Finkelnburg in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren,



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Transkript:

Vorläufiger Rechtsschutz im Versammlungsrecht Umfassende Nachprüfung oder Folgenabwägung? A. Problemdarstellung und Gegenstand der Arbeit Der vorläufige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz ist kein Geschenk des Gesetzgebers, das er nach Belieben gewähren, einschränken oder wieder entziehen kann, sondern ist Verfassungsgebot, ist eine Ausprägung des in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG enthaltenen grundrechtlichen Gebotes effektiver Rechtsschutzgewährung. 1 An Hand dieses Zitates wird die besondere Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger verdeutlicht. Dieser hat aus Art. 19 Abs. 4 GG einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle, das heißt auf möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegenüber den Maßnahmen der Exekutive. 2 Der Rechtsschutz ist nur dann effektiv, wenn verhindert werden kann, dass durch behördliche Maßnahmen irreparable Schäden entstehen, bevor sie einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen richterlichen Prüfung zugeführt werden konnten. Vor diesem Hintergrund enthält Art. 19 Abs. 4 GG auch das Gebot des vorläufigen Rechtsschutzes, soweit nicht anders schwere und unzumutbare Nachteile abgewehrt werden können, deren nachträgliche Beseitigung auch nach einem Obsiegen in der Hauptsache nicht oder kaum möglich wäre. 3 Im Bereich des Versammlungsrechts tritt die herausragende Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes in besonderem Maße zum Vorschein. Denn häufig ist es so, dass öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel einen kurzen zeitlichen Vorlauf haben. Oftmals werden diese von der Behörde kurzfristig verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht. Ebenfalls kommt es vor, 1 Finkelnburg in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 1. 2 Vgl. BVerfGE 113, 273, 310. 3 Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 134; Finkelnburg in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 3. 1

dass die Behörde über eine seit längerem angemeldete Versammlung erst kurzzeitig vor dem geplanten Beginn entscheidet. Die Ermächtigungsgrundlage hierfür bietet 15 SächsVersG. 4 Sofern der Bürger gegen diese Entscheidung gem. 68 Abs. 1, S. 1 VwGO Widerspruch einlegt, entfaltet dieser grundsätzlich aufschiebende Wirkung gem. 80 Abs. 1, S. 1 VwGO. Der Adressat der Verfügung muss das Verbot bis zum Eintritt der Bestandskraft nicht berücksichtigen. Die Versammlung könnte stattfinden. Regelmäßig wird das Versammlungsverbot jedoch mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung (AsV) verbunden. Gem. 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 4 VwGO kann die Behörde die sofortige Vollziehung des Versammlungsverbotes anordnen, soweit ein öffentliches Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten gegeben ist. In Folge dessen entfällt die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs Widerspruch und des Rechtsmittels Anfechtungsklage. Werden das Versammlungsverbot und die Anordnung der sofortigen Vollziehung kurzzeitig vor dem geplanten Termin der Versammlung erlassen, führt dies im Ergebnis zu einer faktischen Verhinderung der Versammlung. In diesen Fällen wird in aller Regel eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache zu spät erfolgen. Denn bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat sich die geplante Versammlung durch Zeitablauf bereits erledigt. Damit ist dem rechtsschutzsuchenden Bürger nicht geholfen. Vor diesem Hintergrund bleibt zu berücksichtigen, dass ein bestimmter Zeitpunkt für die Versammlung oftmals untrennbar mit der Aussage der Versammlung verbunden ist. In diesen Fällen ist die Wahl des Zeitpunktes durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt. 5 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Dauer gerichtlicher Verfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Teil erheblich ist. Bei der Auswertung der jährlich durch das Statistische Bundesamt vorgelegten Zahlen wird deutlich, dass der rechtsschutzsuchende Bürger oftmals mit einer Verfahrensdauer von mehreren Jahren rechnen muss. Circa 30 Prozent der Verfahren dauern ein bis zwei Jahre bis zur gerichtlichen Entscheidung, 14,2 Prozent sogar bis 4 Sofern die einzelnen Bundesländer keine eigenen Regeln zum Versammlungsrecht getroffen haben, gilt 15 VersammlG fort gem. Art. 125a Abs. 1 GG. 5 BVerfGE 69, 315, 343; NVwZ 1998, 835; OVG Hamburg, B. v. 11.09.2015 4 Bs 192/15. 2

zu drei Jahre. 6 Diese Tatsache wird in der Literatur vermehrt kritisiert. 7 Überdies wird die Effektivität des Rechtsschutzes angezweifelt. 8 Zwar ist denkbar, dass dem Bürger auch nach Erledigung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verbotes beziehungsweise der Auflagen zusteht. Dies kann er im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage gem. 113 Abs. 1, S. 4 VwGO (gegebenenfalls analog, sofern die Erledigung vor Klageerhebung eintritt) geltend machen. Gleichwohl wird der Bürger in den meisten Fällen vordergründig das Interesse haben, die Versammlung trotz des Verbotes oder der Auflage wie ursprünglich geplant durchzuführen. In dieser Konstellation kommt dem vorläufigen Rechtsschutz eine entscheidende Bedeutung zu. Denn mit Hilfe eines erfolgreichen Antrags gem. 80 Abs. 5, S. 1, 2. Var. VwGO kann der Bürger die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs oder seiner Klage gegen die Verbotsverfügung erwirken und somit die Versammlung trotz des Verbotes durchführen. Im Bereich des Versammlungsrechts ist es keine Seltenheit, dass Gerichte über Anträge nach 80 Abs. 5 VwGO innerhalb weniger Stunden entscheiden. 9 Auch im Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gem. 32 BVerfGG ist es nicht selten, dass dem erkennenden Gericht nur wenige Stunden zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen. 10 Die Gerichte müssen dann im Eilverfahren der Tatsache gerecht werden, dass die sofortige Vollziehung des Versammlungsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung führt. Im Hinblick darauf tritt das Eilverfahren gem. 80 Abs. 5 VwGO praktisch an die Stelle der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache. 11 Angesichts dessen stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien über den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden ist. In welcher Weise muss die Verbotsverfügung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden? Ferner ist zu eruieren, inwieweit die zeitliche Komponente der Eile den Prüfungsrahmen und -umfang bestimmt. Es stellt sich in diesem Kontext die 6 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 2011, 26. 7 Harris-Lehmann, Rechtsweggarantie, 8; Steger, überlange Verfahrensdauer, 23; Niesler, Angemessene Verfahrensdauer im Verwaltungsprozeß, 1. 8 A.a.O. 9 Vgl. VG Schleswig, B. v. 31.1.1998 - AZ 3 B 12/98. Das Verbot der Veranstaltung erging am 30. Januar 1998 um 17.00 Uhr. Die hierauf erfolgende Entscheidung des Gerichts erging am 31. Januar um 13.00 Uhr. 10 Papier, Das Versammlungsrecht in der Rechtsprechung des BVerfG, BayVBl. 2010, 225, 226 mit Verweis auf BVerfGK 2, 1/10 Nürnberg, 6.9.2003 11 BVerfG, DVBl. 2013, 367, 369; entsprechend für das Verfahren nach 32 BVerfGG: Papier, Das Versammlungsrecht in der Rechtsprechung des BVerfG, BayVBl. 2010, 225, 226. 3

Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine umfassende Nachprüfung zu erfolgen oder lediglich eine Folgenabwägung zu treffen ist. Der Versuch der Beantwortung dieser offenen Fragen ist Gegenstand der Arbeit. B. Gang der Untersuchung Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen erfolgt auf zwei Ebenen. Zunächst ist es Ansinnen der Arbeit, allgemein den Prüfungsrahmen und insbesondere den materiellen Entscheidungsmaßstab sowie die Anforderungen an eine Interessenabwägung der Gerichte im Verfahren nach 80 Abs. 5, S. 1 VwGO herauszuarbeiten. Dies ist erforderlich, um in dem weiteren Verlauf der Arbeit auf Grundlage dieser Erkenntnisse den Prüfungsumfang bezüglich der Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und/oder der Klage gegen ein Versammlungsverbot bestimmen zu können. Es wird untersucht, ob sich Besonderheiten im Bereich des Versammlungsrecht ergeben und inwiefern diese Auswirkungen auf den gerichtlichen Prüfungsrahmen haben. In diesem Zusammenhang muss Ausgangspunkt jeder Überlegung sein, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit grundrechtlich durch Art. 8 GG geschützt ist. Das Recht auf Versammlungsfreiheit stellt ein fundamentales und das Grundgesetz in einem erheblichen Maße prägendes Grundrecht dar. 12 C. Der Prüfungsrahmen im Eilverfahren nach 80 Abs. 5 VwGO I. Einführung Anders als bei den zivilprozessrechtlichen Eilverfahren nach 916 ff., 935, 940 ZPO oder der einstweiligen Anordnung gem. 123 VwGO lässt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des 80 Abs. 5 VwGO kein Entscheidungsmaßstab für die Gerichte entnehmen. Vor diesem Hintergrund haben sich in der richterlichen Spruchpraxis 13 und der Literatur 14 unterschiedliche Ansichten bezüglich des 12 Sodan, GG, 3. Auflage 2015, Art. 8, Rn.1. 13 BayVGH, BayVBl. 1972, 166; BayVBl. 1975, 171; OVG Bremen, DVBl. 1985, 1182, 1183, HessVGH, ESVGH 22, 232, 233; OVG Lüneburg, DVBl. 1976, 81, 82; OVG Saarland, BauR 1992, 489. 14 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1573; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 181; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Auflage 2014, 80, Rn. 52; Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 953; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136. 4

Prüfungsmaßstabes herausgebildet. Der Konflikt, der sich einerseits aus dem Eilcharakter des Verfahrens und andererseits aus der Gefahr einer Abweichung von der späteren Entscheidung in der Hauptsache durch eine nicht hinreichende Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung sowie einer mangelhaften Sachverhaltsaufklärung bildet, steht jedoch nach allen Ansichten im Zentrum der Betrachtung. II. Der Entscheidungsmaßstab Seit den 60er Jahren bis zum Ende der 80er Jahre des vergangen Jahrhunderts hat die Rechtsprechung zu einem großen Teil ihre Entscheidungen auf eine materiell-inakzessorische Interessenabwägung gestützt. 15 Eine summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung fand hierbei nicht statt. Diese Art der gerichtlichen Überprüfung wird nicht mehr praktiziert. Vielmehr wird nun eine Interessenabwägung im Rahmen eines materiell-akzessorischen Ansatzes derart vorgenommen, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage in die Überprüfung einfließen, 16 was in der Literatur Zuspruch findet 17 und von Martens als eine Interessenabwägung mit Evidenzkontrolle bezeichnet wird. 18 Diese Art der Prüfung gilt dem Grunde nach auch für das Aussetzungsverfahren im Versammlungsrecht. 19 Danach ist soweit wie möglich die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu überprüfen. 20 15 BayVGH, BayVBl. 1972, 166, OVG Hamburg, DVBl. 1975, 207, HessVGH, NVwZ-RR 1989, 635; OVG Lüneburg, DVBl. 1966, 275 277; NJW 1975, 136. 16 BVerwG, NJW 1974, 1294, 1295; NVwZ-RR 2003, 618, 619; OVG Berlin-Brandenburg, EuZW 2005, 91, 92; Sächsisches OVG, NVwZ-RR 2010, 519; OVG Berlin, ZUM 1999, 161, 162; OVG Brandenburg, NJW 1997, 1387; NJW 1998, 3513; NVwZ-RR 2004, 884; OVG Bremen, NJW 2003; 1962, 1963; OVG Hamburg, NJW 1997, 3111, 3112. 17 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1573; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 181; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Auflage 2014, 80, Rn. 52; Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 953; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136. 18 Martens, Tendenzen der Rechtsprechung zum Sofortvollzug der Zulassung von großtechnischen Anlagen, DVBl. 1985, 541. 19 BVerfG DVBL. 2013, 367; OVG Hamburg, B. v. 11.09.2015 4 Bs 192/15; VG München, B. v. 09.11.2015 M 7 S 15.4952. 20 A.a.O.. 5

