Beschluss des Parteirates



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Transkript:

Beschluss des Parteirates 21. Februar 2005, Berlin Binnenmarkt für Dienstleistungen schaffen aber richtig! Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards erhalten! 1. Die Europäische Kommission hat am 13. Januar 2004 einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt vorgelegt. Sie ist Bestandteil der Lissabon-Beschlüsse des Europäischen Rates und gehört zu den wichtigsten Vorhaben auf europäischer Ebene derzeit. Anders als bisher geht die Kommission mit ihrem Richtlinienvorschlag nicht mehr den Weg, in einzelnen Dienstleistungsbereichen eine weitgehende Harmonisierung des materiellen Rechts in den Mitgliedstaaten zu erreichen und anschließend eine branchenbezogene Richtlinie zu erlassen. Die Dienstleistungsrichtlinie soll stattdessen einen Rechtsrahmen für eine große Bandbreite sehr unterschiedlicher Dienstleistungen bilden, unabhängig vom jeweiligen Stand der Rechtsharmonisierung in diesem Bereich. Betroffen wären grundsätzlich alle gegen Entgelt erbrachten Dienstleistungen. Im Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten weitgehend auf Genehmigungsanforderungen verzichten, wenn Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten sich niederlassen oder grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen wollen. Die Mitgliedstaaten sollen ihre Verwaltungsverfahren vereinfachen und die nationalen Behörden grenzüberschreitend stärker zusammenarbeiten. Kernpunkt des Richtlinienentwurfs ist die Einführung des Herkunftslandprinzips für vorübergehend grenzüberschreitend erbrachte Dienstleistungen. Das bedeutet: Der Anbieter unterliegt lediglich den Bestimmungen seines Herkunftslandes, nimmt also quasi für seine vorübergehenden Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat der EU sein Heimatrecht mit. Und dies soll auch in Bereichen gelten, die nicht europaweit rechtlich harmonisiert sind. Seite 1 von 5

2. Bündnis 90/Die Grünen teilen grundsätzlich das Ziel eines einheitlichen EU-Binnenmarktes auch für Dienstleistungen. Wir unterstützen Bemühungen, mit denen gerade kleineren Anbietern durch Verwaltungsvereinfachungen und mehr Transparenz der Markteintritt in andere Mitgliedstaaten der EU erleichtert werden soll. Was für die Anbieterseite gilt, muss in einer Marktwirtschaft aber auch für diejenigen gelten, die Dienstleistungsangebote in Anspruch nehmen wollen, ob Firmen, Institutionen oder einfache Bürger. Auch sie müssen durch die Regelungen der Richtlinie ausreichend Rechtsklarheit und Transparenz erhalten. Ansonsten entsteht kein nachhaltiges Vertrauen in den Markt und die Wirtschaftseffekte kommen durch Nachfragezurückhaltung nicht zustande. Für Bündnis 90/Die Grünen ist unabdingbar, dass wichtige Schutzrechte für BürgerInnen, für ArbeitnehmerInnen und Kunden, für Gesundheit, Verbraucherschutz und Umweltschutz im Zuge einer Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte gewahrt bleiben. Sie sind nicht Hindernisse, sondern positive Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb zwischen Anbietern und für Geschäfte zwischen Anbietern und Kunden. Und sie sind positive gesellschaftliche Signale und Rahmensetzungen für erfolgreiche wirtschaftliche Betätigungen im Rahmen der gemeinsamen Ziele der EU für Wachstum, nachhaltige Entwicklung und sozialen Fortschritt. Qualität ist kein Hindernis für Geschäfte, sondern die Stärke europäischer Anbieter auf den globalen Märkten. Die Dienstleistungsrichtlinie will das bislang geltende Prinzip der Rechtsangleichung in der EU durch Rechtsharmonisierung und anschließende Regulierung aufgeben und stattdessen die Märkte bereits vor einer Angleichung der nationalen Rechtsstandards öffnen mit dem hohen Risiko, erreichte Standards von Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten, von Umwelt- und Gesundheitsschutz dem Druck eines Dumpingwettkampfes auszusetzen. Wir halten das für den falschen Weg. Bündnis 90/Die Grünen treten dafür ein, die Rechtsharmonisierung innerhalb der EU weiter voranzutreiben und unsere hohen qualitativen und sozialen Standards als Stärken des europäischen Modells zu sichern. Eine Liberalisierung kann und muss auf dieser Basis erfolgen. 