Prof. Dr. Harald Gündel Medizinische Hochschule Hannover



Ähnliche Dokumente
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz

» Ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt» Alle Fachdisziplinen in einem Haus» Medizinische Diagnostik & Therapie wissenschaftlich fundiert

Interkulturelles Training in der psychosomatischen Reha

Technische Universität München. Patienteninformationstag Prostatakrebs. TU München. P. Herschbach Roman-Herzog-Krebszentrum München

Stress ein Krebsrisiko?

Recovery. Chronische Erkrankungen überwinden!

Psycho-Onkologie. Warum Wofür Wer für wen Wie

Verzahnung von Arbeitsschutz und betrieblichem Gesundheitsmanagement. Gesunde Ansatzpunkte für sinnvolle Maßnahmen

Übersicht Verständnisfragen

Betriebliche Gesundheitsförderung

Inaugural - Dissertation zur Erlangung der Zahnmedizinischen Doktorwürde der Charité-Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin

HIER: SEMINAR 1. WOCHE

Gesund bis zur Rente - Was sagen die Daten der GKV?

BEZIRKLICHE GESUNDHEITSKONFERENZ Gesundheitliche Chancengleichheit für Alle. 9. Juni 2015

GesuNd schlafen: Das Schlaflabor der. Premium Health Care

Gesundheitsförderung im Betrieb

Das Institut für berufliche Aus- und Fortbildung stellt sich vor

allensbacher berichte

Stress, Schlafstörungen, Depressionen und Burn-out. Wie belastet sind wir?

Gesundheitsförderliche Mitarbeitergespräche (smag) Quelle: GeFüGe-Projekt, bearbeitet durch Karsten Lessing, TBS NRW

Progressive Muskelentspannung

Nachhaltige berufliche Rehabilitation bei psychischen Störungen

Kontakt Bitte verwenden Sie beiliegende Anmeldekarte oder wenden Sie sich an:

Solutions for Business. Menschwerdung. Warum hat das bei mir so gut geklappt und warum nicht bei anderen?

Bezeichnung/Titel: Kategorie: Zielgruppe: Verwendung: Stand: Autor: Hinweise:

AHG Klinik Schweriner See Klinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Suchtmedizin

alle Bilder: Google-Suche Unterstützung von Angehörigen Krebskranker

Demenz Gestern heute morgen? G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald Abteilung für Psychosoziale Rehabilitation

Fragebogen Kopfschmerzen

Gesundes Führen in Kleinunternehmen ein Impuls zur Bedeutung, Verantwortung und Grenzen von Führung für Gesundheit

Selbststä ist gefragt

Einsamkeit: Ein Risikofaktor für Lebensqualität und Gesundheit?

Jahresbericht Schuldnerberatung 1997

Presseerklärung. Sparen an der Gesundheit für Eltern und Kinder gefährdet Deutschlands Zukunft. Berlin,

Medizinische Rehabilitation bei Epilepsie

Ergebnisse zur Umfrage GC MARKT-BLITZLICHT No. 6 Mitarbeiter gewinnen. 08. August 2014

Gesundheits- und alternsgerecht führen: Seminarreihe für Führungskräfte

Motivationale Aspekte des gemeinsamen Lernens aus Sicht der Medizin- und Pflegestudierenden

Geschlechtsperspektiven in der Medizin - Gesundheits- und fachpolitische Herausforderungen nach Erkenntnissen bei Diabetes

Praxistage Gesundheitsversicherung statt Krankenkasse - Ist der Weg das Ziel? Ein Plus für UnternehmerInnen

Palliativtherapie durch den Hausarzt

Gesundheit ist Chefsache. Betriebliches Gesundheitsmanagement

Führung und Gesundheit Anforderungen an Führungskräfte

Selbstsorge Umgang mit Endlichkeit. Prof. Dr. Matthias Gründel, Universitätsmedizin Göttingen, Hochschule Magdeburg-Stendal

Erfolg beginnt im Kopf

PhysioPlus: Ihr gratis Gesundheits-Check.

Identifizierung von Risiko- und Potenzialbereichen für psychische Belastungen

Faktenbox Kombinationsbehandlung (Antidepressiva und Psychotherapie) bei schweren Depressionen

KOPIE. Diabetes in Kürze. «Schritt um Schritt zu mehr Gesundheit!»

Depression Die Krankheit Nr. 1!!!

Lebenserwartung und Lebensqualität als gemeinsamer Nenner?

