Datenschutzrichtlinien für stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe



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Transkript:

Band 1 Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. Florian Gerlach Datenschutzrichtlinien für stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe VPK - Landesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe in Nordrhein-Westfalen e.v.

Wichtiger Hinweis: Die vorliegenden Richtlinien sollen den Einrichtungen als Handlungsempfehlung für den richtigen Umgang mit dem Datenschutz dienen. Wie jede Rechtsanwendung, unterliegt auch das Datenschutzrecht Unsicherheiten im Hinblick auf die Auslegung und Interpretation einzelner Regelungen. Darüber hinaus ist auch das Datenschutzrecht durch Veränderungen in der Rechtsprechung und Gesetzgebung geprägt. Der VPK übernimmt daher keine Haftung hinsichtlich etwa aus der Anwendung dieser Richtlinien entstehender Schäden. Die Richtlinien ersetzen keine Rechtsberatung im Einzelfall. Copyright Juni 2007 by VPK - Landesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe Nordrhein-Westfalen e.v. Brockhauser Weg 12a, 58840 Plettenberg (0 23 91) 95 44 33 (0 23 91) 95 44 39 info@vpk-nw.de www.vpk-nw.de Alle Rechte vorbehalten Schutzgebühr: 2,50 2 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

Inhalt 1. Einleitung... 4 a) Welche Daten sind geschützt?... 5 b)warum Datenschutz?... 6 c) Institutionelle Rahmenbedingungen und Interessenlagen... 7 aa) Rechtliches Dreiecksverhältnis im Jugendhilferecht... 8 bb) Interessenlagen beteiligter Personen und Institutionen... 9 2. Datenschutzrechtliche Vorgaben für Leistungserbringer in der Jugendhilfe...13 a) Die Vorgaben des Sozialverwaltungsrechts: SGB I, SGB X und SGB VIII...13 b) Die Vorgaben des Strafrechts...15 c) Die Vorgaben des Zivilrechts...19 d) Sonderfall: Umgang mit Verdacht auf Kindswohlgefährdung (Verdachtslagen)...21 3. Rechte und Pflichten gegenüber den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe...22 b) Rechte und Pflichten gegenüber der Heimaufsicht...24 c) Rechte und Pflichten in Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsverhandlungen...25 4. Rechte gegenüber den Familiengerichten...25 5. Rechte gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht...26 6. Rechte und Pflichten gegenüber Eltern und Jugendlichen...27 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 3