3. Bündnis 90/Die Grünen teilen das grundsätzliche Ziel, aber nicht den Weg der vorgeschlagenen Dienstleistungsrichtlinie. Wir lehnen vor allem das Herkunftslandprinzip als neuen generellen Rechtsgrundsatz ab, insbesondere für Dienstleistungsbereiche ohne bisherige Rechtsharmonisierung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Hier sehen wir die praktische Gefahr eines Wettlaufs zwischen Mitgliedstaaten um die Absenkung von Sozial-, Umwelt- und Qualitätsstandards mit dem Ziel, Firmenniederlassungen anzulocken, von denen aus EU-weit Dienstleistungen zu Niedrigstandards angeboten werden könnten. Hohe nationale Standards etwa des Schutzes der Gesundheit, der Umwelt, des Tierschutzes, bioethischer Regeln, von Arbeitsbedingungen und der Verbraucherrechte würden darüber ausgehebelt. Das Herkunftslandprinzip erhebt die wechselseitige Anerkennung unterschiedlicher Standards und Regeln zu einem übergeordneten Prinzip und der Richtlinienentwurf lässt kein ausreichendes Druckmittel erkennen, das Mitgliedstaaten zu einer weiteren Rechtsharmonisierung auf hohem Niveau anhalten könnte. Die mit der Dienstleistungsrichtlinie geplante Einführung des Herkunftslandprinzips wirft nach unserer Ansicht zudem erhebliche Probleme auf bezüglich der Rechtskohärenz des Gemeinschaftsrechts und der Rechtsklarheit für die Marktteilnehmer. In den Europäischen Verträgen ist das Herkunftslandprinzip kein erklärtes Rechtsprinzip und in anderen EU-Rechtsakten wie etwa der Entsende-Richtlinie und der Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen gilt das Ziellandprinzip. Dies wird voraussichtlich auch für die geplante Richtlinie zur Mehrwertbesteue Seite 2 von 5

rung gelten. Das Herkunftslandprinzip der Dienstleistungsrichtlinie gerät zudem in Konflikt mit dem EU-Vorhaben, die internationalen Übereinkommen zum Privatvertragsrecht und außervertraglichen Schadensregeln (ROM I und II) in EU-Recht zu überführen. Schließlich bezweifeln wir, dass Herkunftsländer eine ausreichende Kontrolle der grenzüberschreitenden Tätigkeiten von Anbietern aus ihrem Land europaweit gewährleisten können oder auch ein eigenes Interesse daran hätten. Ein Sanktionsmechanismus für unterlassene Kontrollen sieht der Richtlinienentwurf nicht vor. Den nationalen Behörden gewährt er dagegen nur sehr eingeschränkte Spielräume für eigene Kontrolle und ein Einschreiten bei Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder des Schutzes der Umwelt. Bündnis 90/Die Grünen halten auch die Ausnahmevorschläge zum Herkunftslandprinzip im Kommissionsentwurf nicht für ausreichend. Bündnis 90/Die Grünen halten es für zwingend erforderlich, dass eine Richtlinie für eine so große Bandbreite unterschiedlichster Dienstleistungen klare Bestimmungen des Anwendungsbereichs und der Abgrenzung zu ausgenommenen Dienstleistungsbereichen enthält. Der jetzige Entwurf der Kommission ist da nicht klar genug. Der Kommissionsentwurf bleibt unklar in seiner Abgrenzung zu den Diensten der Daseinsvorsorge. Dies sind jedoch oftmals politisch sensible Bereiche und in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt und finanziert. Ähnliches gilt für die Bereiche der nationalen Gesundheitssysteme und sozialen Sicherungssysteme, die nach den Europäischen Verträgen vor allem in ihrer Organisation und Finanzierung in der alleinigen Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen. Der jetzige Kommissionsvorschlag lässt hier die nötige Klarheit vermissen. Der Richtlinienentwurf trägt nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen zudem den meinungsbildenden und kulturellen Aspekten der audiovisuellen Medien und kultureller Dienstleistungen nicht ausreichend Rechnung und wirft erhebliche Bedenken der Vereinbarkeit mit dem in Deutschland verfassungsrechtlich gebotenen Auftrag und der staatsfernen Organisation des Rundfunks auf. Der Richtlinienentwurf zieht darüber hinaus keine genügend klaren Grenzen zum Bereich des Steuerwesens, des staatlichen oder wesentlich staatlich finanzierten Bildungswesens sowie des Atom- und Strahlenschutzes, der unter den EURATOM-Vertrag oder teilweise in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. 4. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten für das Ziel ein, dass Niederlassungen von Dienstleistungsanbietern als auch Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr innerhalb der EU barrierefrei angeboten und geleistet werden können. Aber man darf nicht den zweiten vor dem ersten Schritt tun. Wir wollen die Harmonisierung von Rechtsgrundlagen und Standards innerhalb der EU voranbringen, auf deren Basis Dienstleistungen innerhalb der EU frei angeboten und geleistet werden können. Wir schlagen daher vor, das Herkunftslandprinzip nicht als generelle Grundregel zu fassen. Vielmehr soll es nur für solche Bereiche gelten, die bereits europaweit rechtlich harmonisiert sind. Nach Rechtsharmonisierungen in weiteren Bereichen kann das Herkunftslandprinzip auf diese ausgeweitet werden. Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass der Geltungsbereich der Richtlinie genauer gefasst wird. Durch klare Formulierungen im Gesetzestext selbst muss sichergestellt sein, dass das Steuerwesen und die Besteuerung von Dienstleistungen insgesamt aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden. Gleiches gilt für Anforderungen des Atom- und Strahlenschutzes, die unter den EURATOM-Vertrag oder in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Seite 3 von 5

fallen, für Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind und für staatliche oder im wesentlichen staatlich finanzierte Dienstleistungen und solche Bildungseinrichtungen. Ebenso sollten nationale Regelungen des Tierschutzes von der Richtlinie ausgenommen sein. Zwingend geboten ist eine eindeutige Klarstellung zum Anwendungsbereich der Richtlinie dahingehend, dass die Richtlinie sich lediglich bezieht auf Vorschriften, die spezifisch die Aufnahme und Ausübung der Dienstleistung betreffen, nicht aber für jedermann allgemein geltende Vorschriften, insbes. in den sensiblen Bereichen des Bau-, des Umwelt- und Pflanzenschutzrechts, des Tierschutzrechts bei Tierversuchen, der Tierarzneimittel, der Kontrolle und Überwachung von Öko-Landbau-Betrieben. Bündnis 90/Die Grünen fordern des Weiteren die generelle Ausnahme von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen von der Richtlinie, solange nicht die folgenden Klarstellungen aufgenommen werden: 1. die Mitgliedstaaten sind weiterhin allein verantwortlich für Organisation und Finanzierung ihrer Systeme der Gesundheitsdienstleistungen einschließlich der Langzeitpflege sowie der sozialen Sicherungssysteme; 2. die national geltenden Qualitäts- und Sicherheitsstandards und die Kompetenz der Mitgliedstaaten für die sozialen Sicherungssysteme werden durch das Herkunftslandprinzip nicht tangiert; und 3. die Kohärenz der Richtlinie zu anderen Vorhaben und Initiativen auf EU-Ebene wird sichergestellt, die sich mit den Fragen der Gesundheitsversorgung und des sozialen Schutzes befassen. Es sollte zudem klargestellt werden, dass für Gesundheitsdienstleistungen in der Regel eine Niederlassung im Zielland erforderlich ist und das Herkunftslandprinzip daher hier keine Anwendung findet. Da leider auf absehbare Zeit eine Einigung auf eine gesonderte EU-Richtlinie für den Bereich der Daseinsvorsorge als wenig wahrscheinlich gilt, wollen wir in der Dienstleistungsrichtlinie durch klare Formulierungen ebenso gesichert wissen, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ausgenommen sind. Die Mitgliedstaaten müssen für sich die Möglichkeit behalten, Leistungen der Daseinsvorsorge in