Merbitzer Geflügeltagung 2005 Initiative Nachhaltige Deutsche Putenwirtschaft Dietmar K. Flock, Cuxhaven Einleitung Haltungssysteme für Mastgeflügel sind nur dann zukunftsfähig, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind: (1) Geflügelfleisch muss in Qualität und Preiswürdigkeit Verbraucherwünschen entsprechen und (2) die Geflügelmast muss einen angemessenen Gewinn für die Produzenten bringen. Nachfrage und Angebot in Einklang zu bringen ist für die Landwirtschaft keine neue Zielstellung. Die Geflügelwirtschaft insgesamt und besonders die Putenwirtschaft haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt: der Anteil von Geflügelfleisch am Gesamtfleischverbrauch ist stetig gestiegen. Zu den Forderungen deutscher Verbraucherorganisationen gehört Transparenz der gesamten Nahrungsmittelkette. In einem Markt, der durch reichliches Angebot an Nahrungsmitteln gekennzeichnet ist, erwarten Verbraucher nicht nur ein Höchstmaß an Produktsicherheit im Sinne gesundheitlicher Unbedenklichkeit und Nährwert, sondern auch Informationen über das wie und wo der Produktion. Auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die sich mit Fragen moderner Tierproduktion und der Kommunikation zwischen Erzeugern und Verbrauchern befassen. Landwirtschaftliche Produzenten gewinnen dabei häufig den Eindruck, dass Vertreter von Tierschutzverbänden und Politiker wenig von moderner Tierproduktion verstehen und mit unrealistischen Forderungen den Dialog erschweren. Wir sollten uns jedoch vor Pauschalurteilen hüten und genauer hinschauen, wer welche Forderungen vertritt und warum. Im Zeitraum 2000-2003 hatte ich Gelegenheit, an dem EU-Projekt Sustainable European Farm Animal Breeding and Reproduction (SEFABAR) mitzuarbeiten. In diesem Projekt haben Spezialisten aus verschiedenen EU-Ländern versucht, den Begriff Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Züchtung und Reproduktion von Rindern, Schweinen, Geflügel und Aquakultur so zu definieren, dass er für die Anwendung in der Praxis geeignet und interessierten Verbrauchern vermittelbar ist. Die Initiative Nachhaltige Deutsche Putenwirtschaft wurde im Jahr 2002 gegründet. Als das Leitungsgremium zum ersten Mal im Dezember 2002 tagte, wurde ich gebeten, den Vorsitz zu übernehmen. Heute darf ich berichten, was die Initiative inzwischen erreicht hat und woran gearbeitet wird. Evolution des Konzeptes Nachhaltigkeit Der Begriff Nachhaltigkeit geht zurück auf die deutsche Forstwirtschaft Anfang des 18. Jahrhunderts. Das damalige Ziel war die Sicherung von nachwachsendem Grubenholz. Für uns ist selbstverständlich, dass Bäume gepflanzt werden müssen, obwohl mit Forstwirtschaft in Deutschland kaum Geld zu verdienen ist. Albrecht Thaer hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts aus betriebswirtschaftlicher Sicht mit der Nachhaltigkeit beschäftigt und die Frage untersucht, wie hoch der Tierbesatz sein sollte, um mit dem produzierten Mist die Bodenfruchtbarkeit und Ertragskraft der Ackerfläche nachhaltig zu sichern.