Herausforderung für das Betriebliche Gesundheitsmanagement. durch innovative Managementtechniken und ihre (Neben-)Wirkungen

Was ist Gesundheitskompetenz, und warum ist sie wich6g?


Die Parteien und ihre Anhänger

Psychotherapie und Internet zwei kompatible Systeme? 07. Mai Pressegespräch mit: Dr. Nikolaus Melcop. Dr. Bruno Waldvogel

Stopp den Kopfschmerz

Die perfekte Bewerbung richtig schreiben online & klassisch

Was haben Beweglichkeit im Alter und Psyche mit einander zu tun?

In unserem Zentrum für Traditionelle Chinesische Medizin bieten wir folgende Sonderleistungen an: Augenakupunktur

Work-Life-Balance Eine Aufgabe für Unternehmen

Akutgeriatrie und geriatrische Rehabilitation

Dr. med. M. Menzen Chefarzt der Abteilung Innere Medizin - Diabetologie. Vitamin Diabetes mellitus wie hängt das zusammen

Mein Leitbild. Dr. Christian Husek

Wie Burnout-gefährdet sind ProjektmanagerInnen? Ein Ländervergleich zwischen Österreich und Deutschland.

Gemeinsame Informationen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zur Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen

Depression im Alter. Dr. med. Ch. Alber Dr. med. M. Hafner

Daheim und unterwegs. Mobilität durch Telemedizin. Mobil im Bilde Bilddatenkommunikation im Teleradiologieverbund über mobile Endgeräte

Die ersten 100 Tage in der neuen Führungsposition: Fahrplan und Checklisten

Medizinischer Eignungstest G26. Juni 2015

Was Hänschen nicht lernt? Entwicklungschancen durch Suchtberatung und Therapie

Active Sourcing 2.0. Alternative Wege im IT Recruiting

Ergonomie in der Praxis

Wenn Eltern erkranken Belastungen von Kindern und Jugendlichen krebserkrankter Erwachsener

Das Wirkungsbarometer. Messung der Mitarbeiterzufriedenheit. Indikator für Verbesserungspotenziale Erfolgskontrolle für Maßnahmen

Employer Branding. Dr. Erich Laminger,

Arbeits- und Gesundheitsschutz als wichtiges Instrument der Personalbindung

Presseinformation. Wenn der Beruf krank macht. AOK Niedersachsen stellt neue Fehlzeiten-Analyse vor

Betriebs-Check Gesundheit

Nutzenaspekte regionaler, integrierter Versorgung und landesweiter Haus- und Facharztverträge. aus Sicht des Gesundheitsnetzes QuE

Helga Dill, LMU München

Jahresbericht des Patientenfürsprechers aus dem HELIOS Klinikum Berlin-Buch für den Zeitraum bis

Was sind die Gründe, warum die Frau, der Mann, das Paar die Beratungsstelle aufsucht?

Gibt es einen Mickey Mantle Effekt?

Eine Universität für alle Studium und Behinderung Wenige Ressourcen Qualifizierte Beratung

CHECKLISTE: MAßNAHMEN IM BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSMANAGEMENT

Unternehmensengagement: Corporate Citizenship und Corporate Volunteering

3.1 Das kognitive Modell Annahmen Der Zusammenhang zwischen Verhalten und automatischen Gedanken 51

Immer unterwegs Chancen und Risiken beruflicher Mobilität

Die Rolle der Führungskraft im ressourcenorientierten Gesundheitsmanagement. Workshop 3

Feedback (in der Hochschullehre): Form und Zweck

Wege aus Krise und Hoffnungslosigkeit

Dr.rer.nat. Aleksandra Heitland

Das ICD-Patientenzufriedenheitsbarometer

Anreizstrukturen und Fehlanreize im Rahmen der qualitätsorientierten Vergütung PD Dr. M. Lüngen

Transkript:

Betriebliche Gesundheitsförderung am Beispiel der Studie: Prävention stressbedingter Gesundheitsschäden in einem Industriebetrieb eine randomisierte Interventionsstudie MAN-GO! PD Dr. Peter Angerer Dr. Mechthild Heinmüller Klinikum der Universität München Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Prof. Dr. Harald Gündel Medizinische Hochschule Hannover Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Dr. Heribert Limm Klinikum rechts der Isar der TU München Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Medizinische Psychologie Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie 6.11.2008

Psychosomatische Medizin muss.. auch den Forderungen der sozialen.. Wirklichkeiten genügen Es ist niemals möglich, die Krankheiten nur individualistisch zu betrachten.. V.v. Weizäcker, 1949

Verlust und chronischer Schmerz "many episodes of (physical) pain occur in direct relationship to the loss of a loved person,..., (but) many more occur in relation to threatened losses, anniversaries of losses, or fantasied losses" (Engel, Psychogenic Pain and the Pain-Prone Patient, 1959).