eigener Verantwortung zu regeln und Ausgleichszahlungen für die Übernahme von Gemeinwohlverpflichtungen zu leisten. Die Ausnahmeregel für die Finanzdienstleistungen muss ausdrücklich auch die betriebliche Altersversorgung aufführen und die generelle Ausnahme von Verkehrsdienstleistungen sollte ebenfalls klar gefasst werden. Bündnis 90/Die Grünen plädieren dafür, Dienstleistungen im Bereich der audiovisuellen Medien und der Kultur aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie generell herauszunehmen. Für das Fernsehen besteht bereits eine eigene europäische Regulierung ( Fernsehen ohne Grenzen ), für den Hörfunk könnte ein ähnliches eigenständiges Regelwerk diese Lücke schließen. Zumindest aber muss gewährleistet sein, dass in Deutschland die verfassungsgemäß gebotene staatsferne Organisation des Rundfunks nicht berührt wird. Es muss klargestellt werden durch entsprechende Definition von Niederlassung in der Richtlinie, dass der bloße Sitz einer Firma an einem Ort noch keine Niederlassung ist, sondern am Ort auch tatsächlich wirtschaftliche Dienstleistungstätigkeiten ausgeübt werden. Dies ist nötig, um die Gefahr von Briefkastenfirmen und der Entstehung von Niederlassungsoasen weiter zu entschärfen. Sollte am Herkunftslandprinzip als genereller Regel für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr festgehalten werden, fordern Bündnis 90/Die Grünen Klarstellungen bei den Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip und eine Aufnahme weiterer Ausnahmebereiche. Vom Herkunftslandprinzip sollten generell ausgenommen sein: Seite 4 von 5

- die Abwasserentsorgung, die Verbringung von Abfällen und Regelungen der Einhaltung und Überwachung festgelegter Grenzwerte nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz - Verbraucherverträge und das internationale Privatrecht. - Das Kartellrecht und Regelungen gegen unlauteren Wettbewerb und Verbrauchertäuschung (Lauterkeitsrecht). - Dienstleistungen von Arbeitsverleihfirmen, da hier große Umgehungsmöglichkeiten eröffnet würden und eine Kontrolle bei kurzfristigen Tätigkeiten praktisch nicht möglich wäre. - Bioethisch sensible Bereichen wie der Embryonenschutz, Stammzellenforschung und Gendiagnostik mit klaren Formulierungen der darunter zu fassenden Dienstleistungstätigkeiten. Denn hier gibt es keine gemeinsamen europäischen Positionen. Die Mitgliedstaaten haben diese Fragen nach sehr unterschiedlichen Wertmaßstäben für sich geregelt. Bündnis 90/Die Grünen halten zudem an der Notwendigkeit eines Mindestmaßes nationaler Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten in den Staaten der Erbringung einer Dienstleistung fest, um die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen und die Bekämpfung von Schwarzarbeit in der Praxis überhaupt gewährleisten zu können. Deshalb sollte klargestellt werden, dass bei den behördlichen Kontrollmöglichkeiten insbesondere im Baubereich im Zuge der Arbeitnehmer-Entsendung das Herkunftslandprinzip nicht gilt und die Einschränkungen in Artikel 24 entfallen. Für entsandte Arbeitskräfte aus Drittstaaten muss zumindest die Anmeldung bei den zuständigen nationalen Stellen des Ziellandes gewährleistet sein. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass die EU-Kommission in ihrem Richtlinienentwurf Rechte der Empfänger von Dienstleistungen bestimmt. Allerdings halten wir es für geboten, nicht nur eine konkrete Liste der Informationen über den Dienstleistungserbringer und dessen Dienstleistung aufzuführen, die ein Dienstleistungsempfänger zur Verfügung gestellt bekommen muss, sondern dass er diese auch unmittelbar und nicht erst auf weitere Nachfragen hin mitgeteilt bekommt. Schließlich sollten in den späteren Konsultationen über Erfahrungen und Verbesserungsmöglichkeiten der EU-Kommission neben den Interessenverbänden der Wirtschaft auch Interessenvertreter des Verbraucherschutzes einbezogen werden und dies in der Richtlinie festgehalten sein. Seite 5 von 5