1. Einleitung Die folgenden Datenschutzrichtlinien sollen einen Überblick über die Grundprobleme und -wertungen des Datenschutzrechtes geben. Leser, die sich einen raschen Überblick verschaffen wollen, können auf die in Rahmen hervorgehobenen Stellen zurückgreifen. Außerdem können die Richtlinien auch punktuell nur zu einzelnen Stichworten genutzt werden. Die wichtigsten Kernaussagen sind vor jedem Abschnitt in Leitsätzen hervorgehoben. Für ein tieferes Verständnis ist der erläuternde Text heranzuziehen. Soweit Zitate und Fundstellen angegeben werden, haben diese vor allem die Funktion, auch im Außenverhältnis gegenüber Dritten Argumentationshilfe zu liefern. Wo die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben zu unlösbaren Abwägungsentscheidungen und Wertungswidersprüchen führt, müssen im Einzelfall an der Fachlichkeit und an den Grundwertungen des Datenschutzrechtes orientierte Lösungen gefunden werden. Das Datenschutzrecht findet sich in einer für den Laien kaum zu überschauenden Vielzahl von Einzelgesetzen. Die Praxis der Jugendhilfe ist geprägt durch ein hohes Maß an Unsicherheit im Umgang mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Folge ist zum einen eine grobe Missachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen zu Lasten von Klienten und deren Angehöriger, zum anderen findet sich aber auch eine Praxis, die durch pauschalen Hinweis auf den Datenschutz Aufklärung und damit letztlich auch Hilfe und Unterstützung zugunsten von Klienten verhindert. Die folgenden Richtlinien sollen Hilfestellung bei der Anwendung der komplexen Datenschutzbestimmungen liefern. Um eine Handhabung im Alltag der Jugendhilfe zu ermöglichen wird auf eine Darstellung von Detailfragen verzichtet. So weit dies angezeigt ist, werden Hinweise auf weiterführende Literatur oder andere Quellen gegeben. Offene Einzelfragen müssen ggf. im Rahmen einer weitergehenden Beratung oder Fortbildung geklärt werden. Praktiker der Jugendhilfe äußern häufig Kritik an der Handhabbarkeit datenschutzrechtlicher Regelungen; im Alltag der Jugendhilfe sei eine strenge Beachtung der komplizierten Datenschutzregelungen oft nicht möglich. Auch die Lektüre der vorliegenden Richtlinien wird Anlass zu diesem Einwand geben. Richtig ist, dass 4 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe das Datenschutzrecht häufig unzureichend beachtet wird. Auch in der jugendhilferechtlichen Literatur ist dieses an vielen Stellen beklagt worden. Die Nichtbeachtung des Datenschutzrechtes hat mannigfache Gründe. So beruht sie zum Teil auf Unkenntnis hinsichtlich einzelner Regelungen, zum Teil ist die Anwendung konkreter Datenschutzregelungen im Alltag der Jugendhilfe aber auch unpraktikabel, erschwert den Verwaltungsablauf oder fordert zu anderen Rechtsverstößen heraus (vgl. z.b. unten Ziff. 3 a). Insbesondere im Zusammenhang mit Kindswohlgefährdungen führt die strenge Einhaltung des Datenschutzes bei den Mitarbeitern zum Teil zu nicht lösbaren Abwägungsentscheidungen. Für die hier niedergelegten Richtlinien bedeutet dies, dass sie zwar einerseits das geltende Datenschutzrecht darstellen und insofern auch verbindliche Vorgaben für die Praxis der Jugendhilfe enthalten, zum anderen aber im konkreten Einzelfall an der Fachlichkeit orientierte, flexible Lösungen gefunden werden müssen. Intention dieser Richtlinien ist es auch, eine Sensibilität für die Grundprobleme und Wertungen des Datenschutzrechtes und die ihm zugrunde liegenden Interessenkonflikte zu schaffen. Nicht zuletzt sollen sie Anstoß für eine weitere Diskussion über die Regelungen des Datenschutzes sein. a) Welche Daten sind geschützt? Geschützt sind alle Daten, die geheimhaltungsbedürftig sind, die nicht öffentlich bekannt sind, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein Interesse hat und die der Mitarbeiter in seiner Eigenschaft als Einrichtungsmitarbeiter (Betreuungs- oder Leitungsperson) erfahren hat. Das Datenschutzrecht ist nicht einheitlich in einem Gesetzbuch geregelt, sondern findet sich verstreut in einer Reihe von Einzelgesetzen. Zum Teil ergeben sich die Anforderungen des Datenschutzes auch aus dem Vertragsrecht. Welche Daten geschützt sind, was also letztlich ein geschütztes Datum ist, lässt sich daher letztlich nur unter Rückgriff auf die jeweiligen, z.t. komplizierten Einzelregelungen klären. Als Richtschnur kann jedoch festgehalten werden, dass grundsätzlich all diejenigen personenbezogenen Daten geheimhaltungsbedürftig sind, die nicht öffentlich bekannt sind, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein Interesse hat und die der Mitarbeiter in seiner Eigenschaft als Einrichtungsmitarbeiter (Betreuungs- oder Leitungsperson) erfahren hat. Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 5

b) Warum Datenschutz? Die Verpflichtung zur Einhaltung des Datenschutzes ist einerseits rechtlichen Regelungen geschuldet, sie ist andererseits zugleich ein Gebot der Fachlichkeit sozialer Arbeit. Das Datenschutzrecht in seiner heutigen Form geht wesentlich auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes im sog. Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1 ff.) zurück. Danach gehört es zur Freiheit des Bürgers im demokratischen Rechtsstaat, selbst darüber zu bestimmen, wer, was, wann über persönliche Lebenssachverhalte erfährt und zu wissen, ob und was staatliche Behörden wissen: Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in einem weiteren Urteil (BVerfGE 44, 353; Durchsuchung einer Drogenberatungsstelle) die Bedeutung persönlichen Vertrauens bei Beratung und Hilfe in den Vordergrund gestellt: Unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit solcher Stellen ist die Bildung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Berater und Klienten. Dies gilt sowohl für die Anbahnung der Berater-Klienten-Beziehung als auch für deren Aufrechterhaltung. Muß der Klient damit rechnen, daß seine während der Beratung gemachten Äußerungen und die dabei mitgeteilten Tatsachen aus seinem persönlichen Lebensbereich - einschließlich des Eingeständnisses strafbarer Handlungen: des Erwerbs und Besitzes von 6 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

