Pressegespräch des Deutschen Wetterdienstes (DWD) am 14. Oktober 2005 in Lindenberg Coordinated Observation and Prediction of the Earth System - Die neue Strategie des Weltklimaforschungsprogramms - es gilt das gesprochene Wort Rede von Peter Lemke Vorsitzender des Joint Scientific Committee des Weltklimaforschungsprogrammes Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven
2 Klimaänderungen machen an Ländergrenzen nicht halt. Daher ist die Klimaforschung ein länderübergreifendes Anliegen. Wegen der zunehmenden Aktualität dieses Themas wurden in den vergangenen zwei Dekaden verschiedene internationale Programme eingerichtet. Diese Aktivitäten umfassen im Wesentlichen überwiegend naturwissenschaftlich ausgerichtete Programme zur Erforschung des Globalen Wandels. Hierzu zählt in erster Linie das World Climate Research Programme (WCRP), in dessen Rahmen seit Beginn der 1980er Jahre das globale Klimasystem mit mathematisch-physikalischen Methoden erforscht und die Prognose globaler und regionaler Klimaänderungen ermöglicht werden soll. Das WCRP, ein Teilprojekt des World Climate Programme, wurde 1980 gemeinsam von ICSU (International Council of Science) und WMO (World Meteorological Organisation) gegründet. Seit 1993 wird das WCRP auch von der Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC) der UNESCO unterstützt. Ziel des WCRP ist es festzustellen, in welchem Umfang natürliche Klimaschwankungen sowie der anthropogene Einfluss auf das Klima verstanden und vorhergesagt werden können. Dazu ist ein quantitatives Verständnis der vier Hauptkomponenten des physikalischen Klimasystems (Atmosphäre, Ozean, Kryosphäre (Eismassen) und Landoberflächen) und ihrer gegenseitigen Wechselwirkung notwendig (Abb.1). Um dieses Ziel zu erreichen, hat das WCRP verschiedene Projekte eingerichtet, in denen ausgewählte Bereiche des Klimasystems mit Hilfe von Beobachtungen, Datenanalyse und numerischer Modellierung untersucht werden. Die folgenden Projekte des WCRP sind zurzeit aktiv (siehe http://www.wmo.ch/web/wcrp/wcrp-home.html). Climate and Cryosphere (CliC) Das Projekt CliC untersucht seit 2000 die globale Kryosphäre, d.h. alle Formen von Eis im Klimasystem (außer dem Eis in den Wolken), also Meereis, Schelfeis, Landeis, Gletscher, Eiskappen, Permafrost und Schnee und deren Wechselwirkung mit dem Rest des Klimasystems, insbesondere mit Atmosphäre und Ozean. Die wesentlichen Forschungsthemen sind: 1. Untersuchung der Einwirkungen vergangener und zukünftiger Klimaänderungen auf die Eismassen dieser Welt, 2. Untersuchung der Prozesse, durch die die Kryosphäre mit dem Rest des Klimasystems wechselwirkt, 3. Verbesserung der Darstellung der Kryosphäre in Klimamodellen, 4. Verbesserung der Beobachtungssysteme für die Kryosphäre. CliC ist ein Nachfolgeprojekt von ACSYS. Weitere Informationen wie z.b. den Forschungsund Implementierungsplan findet man unter http://clic.npolar.no. Climate Variability and Predictability Programme (CLIVAR) CLIVAR beschäftigt sich seit 1995 mit den Grundlagen der natürlichen Klimavariabilität, untersucht anthropogene Einwirkungen und hat zum Ziel, das Klima auf Zeitskalen von Jahreszeiten bis zu Jahrhunderten vorherzusagen. CLIVAR besteht aus drei Komponenten: 1. der Untersuchung von Variabilität und Vorhersagbarkeit des globalen gekoppelten Klimasystems (Ozean-Atmosphäre-Land) auf Zeitskalen von Jahreszeiten bis zu mehreren Jahren (GOALS), 2. der Untersuchung von Variabilität und Vorhersagbarkeit des globalen gekoppelten Klimasystems auf Zeitskalen von Dekaden bis Jahrhunderten (DecCen), mit besonderer Berücksichtigung des Ozeans im gekoppelten Klimasystem, 3. und der Modellierung und Zuordnung anthropogener Klimaänderungen (ACC). Zu allen drei Komponenten gehört als Grundlage eine Verbesserung der Beobachtungssysteme und der verschiedenen Komponenten der Klimamodelle. Mit diesen Themen ist CLIVAR ein Nachfolgeprojekt von TOGA und WOCE (weitere Informationen unter http://www.clivar.org). Global Energy and Water Cycle Experiment (GEWEX)
