Industrielle Produktion



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Transkript:

INDUSTRIELLE PRODUKTION Technische Enzyme 35 Industrielle Produktion Die Bedeutung der Weißen Biotechnologie in der chemischen Industrie ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Als Produkte gewinnen neben Feinchemikalien auch so genannte Bulk- oder Grundchemikalien und technische Enzyme zunehmend an Bedeutung. Zu den wichtigsten biotechnologisch hergestellten Produkten der Weißen Biotechnologie gehören heute Bioethanol, Zitronensäure, die Vitamine C und B 12 sowie Antibiotika. Rund 130 verschiedene Enzyme werden in biotechnologischen Prozessen eingesetzt (DECHEMA, 2005). In zunehmendem Maß werden so genannte Bulk- oder Grundchemikalien wie z. B. Vitamin C mit Hilfe biotechnologischer Verfahren hergestellt. Bulkchemikalien sind Produkte, von denen jährlich mehr als 10.000 Tonnen (t/a) produziert werden (SusChem 2005). Die größten Wachstumsraten für die Weiße Biotechnologie werden jedoch in der steigenden Produktion von Feinchemikalien mit Hilfe biotechnologischer Verfahren gesehen. Aktuell werden nach Untersuchungen des Beratungsunternehmens McKinsey schätzungsweise 5 % der chemischen Produkte durch biotechnische Verfahren hergestellt. Es wird geschätzt, dass dieser Anteil bis 2010 auf 15 bis 20 % erhöht werden kann. Der Umsatz, der durch den Einsatz von Biotechnologie in der chemischen Industrie erzielt werden könnte, würde sich dann auf etwa 300 Mrd. pro Jahr beziffern und sich aus Umsätzen mit neuen biotechnologischen Produkten sowie der Verbesserung bestehender Produktionsprozesse zusammensetzen. Technische Enzyme Mit Hilfe der Biotechnologie lassen sich bestehende industrielle Verfahren so optimieren oder sogar ersetzen, dass natürliche Ressourcen geschont und die Umwelt entlastet werden. Einen wichtigen Beitrag auf diesem Gebiet leistet die moderne Enzymtechnologie, die als Teildisziplin der Biotechnologie versucht, Biokatalysatoren (Enzyme) für technische Prozesse nutzbar zu machen. Enzyme werden für chemische Produktionsprozesse immer interessanter, um besonders die schwierigen Teilschritte einer chemischen Synthese auszuführen. Die Vorteile der Enzymkatalyse betreffen neben der Umwelt vor allem die Wirtschaftlichkeit, und so produzieren einige Unternehmen mit Hilfe von Enzymen bereits Produkte im Tonnenmaßstab. Produkte der Weißen Biotechnologie, die bereits heute im Tonnenmaßstab hergestellt werden (* enzymatisch hergestellt) nach DECHEMA, 2004. Produkt Säuren Zitronensäure Essigsäure Gluconsäure Itaconsäure L-Apfelsäure* Aminosäuren L-Glutamat L-Lysin L-Threonin L-Asparaginsäure* L-Phenylalanin L-Tryptophan L-Arginin L-Cystein L-Alanin* L-Methionin Lösungsmittel Bioethanol Weltjahres Anwendung Produkt Weltjahres Anwendung produktion (t/a) produktion (t/a) Antibiotika 1.000.000 Lebensmittel, Waschmittel Penicilline 45.000 Medizin, Futtermittelzusatz 190.000 Lebensmittel Cephalosporine 30.000 Medizin, Futtermittelzusatz 100.000 Lebensmittel, Textil, Metall Tetracycline 5.000 Medizin 15.000 Kunststoff, Papier, Klebstoff Biopolymere 100 Säuerungsmittel Polylactid 140.000 Verpackung Xanthan 40.000 Erdölförderung, Lebensmittel 1 500.000 Geschmacksverstärker Dextran(-derivate) 2.600 Blutersatzstoff 700.000 