Drogen - Dritten zugänglich werden, so wird er regelmäßig gar nicht erst bereit sein, von der Möglichkeit, sich beraten zu lassen, Gebrauch zu machen. Darüber hinaus kann er vom Berater wirksame Hilfe zumeist nur erwarten, wenn er sich rückhaltlos offenbart und ihn zum Mitwisser von Angelegenheiten seines privaten Lebensbereichs macht. Das ist vor allem im Hinblick auf die Ursachen und Motive notwendig, die für den Drogenmißbrauch bestimmend sind und die oft in tieferen Schichten der Persönlichkeit wurzeln. Demgemäß sichert auch die Drogenberatungsstelle des Caritasverbandes in Aachen ihren Klienten ausdrücklich Vertraulichkeit und Verschwiegenheit zu. Die grundsätzliche Wahrung des Geheimhaltungsinteresses der Klienten ist Vorbedingung des Vertrauens, das sie um ihrer selbst willen dem Berater entgegenbringen müssen, und damit zugleich Grundlage für die funktionsgerechte Tätigkeit der Beratungsstelle, deren Beistand die Klienten brauchen. Die für die Arbeit einer solchen Stelle notwendige Vertrauensbasis ist folglich im Regelfall zerstört, sobald Strafverfolgungsorgane Klientenakten beschlagnahmen. Eine solche Zwangsmaßnahme gefährdet zugleich das Wirken anderer, nicht unmittelbar betroffener Beratungsstellen. Datenschutz ist damit nicht Selbstzweck, sondern folgt klaren verfassungsrechtlichen wie fachlichen Vorgaben. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist in hohem Maße auf eine enge Vertrauensbeziehung zwischen Klient und Einrichtung angewiesen. Auch in der Fachliteratur (vgl. etwa NDV 1995, S. 317) wird dieser Vertrauensbeziehung eine besondere Bedeutung eingeräumt; der sensible Umgang mit Klientendaten ist oberstes Gebot der Fachlichkeit: Die Achtung vor der Selbstbestimmung des Klienten ist deshalb auch zugleich Grundlage der Fachlichkeit sozialer Arbeit. Datenschutz und Fachlichkeit sind also keine Gegensätze, sondern bedingen sich gegenseitig. Sie verlangen eine Transparenz des Hilfeprozesses, schaffen damit Vertraulichkeit und sichern den Leistungserfolg. c) Institutionelle Rahmenbedingungen und Interessenlagen Die Konflikte im Datenschutzrecht können nur vor dem Hintergrund der Interessenlagen der an der Leistungserbringung beteiligten Personen und Institutionen nachvollzogen werden. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen findet vor dem Hintergrund komplexer institutioneller Rahmenbedingungen und Interessenlagen statt. So sind Einrichtungen der Jugendhilfe neben den Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen vor allem mit Jugendämtern sowie den Per- Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 7

sonensorgeberechtigten (Eltern, Vormünder, Pfleger) konfrontiert; darüber hinaus ergeben sich Rechtsbeziehungen auch zu weiteren Stellen, vor allem der Heimaufsicht, den Schulen, der Familien- und Strafgerichte, der Polizei, etc. pp. Diese Institutionen und Personen erfüllen jeweils eigene, dem Handlungsauftrag der Einrichtung zum Teil zuwider laufende gesetzliche Aufträge. Im Hinblick auf den Austausch und die Weitergabe von Daten kommt es daher notwendig zu Konflikten zwischen den beteiligten Stellen. Die Bewertung dieser Interessenkonflikte macht eine Klärung der jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen erforderlich. aa) Rechtliches Dreiecksverhältnis im Jugendhilferecht Die Leistungserbringung im Jugendhilferecht findet im Rahmen des jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses statt. Die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis gestalten sich wie folgt: Die Leistungsberechtigen haben einen Leistungsanspruch gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährt diese Leistung durch Übernahme derjenigen Kosten, die der Leistungsberechtigte aufwenden muss, um die Leistung bei einem Träger der freien Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen. Zwischen dem Träger der freien Jugendhilfe und dem Leistungsberechtigten besteht ein Vertrag über die Erbringung der Leistung. Zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und dem Träger der freien Jugendhilfe bestehen im einzelnen Hilfefall zunächst keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen, die eine weisungsartige Einflussnahme ermöglichten. Die Rechtsprechung und Literatur zum jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis geht davon aus, dass im konkreten Hilfefall Rechtsbeziehungen zwischen Jugendamt einerseits und Trägern und Einrichtungen andererseits grundsätzlich nicht bestehen, der Hilfesuchende (Personensorgeberechtigte oder junge Volljährige) vielmehr eine Geldleistung erhält, mit der er die Leistung bei Trägern und Einrichtungen einkaufen kann. Die Träger und Einrichtungen haben im Einzelfall keinen unmittelbaren Leistungsanspruch gegenüber den Jugendämtern, die Jugendämter umgekehrt keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit etwa in Form von Weisungen o.ä. auf die Träger und Einrichtungen. Die fachliche Steuerung der Leistungen erfolgt mittelbar über das Hilfeplanverfahren ( 36 SGB VIII). 8 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