1. Prüfungsaufbau und -umfang Die Erfolgsaussichten des Antrages sind an zwei Elemente geknüpft. Zum einen wird im Rahmen einer summarischen Prüfung untersucht, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung bestehen. Zum anderen wird eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragsstellers von der Vollziehung der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorgenommen. In diesem Zusammenhang ist in Rechtsprechung und Literatur das Verhältnis zwischen der summarischen Prüfung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung und der Interessenabwägung unklar. So ist umstritten, ob die summarische Überprüfung der Interessenabwägung vorangestellt ist oder lediglich ein Element innerhalb der Interessenabwägung darstellt. Zum Teil wird vertreten, dass die summarische Überprüfung in die Interessenabwägung eingebettet sei. 21 Sie erfolge ausschließlich zum Zweck der Interessenabwägung. 22 Danach erfolgten die summarische Prüfung und die Interessenabwägung innerhalb derselben Stufe. Demgegenüber wird das zweigliedrige Stufensystem vertreten. 23 Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Vorgehen als verfassungskonform bezeichnet. 24 Demgemäß erfolge auf der ersten Stufe die summarische Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Nur wenn sich die angegriffene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig erweise oder die Evidenzkontrolle ergebnislos sei, folglich die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung nicht festgestellt werden könne, solle in die zweite Stufe die Interessenabwägung eingetreten werden. Zum Teil wird der Entscheidungsmaßstab im Rahmen eines dreistufigen Systems weiter aufgeteilt. 25 Demzufolge sei auf der ersten Stufe zu überprüfen, ob 21 BVerwG, LKV 1996, 246; NVwZ 2010, 459; VGH München, NJW 1991, 1561; NVwZ-RR 1997, 151; NVwZ 2002, 1268; OVG Berlin, LKV 2002, 183; OVG Brandenburg, NJW 1997, 1387; NJW 1998, 3513; OVG Bremen, NJW 2003, 1962; NJW 2010, 3255. 22 OVG Rheinland-Pfalz, DVBl. 1989, 892. 23 BVerwG, NJW 1974, 1294, 1295; NJW 1993, 3213 f.; OVG Berlin-Brandenburg EuZW 2005, 91, 92; OVG Bremen, NVwZ 1986, 1038; OVG Hamburg, NVwZ 1984, 256; OVG Rheinland- Pfalz, NVwZ 1987, 73. 24 BVerfG, NVwZ-RR 2007, 1176, 1777; NVwZ-RR 2008, 657, 658. 25 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 388; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, 80, Rn. 73 ff.; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, 6

sich die Verfügung als offensichtlich rechtswidrig erweise. Sofern dies nicht festgestellt werden könne, müsse auf der zweiten Stufe - sofern keine vollendeten Tatsachen drohen [ ] im Wege der Interessenabwägung unter Einbeziehung der überschaubaren Erfolgsaussichten in der Hauptsache die Eilentscheidung getroffen werden. 26 Erst auf der dritten Stufe sei eine reine Interessenabwägung zu vorzunehmen, soweit die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen seien. Aus einer Gesamtschau erscheint eine Entscheidung, ob die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache innerhalb der Interessenabwägung zu erfolgen hat und dabei die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung lediglich einen Teilaspekt der Abwägung darstellt oder vielmehr die summarische Rechtmäßigkeitskontrolle der reinen Interessenabwägung vorangeht, nicht erforderlich. 27 Denn die verschiedenen Konzepte führen nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zwar wird in der Literatur eine genaue Abgrenzung für unerlässlich gehalten. 28 So argumentier Schoch, wenn die Beurteilung der materiellen Rechtslage im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung nur einen Teilaspekt darstelle, könne ein Eilantrag trotz offensichtlicher Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und trotz Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache abgelehnt werden. 29 Denn gegenläufige Interessen könnten die Rechtswidrigkeit überwinden. 30 Ein solches Resultat sei nach dem Stufensystem ausgeschlossen. Diese Ansicht vermag indes nicht zu überzeugen. Zunächst ist unklar, auf welche gegenläufigen Interessen sich Schoch bezieht. Ferner verkennt diese Ansicht, dass ein Antrag gem. 80 Abs. 5 VwGO bereits immer dann erfolgreich ist, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Es kann kein öffentliches Interesse an der Vollstreckung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes bestehen. 31 Dies wird so auch durch Schoch bestätigt. 32 Denn die Vollziehung eines rechtswidrigen und noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes verstößt gegen den Grundsatz aus Art. 20 VwGO, 6. Auflage 2015, 80, Rn. 88 ff.; Gersdorf in Posser/Wollf, VwGO, 2. Auflage 2014, 80, Rn. 187 ff 26 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 373. 27 Im Ergebnis so wohl auch Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2015, 80, Rn. 85. 28 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 374. 29 A.a.O.. 30 A.a.O.. 31 BVerwG, NVwZ 2006, 214, 215; VGH Kassel, NVwZ 2000, 98, 99; NVwZ 2001, 108; VGH München, NVwZ 1999, 1131, 1132; VGH Mannheim, NVwZ 2002, 748; a.a. VGH München, NVwZ 1988, 749; BayVBl. 2000, 724, 727; OLG Hamburg, JZ 1983; 67, 69. Nach dieser Ansicht stellt die Beurteilung der materiellen Rechtslage nur einen Teilaspekt der umfassenden Interessenabwägung dar. Danach könne ein Eilantrag trotz offensichtlicher Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung zurückgewiesen werden, wenn gegenläufige Interessen überwiegen. 32 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 386. 7

Abs. 3 GG. Danach ist die Exekutive an Recht und Gesetz gebunden. Ein Interesse an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist demnach der Interessenabwägung nicht zugänglich. Etwas anderes kann allenfalls in den Fällen des 80 Abs. 2. S. 1, Nr. 1, VwGO gelten. Denn 80 Abs. 4, S. 3 VwGO stellt eine Soll-Vorschrift dar. Im Regelfall wirkt diese Vorschrift jedoch wie eine Muss-Vorschrift. 33 Nur in atypischen Fällen, wenn der Antrag mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Gesetzesbestimmung begründet wird und durch die Entscheidung eine Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung droht, kann von der Aussetzung der Vollziehung abgesehen werden. 34 Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern dieser Ausnahmefall auf die übrigen Varianten des 80 Abs. 2 VwGO übertragen werden könnte. 2. Summarische Überprüfung der angegriffenen Verfügung Auch wenn der Wortlaut des 80 Abs. 5 VwGO selbst ausdrücklich keinen Prüfungsrahmen vorgibt, kann auf gewisse Maßstäbe und Wertungen des Gesetzgebers in 80 VwGO Bezug genommen werden. Insbesondere ist 80 Abs. 4, S. 3 VwGO zu berücksichtigen. Danach soll die Aussetzung der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung gem. 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 1 VwGO erfolgen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Es fehlt jedoch an einer ausdrücklichen Regelung für die übrigen Varianten des 80 Abs. 2, S. 1 und 2 VwGO. Aus diesem Grund wird zum Teil vertreten, dass eine allgemeine Anwendung der ernstlichen Zweifel für die übrigen Varianten ausscheide. 35 Denn 80 Abs. 4, S. 3 VwGO trage der spezifischen Interessenlage bei der Anforderung der öffentlichen Abgaben und Kosten Rechnung. 36 Daher führten ernstliche Zweifel nicht ohne weiteres zum Obsiegen des Antragstellers. 37 Ernstliche Zweifel seien lediglich im Rahmen der anschließenden Interessenabwägung zu berücksichtigen. 38 33 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 305 34 A.a.O. 35 OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1989, 328; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, 80, Rn. 157; Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 982. 36 So Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 982. 37 A.a.O.. 38 A.a.O. 8