Futtermittel Vitamine 30.000 Futtermittel Ascorbinsäure (Vit. C) 80.000 Pharma, Lebensmittel 13.000 Aspartam-Herstellung L-Sorbose 50.000 Pharma, Lebensmittel 10.000 Aspartam, Medizin (Vit. C Vorstufe) 1.200 Ernährung, Futtermittel Riboflavin (B 2 ) 30.000 Wirkstoff, Futterzusatz 1.000 Medizin, Kosmetik Kohlenhydrate 500 Pharma, Lebensmittel Glucose* 20.000.000 Flüssigzucker 500 Infusionslösungen High Fructose Syrup* 8.000.000 Getränke, Ernährung 400 Infusionslösungen Fructooligosaccharide* 10.500 Präbiotikum Cyclodextrine* 5.000 Kosmetik, Pharma, 18.500.000 Lösungsmittel, Energieträger Lebensmittel

36 Technische Enzyme INDUSTRIELLE PRODUKTION Da der Zeitraum für eine molekularbiologische Optimierung von Enzymen in den letzten Jahren um den Faktor 10 bis 100 gesunken ist und Stabilität und Produktivität stark gestiegen sind, spielen Enzyme eine zunehmende Rolle in biotechnologischen Produktionsprozessen und als biotechnologische Produkte (DECHEMA, 2004). Der Markt für technische Enzyme liegt aktuell bei 1,7 Milliarden Euro mit jährlichen Wachstumsraten von etwa 10 %. Allein in den USA wird der Markt für Enzyme für pharmazeutische, industrielle und andere biokatalytische Anwendungen bei Wachstumsraten von 6 % bis zum Jahr 2008 auf 1,9 Mrd. US-$ steigen (DECHEMA, 2004). Technische Enzyme werden überwiegend in folgenden Sektoren verwendet: 50 % Lebensmittel/Getränke 35 % Wasch- und Reinigungsmittel 5 bis 14 % Textilindustrie 4 bis 5 % Feinchemikalien/Pharmazeutika 1 bis 3 % Papierindustrie 1 % Lederindustrie Durchschnittlich 60 % der eingesetzten technischen Enzyme werden mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen produziert, mit stetig steigendem Anteil (VDI, 2006). Biotechnologische Feinchemikalien- und Spezialchemikalienproduktion Das größte Potenzial der Weißen Biotechnologie wird in der Wirkstoffproduktion der Feinchemie gesehen. Als Produkte der Feinchemie werden Substanzen betrachtet, die einen hohen Funktionalisierungsgrad aufweisen und in Tonnagen von weltweit weniger als 10.000 t/a produziert werden (im Gegensatz zu Bulkchemikalien s. o.). Die wachsende Bedeutung enantiomerenreiner Wirkstoffe z. B. für die Pharmaindustrie wird dazu führen, dass bis zum Jahr 2010 etwa 60 % des Umsatzvolumens pharmazeutischer Produkte biotechnologisch hergestellt BMBF-Projekt Neuartige Haloperoxidasen aus Basidiomyceten Haloperoxidasen gehören zu den vielseitigsten Enzymen überhaupt. Sie katalysieren neben klassischen Peroxidase- Reaktionen und Halogenierungen auch die stereoselektiven Oxidationen von unterschiedlichsten organischen Substraten. Haloperoxidasen sind durch ihre hohe Spezifität und ihr synthetisches Potenzial für technische Anwendungen von großem Interesse. Sie eignen sich für enantioselektive Synthesen von Feinchemikalien, als schonende Halogenierungsmittel oder als oxidierende Agenzien. Bisher waren Haloperoxidasen nur aus Schimmelpilzen, Bakterien und Algen bekannt. Erstmalig gelang es in dem BMBF-Projekt den Partnern unter Leitung der JenaBios GmbH in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Lausitz, dem Internationalen Hochschulinstitut Zittau, der Universität Rostock, der Fachhochschule Zittau/Görlitz und der Schering AG, Berlin, aus einem höheren Pilz, dem Ständerpilz Agrocybe aegerita (Südlicher Ackerling), eine Haloperoxidase zu isolieren und zum Patent anzumelden. Der Südliche Ackerling ist ein schnellwüchsiger Holz- und Mulch-bewohnender Pilz aus der Verwandtschaft des Champignons, der in Südeuropa als kommerzieller Zuchtpilz angebaut wird (Piopino) und auch labortechnisch in Bioreaktoren kultiviert werden kann. Dabei wird gezielt auf die Enzyminduktion gescreent. Da die Ständerpilze besonders artenreich sind und weltweit vorkommen, ist davon auszugehen, dass im Rahmen des Projektes interessante Enzympräparate mit neuen katalytischen Eigenschaften gefunden werden können. Insbesondere Reaktionen, die auf chemischem Wege nicht oder nur unspezifisch durchführbar sind, stehen dabei im Mittelpunkt des Interesses. Ziel des Projektes ist es, neuartige Haloperoxidasen aus Basidiomyceten zu produzieren, zu reinigen, zu charakterisieren und prozesstechnisch zu erproben. Die Haloperoxidasen sollen dabei über bisher nicht realisierbare katalytische Eigenschaften verfügen. Bisher sind erst wenige Haloperoxidasen kommerziell erhältlich. Mit der chlorierenden Haloperoxidase von A. aegerita steht ein erstes Enzym dieses Typs aus Basidiomyceten zur Verfügung, das gegenüber bekannten Haloperoxidasen eine Reihe von Besonderheiten aufweist: Es hat ein breiteres Substratspektrum und ein höheres ph-optimum (weniger sauer), das Enzym ist in der Lage, eine Vielzahl von chemischen Reaktionen zu katalysieren, darunter einige, die biotechnologisch von großem Interesse sind. Letztlich wird eine Vermarktung von Haloperoxidasen entscheidend von den Herstellungskosten abhängen, d. h. inwieweit es gelingt, die Enzyme in geeigneten biotechnologischen Verfahren herzustellen.

INDUSTRIELLE PRODUKTION Bulkprodukte 37 werden. Bereits heute basieren mehr als 50 % der wichtigsten 100 Arzneimittel auf enantiomerenreinen Wirkstoffen. Mit traditionellen (chemisch/physikalischen) Katalysatoren ist es nicht möglich, enantiomerenreine Produkte zu synthetisieren. Da sich die enantiomeren Formen chiraler Moleküle in ihrer biologischen Aktivität stark voneinander unterscheiden, ist es jedoch wünschenswert, Prozesse zu entwickeln, die eine eantiomerenselektive Produktion ermöglichen. Antibiotika und ihre Zwischenprodukte gehören zu den wichtigsten Feinchemikalien mit einem geschätzten Marktwert von 20 Mrd. Euro. Da ihre chemische Struktur meist komplex ist und es keine chemischen Synthese-Alternativen gibt, werden sie zu einem überwiegenden Teil mit fermentativen Verfahren produziert. Es wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2010 bei der Produktion von 30 bis 60 % aller Feinchemikalien ein biokatalytischer Schritt involviert sein wird. Der aktuelle weltweite Marktanteil biotechnischer Verfahren im Bereich Feinchemikalien wird auf 50 Milliarden US-$ geschätzt und soll in den nächsten 10 bis 20 Jahren auf über 250 Milliarden US-$ ansteigen. Derzeit werden auf dem Gebiet der Feinchemikalien mit Methoden der Weißen Biotechnologie zum überwiegenden Teil chirale Verbindungen hergestellt. Durch Biokatalyse ist es möglich, reinere Ausgangsstoffe für Arzneimittel, verträglichere Kosmetika und gesündere Lebensmittel herzustellen. Bulkprodukte Unter Bulkprodukten oder Basischemikalien versteht man chemische Produkte, die weltweit in Mengen von