Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.v. Westenhöfer, Lohbrügger Kirchstr. 65, 21033 Hamburg/Germany Prof. Dr. Joachim Westenhöfer (Sekretär und Schatzmeister) Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg Fachbereich Ökotrophologie Lohbrügger Kirchstr. 65 21033 Hamburg Hamburg, den 20.2.2007 Ihr Schreiben Unser Zeichen Telefon-Durchwahl Fax-Durchwahl Email jowe 0700-JOWESTEN 0700-JOWESTEN joachim@westenhoefer.de Liebe Kollegin, lieber Kollege, gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen haben Sie sich im September letzten Jahres an den Vorstand der Deutschen Adipositas-Gesellschaft gewandt, mit der Bitte, die Krankenkassen darauf hinzuweisen, dass der Leitfaden 2006 nicht mit den Leitlinien der Fachgesellschaft konform ist. Der Vorstand möchte Ihnen zunächst einmal ganz herzlich für Ihr Engagement für die Sache danken und sich dafür entschuldigen, dass Sie erst jetzt eine Antwort erhalten. Leider stand Ihr damaliger Antrag in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Jahrestagung und der anschließenden Vorstandswahl Ende 2006. Der neu gewählte Vorstand hat sich nun eingehend mit der Angelegenheit beschäftigt und möchte dazu folgende Stellung nehmen: Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft Nachdem in den letzten Jahren zunehmend Daten vorliegen, dass durch den Einsatz von Formula-Diäten nicht nur kurzfristig bessere initiale Abnahmeerfolge erzielt werden können, sondern dass die Gewichtsverluste auch langfristig nach einer Formuladiät günstiger verlaufen (Anderson, Konz, Frederich, & Wood, 2001), wurde in der aktuellen Fassung der Leitlinen ((Hauner et al., 2006) die Formula-Diät als Stufe 3 (Mahlzeitenersatz) und 4 (Ausschließliche Ernährung durch Formula-Diät) der Ernährungstherapie im Rahmen des Basisprogramms der Adipositastherapie definiert (Abschnitt 6.4.2 der Leitlinien). Vorstand: Prof. Dr. M.J. Müller, Kiel (Präsident), Prof. Dr. D. Kunze München (Vizepräsident), Prof. Dr. J. Westenhöfer, Hamburg (Sekretär) Geschäftsstelle: Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.v., Waldklausenweg 20, 81377 München homepage: http://www.adipositas-gesellschaft.de Sitz der Gesellschaft: Ulm/Donau. Vereinregister: Amtgericht Ulm Nr. 964 Bankverbindung der DAG: Sparkasse Ulm, BLZ 630 500 00, Kto.-Nr. 142 250, Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.v.
2 Es ist festzuhalten, dass diese Empfehlungen sich auf die Adipositastherapie beziehen, zu deren Indikation es in den Leitlinien heißt (Abschnitt 6.1): Indikationen für eine Behandlung übergewichtiger/adipöser Menschen sind ein BMI 30 oder Übergewicht mit einem BMI zwischen 25 und 29,9 und gleichzeitiges Vorliegen übergewichtsbedingter Gesundheitsstörungen (z. B. Hypertonie, Typ 2 Diabetes) oder eines abdominalen Fettverteilungsmuster oder von Erkrankungen, die durch Übergewicht verschlimmert werden oder eines hohen psychosozialen Leidensdrucks Leitfaden 2006 der Krankenkassen Sowohl in Ihrem Antrag als auch in einem Artikel des Kollegen Ellrott (Ellrott, 2006) zu diesem Thema, der in Heft 6/2006 des AdipositasSpektrum veröffentlicht wurde, wird auf einen Leitfaden der Krankenkassen Bezug genommen, in dem die ablehnende Haltung der Krankenkassen gegenüber Formuladiäten fixiert sei und der mit den Leitlinien der Adipositas- Gesellschaft nicht konform sei. Hierbei handelt es sich um den Leitfaden Gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriteren der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von 20 Abs. 1 und 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 10. Februar 2006 (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen, 2006). Rechtsgrundlage für diesen Leitfaden ist der 20 Abs. 1 des SGB V (Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung) in dem es heißt. SGB 5 20 Prävention und Selbsthilfe (1) Die Krankenkasse soll in der Satzung Leistungen zur primären Prävention vorsehen, die die in den Sätzen 2 und 3 genannten Anforderungen erfüllen. Leistungen zur Primärprävention sollen den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen beschließen gemeinsam und einheitlich unter Einbeziehung unabhängigen Sachverstandes prioritäre Handlungsfelder und Kriterien für Leistungen nach Satz 1, insbesondere hinsichtlich Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalten und Methodik.