Der weit überwiegende Teil der Rechtsprechung hält jedoch eine analoge Anwendung für zulässig. 39 In diesem Zusammenhang liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. 40 Diese Ansicht ist überzeugend. Denn wenn schon in den Fällen der gesetzlich vermuteten Vorrangs des Vollziehungsinteresses vor dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers unter den Voraussetzungen des 80 Abs. 4, S. 3 (analog) dem Aussetzungsantrag stattzugeben ist, 41 soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung vorliegen, muss dies erst Recht für den gesetzlichen Standartfall des 80 Abs. 1, S. 1 VwGO gelten, welcher durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung durchbrochen wird. Denn in diesem Fall genießt das Aussetzungsinteresse nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich Vorrang vor dem Vollziehungsinteresse. Angesichts dessen richten sich die Erfolgsaussichten des Antrags gem. 80 Abs. 5 VwGO nach dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptverfahren, wenn das Gericht im Rahmen des Eilverfahrens der Ansicht ist, bereits mit hinreichender Sicherheit den Ausgang in der Hauptsache prognostizieren zu können. 42 Bestehen im Rahmen einer summarischen Überprüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, ist der Antrag gem. 80 Abs. 5 VwGO erfolgreich. Denn es kann kein öffentliches Interesse an der Vollstreckung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes bestehen. 43 39 OVG Berlin, NVwZ-RR 2003, 527; OVG Frankfurt (Oder), NVwZ-RR 1999, 146; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2001, 791; NVwZ-RR 2009, 764; VGH München, NVwZ 2003, 358; OVG Saarlouis, NVwZ-RR 2008, 275, VG Frankfurt, NVwZ 2000, 227; VG Gießen, NVwZ- RR 2010, 18; VG Potsdam, NVwZ 1999, 1254; OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ 2010, 724; VG München, B. v. 09.11.2015 M 7 S 15.4952. 40 BVerfGE 94, 166, 194 41 Hierzu: Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 386. 42 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 968. 43 BVerwG, NVwZ 2006, 214, 215; VGH Kassel, NVwZ 2000, 98, 99; NVwZ 2001, 108; VGH München, NVwZ 1999, 1131, 1132; VGH Mannheim, NVwZ 2002, 748; a.a. VGH München, NVwZ 1988, 749; BayVBl. 2000, 724, 727; OLG Hamburg, JZ 1983; 67, 69. Nach dieser Ansicht stellt die Beurteilung der materiellen Rechtslage nur einen Teilaspekt der umfassenden Interessenabwägung dar. Danach könne ein Eilantrag trotz offensichtlicher Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung zurückgewiesen werden, wenn gegenläufige Interessen überwiegten. 9

3. Interessenabwägung a) Keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung Auch wenn der Antrag gem. 80 Abs. 5 VwGO erfolgreich ist, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung bestehen, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht zwangsläufig, dass der Antrag bereits dann als unbegründet zurückzuweisen ist, wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakt bestehen. Zwar gilt grundsätzlich, dass das Verfahren nach 80 Abs. 5 VwGO dem Schutz individueller Rechte und ihrer Durchsetzbarkeit mittels Widerspruch und Anfechtungsklage dient. 44 In Anbetracht dessen erscheint derjenige nicht schutzbedürftig, dessen Rechtsbehelf in der Hauptsache ohnehin erfolglos bleiben wird. 45 Gleichwohl müssen auf der Ebene der Interessenabwägung Ausnahmen berücksichtigt werden. Hierzu sind drei Konstellationen anerkannt: In den Fällen des 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 1 3, S. 2 VwGO kann kein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung bestehen, wenn sich die Vollziehung als gleichheitswidrige, unverhältnismäßige oder unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interesse gebotene Härte erweist. 46 Liegt ein solcher Fall vor, darf das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn dies mit dem öffentlichen Interesse der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes vereinbar ist. 47 Ebenfalls ist in den Fällen des 80 Abs. 5, S. 2, Nr. 1 3, S. 2 VwGO anerkannt, dass das Gericht zu prüfen hat, ob entgegen grundsätzlicher Wertungen des Gesetzgebers das Interesse an sofortiger Vollziehung fehlt, soweit die Sache tatsächlich nicht eilbedürftig ist. 48 Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertung wird die einfache Behauptung, eine Eile liege nicht vor, nicht ausrei- 44 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 971. 45 So auch OVG Lüneburg, NVwZ 1999, 1130. 46 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 973. 47 So OVG Berlin, VRS 42 Nr.98; VGH Mannheim, ZLW 2006, 471, 475; VGH München, NJW 1991, 1561. 48 VGH Mannheim, NVwZ-RR 2003, 184, 190, BVerwG, NVwZ-RR 2002, 153; OVG Weimar, NVwZ 2002, 231, NVwZ-RR 2004, 393. 10

chen. Vielmehr bedarf es qualifizierter Argumente, warum von der grundlegenden Wertung abgewichen werden muss. 49 Ein geringfügiges öffentliches Interesse wird hingegen ausreichen, die Eile zu bejahen. 50 Die weitaus größte praktische Bedeutung hat das Fehlen des Vollzugsinteresses gem. 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 4 VwGO. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Verfügung kann allein ein Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht begründen. Zwar wird dies in Teilen der Rechtsprechung so vertreten. 51 Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn im Ergebnis hieße das, dass die Behörde jede (rechtmäßige) Verfügung mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbinden könnte ohne dass über die Rechtmäßigkeit der Verfügung hinaus ein weiteres öffentliches Interesse vorliegen müsste. Dies steht nicht im Einklang mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen 80 Abs. 1, S. 1 VwGO und 80 Abs. 2, S.1, Nr. 4 VwGO. Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage gem. 80 Abs. 1, S. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung zur Folge, sofern kein gesetzlich angeordneter Fall des 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 1 3, S. S VwGO vorliegt. In 80 Abs. 2, S.1, Nr. 4 VwGO ist hiervon eine Ausnahme zu sehen. Die Verfügung darf durch die Behörde nur für sofortig vollziehbar erklärt werden, soweit öffentliche Interessen oder überwiegende Interesse eines Beteiligten vorliegen. Hieraus wird deutlich, dass es ein Interesse sein muss, dass über die Rechtmäßigkeit der Verfügung hinausgeht. Andernfalls wäre 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 4 VwGO jeglicher Bedeutung beraubt und mithin überflüssig. Ferner ist zu berücksichtigen, dass ohnehin nur rechtmäßige Verwaltungsakte erlassen werden dürfen. Daher ist dieses Kriterium zur Abgrenzung nicht geeignet. 52 Überdies ergeben sich Zweifel, ob diese Ansicht im Einklang mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG steht. Danach ist grundrechtlich geschützt, dass der Bürger die volle Rechtsbehelfsfrist ausnutzen darf, um zu entscheiden, ob er gegen die Verfügung rechtlich vorgehen möchte. Soweit keine Ausnahme nach 80 Abs. 2 VwGO vorliegt, muss er diese Verfügung bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist nicht befolgen. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die Verfügung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Sofern die Rechtmäßigkeit der Verfügung genügt, um die sofortige Vollziehung anzuord- 49 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 974. 50 So OVG Münster, NVwZ-RR 2009, 487, 488. 51 BayVGH, NVwZ-RR 2000, 35, 36; BayVBl. 2010, 569, 570; HessVGH NVwZ-RR 2002, 823, 824; NdsOVG, NJW 2004, 1750; NdsVBl. 2009, 145; ZLR 2010, 493, 495. 52 So auch Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2015, 80, Rn. 91 11