In die öffentliche Diskussion unserer Zeit ist die Nachhaltigkeit vor allem durch den Brundtland-Report (1987) der Weltkommission für Umwelt gekommen. Nach dem internationalen Leitbild nachhaltiger Entwicklung soll die Politik verhindern, dass die Befriedigung unserer heutigen Bedürfnisse die Chancen unserer Nachkommen beeinträchtigt. Heute geht es nicht mehr ausschließlich um den Schutz von Umwelt und Ressourcen. Auch soziale und ökonomische Aspekte sollen berücksichtigt werden, um langfristig Stabilität und Wachstum zu sichern. Tierschützer fordern darüber hinaus, dass artgerechte Haltung ein wesentlicher Bestandteil nachhaltiger Tierproduktion sein muss. Die Initiative Nachhaltige Deutsche Putenwirtschaft möchte zur Absicherung und Weiterentwicklung der Putenwirtschaft in Deutschland beitragen. Dazu gehört im Sinne der Nachhaltigkeit eine langfristige Betrachtungsweise. Es geht darum, heute das zu tun, was künftigen Generationen von Putenmästern und Verbrauchern von Putenfleisch eines Tages als sinnvoll erscheint! Langfristige Orientierung bedeutet aber auch, dass die Betriebe heute und morgen Geld verdienen müssen, um in Innovationen investieren zu können. Die Initiative hat das anspruchsvolle Ziel, vorbildlich für die gesamte Nutztierhaltung zu arbeiten. Über das globale Ziel nachhaltiger Nutzung begrenzter Ressourcen besteht Einigkeit unter allen, die ernsthaft darüber nachgedacht haben. Es kommt darauf an, was wir im konkreten Fall dazu beitragen wollen und können. Die Initiative Nachhaltige Deutsche Putenwirtschaftsoll soll helfen, die Vermarktung von Putenfleisch aus deutscher Erzeugung langfristig zu sichern. Die Branche setzt sich mit Forderungen von Verbraucherschutz, Tierschutz und Umweltschutz auseinander und versucht, diese mit ihren wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen. Die Verknüpfung aller Faktoren soll Verbesserungen für Menschen, Tiere und Umwelt bringen. Entsprechend vernetzt ist die Arbeitsweise der Initiative. Auf wissenschaftliche Untersuchungen und Erfahrungen aus der Praxis gestützt, werden fachübergreifend konkrete Schritte zur Weiterentwicklung der Erzeugungsstandards erarbeitet. Intensiv und kontinuierlich treiben die verschiedenen Arbeitsgruppen so das Zukunftsprojekt nachhaltige Putenwirtschaft in Deutschland voran. Beteiligt waren fast 100 Experten aus rund 30 Organisationen, darunter verschiedene Landesministerien sowie Vertreter des Verbraucher- und Tierschutzes, des Handels, der Wissenschaft und der Landwirtschaft. Das BMVEL ist als Beobachter vertreten. Das Leitungsgremium hat bisher zweimal getagt. und. Am Ende der ersten Tagung (im Dezember 2002) wurde beschlossen, in spezialisierten Arbeitskreisen den Dialog zu vertiefen, um Fakten und Fragen für weitere Beratungen zusammenzutragen. Auf der zweiten Tagung (im Februar 2004) wurde das inzwischen erarbeitete Wissen kurz vorgestellt und diskutiert. Daraus möchte ich als Zwischenbilanz folgende Kernaussagen zitieren: Allgemein: Verbraucherschutz, Tierschutz und Umweltschutz sind gleichberechtigte Säulen bei der Weiterentwicklung der Putenfleischerzeugung in Deutschland. Diese Ziele lassen sich nur im Rahmen einer wettbewerbsfähigen Produktion erreichen. AK Verbraucherschutz: Putenfleisch aus deutscher Produktion hat hinsichtlich der Produktsicherheit und qualität ein hohes Niveau. Die tatsächliche Produktqualität ist besser als in der Einschätzung von Verbrauchern. Verbraucher sollen rational und argumentativ informiert werden, aber auch emotional angesprochen werden, um die Präferenz für Produkte aus heimischer Erzeugung gegenüber Billigangeboten zu unterstützen. Im Bereich Rückstände/Resistenzen muss der Informationsaustausch zwischen Human- und Tiermedizin intensiviert werden. 2