Diese rechtliche Konstruktion spiegelt sich zwar oft in der Praxis der Jugendhilfe nicht wieder. Gleichwohl stellt sie in Konfliktfällen den rechtlichen Handlungsrahmen dar und kann auch argumentativ gegenüber unzulässigen Forderungen seitens der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Verwendung finden. Weil zwischen Jugendamt und freiem Träger eine Rechtsbeziehung im Einzelfall nicht besteht, lassen sich Rechtspflichten zur Offenbarung geheimhaltungsbedürftiger Daten aus dem rechtlichen Dreiecksverhältnis nicht herleiten. Das Gegenteil ist der Fall: die vertragliche Beziehung zum Klienten bzw. dessen Personensorgeberechtigten verpflichtet sogar zur Geheimhaltung. Eine Durchbrechung erfährt dieses Prinzip (keine Offenbarungspflichten gegenüber dem Jugendamt) durch die Neuschaffung des 8a SGB Abs. 2 SGB VIII, wonach das Jugendamt in Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe sicherzustellen hat, dass sie den Schutzauftrag der Jugendämter nach 8a Abs. 1 SGB VIII wie die Jugendämter wahrzunehmen, insbesondere unter bestimmten Voraussetzungen das Jugendamt zu informieren haben. bb) Interessenlagen beteiligter Personen und Institutionen Jugendamt als fallverantwortliche Behörde Jugendämter nehmen als hilfeleistende Behörde einerseits und als intervenierende Behörde andererseits eine Doppelfunktion wahr. Durch die Schaffung des 8a SGB VIII hat der Aspekt des Kindesschutzes im Jugendhilferecht ein höheres Gewicht erhalten. Jugendämter werden mit dieser Regelung in erhöhtem Maße zur Wahrnehmung dieses Schutzauftrages verpflichtet. Dadurch erhöht sich notwendig der Bedarf an Informationsbeschaffung im Einzelfall. Sofern das Jugendamt Informationen beim Träger der freien Jugendhilfe erheben will oder diese gar mit einer Informationspflicht belegt werden sollen ( 8a Abs. 2 SGB VIII), tritt dieses in Konflikt mit Datenschutzpflichten der Träger der freien Jugendhilfe. Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 9

Das Jugendamt nimmt als fallverantwortliche Behörde im Einzelfall eine Doppelrolle ein: Es ist einerseits helfende, unterstützende und Hilfe gewährende Institution. In dieser Funktion hat es die Aufgabe, unter Einbeziehung der Personensorgeberechtigten geeignete Hilfen zu implementieren und den Hilfeprozess verantwortlich zu steuern. Dabei unterliegt es in der Regel auch finanziellen Restriktionen, die sich auch auf die Steuerung des Hilfeprozesses auswirken können. Die Steuerung des Hilfeprozesses hat nach der gesetzlichen Vorgabe über das Hilfeplanverfahren nach 36 SGB VIII zu erfolgen. Im Interesse einer qualitativ hochwertigen, auch im Interesse einer ressourcenschonenden Steuerung wird das Jugendamt regelmäßig ein Interesse an Gewinnung einzelfallbezogener Informationen haben. Soweit das Hilfeplanverfahren unter Beteiligung der Klienten, also der Personensorgeberechtigten und Hilfesuchenden stattfindet, wirft dieses Verfahren eher geringe datenschutzrechtliche Probleme auf. Das Jugendamt ist aber andererseits auch verpflichtet, den Schutzauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen ggf. durch Intervention in Elternrechte, also gegen deren Willen durchzusetzen. Vor dem Hintergrund spektakulärer Fälle, vor allem aber durch die Neuregelung des 8a SGB VIII hat diese Verpflichtung des Jugendamtes zur Intervention in Elternrechte neues Gewicht bekommen. Zwar ist es nach wie vor primär Aufgabe der Familiengerichte, in Elternrechte einzugreifen. Die auf den Eilfall beschränkte Inobhutnahme stellt insoweit die einzige Ausnahme dar. Den Jugendämtern ist aber mit 8a Abs.1 und Abs.3 SGB VIII eine erhöhte, sanktionsbewährte Pflicht zur Aufklärung, Informationsverschaffung und Anrufung des Familiengerichtes auferlegt worden. Diese Pflichten gelten nach der Neuregelung nunmehr ausdrücklich auch bei Verdachtslagen. Jugendämter werden diesen Richtungswechsel zugunsten eines wirksamen Kindesschutzes verstärkt wahrnehmen und Träger der freien Jugendhilfe mit dem Verlangen nach Mitwirkung und Kooperation und damit auch der Preisgabe von Daten konfrontieren. Dies, zumal 8a Abs.2 SGB VIII die freien Träger hierzu (mittelbar) ausdrücklich verpflichtet. Hierzu werden unter Ziff. 3 a Lösungswege vorgestellt. 10 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