nen, wird dieser Grundsatz ausgehebelt. Der Bürger wird gezwungen, vor Ablauf der Rechtsbehelfsfristen Rechtsschutz zu ersuchen, um eine Vollstreckbarkeit der Verfügung zu verhindern. b) Offene Erfolgsaussichten in der Hauptsache Es stellt sich die Frage, inwiefern das Gericht die Interessenabwägung vorzunehmen hat, soweit die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind und somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Rechtswidrigkeit festgestellt werden kann. Sofern eine Aussage über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht möglich erscheint, ist eine reine Interessenabwägung die sogenanne Folgenabwägung - erforderlich. 53 Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 54 Grundsätzlich ist die Abwägung einzelfallbezogen durchzuführen. 55 Danach ist zu überprüfen, ob das öffentliche Interesse oder das Interesse eines Beteiligten an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragsstellers, vorläufig von der Vollziehung der Verfügung verschont zu bleiben, überwiegt. Im Rahmen dieser Bewertung muss dem Interesse des Antragstellers umso mehr Gewicht zugesprochen werden, je tiefgreifender die Verfügung für den Antragssteller eine Belastung darstellt und je weniger die Maßnahme rückgängig zu machen ist und somit je mehr Unabänderliches erzeugt wird. 56 In Anbetracht dessen sind zwei Situationen miteinander zu vergleichen: Es ist der Zustand der Vollziehung bei späterem Obsiegen des Antragsstellers zu betrachten. Demgegenüber muss die Situation gestellt werden, bei der die Vollziehung ausgesetzt wird und der Antragssteller in der Hauptsache unterliegt. 57 Die Würdigung der Interessen ist vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Vorprägung vorzunehmen. 58 In den Fallgruppen des 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 1 3, 53 Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, 80, Rn. 77. 54 BVerwG, NJW 2002, 2225; NVwZ 2007, 1176; NVwZ 2009, 581. 55 Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 161; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, 80, Rn. 77. 56 BVerfG 35, 382, 402; NVwZ 2005, 689/691; NVwZ 2007, 1302, 1304; VGH Mannheim, DVBl. 1997, 377, 378; NVwZ-RR 2005, 472, 474; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 161; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, 80, Rn. 77. 57 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 986. 58 BVerfG, NVwZ 2004, 93; OVG Saarlouis, BauR 2008, 652; OVG Lüneburg, BauR, 1394; Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 986; a.a. Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von 12

S. 2 VwGO legt der Gesetzgeber die Interessenbewertung derart fest, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung grundsätzlich gewichtiger eingestuft wird als das individuelle Interesse, von der Vollstreckung vorläufig verschont zu bleiben. 59 In den Fällen des 80 Abs. 1, S. 1, Nr. 4 VwGO wiegt das Individualinteresse an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung grundsätzlich schwerer als das Vollziehungsinteresse, es sei denn, ein besonderes überwiegendes Vollziehungsinteresse wird ausnahmsweise begründet. Gleichwohl muss berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber nicht präjudiziert. 60 Es wird lediglich eine Vorstrukturierung der gerichtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen. 4. Zwischenergebnis Es bleibt festzustellen, dass das erkennende Gericht im Rahmen der Entscheidungsfindung grundsätzlich im Rahmen einer summarischen Prüfung erörtern muss, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Eine reine Folgenabwägung losgelöst von der materiellen Rechtmäßigkeit erscheint nicht sachgerecht. Denn es besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung von rechtswidrigen Verwaltungsakten. Im Rahmen der weiteren Interessenabwägung ist einzelfallbezogen das öffentliche Interesse und/oder das Interesse eines Beteiligten an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragsstellers, vorläufig von der Vollziehung der Verfügung verschont zu bleiben, abzuwiegen. Angesichts dessen ist die Würdigung der Interessen an Hand der gesetzgeberischen Vorprägung in 80 Abs. 1 und 2 VwGO durchzuführen. III. Die Ermittlungstiefe 1. Einführung Nachdem der Prüfungsmaßstab herausgearbeitet wurde, ist auf Grundlage dieser Erkenntnisse zu eruieren, in welchem Umfang das Gericht zur Kontrolle des Prüfungsmaßstabes berechtigt und verpflichtet ist. Es ist zu untersuchen, wie Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2015, 80, Rn. 97; VGH Mannheim, NVwZ 1986, 490; NVwZ 1989, 794. 59 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 991. 60 A.a.O. 13