Soziale Gemeinschaft

(Angst vor) Ausgeschlossen - Werden

Neuronale Korrelate seelischer Schmerzem Eisenberger et al., 2003

... evidence that the experience and regulation of social and physical pain share a common neuroanatomical basis. Eisenberger et al., Science, October 2003

Update Individuelle Empfindlichkeit für mechanischen Schmerzreiz korreliert mit Empfindlichkeit für Ausgeschlossen-Werden aus einer sozialen Gemeinschaft. Vorangehende negative psychosoziale Erfahrungen können zu einer höheren Empfindlichkeit gegenüber mechanischen Schmerzreizen führen. Eisenberger et al., 2006

Risikofaktoren für die Entstehung von muskuloskelettalen Beschwerden (Rückenschmerzen) 6-Monate - Verlaufsstudie in Holland 407 Industriearbeiter von 9 Firmen Fragen zu körperlichen Symptomen und zum Arbeitsplatz => Haupteinflussfaktoren zur Entstehung von Rückenschmerzen Ijzelenberg, W., Burdorf, A., Spine 30 (2005) 1550-1556

Risk factors for low back pain in industrial (!) workers 2,5 2 Age Work-related Perceived physical load lack of support Odds Ratio 1,5 1 0,5 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 16-34 35-44 45-65 awkward perceived by by posture load coworkers superior Ijzelenberg, W., Burdorf, A., Spine 30 (2005) 1550-1556

Zunehmende Belastungen am Arbeitsplatz Häufige stress assoziierte Gesundheitsprobleme kardiovaskuläre Erkrankungen (Michie & Williams, 2003; Aboa-Eboulé 2007; Väänänen et al., 2008) muskuloskeletale Erkrankungen (Hoogendorn, 2001, Ijezelenberg et al., 2003) psychische Störungen (Michie & Williams, 2003) sind zu 50-60% Hauptursache für Fehlzeiten (WHO 2004) verursachen in EU ca. 20 Mrd. Euro Kosten / Jahr

Psychosomatik und Arbeit Studientitel Prävention stressbedingter Gesundheitsschäden in einem Industriebetrieb - eine randomisierte Interventionsstudie Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen und von Diabetes mellitus durch Gesundheitsförderung übergewichtiger Auszubildender Pilotprojekt Gesund Führen Multimodales Gesundheitsförderungsprogramm für Langzeitarbeitslose Projektpartner BMBF: Psychosomatik, Arbeitsmedizin / Kardiologie, Med. Soziologie, Fa. MAN BMBF: Arbeitsmedizin / Kardiologie; Psychosomatik; Gesundheitspädagogik, Fa. AUDI Arbeitsmedizin / Kardiologie; Psychosomatik; A&O Psychologie, Fa. BMW BMBF: Arbeitsmedizin / Kardiologie, AOK, EMZ Hannover, Stadt München und Region Hannover

Ausgangssituation / Projektziele Verbesserung individueller Stressbewältigungsfähigkeiten Verbesserung von Gesundheitskompetenz und -verhalten (Gesundheitscheck mit motivierendem Beratungsgespräch) Schaffung eines günstigen Gesundheitsklimas im Betrieb durch Veränderungen auf individueller wie organisationaler Ebene Industriemeister/Schichtführer der Produktion in Personal- und Organisationsverantwortung (typische Sandwich -Position) Modulleiter Zielgruppe

Informationsveranstaltung Gesundheitscheck I (Ein/Ausschluss der Teilnehmer) Aufnahme in die Studie Zuordnung zu Gruppe A oder B Gruppe A Gruppe B Seminar + 2 Auffrischungssitzungen Einzelberatung auf Anfrage möglich Gesundheitscheck II (nach 11 Monaten) Gesundheitscheck II II (nach 11 12 Monaten) Einzelberatung auf Anfrage möglich Seminar + 2 Auffrischungssitzungen Gesundheitscheck III (nach weiteren 11 Monaten) Gesundheitscheck III (nach weiteren 11 Monaten)