Landesjugendamt als Heimaufsicht Die Landesjugendämter nehmen im Interesse des Schutzes von Kindern vor Kindswohlgefährdungen die Aufgabe der Heimaufsicht wahr. Im Rahmen der laufenden Aufsicht hat die Heimaufsicht eine umfassende Pflicht zur Aufklärung, sobald konkrete Anhaltspunkte für eine Kindswohlgefährdung vorliegen. Dieser Auftrag tritt in Konflikt mit datenschutzrechtlichen Vorgaben auf Seiten der Träger der freien Jugendhilfe. Die Landesjugendämter nehmen nach 45 SGB VIII die Aufgabe der Heimaufsicht wahr. Zweck der Regelung ist (vor allem) der Schutz von Kindern vor Gefahren für ihr Wohl. Solche Gefahren können, so die Idee der Regelung, auch von der betreuenden Einrichtung selbst bzw. deren Mitarbeitern ausgehen. Adressat der Aufsicht und Kontrolle sind daher die Einrichtungen selbst. Die Heimaufsicht hat zunächst die Aufgabe präventiver Kontrolle. Diese wird über die Erlaubnispflicht zum Betrieb einer Einrichtung etabliert. Darüber hinaus obliegt der Heimaufsicht auch die Kontrolle des laufenden Betriebes der Einrichtung. Dieser Kontrollauftrag wird verwirklicht durch die Möglichkeit, die erteilte Erlaubnis zu widerrufen, zurückzunehmen oder mit Auflagen zu versehen. Auch die Beratungspflicht der Heimaufsicht ist Teil dieses Kontrollauftrages. Vor allem im Rahmen der laufenden Aufsicht hat die Heimaufsicht, sobald eine konkrete Information vorliegt, regelmäßig eine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes. Dieses kann Interessenkonflikte im Hinblick auf den Datenschutz hervorrufen. Zu Konflikten kommt es insbesondere, wenn unklar ist, ob die Informationsverschaffung nicht mehr allein der Abwehr von Kindswohlgefährdungen, sondern der Optimierung der Hilfesteuerung dient. Lösungen finden sich unter Ziff. 3 b. Eltern, Vormünder, Pfleger Eltern, Vormünder und Pfleger haben aufgrund ihres Erziehungsund Schutzauftrages ein umfassendes Bedürfnis an Information und Aufklärung. Eltern sind nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. Art. 6 Abs.2 GG, 1626, 1629, 1631, 1632 BGB) zunächst die Garanten des Kindeswohls. Sind sie in ihrem Sorgerecht nicht beschränkt, haben sie auch wenn sie eine Hilfe mehr oder weniger Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 11

unfreiwillig in Anspruch genommen haben im Hinblick auf das Kind oder den Jugendlichen alle Rechte. Ihre Interessenlage wird in der Regel dahin gehen, umfassend informiert zu werden. Ist das Elternrecht ganz oder teilweise auf einen Vormund oder Pfleger übertragen, hat dieser an Stelle der Eltern deren Rechte wahrzunehmen. Vormünder und Pfleger übernehmen eine gesetzliche Schutzpflicht zugunsten ihrer Mündel. Entsprechend ist ihr Bedarf an umfassender Information. Familiengerichte Familiengerichte sind in sorgerechtlichen Verfahren nach 1666 ff. BGB aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gehalten, den Sachverhalt umfassend, also auch durch Erhebung beim Träger der freien Jugendhilfe, aufzuklären. Den Familiengerichten ist die Aufgabe zugewiesen auf Grundlage des 1666 BGB, bei Kindswohlgefährdungen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Regelmäßig geht es dabei um Eingriffe ins elterliche Sorgerecht. Die Familiengerichte sind an die Regelungen des FGG gebunden. Nach 12 FGG gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, d.h. das Gericht muss von sich aus, also ohne dass es entsprechender Beweisanträge o.ä. bedarf, den Sachverhalt aufklären und ggf. auch Beweise erheben. Diese Aufklärungspflichten der Familiengerichte können mit Geheimhaltungspflichten und -interessen der Einrichtungen in Konflikt treten. Strafgerichte, Staatsanwaltschaft, Polizei Strafjustiz, Staatsanwaltschaft und Polizei haben den gesetzlichen Auftrag zur Verfolgung und Verhütung von Straftaten. Im Rahmen dieses Auftrages sind die Strafverfolgungsbehörden an die Vorgaben der StPO, namentlich das Legalitätsprinzip gebunden. Dieses verpflichtet dazu, jedem begründeten Verdacht einer strafbaren Handlung nachzugehen. Sie haben den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Diese Aufklärungspflicht konfligiert mit Geheimhaltungspflichten der freien Träger. 12 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