3 GEWEX untersucht seit 1988 den globalen Wasser- und Energiekreislauf. Ziel ist es, den Transport und den Austausch von Strahlung, Wärme und Wasser in der Atmosphäre und an der Erdoberfläche zu bestimmen, zu modellieren und vorherzusagen sowie die Auswirkungen einer Klimaänderung auf globale und regionale Niederschlagsregime abzuschätzen. Die wesentlichen Themen unter GEWEX sind: 1. die Untersuchung des Wasser- und Energiekreislaufs mithilfe von globalen Messungen atmosphärischer Parameter und der Erdoberflächeneigenschaften, 2. Modellierung des Wasserkreislaufs und seines Einflusses auf Atmosphäre, Ozean und Landoberflächen, 3. Entwicklung von Beobachtungssystemen, Assimilationstechniken und Modellen zur verbesserten Vorhersage von hydrologischen Parametern für Wetter und Klima. GEWEX ist nun in die zweite Phase der Projektaktivitäten eingetreten, in der es unter anderem darum geht, ob sich der globale Wasserkreislauf durch die globale Erwärmung verstärkt hat oder nicht (weitere Informationen unter http://www.gewex.org). Stratospheric Processes and their Role in Climate (SPARC) SPARC befasst sich seit 1992 mit Beobachtung und Modellierung von Klimaänderungen in der Stratosphäre, insbesondere aber mit der Frage, welche Prozesse in der Stratosphäre auf das globale Klima einwirken. Die SPARC Forschungsthemen sind: 1. der Einfluss der Stratosphäre auf das Klima, 2. die physikalischen und chemischen Vorgänge bei der stratosphärischen Ozonabnahme und die damit verbundenen Änderungen in der UV-Strahlung, 3. Langzeitbeobachtungen und Modellierung stratosphärischer Variationen Einen neuen Schwerpunkt bildet der Einfluss chemischer Prozesse in der gesamten Atmosphäre auf die Entwicklung des Klimasystems (weitere Informationen unter http://www.atmosp.physics.utoronto.ca/sparc). Klimamodellierung Die Entwicklung von globalen Klimamodellen ist im WCRP eine projektübergreifende Aufgabe, die sich zwei Arbeitgruppen teilen. Die Working Group on Numerical Experimentation (WGNE) befasst sich mit der Verbesserung der atmosphärischen Zirkulationsmodelle und stellt die Verbindung zu den operationellen Wettervorhersagezentren dar. Sie behandelt aber nicht nur die kurzen Wetterzeitskalen, sondern sorgt auch für die Verbesserung der Atmosphärenmodelle für die Untersuchung von Klimaschwankungen. Unter anderem hat sie das sehr erfolgreiche Projekt zum Vergleich der verschiedenen Atmosphärenmodelle eingerichtet (Atmospheric Model Intercomparison Project, AMIP, http://www-pcmdi.llnl.gov/projects/amip). Die Working Group on Coupled Modelling (WGCM) befasst sich mit der Entwicklung und Optimierung von globalen gekoppelten Klimamodellen. Neben vielen anderen Aktivitäten hat WGCM ein Projekt zum Vergleich der vielen gekoppelten Klimamodelle eingerichtet (http://www-pcmdi.llnl.gov/projects/cmip). Die wohl wichtigste Leistung von WGCM ist die internationale Koordinierung der Grundlage für die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, http://www.ipcc.ch) bezüglich der Modellierung gegenwärtiger und zukünftiger Klimaschwankungen unter Einschluss der Einwirkungen des Menschen. In den vergangenen 25 Jahren hat das WCRP drei weitere Projekte durchgeführt und sehr erfolgreich abgeschlossen: Arctic Climate System Study (ACSYS) ACSYS befasste sich von 1994 bis 2003 mit der Beobachtung und Modellierung des arktischen Ozeans, der darüber liegenden Atmosphäre und des durch beide Medien bewegten Meereises (http://acsys.npolar.no). Untersucht wurde die Rolle der Arktis im globalen Klimasystem, insbesondere aber der Süßwasserexport aus der Arktis, der auf Schwankungen der Tiefenwasserbildung im Nordatlantik einwirkt und damit auch die globale thermohaline Zirkulation beeinflusst.