AK Tierschutz: Ausgangspunkt sind die Bundeseinheitlichen Eckwerte von 1999. Wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, können diese Eckwerte entsprechend weiterentwickelt werden. In folgenden Bereichen sind Verbesserungen denkbar: flexiblere Regelung der Besatzdichte, stärkere Beachtung der Bewegung, optimale Beleuchtung und Außenklimabereich. Generell gilt: fundierte Erkenntnisse haben Vorrang vor schnellen Veränderungen. AK Umweltschutz: Zur Bewertung von Auswirkungen auf die Umwelt fehlen in vielen Bereichen putenspezifische Daten und Messgrößen. Es gilt, Anforderungen des Umweltschutzes mit anderen Zielen in Einklang zu bringen. Den Informationsaustausch unter den Teilnehmern der Initiative in den ersten beiden Jahren habe ich als sehr produktiv erlebt. Zu einer kritischen Bestandsaufnahme gehört aber auch die Feststellung, dass die Initiative bisher kaum Zugang zum Verbraucher gefunden hat. Auch haben einige Tierschutzorganisationen ihre Mitarbeit aufgekündigt. Um ihr Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren, muss und wird die Initiative ihre Arbeit auch im Bereich Tierschutz unbeirrt fortsetzen. Der Nutzen technischer Verbesserungen muss am Wohlbefinden der Tiere wissenschaftlich nachweisbar und ökonomisch vertretbar sein. Falsche Vorstellungen von moderner Putenhaltung gilt es abzubauen, um die Akzeptanz der Produkte zu erhöhen. Der deutsche Markt für Putenfleisch Der Appetit deutscher Verbraucher auf Putenfleisch ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen 2003 lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 6,6 Kilogramm Putenfleisch. Damit gehört Deutschland nach den USA und Frankreich zu den Ländern mit dem höchsten Putenfleischverbrauch. Dieses wertvolle Nahrungsmittel dürfte nicht nur bei Senioren, sondern bei allen gesundheits- und kalorienbewussten Verbrauchern weiter an Beliebtheit gewinnen. Die Putenindustrie in Deutschland ist vergleichsweise jung, die meisten Betriebe haben in Zeiten attraktiver Gewinnaussichten in neue Ställe investiert, und die Technik in der verarbeitenden Industrie entspricht dem internationalen Standard. Im vergangenen Jahr haben die deutschen Putenmäster jedoch unter erhöhten Futtermittelpreisen am Weltmarkt gelitten, die von den Schlachtereien nicht durch höhere Auszahlungspreise ausgeglichen werden konnten, weil diese wiederum gegen niedrige Schweinepreise im Inland und billigere Importware zu kämpfen hatten. Die Situation ist inzwischen etwas entschärft, aber es besteht kein Anreiz, die Produktion auszuweiten. Der Importanteil bei Putenfleisch beträgt etwa 45 Prozent, mit steigender Tendenz. Damit sich die Verbraucher bewusst für Putenfleisch aus heimischer Erzeugung entscheiden können, fordert die Initiative eine verpflichtende Herkunftsbezeichnung aller Produkte aus Putenfleisch, um die notwendige Transparenz zu gewährleisten. Mit ihrem Einkaufsverhalten können deutsche Konsumenten den aus Verbraucherund Tierschutzsicht hohen Stand der Putenhaltung in Deutschland unterstützen. Das setzt freilich voraus, dass das DDD mehr Produktsicherheit und Qualität bedeutet und dass dies dem Konsumenten glaubwürdig vermittelt wird. Obwohl Meinungsumfragen eine deutliche Präferenz für regionale Erzeugung erkennen lassen, sind nur wenige Verbraucher bereit, für deutsche Produkte mehr zu zahlen als für gleichwertige Importware. Das bedeutet: niedrige Produktionskosten bleiben ein wesentliches Kriterium der Zukunftsfähigkeit. 3
Bisher ist wenigen Verbrauchern bewusst, dass Produktsicherheit und Produktqualität hierzulande bereits ein höheres Niveau erreicht haben als in anderen Ländern der EU. Mindeststandards der Putenfleischerzeugung sind in Deutschland unter Berücksichtigung von Tierschutzaspekten seit 1999 durch bundeseinheitliche Eckwerte geregelt. Importiertes Putenfleisch stammt überwiegend aus Ländern mit weniger Aufwand für Verbraucher- und Tierschutz als hierzulande vorgeschrieben. Mit steigendem Importanteil wird eine weitere Verbesserung der Standards in der deutschen Putenwirtschaft immer