weit das Gericht die Sach- und Rechtslage ermitteln muss. An dieser Stelle wird die Frage virulent, ob das Gericht im vorläufigen Rechtsschutz eine umfassende Nachprüfung vornehmen muss oder lediglich auf eine Folgenabwägung beschränkt ist. Bezüglich des Prüfungsumfangs und der Prüfungsdichte muss beachtet werden, dass es Aufgabe des Eilverfahrens ist, über die Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes bis zur Hauptsacheentscheidung zu beschließen. Die endgültige Entscheidung über die Bestimmung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes trifft das Gericht der Hauptsache. Das Eilverfahren nach 80 Abs. 5 VwGO ist ein selbständiges Gerichtsverfahren und von dem Verfahren in der Hauptsache abzugrenzen. 61 Ein Bezug zum Hauptsacheverfahren wird durch den materiell-akzessorischen Prüfungsrahmen geschaffen. Das Eilverfahren dient der vorläufigen Sicherung der Rechte des Antragsstellers bis zum Abschluss des Hauptverfahrens. 62 In diesem Zusammenhang sind einerseits der Eilcharakter des Verfahrens und andererseits die Gefahr einer Abweichung von der späteren Entscheidung in der Hauptsache durch nicht hinreichende Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung sowie nicht umfassende Sachverhaltsaufklärung zu berücksichtigen. 63 Das Eilverfahren nach 80 Abs. 5 VwGO hat summarischen Charakter. 64 Für die Frage, wer den bis zur Hauptsacheentscheidung verbundenen Nachtteil und das Fehlentscheidungsrisiko zu tragen hat, ist demnach eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage geboten und angemessen. 65 Fraglich ist jedoch, welcher Inhalt sich hinter diesem Begriff verbirgt. Im Wege der universitären Ausbildung zur Vorbereitung auf das Erste Juristische Staatsexamen wird von den Studenten und Prüflingen im Rahmen einer summarischen Prüfung eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der angegriffenen Verfügung auf Grundlage des vorgegeben Sachverhaltes gefordert. In der Literatur und Rechtsprechung hingegen wird der Begriff der summarischen Prüfung nicht einheitlich aufgefasst. 61 Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, 80, Rn. 81. 62 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 958. 63 Gersdorf in Posser/Wollf, VwGO, 2. Auflage 2014, 80, Rn. 176; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136. 64 A.a.O.. 65 BVerfG, NVwZ 1987, 403; BVerfG, NVwZ 2009, 582;BVerwG, NVwZ 2005, 940; VGH München, NJW 1987, 2538, 2539; OVG Berlin, NVwZ 1995, 1009; OVG Hamburg, NVwZ 1986, 406, 407; OVG Münster, NJW 1989, 2343; OVG Münster, NVwZ 2006, 481; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 399; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136; Windthorst in Gärditz, VwGO, 80, Rn. 237; Gersdorf in Posser/Wollf, VwGO, 2. Auflage 2014, 80, Rn. 176 m.w.n.. 14

Der Begriff summarische Prüfung findet in 80 Abs. 5 VwGO keinen Niederschlag. Daher muss dieser Begriff ausgelegt werden. Da das Eilverfahren immer einzelfallbezogen ist, kann nicht schematisch ein Höchst- oder Mindestmaß des Prüfungsumfanges bestimmt werden. 66 Vor diesem Hintergrund wird der Begriff in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich aufgefasst und mit Inhalt gefüllt. Zum Teil wird die Bestimmung sehr vage und ungenau vorgenommen. So wird argumentiert, dass an die Prüfungsdichte im Eilverfahren geringere Anforderungen zu stellen seien als an die Prüfungsdichte im Hauptverfahren, ohne dass dabei die Prüfung oberflächlich zu erfolgen habe. 67 Eine genaue Differenzierung erfolgt hingegen nicht. Ferner wird argumentiert, die Entscheidung könne auf die von den Beteiligten vorgelegten oder in angemessener Zeit erreichbaren Beweismittel sowie auf glaubhaft gemachte Tatsachen und überwiegende Wahrscheinlichkeiten gestützt werden. 68 Demnach stehe die schnelle Entscheidungsfindung im Vordergrund. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache könnten nur vorläufig prognostiziert werden, da der Beschluss auf begrenzte Erkenntnismöglichkeiten fuße. 69 Andere Stimmen betonen indes, die Prüfung habe auch im Eilverfahren nicht lediglich summarisch zu erfolgen. 70 Vielmehr müsse neben der Evidenz in rechtlicher Hinsicht der Sachverhalt so zweifelsfrei feststehen, dass kein Ansatz bestehe, im Hauptsacheverfahren könne eine weitere Aufklärung erforderlich sein. Eine Beschränkung auf präsente Beweismittel sei nicht anzuerkennen. 71 Auch schwierige und komplexe Fragen des materiellen Rechts einschließlich des Verfassungsrechts müssten einer vorläufigen Beantwortung zugeführt werden. 72 Diese Pflicht werde im Eilverfahren nicht begrenzt. 73 Diese Argumentation stützt sich im Wesentlichen auf den Amtsermittlungsgrundsatz gem. 86 VwGO. Dieser findet auch im Eilverfahren nach 80 Abs. 5 VwGO Anwendung. 74 66 So auch Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 400. 67 Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, 80, Rn. 81 68 Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136 m.w.n. 69 OVG Münster, NVwZ-RR 1999, 696; NVwZ-RR 2005, 450. 70 Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2015, 80, Rn. 89. 71 Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2015, 80, Rn. 94. 72 A.a.O.. 73 So Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 959 74 OVG Münster, DVBL. 2011, 968; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Auflage 2014, 80, Rn. 52. 15

Es besteht hingegen Einigkeit, dass, sofern die Vollziehung für den Antragssteller besonders gewichtige Nachteile hervorrufen würde und die Folgen des Verwaltungsaktes nur schwierig bis gar nicht rückgängig zu machen seien, hohe Anforderungen an die Prüfungsdichte zu stellen seien. 75 Gleichwohl müsse von diesem Grundsatz abgewichen werden, soweit dem Gericht für eine solche Überprüfung keine ausreichende Zeit zur Verfügung steht. Dem stehe das Beschleunigungsgebot entgegen. 76 Aus einer Gesamtschau erscheint die Rechtsprechung und Literatur in weiten Feldern unübersichtlich. Es wird kein fester Bezugspunkt für die Prüfung festgelegt. Auch wenn das Eilverfahren immer einzelfallbezogen ist und sich in den jeweiligen Verfahren Besonderheiten ergeben können, ist zu eruieren, ob eine tragfähige Bestimmung der summarischen Prüfung erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund muss zunächst zwischen der Sachverhaltsaufklärung auf der ersten Stufe und der daran anschließenden Beurteilung von Rechtsfragen differenziert werden. 2. Die Sachverhaltsermittlung Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung bewegt sich die Prüfungsdichte zwischen der Gewährleistung eines echten Eilverfahrens und der Minimierung des Fehlentscheidungsrisikos. 77 Entgegen der Ansicht Schochs 78 kann in diesem Zusammenhang die Glaubhaftmachung durch den Antragssteller nicht die Untergrenze der Sachverhaltsermittlung darstellen. Zwar wird zutreffend festgestellt, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Eilverfahren nach 80 Abs. 5 VwGO Anwendung findet. 79 Gleichwohl wird verkannt, dass im Rahmen des 80 Abs. 5 VwGO von dem Antragsteller nicht die Glaubhaftmachung gefordert werden kann. 80 Für das Verfahren nach 123 Abs. 1 gelten die 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 ZPO gem. 123 Abs. 3 VwGO. Diese Regelungen sind auf das Verfahren nach 80 Abs. 5 VwGO nicht anzuwenden. 75 BVerfG, NVwZ 2008, 880, 881; NVwZ 2009, 1221, 1225; OVG Münster, NVwZ-RR 2006, 248; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136; Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 960; 76 Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, 80, Rn. 136; Windthorst in Gärditz, VwGO, 80, Rn. 238; Gersdorf in Posser/Wollf, VwGO, 2. Auflage 2014, 80, Rn. 176. 77 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 403. 78 A.a.O.. 79 A.a.O.. 80 So auch Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, 80, Rn. 135. 16