2. Datenschutzrechtliche Vorgaben für Leistungserbringer in der Jugendhilfe a) Die Vorgaben des Sozialverwaltungsrechts: SGB I, SGB X und SGB VIII Aus den Regelungen des Sozialgesetzbuches können für die Träger der freien Jugendhilfe keine datenschutzrechtlichen Pflichten abgeleitet werden, soweit es um die Erbringung von Leistungen im Rahmen des jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses geht. Etwas anderes gilt dann, wenn es um die Wahrnehmung anderer Aufgaben der Jugendhilfe (z.b. Inobhutnahme) im unmittelbaren Auftrag des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe geht. Vertragliche Regelungen mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe können dann auch den Träger der freien Jugendhilfe an die Regelungen des Sozialgesetzbuches binden. Stellt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dem Träger der freien Jugendhilfe Daten, z.b. Gutachten, Entwicklungsberichte, etc., zur Verfügung, verpflichtet 78 SGB X den Träger der freien Jugendhilfe zur Geheimhaltung dieser Daten. Die umfangreichsten Regelungen zum (Sozial-)datenschutz finden sich in den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (SGB). Für den Bereich der Jugendhilfe relevant sind das SGB I, das SGB X und das SGB VIII. Die Regelungen des SGB richten sich zunächst ausschließlich an die Leistungsträger, also diejenigen öffentlichen Behörden, die nach 18 29 SGB I für die Gewährung der Leistung zuständig sind. In der Jugendhilfe sind dies die Jugendämter. Das in 35 Abs. 1 SGB I enthaltene Gebot, Sozialdaten grundsätzlich geheim zu halten gilt danach unmittelbar nur für den Träger der öffentlichen, nicht aber für den Träger der freien Jugendhilfe. 35 SGB I richtet sich an die Institution (hier das Jugendamt), nicht an Personen. Gleiches gilt für die Regelungen des SGB X, die in den 67 im Detail den Umgang mit Daten, insbesondere auch Offenbarungsbefugnisse und pflichten regeln. Richtet z.b. die Polizei oder die Arbeitsagentur ein Ermittlungsgesuch an die Einrichtung und stützt sich die Behörde dabei auf 68 oder 69 SGB X, braucht diesem Ermittlungsgesuch durch den freien Träger nicht Folge geleistet werden. Auch die Datenschutzregelungen des SGB VIII, die die allgemeinen Datenschutzregelungen des SGB I und SGB X modifizieren, finden keine unmittelbare Anwendung. Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 13

