Stigmatisierung von Adipositas in Deutschland Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im September 2012



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Transkript:

Stigmatisierung von Adipositas in Deutschland Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im September 2012 PD Dr. med. Thomas Ellrott an der Georg-August-Universität Göttingen Universitätsmedizin Humboldtallee 32 37073 Göttingen

Stigmatisierung Figurbezogene Diskriminierung und Stigmatisierung werden von vielen vor allem stark Übergewichtigen häufig erlebt und haben erhebliche Konsequenzen. Stigmatisierung wird als Ablehnung und sozialer Ausschluss empfunden und erfüllt somit viele Charakteristika von körperlichen Schmerzen. Eine gewichtsbezogene Stigmatisierung ist oft mit sozialer Isolation, Depression und geringem Selbstwertgefühl verbunden und führt gerade nicht zu einer gesteigerten Motivation abzunehmen. Im Gegenteil, eine starke Stigmatisierung reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass Übergewichtige erfolgreich ihr Verhalten ändern.

Stigmatisierung Stark Übergewichtige aßen wesentlich mehr, während ihnen im Vergleich zu neutralen Filmen Filmmaterial mit Stigmatisierung von Übergewichtigen gezeigt wurde (Schvey et al. 2011). Stigmatisierung von Übergewicht verschlimmert daher die Situation der Betroffenen, anstatt sie zur Verhaltensänderung zu motivieren. Vor allem übergewichtige Frauen werden von Personalentscheidern erheblich stigmatisiert und haben so auch in der Arbeitswelt schlechtere Chancen (Giel et al. 2012). Schvey NA, Puhl RM, Brownell KD: Obesity 2011, 19:1957 1962 Katrin E Giel, Stephan Zipfel et al.: BMC Public Health 2012, 12:525

Fragestellung Stigmatisierung von Übergewicht in der deutschen Allgemeinbevölkerung im September 2012

Methodik Telefon-Befragung von TNS Infratest: computergestützte Telefoninterviews (CATI - Computer Assisted Telephone Interviewing). Die Interviews zu dieser Untersuchung wurden vom 18.09.-19.09.2012 durchgeführt. Die Stichprobe wurde hinsichtlich der Merkmale Bundesland, Ortsgröße, Geschlecht, Alter, Berufstätigkeit, Schulbildung, Haushaltsgröße und Beruf des Haushaltsvorstandes per Gewichtung von zufälligen Abweichungen bereinigt. Die resultierende Stichprobe ist repräsentativ für Männer und Frauen ab 14 Jahren, d.h. die erhobenen Daten sind im Rahmen der statistischen Schwankungsbreiten auf die Grundgesamtheit hochrechenbar. Insgesamt wurden 1001 Interviews realisiert.

Diagnostik von Stigmatisierung Die Diagnose Stigmatisierung von Übergewicht wurde mit Hilfe des AntiFat Attitudes Test gestellt (Lewis et al. 1997). Dieser Test enthält die Subskala Weight Control/Blame, deren 9 Items für die Berechnung eines Score-Wertes verwendet wurden. Die übersetzte Version der Subskala wurde bereits validiert und 2005 in einer deutschen Pilotstudie verwendet (Hilbert et al. 2008). Die deutschsprachigen Originalfragen wurden uns von Frau Hilbert dankenswerterweise für diese Studie zur Verfügung gestellt. Aus den Daten der 9 Fragen der Weight Control/Blame-Skale des Antifat Attitudes-Tests wurde für jeden Teilnehmer der Mittelwert berechnet. Lewis, R.J., Cash, T.F., Jacobi, L. & Bubb-Lewis, C. (1997). Obesity Research, 5, 297-307 Anja Hilbert, Winfried Rief and Elmar Braehler. Obesity (2008) 16, 1529 1534. doi:10.1038/oby.2008.263

Stigmatisierung und Geschlecht 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Männer Geschlecht Frauen WCB >=3,50 WCB 2,50 - <3,50 WCB <2,50

Stigmatisierung und Alter 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 14-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 =>70 Alterskategorie WCB >=3,50 WCB 2,50 - <3,50 WCB <2,50

Stigmatisierung versus BMI 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% <18,5 18,5-<25,0 25,0-<30,0 >=30,0 BMI-Kategorie WCB >=3,50 WCB 2,50 - <3,50 WCB <2,50

Stigmatisierung und Landesteil 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Ostdeutschland Westdeutschland (ohne Berlin) Wohnort WCB >=3,50 WCB 2,50 - <3,50 WCB <2,50

Stigmatisierung und Schulbildung 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% <13 Jahre >=13 Jahre Schulbildung WCB >=3,50 WCB 2,50 - <3,50 WCB <2,50

Stigmatisierung und Einkommen 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% <2000 >=2000 Haushaltsnettoeinkommen WCB >=3,50 WCB 2,50 - <3,50 WCB <2,50

% 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Wenn ich Arbeitgeber wäre und Mitarbeiter einstellen würde, würde ich die Anstellung von Dicken wahrscheinlich vermeiden 40,9 26,3 16,2 7,1 7,1

Korrelation von WCB mit verschiedenen Faktoren Soziodemographische Faktoren Geschlecht 0,08 * Alter (Jahre) 0,12 *** BMI (kg/m²) -0,05 BMI-Kategorie (<18,5, 18,5-<25, 25-<30, 30) -0,09 ** Höchster Bildungsabschluss (niedrig/hoch) -0,20 *** Haushaltseinkommen (niedrig/hoch) -0,05 Wohnort (Ost/West) 0,02 Präventionssupport Präventionssupport 0,21 *** Finanzieller Präventionssupport -0,11 ** Keine Einstellung von Dicken als Arbeitgeber 0,41 *** Dicksein ist eine Krankheit 0,10 ** Korrelation nach Spearman-Rho * p < 0,05; ** p <0,01; *** p < 0,001

Korrelation von WCB mit verschiedenen Faktoren Soziodemographische Faktoren Geschlecht 0,08 0,03 * Alter (Jahre) 0,12 0,18 *** *** BMI (kg/m²) -0,05 0,05 BMI-Kategorie (<18,5, 18,5-<25, 25-<30, 30) -0,09 ** Höchster Bildungsabschluss (niedrig/hoch) -0,20-0,18 *** *** Haushaltseinkommen (niedrig/hoch) -0,05-0,02 Wohnort (Ost/West) 0,02 0,04 Präventionssupport Präventionssupport 0,21 0,17 *** *** Finanzieller Präventionssupport -0,11-0,09 ** ** Keine Einstellung von Dicken als Arbeitgeber 0,41 *** Dicksein ist eine Krankheit 0,10-0,17 ** *** Korrelation nach Spearman-Rho * p < 0,05; ** p <0,01; *** p < 0,001 Anja Hilbert, Winfried Rief and Elmar Braehler. Obesity (2008) 16, 1529 1534. doi:10.1038/oby.2008.263

Zusammenfassung Etwa ein Viertel der Bevölkerung (23%) stigmatisiert Übergewichtige aufgrund Ihres Gewichts. Stigmatisierung ist menschenunwürdig und verringert die Therapiechancen. PM der Univ. Göttingen vom 5.10.12. Ursache der Stigmatisierung dürfte in erster Linie die Kausalattribution auf internale kontrollierbare Faktoren sein. Übergewicht ist jedoch nicht allein durch Willensschwäche und Faulheit erklärbar, da Gene und Umwelt eine erhebliche Rolle spielen. Strategien zur Stigmareduktion: Cave reiner genetischer Determinismus ( da kann man eh nichts machen ). Besser: Gen-Umwelt-Interaktionismus (vgl. gestrige Sitzung).