mehr als 10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt werden. Durch verbesserte Up-scaling-Methoden finden biotechnologische Verfahren zunehmend Einsatz in der großtechnischen Produktion. In einer McKinsey-Studie wird geschätzt, dass der Anteil biotechnologischer Verfahren an der Produktion von Bulkchemikalien bis zum Jahr 2010 auf 6 bis 12 % steigen wird. Biotechnologisch hergestellte Bulkchemikalien werden überwiegend in der Lebensmittel-, Genußmittel- und Futtermittelindustrie verwendet. Hierzu gehören L-Glutaminsäure (1 Mrd. t/a), Zitronensäure (1 Mrd. t/a), L-Lysin (700 Mio. t/a), Milchsäure (150 Mio. t/a), Gluconsäure (100 Mio. t/a) und Vitamin C (80 Mio. t/a). Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von Basischemikalien, die mit Hilfe der Weißen Biotechnologie hergestellt werden, ist Acrylamid. Acrylamid dient als Ausgangsmaterial für die Produktion eines breiten Spektrums chemischer Produkte. Erstmal wurde 1985 ein biotechnologisches Produktionsverfahren unter Verwendung des Enzyms Nitrilhydratase zur Herstellung von Acrylamid eingeführt. Heute werden Schätzungen zufolge weltweit mehr als 100.000t/a Acrylamid biotechnologisch hergestellt. Zunehmend an Interesse gewinnen in jüngster Zeit auch biotechnologische Verfah- BioChance PLUS-Projekt Entwicklung und Produktion neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen Das BioChance Plus-Projekt Entwicklung und Produktion neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen der Direvo Biotech AG, Köln hat das Ziel vollkommen neuartigen Enzymen für industrielle Anwendungen zu entwickeln und zu produzieren. Die Enzyme sollen dabei für den Einsatz in einem breiten Anwendungsspektrum, wie beispielsweise im Futterund Lebensmittelbereich, in der Kosmetik- und Reinigungsmittelindustrie und in der industriellen Synthese chemischer Zwischenprodukte maßgeschneidert sein. Der entscheidende Unterschied zu herkömmlichen Verfahren liegt in der Generierung völlig neuer enzymatischer Funktionen für welche in der Natur bislang keine adäquaten Enzyme gefunden werden konnten oder die nicht existieren. Das Einsatzspektrum solcher Enzyme in industriellen Anwendungen ist hierbei immens. Die überwiegende Mehrzahl der von Konsumenten oder der Industrie gewünschten industriellen Anwendungen konnte bislang nicht oder nur unzulänglich mittels Enzymen durchgeführt werden. Dieser Sachverhalt spiegelt das enorme Potenzial der Generierung von Enzymen mit neuen Aktivitäten und Spezifitäten wider. Um erstmals Zugang zu einer solchen Klasse von neuartigen Produkten in Form von Enzymen mit neuen Funktionen zu finden, wurde ein einzigartiges technisches Konzept entwickelt, das die Generierung von Enzymen mit gänzlich neuen molekularen Funktionen ohne Vorbilder in der Natur ermöglicht. Dieses Konzept konnte bereits in verschiedenen Machbarkeits-Studien überprüft werden und ist patent- und markenrechtlich geschützt. Die vollkommen neuartige so genannte NBE-Technologie wird in dem Projekt Entwicklung und Produktion neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen auf den kommerziell bedeutenden industriellen Anwendungsbereich übertragen. Eine schnelle Generierung entsprechender Produkte in diesem Bereich mit anschließender Vermarktung soll so erreicht werden.