3 Dieser gesetzlichen Verpflichtung zur Festlegung von Handlungsfeldern und Kriterien für die Primärprävention sind die Krankenkassen mit dem oben genannten Leitfaden nachgekommen. In diesem Leitfaden wird auf S.35-36 das Präventionsprinzip Vermeidung und Reduktion von Übergewicht beschrieben. Für dieses Präventionsprinzip wird als Zielgruppe definiert: Zielgruppe: - Erwachsene mit BMI > 25 bis unter 30 und - übergewichtige Kinder und Jugendliche40 jeweils ohne weitere behandlungsbedürftige Risikofaktoren/Erkrankungen oder psychische (Ess-) Störungen. Als Ziel und Inhalt der zu Maßnahmen werden definiert: Ziel der Maßnahme: - nachhaltige und angemessene Gewichtsreduktion und -stabilisierung Inhalt: - Schulung zur Ernährungskorrektur (Ziel: Energiedefizit durch fettreduzierte und kohlenhydratbetonte Kost nach den jeweils aktuellen DGE-Empfehlungen und - Beratungsstandards) - kein Einsatz von Formula-Diäten (Nahrungsersatzmittel) - Verhaltensmodifikation durch Training der flexiblen Verhaltenskontrolle - Rückfall-Prophylaxe zur Vermeidung des "Jo-Jo-Effektes" - Erkennen und Verändern situationsabhängigen Essverhaltens - sportliche Aktivierung Im Absatz Inhalte wird als zweiter Spiegelstrich die Verwendung von Formula-Diäten (Nahrungsersatzmitteln) bei solchen Maßnahmen der Primärprävention ausgeschlossen. Gemeinsame Bewertung von Leitlinien der DAG und Krankenkassen-Leitfaden Für sich genommen und streng interpretiert, widersprechen sich die Therapie-Leitlinien unserer Fachgesellschaft und der Präventionsleitfaden der Krankenkassen nicht: Die Therapieleitlinien sehen die Verwendung von Formulaprodukten genau bei behandlungsbedürftigem Übergewicht (mit Risikofaktoren bzw. Begleiterkrankungen) und Adipositas als Behandlungsoption vor. Der
4 Präventionsleitfaden der Krankenkassen schließt die Verwendung von Formulaprodukten bei Verbrauchern ohne behandlungsbedürftiges Übergewicht bzw. Adipositas aus. Die Leitlinien lassen an keiner Stelle erkennen, dass der Einsatz von Formulaprodukten eine sinnvolle Maßnahme der Primärprävention sein könnte. Dafür gäbe es auch keine solide empirische Basis. Somit müssen wir feststellen, dass zwischen den Leitlinien der Fachgesellschaft und dem Leitfaden der Krankenkassen kein Widerspruch besteht. Daher sehen wir an dieser Stelle auch keine Möglichkeit, hier eine Änderung des Präventionsleitfadens zu beantragen. Finanzierung der Adipositastherapie Gleichwohl sieht der Vorstand sehr wohl Ihr Anliegen, nämlich die derzeit unbefriedigende Lage bei der Finanzierung der Adipositastherapie. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge, d.h. nach der derzeitigen Rechtslage, gibt es eigentlich nur wenige Möglichkeiten, Adipositastherapie krankenkassenfinanziert anzubieten: 1. Adipositastherapie als reguläre ärztliche Leistung oder als reguläre Krankenhausbehandlung, die dann allerdings nie kostendeckend finanziert werden kann. Eine sinnvolle Adipositastherapie wird regelmäßig mehr umfassen, als die wenigen Beratungsziffern die pro Quartal durch die Krankenkassen als ärztliche Leistung bezahlt werden. 