MAN-GO! = MAN-Gesundheits-Offensive! Zielgruppe - Industriemeister / Schichtführer der Produktion - Sandwich-Position Verhaltenspräventiv: - Gesundheitscheck - Initial 2-tages Seminar - Gesundheitseduktive (1 DoSt) und konfliktorientierte / verhaltensmedizinische (9 DoSt) Komponenten - 2 Boostersitzungen à 3 Stunden alle 2-3 Monate Verhältnispräventiv: - Rückmeldung der wichtigsten Erkenntnisse aus den Seminaren nach Abschluss der ersten Interventionsphase

p=0,016 2 Änderung der Stressreaktivität Interventions- versus Kontrollgruppe n=75 n=79 1,6 1,2 Intervention Group Control Group Baseline 1,879 1,879 11 months 1,73 1,818

Medizinische Gesundheitsrisiken Raucher 29,0 % (n = 51) Erhöhter Blutdruck (> 140/90)) 19,0 % (n = 33) Metabolisches Syndrom (IDF) 25,3 % (n = 44)

100% 75% BMI und Bauchumfang 37% der Teilnehmer haben einen Bauchumfang von über 102 cm, was ein deutlich höheres gesundheitliches Risiko darstellt. 14,1 44,4 24,1 *** 50% 52,9 25% 0% 41,5 Deutschland 23,01 MAN > 30 25-30 < 25 * = Body Mass Index Mikrozensus 2003

Änderung des Gesundheitsverhaltens Gesamtgruppe 1-Jahres-Follow-up Baseline Follow-up p Sport (h/woche) 1 1,27 0,001 Blutdruck (mm Hg) 135/89 131/86 0,001 LDL/HDL-Ratio 3,2 3,0 0,000 Zigarettenkonsum (Stück/d) 13 10 0,000 Teilnahme für mich persönlich sinnvoll: 98,5 % nach 2 Jahren N = 133 (76 %)

Zusammenfassung: Aktueller Stand Gute Compliance: 174 TN; nach 1 Jahr 89%, nach 2 Jahren 75% Erfolgreiche individ. Stressprävention (primärer Outcome SRS ) Messbare positive Effekte auf Gesundheitsverhalten (Sport, Rauchen) und kardiovaskuläre Risikofaktoren (Blutdruck, -fette) Verhältnispräventive Effekte: Zusätzliche Aktivitäten der Gesundheitsförderung unter dem Motto Gesundheit = unser Programm Erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen in der Zielgruppe unter Mitwirkung der Betroffenen Nächste Schritte: ca. Nov./ Dez. 08: Vorstellung des 2-Jahres Followup vor Werksleitung, BR und Gesundheitszirkel und Planung konkreter Verstetigungsmaßnahmen

Ergebnistransfer in die Praxis: Beispiele für Hindernisse Sorge der Mitarbeiter, gesundheitsbezogene Daten könnten missbraucht werden Unternehmerische und medizinische bzw. wissenschaftliche Ziele sind manchmal nicht leicht vereinbar Für die Identifizierung von Mitarbeitern mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung stressassoziierter Erkrankungen fehlen für einzelne Instrumente noch empirisch belegte Cut-off-Werte Relativ hoher organisatorischer und personeller Aufwand

Ergebnistransfer in die Praxis: Erfolgsfaktoren Einbindung von Unternehmensleitung, Personalabteilung, Betriebsarzt, Betriebsrat und Meisterverein Niederschwelligkeit des Angebots (kostenlos, während Arbeitszeit) Berücksichtigung psychosozialer Aspekte von Gesundheit Kombination von Einzelberatung und Gruppentrainings Fokussierung auf den Aufbau von Veränderungsmotivation: u.a. durch mehrmalige und mehrdimensionale Feedbackprozesse Aufbau persönlicher Beziehungen und Stärkung des Gruppengefühls Teilnahme von Mitarbeitern aus verschiedenen Hierarchieebenen Unabhängigkeit (extern) und interdisziplinäre Kompetenz der Trainer/ Projektmitarbeiter

Ausblick: BMBF Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen und von Diabetes mellitus durch Gesundheitsförderung übergewichtiger Auszubildender

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Guendel.Harald@mh-hannover.de Peter.Angerer@med.uni-muenchen.de Mechthild.Heinmueller@med.uni-muenchen.de H.Limm@lrz.tu-muenchen.de