schwieriger. Die Initiative strebt deshalb bundeseinheitliche Regeln für die Putenhaltung in Deutschland an, die allgemeine Erkenntnisse zur Tiergesundheit und zum Wohlbefinden der Tiere ebenso berücksichtigen wie die technischen und betriebswirtschaftlichen Besonderheiten der einzelnen Betriebe. Mit einem ganzheitlichen Ansatz soll die Branche zukunftsfähig weiterentwickelt und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Von der Politik wird gefordert, die in Deutschland erreichten Standards auch auf europäischer Ebene durchzusetzen. Im Dialog mit den verschiedenen Interessengruppen sollte darauf geachtet werden, bei jeder Entscheidung vier grundlegende Aspekte zu berücksichtigen: 1. Akzeptanz seitens der Verbraucher 2. Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere 3. wirtschaftliche Tragfähigkeit möglicher Maßnahmen und 4. kontrollierbare Qualität des Putenfleisches aus deutscher Produktion. Daran orientiert sich die Initiative. Dass die Richtung stimmt, zeigt auch die positive Resonanz auf politischer Ebene. Der Ansatz der Initiative, eine umfassende und ganzheitliche Betrachtung der Branche, wird bereits von vielen als beispielhaft bewertet. Der Bundestag hat in einem Beschluss zum Tierschutzbericht 2003 gefordert, in Zukunft gemeinsam mit den deutschen Produzenten von Lebensmitteln tierischer Herkunft, dem Handel und den Tierschutzverbänden tierschutz- wie marktgerechte Haltungsanforderungen zu entwickeln, um einer Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Standards wirksam vorzubeugen. Genau dieses Ziel verfolgt die Initiative Nachhaltige Deutsche Putenwirtschaft. Eine wichtige Aufgabe wird es sein, Verbrauchern und Tierschützern ein realistisches Bild von den Produktionsbedingungen in Deutschland zu vermitteln. Dass es laufend neue Herausforderungen gibt, zeigt z.b. ein Verordnungsantrag der Länder Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an die Bundesregierung, in dem eine Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (Puten) gefordert wird. Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt dieses Antrags mit bevorstehenden Wahlen in diesen Bundesländern zusammenhängt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu der geforderten Verringerung der Besatzdichte auf 38 kg Lebendgewicht bei Hennen bzw. 42 kg bei Hähnen sind mir nicht bekannt. Ein breit angelegter Praxisversuch könnte hier relativ schnell helfen, eine sachliche Basis zu schaffen. Ich nehme an, der AK Tierschutz der Initiative wird sich mit diesem Thema auf der nächsten Sitzung erneut befassen. Ob die Antragsteller auf Erkenntnisse der Wissenschaft und Praxis wert legen, ist allerdings zu bezweifeln. Im Antrag steht dazu der aufschlussreiche Satz: Die Entscheidung über die wirtschaftliche Tragfähigkeit verbleibt bei den potentiellen Tierhaltern. 4
Abstract Die Initiative Nachhaltige Deutsche Putenwirtschaft wurde Anfang 2002 ins Leben gerufen. Sie soll helfen, die Vermarktung von Putenfleisch aus deutscher Erzeugung langfristig zu sichern. Die Branche setzt sich mit Forderungen von Verbraucherschutz, Tierschutz und Umweltschutz auseinander und versucht, diese mit ihren wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen. Einheitliche und verbindliche Rahmenbedingungen für die Putenhaltung in Deutschland sollen auf der Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisiert werden. In getrennten Arbeitskreisen wird vorhandenes Wissen bezüglich Verbraucherschutz, Tierschutz und Umweltschutz ausgetauscht und auf Forschungsbedarf aufmerksam gemacht. Bisher hat der AK Tierschutz 5x, der AK Verbraucherschutz 3x und der AK Umweltschutz 2x getagt. Die wirtschaftliche Situation der Putenbranche ist angespannt und lässt wenig Spielraum für kostspielige Experimente. Vordringlich erscheint, das vorhandene Wissen einer breiteren Öffentlichkeit zugängig zu machen und bei politischen Entscheidungen zu berücksichtigen 5