38 Bioraffinerie INDUSTRIELLE PRODUKTION ren, mit denen Monomere und Polymere für die Kunststoff- und Polymerindustrie hergestellt werden können. Beispiele hierfür sind Polylactid (PLA), 1,3-Propandiol (PDO) oder Poly-3-Hydroxybutyrat-co-3-Hydroxyhexanoat (PHBH). Bioraffinerie Der Anbau nachwachsender Rohstoffe gehört neben der Bereitstellung von Nahrungsmitteln seit Jahrhunderten zu den Hauptaufgaben der Landwirtschaft. Farbstoffe, Lampenöle, Schmierund Reinigungsmittel oder Fasern für die Textilindustrie sind Beispiele hierfür. Nach der Entdeckung fossiler Rohstoffe als Basis für synthetische Produkte wurden pflanzliche Rohstoffe zunehmend verdrängt. Die chemische Industrie ist heute in vielen Bereichen auf kohlenstoffhaltige Rohstoffquellen angewiesen. Fossile Rohstoffe (Erdöl, Erdgas und Kohle) werden zu einem hohen Anteil sowohl als primäre Energielieferanten als auch als Grundstoffe für zahlreiche petrochemische Verfahren genutzt. Dabei werden etwa 4 % der fossilen Rohstoffe stofflich genutzt. Der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe am Gesamtrohstoffeinsatz in der chemischen Industrie wächst jedoch seit einigen Jahren wieder kontinuierlich und liegt derzeit bei etwa 10%, wobei hier ein deutlich größeres Potenzial gesehen wird (vgl. BIO 2004). Für eine intensivere stoffliche und energetische Nutzung nachwachsender Rohstoffe stellen Bioraffinerietechnologien eine wichtige Voraussetzung dar. Unter einer Bioraffinerie versteht man eine Anlage, die pflanzliche Rohstoffe in industriell verwertbare Zwischen- und Endprodukte umwandelt. Die Biomasse dient dabei als Fermentationsmedium. Ein Beispiel hierfür ist die enzymatische Hydrolyse lignozellulosehaltiger Biomassen, deren Cellulosebestandteile in die Produkte Glucose und Cellobiose fermentiert werden, die entweder direkt verwendbar sind, als Ausgangsstoffe für Feinchemikalien oder zur Ethanolproduktion dienen können. BMBF-Projekt BioExPoSys Entwicklung von Verfahren zur Herstellung mikrobieller Exopolysaccharide als wasserlösliche Verdicker Wasserlösliche, polymere Verdicker haben eine große wirtschaftliche Bedeutung und finden in vielen Industriezweigen Anwendung. Darunter fallen u. a. die Lebensmittel- und die Kosmetikindustrie sowie die Verwendung in technischen Anwendungen wie z. B. als Bohr- oder als Flockungshilfsmittel. Der Gesamtmarkt für diese Anwendungen liegt bei mehreren 100.000 Tonnen pro Jahr. Gegenwärtig handelt es sich bei den Verdicker-Produkten häufig um Polyacrylate sowie Derivate von diesen. Die zumeist preiswerten Produkte haben zwar gute anwendungstechnische Eigenschaften, sie sind jedoch nicht biologisch abbaubar und stellen damit eine ökologische Belastung dar. Zudem basieren die Polyacrylat-Produkte auf fossilen (petrochemischen) Rohstoffen, die immer knapper und teurer werden. Die Suche nach alternativen Ausgangsstoffen für Verdicker wird daher immer notwendiger. In vielen Fällen haben mikrobielle Biopolymere, wie z. B. Polysaccharide, gegenüber Mikrobiologische Herstellung von Bernsteinsäure chemischen Verdickern entscheidende Vorteile. Neben den positiven Produkteigenschaften basieren die Polysaccharide auf nachwachsenden Rohstoffen und sind biologisch abbaubar. Im Lebensmittelbereich werden Polysaccharide wie Xanthan und Carragenan bereits häufig verwendet. Im Bereich technischer Anwendungen führen sie jedoch noch ein Schattendasein. Ziel des BMBF-Projekts unter Leitung der Degussa AG mit Beteiligung von deutschen Universitäten und kleinen mittelständischen Unternehmen ist die Etablierung von wettbewerbsfähigen, biotechnologischen Verfahren zur Herstellung mikrobieller Biopolymere. Dabei vereinen die Arbeiten systembiologische Ansätze mit Bioprospecting und Prozessoptimierung. Im systembiologischen Ansatz werden in Zusammenarbeit mit der TU Berlin, der Universität Bielefeld und der Insilico Biotech GmbH aus Stuttgart Genom-, Transkriptions-, Proteom- und Fluxanalysen von bekannten mikrobiellen Stämmen erstellt. Die daraus gewonnenen Informationen werden zur gentechnischen Modifikation der Stämme verwendet mit dem Ziel, Stämme zu gewinnen, die Biopolymere mit unterschiedlichen Eigenschaften und mit hoher Ausbeute und Produktivität herstellen. Die evolutionäre Vielfalt von Mikroorganismen und deren Stoffwechselwegen bietet aber ebenso einen Zugang zu neuen und werthaltigen Biopolymeren. Im Verlauf des Projektes wurden daher von der BRAIN AG (Zwingenberg) hochkomplexe Bioarchive gescreent und interessante Habitate durchsucht. Eine Vielzahl biopolymerbildender Mikroorganismen konnten auf diese Weise gefunden werden. Ein paralleles und auf kleinen Maßstab spezialisiertes Fermentationssystem hat die DASGIP AG (Jülich) entwickelt und für Mikroorganismen mit hochviskosen Produkten optimiert.

