Nationale Tagung für betriebliche Gesundheitsförderung 2014 Eine Gesundheitskultur fest verankern Ohne Führungsinstrumente und Personalmanagement geht es nicht Prof. em. Dr. Norbert Thom Ehemaliger Direktor des Instituts für Organisation und Personal (IOP) der Universität Bern www.iop.unibe.ch
Hinweis > Hintergrund der Ausführung ist das abgeschlossene Dissertationsprojekt der ehemaligen IOP-Assistentin, Frau Dr. Anna Osterspey, die vom Referenten betreut wurde. > Ihre Buchpublikation erfolgte unter dem Titel: Gesundheitskultur Entwicklung und Verankerung durch Personalmanagement Köln 2012 (Kölner Wissenschaftsverlag). > Das Buch enthält auch einen umfangreichen empirischen Teil mit einer Intensivfallstudie bei der Schweizerischen Post. 2
Inhaltsübersicht 1. Ausgangslage und Relevanz der Thematik 2014 2. Gesundheit und Leistung 3. Management von Gesundheit in Unternehmen 4. Zum Stand der Forschung 5. Salutogene Ressourcen 6. Kultur und Führung 7. Zusammenfassende Thesen und Erklärungsrahmen Anhang Ausgewählte Literatur 3
1. Ausgangslage und Relevanz der Thematik 2014 > Personelle Leistungsfähigkeit und -bereitschaft als Substanz wirtschaftlich erfolgreicher Unternehmen > Häufig übermässige Beanspruchung menschlicher Leistungsträger > Erhöhtes arbeitsbedingtes Stressaufkommen > Zunahme psychischer Erkrankungen Individuelle und familiäre Auswirkungen Verschlechterung der Arbeitsleistung und Arbeitsausfall Beeinträchtigung betrieblicher Sozialstrukturen Entstehung direkter sowie indirekter volks- und betriebswirtschaftlicher Kosten (Vgl. Veith/Schweizer (2009), S. 30; Barmer Gesundheitsreport (2009), S. 1; Hüllemann (1994), S. 45) 4
2. Gesundheit und Leistung > Direkte und indirekte Kosten durch Abwesenheit, Arbeitsunfähigkeit, Fluktuation und Produktivitätsverluste > Absentismus: Vorübergehende, verlängerte oder ständige Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit oder Behinderung > Präsentismus: Präsens am Arbeitsplatz bei verminderter Konzentrations- bzw. Leistungsfähigkeit Statistisch kaum erfassbar Präsentismuskosten überwiegen Absentismuskosten Folgenschwer insbesondere für wissensbasierte Unternehmen (Vgl. Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (1997), S. 11; Boëthius (2010), S. 4; Badura (2009), S. 29) 5
3. Management von Gesundheit in Unternehmen (I) Organisationale Unterstützung im Bereich Gesundheit: > Schaffen von Voraussetzungen, welche die physisch-psychische Leistungsfähigkeit der Beschäftigten stärken > Gesundheitsfördernde Ansätze als Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung mit dem Ziel der Steigerung der Leistungsbereitschaft 6
3. Management von Gesundheit in Unternehmen (II) Betriebliche Gesundheitspolitik (BGP) (Grundlegende Werte, Normen, Prinzipien etc.) Praktische Umsetzung Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) Integriertes Managementsystem Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS) Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) 7
3. Management von Gesundheit in Unternehmen (III) BGM wird verstanden als die Entwicklung integrierter betrieblicher Strukturen und Prozesse, welche die Gesundheit am Arbeitsplatz erhalten und fördern und den Beschäftigten wie dem Unternehmen gleichermassen zugute kommen. (Vgl. Badura/Ritter/Scherf (1999), S. 17) BGF umfasst alle gemeinsamen Massnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Dies kann durch eine Verknüpfung folgender Ansätze erreicht werden: > Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen > Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung > Stärkung persönlicher Kompetenzen (Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union (2007), S. 2) 8
3. Management von Gesundheit in Unternehmen (IV) > BGF basiert auf einem positiven, salutogenen Gesundheitsverständnis > Zentrale Bedeutung von salutogenen Ressourcen (Kap. 5) > Verhaltensprävention überwiegt Verhältnisprävention in der Praxis (ungleich der zugrundeliegenden Sachlogik) > BGM/BGF-Massnahmen sind oftmals unzureichend in Strukturen und Routinen (letztlich in das Instrumentarium des Managements) integriert > Häufig einzelne Projekte (Vgl. Klotter (1999), S. 43) 9
4. Zum Stand der Forschung (I) Eine Sichtung und Auswertung wissenschaftlicher Publikationen im Bereich Gesundheit und Management ergibt folgendes Bild: > Publikationen sind auffallend multidisziplinär und relativ selten von Wirtschaftswissenschaftlern verfasst > Wichtige bestehende psychologische Erkenntnisse müssen derart aufgearbeitet werden, dass dieses Wissen für praktisches, betriebswirtschaftliches Handeln genutzt werden kann > Multidisziplinarität führt zu unterschiedlichen Herangehensweisen und Schwerpunktsetzungen sowie zu einer oftmals unklaren und wenig einheitlichen Begriffsverwendung 10