4 World Ocean Circulation Experiment (WOCE) WOCE hat von 1990 bis 2002 in der bisher größten internationalen ozeanographischen Messkampagne Beobachtungen aus allen Weltmeeren zusammengetragen und damit die Basis für die Untersuchung von Klimaänderungen im Ozean und für die Entwicklung von realistischen numerischen Modellen der globalen Ozeanzirkulation gelegt (http://www.woce.org). Tropical Ocean Global Atmosphere Project (TOGA) TOGA beschäftigte sich von 1985-1994 mit der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen dem tropischen Ozean und der globalen Atmosphäre und trug wesentlich zum Verständnis der Ursachen der Südlichen Oszillation und des dazugehörigen El Niño-Phänomens bei. Die in diesem Projekt entwickelten Messnetze und Modellsysteme führten zu einer deutlichen Verbesserung der saisonalen Vorhersage in den Tropen. Herausragende Ergebnisse der vergangenen 25 Jahre Durch die internationale Koordination des WCRP sind in den vergangen 25 Jahren deutliche Verbesserungen im Bereich der Klimabeobachtungssysteme, des Verständnisses der grundlegenden physikalischen Prozesse und der darauf aufbauenden numerischen Klimamodellierung zu verzeichnen. Dies gilt für alle Komponenten des Klimasystems. Zum Beispiel hat GEWEX eine inzwischen WCRP übergreifende Aktivität ins Leben gerufen (Coordinated Enhanced Observing Period, CEOP), die möglichst viele der zurzeit laufenden Beobachtungen zum Wasserkreislauf zusammenfasst um eine bessere Niederschlagsvorhersage zu erreichen (Abb.2). Ein umfangreiches Beobachtungssystem für den Weltozean (Argo) wurde von WOCE und CLI- VAR eingerichtet, das mit nahezu 2000 Tiefendriftern (Abb. 3) inzwischen fast einen ähnlichen Umfang hat wie die offiziellen Wetterstationen auf den Kontinenten. Diese Drifter tauchen bis zu 2000m tief in den Ozean ab, treiben 10 Tage mit der Strömung mit und messen beim Auftauchen verschiedene ozeanische Parameter, die sie an der Meeresoberfläche über Satelliten ü- bertragen. Danach tauchen sie wieder in die vorgesehene Tiefe ab. Diese Tauch-Messzyklen können sie über mehrere Jahre durchführen. Auch im Bereich der Polargebiete war die internationale Zusammenarbeit sehr erfolgreich. Unter anderem wurden Satellitendaten durch groß angelegte Validierungsexperimente mit Bodenbeobachtungen geeicht. Außerdem wurden Algorithmen optimiert und Sensoren verbessert, sodass nun für viele Klimaparameter fast 30-jährige homogene Zeitserien vorliegen, z.b. für die arktische und antarktische Meereisbedeckung (Abb. 4). Aus diesen Zeitserien ist ersichtlich, dass das Meereis in der Arktis nach einem Anstieg in der Mitte der 70er Jahre von 1978 bis 1990 eine deutliche Abnahme zu verzeichnen hat, und seitdem bis auf kleine Schwankungen konstant geblieben ist. In der Antarktis nimmt die Meereisfläche dagegen nach einem drastischen Rückgang in den 70er Jahren seit 1980 langsam wieder zu. Offensichtlich haben die beiden Polargebiete eine unterschiedliche Entwicklung durchgemacht. Der langfristige Trend ist in beiden Polargebieten von ausgeprägten kurzzeitigen Schwankungen überlagert. Ein herausragendes Ergebnis aus dem Bereich der Stratosphärenforschung war die Entdeckung der deutlichen Abkühlung in der Stratosphäre (Abb. 5), die mit der Höhe zunimmt und zu einem wesentlichen Teil auf den Ozonschwund in diesem Bereich zurückzuführen ist. Coordinated Observation and Prediction of the Earth System (COPES) Basierend auf den großen Erfolgen in der Verbesserung der Beobachtungssysteme und der numerischen Modelle ist das Verständnis der Klimavariationen deutlich gestiegen. Saisonale Klimavorhersagen für die Tropen (El Nino) werden inzwischen mit sehr viel versprechenden Ergebnissen in mehreren Forschungszentren durchgeführt. Die Ausweitung der Vorhersage auf mittlere und höhere Breiten, auf längere Zeitskalen und auf andere Komponenten des Erdsystems, wie z.b. den Kohlenstoffkreislauf und interaktive Modelle der Biosphäre im Meer und auf den Kontinenten, ist das erklärte Ziel von COPES, dem neuen strategischen Rahmenprogramm des WCRP (http://www.wmo.ch/web/wcrp/copes.html). COPES soll die Grundlage bilden für
5 eine einheitliche und nahtlose Vorhersage von Klimaänderungen über Zeitskalen von Wochen bis hin zu Jahrhunderten. Ebenso sollen auf lange Sicht auch die bis jetzt als Szenarien durchgeführten Klimaprognosen als Anfangswertprobleme behandelt werden. Als aktuelle Themen gelten die jahreszeitlichen Vorhersagen in höheren Breiten, die Vorhersage der Monsune und die Bestimmung der Meeresspiegeländerungen. Earth System Science Partnership In den letzten Jahren wurden neben disziplinären Fragen in verstärktem Maße Wechselwirkungen zwischen physikalischen, biologischen, geologischen und chemischen Komponenten des Klimasystems untersucht und auch deren Relation zu Änderungen der Gesellschaftssysteme betrachtet. Aus diesem Grund haben die vier großen internationalen Umweltprogramme WCRP, IGBP (International Geosphere Biosphere Programme, gegründet 1986), IHDP (International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change, gegründet 1990) und DI- VERSITAS (International Programme of Biodiversity Science, Neugründung 2001) im Juli 2001 die Earth System Science Partnership (ESSP) gegründet. ESSP soll die gemeinsamen interdisziplinären Projekte fördern, von denen zunächst vier definiert wurden: Carbon, Food, Water und Health (siehe http://www.essp.org). Es wird erwartet, dass neben diesen globalen Aktivitäten auch regionale interdisziplinäre Projekte eingerichtet werden. Ein bilaterales Projekt, das WCRP und IGBP zusammen unterstützen, ist SOLAS (Surface O- cean Lower Atmosphere Study, http://www.uea.ac.uk/env/solas/), das sich mit den physikalischen und bio-geo-chemischen Wechselwirkungen des Ozeans mit der Atmosphäre befasst.