2. Adipositastherapie kann als ergänzende Maßnahme zur Rehabilitation ( 43 SGB V, Abs. 1, Ziffer 2) konzipiert sein. 43 SGB V Abs. 1 lautet: SGB 5 43 Ergänzende Leistungen zur Rehabilitation (1) Die Krankenkasse kann neben den Leistungen, die nach 44 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 sowie nach 53 und 54 des Neunten Buches als ergänzende Leistungen zu erbringen sind, 1. solche Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise erbringen oder fördern, die unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern, aber nicht zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder den Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung gehören, 2. wirksame und effiziente Patientenschulungsmaßnahmen für chronisch Kranke erbringen; Angehörige und ständige Betreuungspersonen sind einzubeziehen, wenn dies aus medizinischen Gründen erforderlich ist, wenn zuletzt die Krankenkasse Krankenbehandlung geleistet hat oder leistet. Ein Anbieter müsste somit einen Antrag auf Anerkennung seines Therapieprogramms als
5 Patientenschulungsmaßnahme nach 43 Abs. 1 Ziffer 2 stellen und gegebenenfalls damit rechnen, dass er aufgefordert wird, zu belegen, dass die Maßnahme wirksam und effizient ist. Hier ist jedoch zu sehen, dass die Kostenträger mittel- und langfristig auf ramdomisierte kontrollierte Studien (RCTs) für den Wirksamkeitsnachweis nicht verzichten werden bzw. können. Sofern eine Therapie bzw. ein Patientenschulungsprogramm mit Verwendung von Formulaprodukten wegen der Verwendung von Formulaprodukten von den Kassen abgelehnt würde, wäre dies in der Tat ein Widerspruch zu den Therapieleitlinien. Dies würden wir gerne aufgreifen und versuchen, hier eine Änderung zu erreichen. Bislang liegen uns jedoch diesbezügliche Dokumente noch nicht vor. Sollten Sie hier weitergehende Informationen oder Dokumente haben, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns diese zur Verfügung stellen könnten. Wir sehen jedoch nur dann eine ernsthafte Aussicht auf Erfolg, wenn eine Maßnahme der Therapie bzw. Patientenschulung beantragt wurde, keine Präventionsmaßnahme, und wenn die Ablehnung wegen der Verwendung von Formulaprodukten erfolgt ist und nicht wegen eines allgemein fehlenden Nachweises von Wirksamkeit und Effizienz. Offenbar ist es angesichts der unbefriedigenden Finanzierungsmöglichkeiten in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, dass versucht wurde, eine Therapiemaßnahme über den Umweg Prävention finanziert zu bekommen. Dies kann dann gelingen, wenn keine Formulaprodukte eingesetzt werden, muss aber scheitern, sobald solche Produkte eingesetzt werden. Der Vorstand der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sieht die Notwendigkeit, dass die Finanzierungslage der Adipositastherapie dringend verbessert werden muss und ist über Vorschläge, wie hier eine Verbesserung erreicht werden kann, sehr dankbar. Mit freundlichen kollegialen Grüßen Im Auftrag des Vorstands Prof. Dr. Joachim Westenhöfer Quellenangaben Anderson, J. W., Konz, E. C., Frederich, R. C., & Wood, C. L. (2001). Long-term weight-loss maintenance: a meta-analysis of US studies. Am J Clin Nutr, 74(5), 579-584.
6 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen. (2006). Gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von 20 Abs. 1 und 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 10. Februar 2006. Retrieved 29.1.2007, from http://lv-gesundheitsh.lernnetz.de/downloads/leitfaden2006.pdf Ellrott, T. (2006). Formula-Diäten in der Adipositas-Therapie. Formula-Diäten in den Leitlinien. AdipositasSpektrum, 2(6), 6-8. Hauner, H., Buchholz, G., Hamann, A., Husemann, B., Koletzko, B., Liebermeister, H., et al. (2006). Evidenz-basierte Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas. Version 2006. Retrieved 29.01.2007, from http://www.adipositasgesellschaft.de/daten/adipositas-leitlinie-2006.pdf Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung. Retrieved 29.1.2007, from http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/sgb_5/gesamt.pdf