4. Zum Stand der Forschung (II) > BGM und BGF, wie sie im deutschsprachigen Raum bekannt sind, werden kaum in englischsprachigen Journalen aufgegriffen (engl. Fachliteratur befasst sich intensiv mit Wohlbefinden und arbeitsbedingtem Stress) > Hintergründe, Entwicklungsgeschichte, Planung und Implementierung ausgewählter Massnahmen und Instrumente des BGM sowie Möglichkeiten der Erfolgkontrolle haben bereits hinreichend Aufmerksamkeit in der Forschung erhalten 11
4. Zum Stand der Forschung (III) Bisher unzureichend erforscht sind (Forschungslücken): > Salutogene Ressourcen im betriebswirtschaftlichen Kontext > Gesundheitsförderung und Personalführung (institutional und instrumentell) > Konzeptualisierung und Management einer Gesundheitskultur 12
5. Salutogene Ressourcen (I) > Wirtschaftlicher Ressourcenbegriff: Arbeit Kapital Boden Wissen Betriebsmittel > Arbeitspsychologischer Ressourcenbegriff: Widerstandskräfte, die das Auftreten von Stressoren vermeiden, ihre Ausprägung mildern oder ihre Wirkung verringern, so dass aus betriebswirtschaftlicher Perspektive gesetzte Ziele trotz negativem Stressaufkommen erreicht werden können. (Vgl. Zapf/Semmer (2004), S. 1041 f.; Frese (1994), S. 34) 13
5. Salutogene Ressourcen (II) Individuelle Dimension Institutionale Dimension Interne, personale Ressourcen > Selbstwert > Selbstwirksamkeit Austauschbeziehung Externe, organisationale Ressourcen > Handlungsspielraum > Entscheidungsspielraum > Soziale Unterstützung -Instrumental -Emotional -Informational -Bewertungsbezogen 14
6. Kultur und Führung (I) Bestehende Ansätze in der Literatur: > Betriebliche Gesundheit als Aspekt der Organisationskultur > Integration in das organisationale Normen- und Wertesystem (Gesamtinstitution) > Partnerschaftliche Organisationskultur > Gesunde Mitarbeiter in gesunden Unternehmen > Ausgewählte Merkmale gesunder Organisationen: Vertrauen in die Führung Grad an Partizipation und Autonomie Qualität sozialer Beziehungen Wertschätzung und Anerkennung (Vgl. Badura/Hehlmann (2003), S. 54; Ulich/Wülser (2004), S. 274; Enterprise for Health (2006)) 15
6. Kultur und Führung (II) Resultierende Fragestellungen: Was umfasst eine Gesundheitskultur als Teil der Organisationskultur? Wie ist die Entwicklung und Verankerung einer Gesundheitskultur mit betriebswirtschaftlichen Gestaltungsparametern möglich? 16
6. Kultur und Führung (III) > Kulturelle Veränderungen gelten als die schwierigste und langwierigste Form des organisationalen Wandels > Paradigmen der Organisationskultur: Variablenansatz Metapheransatz Integrativer Ansatz Ansatz der Dissertation: Führungspersonen besitzen die Kompetenz, Kultur aktiv zu beeinflussen. Vor allem Instrumente des Personalmanagements ermöglichen eine wesentliche und nachhaltige Gestaltung des organisationalen Wertesystems (Vgl. Thom (2010), S. 17; Sollberger (2006), S. 89) 17
6. Kultur und Führung (IV) > Qualität der Führung: Wichtigste Einflussgrösse auf Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden > Relevante Führungstätigkeiten und -rollen: Anerkennung und Ablehnung Förderungsbereitschaft Vorbildfunktion Steuerung der professionellen Implementierung von gesundheitsfördernden Massnahmen Machtpromotoren im Hinblick auf die erfolgreiche Durchführung entsprechender Massnahmen Kulturschaffende Funktion (Vgl. Illmarinen/Tempel (2002), S. 245; Münch/Walter/Badura (2003), S. 20 f.) 18
6. Kultur und Führung (V) Gesundheitskultur Führung Massnahmen und Instrumente der BGF Management salutogener Ressourcen Förderung und Erhalt von Gesundheit im organisationalen Kontext 19
6. Kultur und Führung (VI) Gesundheitskultur Personalbedarfsermittlung Personalgewinnung Personaleinsatz Personalentwicklung Personalerhaltung Personalfreistellung Management Ansatzpunkte des (Personal-) Managements zur Entwicklung und Verankerung einer Gesundheitskultur 20