INDUSTRIELLE PRODUKTION Bioraffinerie 39 wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sein. Das heutzutage industriell und über Bioraffinerien genutzte Material stammt zumeist aus landwirtschaftlichen Quellen (Mais, Raps u. ä.). Für einen kontinuierlichen Grundstoffbedarf bei flächendeckender Umstellung auf Bioraffinerien zum Beispiel zur Kraftstofferzeugung reichen solche Quellen in Deutschland bisher nicht aus. Biomasse könnte in Zukunft zum Beispiel durch zunehmende Nutzung von Forst- und anderen lignocellulosehaltigen Biomassenabfallprodukten bereitgestellt werden. Gegenwärtig befinden sich enzymatische Vorbehandlungstechniken in der Entwicklung, die diese Ausgangsstoffe für biotechnische Verfahren wirtschaftlich verwertbar machen. Im Hinblick auf die Optimierung interessanter Rohstoffe befinden sich Getreide- und Baumsorten in der Entwicklung, deren jeweiliger Stärke-, Öl- oder Ligningehalt durch gentechnische Veränderung entscheidend erhöht werden konnte. Auch könnten die Erträge der rohstofflich verwertbaren Biomasse gesteigert werden, indem das Wachstumsverhalten genetisch selektiv beeinflusst wird. Getestet werden Pflanzen mit verbesserter Trocken- oder Kälteresistenz, Anregung zu Dauerwachstum ohne tages- oder jahreszeitliche Ruhepausen und Pflanzen mit erhöhter Fruchtfolge. In integrierten Bioraffinerien ist es möglich, sowohl eine Vielzahl von Rohstoffquellen zu verwenden als auch eine breite Palette an Chemikalien, Wertstoffen, Zwischen- und Endprodukten herzustellen. Als Biomasse können Getreide, Mais, Klee oder lignocellulosehaltiges Material wie Stroh, (Bruch)-Holz oder Altpapier verwendet werden. Da die meisten landwirtschaftlich genutzten Pflanzen eher im Hinblick auf hohe Erntefruchterträge als auf Biomassevolumina hin optimiert wurden, müssen so genannte Energiepflanzen verstärkt gezüchtet werden. Die Verarbeitung von Biomasse in nutzbare Produkte umfasst zwei Entwicklungsphasen, d. h. eine dem Prozess vorgeschaltete sowie eine ihm nachgelagerte Phase zur Aufbereitung der Produkte. Die vorgeschaltete Upstream-Phase schließt sämtliche Schritte ein, die bis zur Entstehung eines verwertbaren Substrats oder Mediums nötig sind. Zur nachgelagerten Downstream-Phase gehören hingegen alle Prozesse zur Aufbereitung, Trennung und Reinigung von Bioprodukten. Die Downstream-Phase kann auch als Bioraffination bezeichnet werden. Die klimatischen Verhältnisse im nördlichen Mitteleuropa sind keine idealen Voraussetzungen für das Etablieren von Bioraffinerien: Die notwendige Biomasse muss kontinuierlich, in ausreichender Menge und in konstanter Qualität sowie zu