Ausnahmen von diesem Prinzip können sich aus 61 Abs. 3 SGB VIII ergeben: Danach hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe etwa in Vereinbarungen sicherzustellen, dass der Schutz der personenbezogenen Daten in entsprechender Weise, also wie bei den Jugendämtern gewährleistet wird. Danach wird scheinbar eine Verpflichtung zur Übernahme der öffentlichen Datenschutzregeln installiert. Dies ist indes nicht der Fall. Nach überzeugender Auffassung von Kunkel (in: Fieseler/Schleicher, Hrsg., GK- SGB VIII, 61 Rn.284 f.) findet diese Gewährleistungsklausel nur dann Anwendung, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Träger der freien Jugendhilfe als Beauftragten in Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe nach 76 SGB VIII (hier geht es nicht um Leistungen der JH, sondern um andere Aufgaben, wie z.b. die Inobhutnahme) in Anspruch nimmt. Wird aber der Jugendhilfeträger aus eigenem Betätigungsrecht, eben in der oben (Dreiecksverhältnis) beschriebenen Weise tätig, dass er zum Klienten eine vertragliche Beziehung eingeht, findet 63 Abs. 3 SGB VIII keine Anwendung. Dies gilt daher auch für den großen Bereich der Leistungen nach 19 (Mutter/Kind), 27 (HZE), 35a (Eingliederungshilfe) sowie 41 SGB VIII. Hinzu kommt schließlich, dass sich 61 Abs. 3 SGB VIII an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe richtet. Diesem wird eine entsprechende Gewährleistungspflicht auferlegt. Solange zwischen freiem und öffentlichem Träger keine entsprechenden Gewährleistungsvereinbarungen, also Verträge, bestehen, treffen den freien Träger ohnehin keine Pflichten. Für den Bereich der Leistungserbringung im Rahmen des rechtlichen Dreiecksverhältnisses können aus 61 Abs. 3 SGB VIII damit im Ergebnis keine datenschutzrechtlichen Pflichten für die Träger der freien Jugendhilfe abgeleitet werden. Eine Ausnahme vom o.a. Prinzip (keine Geltung der SGB- Regelungen) ergibt sich allerdings aus 78 SGB X: Nach dieser Regelung treffen den Träger der freien Jugendhilfe die gleichen Geheimhaltungspflichten, wie den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, wenn der freie Träger Daten vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übermittelt bekommen hat. Dies gilt z.b. wenn der Träger der freien Jugendhilfe vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe Akten oder Auszüge aus Akten, wie Gutachten, Entwicklungsberichte, o.ä. zur Verfügung gestellt bekommen hat. 14 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

b) Die Vorgaben des Strafrechts Nach 203 Abs. 1 Nr. 5 des Strafgesetzbuches (StGB) sind Sozialarbeiter und Sozialpädagogen verpflichtet, fremde Geheimnisse, die sie im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung anvertraut bekommen haben oder die ihnen sonst bekannt geworden sind, zu wahren. Verstöße werden mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Die Schweigepflicht ist umfassend und gilt insbesondere auch gegenüber Kollegen und Mitarbeitern des Jugendamtes und anderer Behörden. Die Schweigepflicht des 203 StGB kann durchbrochen werden, wenn der Schweigepflichtige sich auf sog. Offenbarungsbefugnisse berufen kann. Solche Offenbarungsbefugnisse können sich ergeben aus einer Einwilligung des Betroffenen, der Befugnis zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr, z.b. Missbrauch ( 34 StGB), der Pflicht zur Anzeige geplanter (schwerer) Straftaten, z.b. Raub ( 138 StGB), der Pflicht zur Aussage als Zeuge, dem Erziehungsrecht der Sorgeberechtigten. Nach 203 Abs. 1 Nr. 5 des Strafgesetzbuches (StGB) sind Sozialarbeiter und Sozialpädagogen wie Angehörige anderer Berufsgruppen (Ärzte, Rechtsanwälte, etc.) verpflichtet, fremde Geheimnisse, die sie im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung anvertraut bekommen haben oder die ihnen sonst bekannt geworden sind, zu wahren. Verstöße werden mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Anders als die Regelungen des Sozialgesetzbuches knüpft das Strafgesetzbuch nicht an die Institution, sondern an die Person des Geheimnisträgers an. Es kommt somit allein darauf an, ob er persönlich die Qualifikation erfüllt (Soz.Arb./Soz.Päd.) und ob er vom Geheimnis gerade aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit Kenntnis erhalten hat. Geheimnisse, die ein Sozialpädagoge etwa als Nachbar oder Freund der Familie kennt, sind nicht erfasst. Geschützt ist das Vertrauen des Hilfe- oder Ratsuchenden in die berufliche Stellung des Sozialarbeiters bzw. Sozialpädagogen. Neben den genannten Personen sind auch Hilfspersonen erfasst, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind. Gemeint sind also insbesondere Berufspraktikanten und Praktikanten im Rahmen der Schul- Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 15