7. Zusammenfassende Thesen und Erklärungsrahmen (I) 1. Die Förderung der Gesundheit trägt wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit bei. 2. Vorhandene Gesundheitsansätze sind noch nicht ausreichend in das Instrumentarium des Managements integriert. 3. Das Management salutogener Ressourcen ist ein zentraler Beitrag zur BGF. Sowohl die institutionale als auch die individuelle Dimension werden entscheidend durch das Führungsverhalten beeinflusst. 4. Der zielführende Ansatzpunkt zum Aufbau einer nachhaltigen BGF ist die Entwicklung einer Gesundheitskultur. Sie ist Teil der Unternehmenskultur. 5. Entwicklung und Verankerung einer Gesundheitskultur ist ein schwieriger Managementprozess. Die wichtigste Kulturbeeinflussung erfolgt durch Massnahmen der Personalführung (Prozessfunktionen des Personalmanagements, die durch Führungskräfte beeinflusst werden). 21
7. Zusammenfassende Thesen und Erklärungsrahmen (II) 6. Führungspersonen tragen durch ihr Verhalten und ihr Rollenverständnis in besonderem Masse zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden bei. Eine BGF ohne systematische Beeinflussung des Führungsverhaltens kann nicht wirksam sein. 7. Ein qualitativer Forschungsansatz ist im Themenfeld der Kulturentwicklung (speziell der Entwicklung einer Gesundheitskultur) adäquat. Durch Fallstudien in Unternehmen mit hohem Entwicklungsstand in der BGF soll erforscht werden, wie der Prozess zur Entwicklung und Verankerung einer Gesundheitskultur erfolgreich gestaltet werden kann. 8. BGF kann nur mit Projekten, Beauftragten und Einzelaktionen nicht nachhaltig erfolgreich sein. Nur die gelebte Gesundheitskultur gestützt durch Personalführungsinstrumente bewirkt Nachhaltigkeit in der BGF und leistet damit einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Institution (Organisation). 22
Anhang 23
Ausgewählte Literatur (I) Badura, Bernhard/Ritter, Wolfgang/Scherf, Michael (1999) Betriebliches Gesundheitsmanagement - Ein Leitfaden für die Praxis. Forschung aus der Hans-Böckler Stiftung, Berlin 1999 Badura, Bernhard (2009) Rückenschulen bekämpfen Symptome, aber keine Ursachen; in: Personalwirtschaft. Magazin für Human Resources; 08/2009, S. 29 Badura, Bernhard/Hehlmann, Thomas (2003) Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden Organisation, Berlin 2003 Barmer Gesundheitsreport (2009) Psychische Gesundheit und psychische Belastungen, Wuppertal 2009 Boëthius, Stefan (2010) Beidseitiger Nutzen; in: ALPHA, 13./14. März 2010, S. 4 Enterprise for Health (2006) Guide to Best Practice. Unternehmenskultur und Betriebliche Gesundheitspolitik: Erfolgsfaktoren für Business Excellence, Bielefeld 2006 Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (1997) Die Verhinderung von Absentismus am Arbeitsplatz. Zusammenfassender Bericht einer Forschungsstudie, Luxemburg 1997 Frese, Michael (1994) Arbeit und psychische Störungen; in: Höchstetter, K.; Gunkel, L.; Beck, R.; Szpilok, M. (Hrsg.): Gesundheitsförderung im Betrieb. Neue Antworten auf neue Herausforderungen, Bobingen 1994, S. 27-46 Hüllemann, Klaus-Diethard (1994) Jedes Unternehmen ist so gesund, wie seine leid(t)enden Mitarbeiter, in: Kastner, Michael (Hrsg.): Personalpflege. Der gesunde Mitarbeiter in einer gesunden Organisation, Berlin/München 1994, S. 40-47 24
Ausgewählte Literatur (II) Illmarinen, Juhani/Tempel, Jürgen (2002) Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben?, hrsg. von Giesert, Marianne im Auftrag des DGB- Bildungswerk e. V., Hamburg 2002 Klotter, Christoph (1999) Historische und aktuelle Entwicklungen der Prävention und Gesundheitsförderung Warum Verhaltensprävention nicht ausreicht; in: Oesterreich, R.; Volpert, W. (Hrsg.): Psychologie gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen, Bern 1999, S. 23-61 Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union (2007) [Online] URL: http://www.move-europe.de/fileadmin/rs-dokumente/dateien/luxemburger_deklaration_10_09.pdf, 20. April 2010 Münch, Eckhard/Walter, Uta/Badura, Bernhard (2003) Führungsaufgabe Gesundheitsmanagement. Ein Modellprojekt im öffentlichen Sektor, hrsg. v. der Hans-Böckler Stiftung, Berlin 2003 Sollberger, Bettina Anne (2006) Wissenskultur. Erfolgsfaktor für ein ganzheitliches Wissensmanagement, Bern/Stuttgart/Wien 2006 Thom, Norbert (2010) Kein Change Management ohne Wandel des Wertesystems; in: io new Management, Nr. 5, Mai 2010, S. 16-19 Ulich, Eberhard/Wülser, Marc (2004) Gesundheitsmanagement in Unternehmen. Arbeitspsychologische Perspektiven, Wiesbaden 2004 Veith, Thorsten/Schweitzer, Jochen (2009) Das große Ganze; in: Personalwirtschaft. Magazin für Human Resources, 08/2009, S. 30-32 Zapf, Dieter/Semmer, Norbert (2004) Stress und Gesundheit in Organisationen; in: Schuler, Heinz (Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D, Serie III, Band 3 Organisationspsychologie, 2. Auflage, Göttingen 2004, S. 1007-1112 25