rohstoffe wie bei konventionellen Produkten keine erhebliche Veränderung des Produktionsverfahrens vorliegt, ist keine separate Zulassung erforderlich. Anderenfalls ist dieser Stoff als ein anderer Zusatzstoff anzusehen, der separat zugelassen werden muss oder für den mindestens eigene Spezifikationen festgelegt werden müssen, bevor er in Verkehr gebracht werden darf [2]. 4.3.3 Kennzeichnung Für die Kennzeichnung von Lebensmittelzusatzstoffen im Zutatenverzeichnis gelten die Bestimmungen der EG-Richtlinie über die Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln und die sie umsetzende LMKV. Bei der Kennzeichnung für Zusatzstoffe aus genetisch veränderten Organismen sind weitere Regelungen zu beachten. 4 HB Gentech. u. Lebensm., 13. Akt.-Lfg. 10/10
Zusatzstoffe aus genetisch veränderten Rohstoffen Für Produkte, die aus genetisch veränderten Organismen gewonnen worden sind, müssen in der ersten Phase des Inverkehrbringens die Angabe, dass es sich um ein genetisch verändertes Produkt handelt und die spezifischen Erkennungsmarker mitgeteilt werden. Die Angaben müssen dem jeweiligen Abnehmer in nachfolgenden Phasen der Vermarktung schriftlich übermittelt werden. Die entsprechenden Angaben müssen für fünf Jahre gespeichert werden [16]. Zusätzlich zu den für die Kennzeichnung von Zusatzstoffen allgemein geltenden Bestimmungen müssen diese Stoffe im Verzeichnis der Zutaten von Lebensmitteln mit genetisch verändert oder aus genetisch verändertem hergestellt gekennzeichnet werden. Die Kennzeichnung muss in Klammern unmittelbar nach der Angabe des Zusatzstoffes oder mindestens in gleicher Schriftgröße in einer Fußnote erfolgen. Wenn der Zusatzstoff nur mit der Kategorie bezeichnet werden kann, muss enthält genetisch veränderten oder enthält aus genetisch verändertem hergestellte deutlich auf dem Etikett oder in einer Fußnote angegeben werden. Wenn kein Verzeichnis der Zutaten angegeben werden muss, sind die Angaben genetisch verändert oder aus genetisch verändertem hergestellt erforderlich. Bei unverpackten Lebensmitteln oder Lebensmitteln in Kleinpackungen mit einer Oberfläche unter 10 cm2 müssen diese Angaben auf oder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslage in deutlicher, gut lesbarer Form gemacht werden [17]. Zusätzlich müssen in der Zulassung verlangte Angaben gemacht werden, wenn sich das Produkt in bestimmten Merkmalen von herkömmlichen Produkten unterscheidet. Für Zusatzstoffe können dabei Auswirkungen auf die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen oder der Anlass zu ethischen oder religiösen Bedenken relevant sein [17]. Von den Kennzeichnungsverpflichtungen sind Produkte ausgenommen, die nicht mehr als 0,9 % genetisch verändertes Material enthalten, dessen Anwesenheit zufällig oder technisch unvermeidbar ist. Damit die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht herangezogen werden kann, muss den zuständigen Behörden ggf. nachgewiesen werden, dass mit geeigneten Maßnahmen die Anwesenheit der genetisch veränderten Stoffe vermieden werden sollte [18]. HB Gentech. u. Lebensm., 13. Akt.-Lfg. 10/10 5
Fermentativ hergestellte Stoffe Die EG-Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel stellt in den Erwägungsgründen klar, dass die Bestimmungen zwar für Zusatzstoffe gelten, nicht aber die Stoffe erfassen soll, die nicht aus, sondern mit einem genetisch veränderten Organismus hergestellt werden. Dass diese Interpretation auch für Zusatzstoffe gilt, die mithilfe genetisch veränderter Organismen hergestellt werden, diese aber nicht enthalten, wurde vom Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette ausdrücklich klargestellt [19]. Teilsynthetische Stoffe Da diese Stoffe aufgrund der Herstellungs- und Reinigungsverfahren i. d. R. kein Material mehr enthalten, das aus der genetischen Veränderung resultiert, werden sie nach allgemeiner Verkehrsauffassung auch nicht als kennzeichnungspflichtig angesehen. Kennzeichnung ohne Gentechnik Im Gegensatz zu den Bestimmungen über die Kennzeichnung genetischer Veränderungen ist bei Produkten, die mit ohne Gentechnik oder in vergleichbarer Weise bezeichnet werden, ein strenger Maßstab anzulegen. Das gilt nicht nur für die Stoffe selbst, ihre Ausgangsmaterialien, sondern auch für teilsynthetische Produkte, technische Hilfsstoffe und die verwendeten Mikroorganismen. Deshalb sind auch Produkte, die als solche nicht der Pflicht zur Kennzeichnung unterliegen, nicht zu verwenden. Ausnahmen für unvermeidliche und unbeabsichtigte Beimischungen werden nicht zugelassen. Allerdings dürfen gentechnisch hergestellte Zusatzstoffe, die nach der EG-Ökoverordnung zugelassen sind, dann verwendet werden, wenn keine herkömmlichen Alternativen erhältlich sind [20]. 6 HB Gentech. u. Lebensm., 13. Akt.-Lfg. 10/10