Denn gemäß 123 Abs. 5 VwGO gelten die Vorschriften des 123 Abs. 1 bis 3 VwGO nicht für das Verfahren nach 80 Abs. 5 VwGO. Auch eine entsprechende Anwendung über 173 VwGO scheidet aus. 81 123 Abs. 3 und 5 VwGO regeln die Anwendung der entsprechenden Normen der ZPO für das Verfahren nach 80 Abs. 5 VwGO abschließend. Hieraus wird einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den Verfahren nach 80 Abs. 5 VwGO und 123 Abs. 1 VwGO deutlich. Mithin trifft den Antragsteller keine besondere Darlegungslast beziehungsweise Verpflichtung zur Glaubhaftmachung. Der Antragssteller hat zwar das Recht, nicht jedoch die Pflicht, Tatsachen glaubhaft zu machen. Vor diesem Hintergrund hat der Antragssteller im Aussetzungsverfahren einen wesentlich leichteren Stand als im Anordnungsverfahren. 82 Da auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes der Amtsermittlungsgrundsatz gem. 86 VwGO gilt, muss dieser als Untergrenze der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass das Gericht an Recht und Gesetz gebunden ist. Dies ergibt sich aus Art.20 Abs. 3 GG. Fernerhin ist bedeutsam, dass durch den Beschluss zumindest bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Hauptsache Rechtswirkungen für die Beteiligten entstehen. Insoweit ist Schmidt nicht zuzustimmen, dass eine aufwendige Beweisaufnahme zur Aufklärung streitiger Sachverhalte schon aus der Natur der Sache ausgeschlossen sei. 83 Das Gericht hat folglich nach dem Amtsermittlungsgrundsatz den Sachverhalt zu ermitteln, selbst wenn eine umfassende Sachaufklärung erforderlich wird. 84 Schoch führt diesbezüglich anschaulich aus: Einen kurzen Prozess gibt es auch in sog. Eilverfahren nicht. 85 Insoweit wäre es inkonsequent, zwar die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren anzuerkennen, im gleichen Schritt jedoch eine umfassende Sachverhaltsaufklärung mit dem Hinweis zu unterlassen, dies sei dem Gericht der Hauptsache vorbehalten. 81 Hierzu Windthorst in Gärditz, VwGO, 80, Rn. 237; a. A. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 17. Auflage 2015, 323. 82 Hierzu Finkelnburg in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 14. Finkelnburg führt anschaulich aus, dass Sieg oder Niederlage durchaus davon abhängen, welchen Weg des vorläufigen Rechtsschutzes der Antragssteller wählen kann. 83 Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 17. Auflage 2015, 323. 84 BVerwGE 80, 16, 18. 85 Schoch in Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 405. 17

Gleichwohl ist der Amtsermittlungsgrundsatz nicht uferlos. Dies führte andernfalls dazu, dass dem Eilverfahren der Zweck entzogen wird und zeitnahe Entscheidungen kaum mehr möglich sind. Dies widerspricht dem Eilcharakter des Verfahrens. 86 Külpmann führt etwas ungenau aus, dass die Interessenabwägung nicht nach Maßgabe der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erfolgen könne, wenn die Amtsermittlung nicht in überschaubarer Zeit möglich sei. 87 Welcher Zeitraum noch überschaubar ist, wird dabei offen gelassen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die umfassende Sachverhaltsermittlung im Einzelfall das Recht des Antragsstellers vereiteln würde oder schwerwiegende Folgen nur schwierig bis gar nicht rückgängig machbar sein würden. Sofern aus Zeitgründen eine lückenlose Tatsachengrundlage nicht getroffen werden kann, darf das Gericht die Entscheidung auf glaubhaft gemachte Tatsachen, eventuell präsente Beweismittel und überwiegend wahrscheinliche Tatsachen stützen. 88 Andernfalls ist das Eilverfahren ineffektiv und steht nicht im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG. Diese reduzierte Prüfungsdichte stellt den Rahmen als Untergrenze dar. Gleichwohl verbleibt es dabei, dass in allen anderen Konstellationen das Gericht verpflichtet ist, den Sachverhalt möglichst umfassend zu ermitteln, um das Fehlerrisiko zu minimieren. 3. Die rechtliche Würdigung Bezüglich der rechtlichen Würdigung hat sich das Bundesverfassungsgericht doppeldeutig geäußert, indem es argumentierte, die summarische Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache stehe nicht im Widerspruch mit dem Wesen des vorläufigen Rechtsschutzes im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG. 89 Hieraus lässt sich unter Umständen ablesen, dass eine summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit erfolgen könnte, nicht jedoch eine Pflicht dazu bestünde. Dem muss jedoch entschieden entgegen getreten werden. Dies bedarf einer ausdrücklichen Klarstellung. 86 BVerwG, NJW 2002, 2225; VGH Kassel. NVwZ-RR 2004, 792. 87 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 960. 88 Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 917; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 407. 89 BVerfG, NVwZ 2009, 581, 583. 18

Eine summarische Rechtmäßigkeitskontrolle ist auch im Eilverfahren grundsätzlich erforderlich und notwendig. In diesem Kontext darf die Frage der Rechtmäßigkeit nicht im Sinne von Wahrscheinlichkeitsurteilen beantwortet werden. 90 Grundsätzlich ist der festgestellte Sachverhalt vollständig rechtlich zu würdigen. 91 Dies ergibt sich aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Danach sind die gerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten nicht durch das Eilverfahren begrenzt. 92 Vor diesem Hintergrund kann die Klärung schwieriger rechtlicher Fragen nicht von vornherein mit der Begründung offen gelassen werden, dass eine abschließende Entscheidung dem Hauptsachegericht zukommt. Anderes ergibt sich jedoch wiederum dann, wenn die Entscheidung auf Grund enormen Zeitdrucks getroffen werden muss. Zwar entbindet Zeitdruck nicht von der Pflicht zum sorgsamen und umfassenden Arbeiten. Gleichwohl müssen die Interessen des Antragsstellers auf materielle Richtigkeit der Einzelfallentscheidung und auf zeitnahe Entscheidung zum Ausgleich gebracht werden. Beide Interessen sind vom Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG umfasst. Mithin muss das Gericht faktisch durch den zeitlichen Druck ohne umfassende Gesetzesinterpretation und erschöpfende Subsumtion entscheiden. 93 Die Entscheidung fußt dann auf eine Folgenabwägung. 94 4. Zwischenergebnis Grundsätzlich hat das Gericht auch im Eilverfahren die Pflicht, den Sachverhalt aufzuklären. Dies ist erforderlich, um eine Grundlage für die anschließende rechtliche Würdigung und Interessenabwägung zu schaffen und das Fehlerrisiko zu minimieren. Gleiches gilt für die rechtliche Würdigung. Der Grundsatz der summarischen Prüfung darf das Gericht nicht dazu veranlassen, den Sachverhalt grundsätzlich nur oberflächlich zu prüfen und unter Außerachtlassung der umfassenden Nachprüfung gleich in die Folgenabwägung einzusteigen. Eine andere Beurteilung ist dann zu treffen, sofern das Gericht unter zeitlichem Druck entscheiden muss. Dann muss das Gericht von einer umfassenden Nachprüfung absehen und eine Folgenabwägung treffen. In der Folgenabwägung sind 90 Hierzu Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 401. 91 A.a.O.. 92 BVerfG, NVwZ 2005, 439; a.a. OVG Bautzen, DÖV 2006, 1059; OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 1194; OVG Greifswald, LKV 1999, 232, 233; Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 17. Auflage 2015, 324. 93 Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 80, Rn. 402. 94 BVerfG, NVwZ-RR 2001, 694, 695; NJW 2002, 2225. 19

die Interessen unter Beachtung der Wertung des Gesetzgebers aus 80 Abs. 1, S. 1 VwGO in Verbindung mit 80 Abs. 2, S. 1, Nr. 4 VwGO zu würdigen. Auf diese Weise werden die Interessen des Antragsstellers auf materielle Richtigkeit der Einzelfallentscheidung und auf eine zeitnahe Entscheidung in einer dem Gebot auf effektiven Rechtsschutz entsprechenden Art und Weise zum Ausgleich gebracht. 5. Besonderheiten im Versammlungsrecht Im Versammlungsrecht stellt sich häufig eine besondere Situation dar. Wie eingangs dargestellt, entscheiden Behörden über ein Verbot der Versammlung häufig sehr kurzfristig vor deren Stattfinden. Durch die angeordnete sofortige Vollziehung drohen für den Adressaten irreparable Schäden. Denn eine Entscheidung in der Hauptsache wird in aller Regel zu spät erfolgen. Diesem Umstand muss das Eilverfahren gerecht werden. Auch hier gilt der dargestellte Grundsatz, je schwerer die auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken, desto intensiver hat die Prüfung der Rechtmäßigkeit zu erfolgen. 95 Da der Sofortvollzug des Verbots in aller Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung führen würde diese sind oft an eine bestimme Zeit gebunden -, tritt im Hinblick darauf das Eilverfahren faktisch an die Stelle der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache. 96 Vor diesem Hintergrund wird in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass im Ergebnis die Rechtmäßigkeit der versammlungsbehördlichen Maßnahme wie im Hauptsacheverfahren zu prüfen sei. 97 Das beschließende Gericht könne sich nicht mit einem Verweis auf das summarische Verfahren auf eine allgemein gehaltene Interessenabwägung zurückziehen. Auch sei nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine intensivere Prüfung des Versammlungsverbotes erforderlich, soweit das Verbot besonders schwer wiege und durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung unabänderliches bewirkt werde. 98 Das Bundesverfassungsgericht attestiert, dass das Verwaltungsgericht im Eilverfahren eine Schutzfunktion übernehmen müsse, welche eigentlich dem Gericht 95 Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Auflage 2011, 1, Rn. 259; BVerfG DVBL. 2013, 367; BVerfGE 110, 77, 87 ff. 96 BVerfG, DVBl. 2013, 367, 369. 97 Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Auflage 2011, 1, Rn. 260; BVerfG DVBL. 2013, 367; BVerfGE 110, 77, 87 ff. 98 BVerfGE 69, 315, 363. 20

der Hauptsache zukomme. 99 Diese Funktion könne das Bundesverfassungsgericht im Verfahren nach 32 BVerfGG nicht übernehmen. Die Rechtmäßigkeitskontrolle habe nicht nur summarisch zu erfolgen. Vielmehr müssten sowohl der Sachverhalt als auch die rechtliche Würdigung umfassend behandelt werden. Dies ist vor dem Hintergrund des erheblichen Gewichtes der Versammlungsfreiheit als ein das Grundgesetz wesensprägendes Grundrecht zutreffend und begrüßenswert. 100 Denn die Meinungsfreiheit wie auch die Versammlungsfreiheit zähle zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform. 101 Denn die Versammlungsfreiheit ist als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe zu verstehen. 102 Daher muss bei Versammlungen, die auf einen bestimmten Zeitpunkt gerichtet sind und auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, eine intensivere gerichtliche Prüfung erfolgen als es sonst im Eilverfahren im Rahmen der summarischen Prüfung der Fall ist. 103 Demgemäß muss aus den Beschlussgründen ersichtlich werden, warum die Versammlung verboten wird. Es muss eruiert werden, woraus Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung resultieren. In diesem Kontext muss berücksichtigt werden, dass an die Gefahrenprognose im Sinne des 15 SächsVersG hohe Anforderungen zu stellen sind. Dies resultiert aus der enormen Gewichtung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Auch wenn andere Demonstrationen zur gleichen Zeit erlaubt sind, muss erkennbar sein, warum konkret die angemeldete Versammlung verboten wird und die anderen Demonstrationen schutzwürdiger erscheinen, insbesondere warum die zuständigen Behörden nicht für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Sorge tragen können. Insoweit genügt es nicht, wenn das erkennende Gericht einseitig auf das Vorbringen des Antragsgegners Bezug nimmt. 104 Pauschale Äußerungen durch den Antragsgegner reichen nicht aus. Dies steht nicht im Einklang mit der Pflicht zur intensiven Rechtmäßigkeitskontrolle. Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, Nachfragen zur genaueren Begründung durch den Antragsgegner vorzunehmen. 99 BVerfG DVBL. 2013, 367; 369. 100 Zur grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit Sodan, GG, 3. Auflage 2015, Art. 8, Rn.1. 101 BVerfGE 69, 315, 344 f. 102 BVerfGE 69, 315, 344; Sodan, GG, 3. Auflage 2015, Art. 8, Rn.1. 103 So auch Sodan, GG, 3. Auflage 2015, Art. 8, Rn.1. 104 BVerfG, DVBl. 2013, 367, 369. 21