und Hochschulausbildung. Angehörige anderer Berufsgruppen, also etwa Diplompädagogen, Erzieher oder anderer in 203 StGB nicht genannter Berufsgruppen unterliegen nicht dem strafrechtlichen Datenschutz. Zu beachten ist allerdings, dass Psychologen einer eigenen Pflicht nach 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB unterliegen. 203 Abs. 1 StGB verbietet das Offenbaren fremder Geheimnisse. Eine Offenbarung liegt immer dann vor, wenn das Geheimnis in irgendeiner Weise zu einem anderen gelangt. Der Geheimnisschutz nach 203 Abs. 1 StGB ist damit in zweierlei Hinsicht streng: Erstens kommt es nicht darauf an, wie die Offenbarung des Geheimnisses erfolgt ob in ausdrücklicher Form, durch schlüssiges Verhalten oder auf Frage hin, ist unerheblich. Zweitens kommt es auch nicht darauf an, ob der Empfänger der vertraulichen Nachricht seinerseits Geheimnisträger ist und etwa zum Kollegen und Helferkreis gehört. Der Geheimnisschutz des 203 StGB ist damit umfassend und gilt sowohl innerhalb der eigenen Einrichtung, vor allem aber auch gegenüber Dritten, sei es gegenüber dem Jugendamt, dem Gericht oder der Polizei. Die Schweigepflicht des 203 StGB kann durchbrochen werden, wenn der Schweigepflichtige sich auf sog. Offenbarungsbefugnisse berufen kann. Solche Offenbarungsbefugnisse können sich ergeben aus: einer Einwilligung des Betroffenen, der Befugnis zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr ( 34 StGB), der Pflicht zur Anzeige geplanter (schwerer) Straftaten ( 138 StGB), der Pflicht zur Aussage als Zeuge, aus dem Erziehungsrecht der Sorgeberechtigten. Einwilligung des Betroffenen Willigt der Betroffenen in die Preisgabe des Geheimnisses ein, ist ein Verstoß gegen 203 StGB gerechtfertigt und damit nicht strafbar. Die Einwilligung ist der wichtigste Rechtfertigungsgrund im Rahmen des strafrechtlichen Datenschutzes. Betroffener ist dabei nicht nur die anvertrauende Person, sondern auch diejenige Person, auf die sich das Geheimnis bezieht. (Bsp.: Jugendliche anvertraut sich einer Sozialarbeiterin hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs durch einen Verwandten; auch der Verwandte ist Geheimnisträger und müsste einwilligen; die Offenbarung kann 16 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

hier nur durch 34 StGB gerechtfertigt werden). Soweit die Einwilligung von Kindern und Jugendlichen erteilt wird, kann diese wirksam sein, wenn sie Tragweite und Bedeutung der Einwilligung einsehen können; auf Volljährigkeit kommt es nicht an. Einer Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf es bei Einsichtsfähigkeit nicht. Die Einwilligung braucht nicht ausdrücklich erfolgen, sie kann sich vielmehr auch durch schlüssiges Verhalten ergeben: So kann etwa von einer Einwilligung ausgegangen werden, wenn dem Jugendlichen deutlich ist, dass ein bestimmtes Verhalten im Hilfeplanverfahren oder mit den anderen Kollegen der Einrichtung erörtert werden wird. Vielfach werden Klienten pauschale Einwilligungserklärungen vorgelegt, die dazu ermächtigen sollen, künftige, noch ungewisse Ereignisse und Handlungen mitzuteilen. Solche pauschalen Einwilligungserklärungen sind unwirksam, weil dem Betroffenen bekannt sein muss, worüber Dritte informiert werden sollen. Befugnis zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr Der Bruch der Schweigepflicht ist nach 34 StGB gerechtfertigt, wenn er zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes wichtiges Rechtsgut erfolgt und (!) wenn das durch den Bruch des Geheimnisses geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich (!) überwiegt und (!) wenn der Bruch des Geheimnisses ein angemessenes Mittel zur Abwendung der Gefahr ist. Die Hürden, dieses als rechtfertigender Notstand bezeichneten Rechtfertigungsgrundes sind damit hoch: Letztlich geht es hier um eine Güterabwägung zwischen dem Geheimnisschutz auf der einen Seite und dem geschädigten Interesse auf der anderen Seite. Am oben genannten Beispiel zum Missbrauch lässt sich das Problem verdeutlichen: Wird das Mädchen missbraucht, lässt sich ohne weiteres argumentieren, dass die Offenbarung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung erfolgt und dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung des Mädchens das Recht des Verwandten auf informationelle Selbstbestimmung wesentlich überwiegt. Dies ergibt bereits ein Vergleich der jeweiligen Strafmaße. Problematisch wird es aber hinsichtlich des dritten Punktes: ob der Bruch des Geheimnisses (z.b. eine Anzeige bei der Polizei) ein Mittel ist, die Gefahr abzu- Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 17

wenden, kann durchaus fraglich sein. Wer sich beim Geheimnisbruch auf 34 StGB stützen will, muss daher genau prüfen, ob alle Voraussetzungen des 34 StGB gegeben sind. Pflicht zur Anzeige geplanter (schwerer) Straftaten, z.b. Raub ( 138 StGB), Grundsätzlich existiert keine allgemeine Pflicht zur Anzeige geplanter oder begangener Straftaten. Ausnahmen regelt 138 StGB, wonach bestimmte geplante schwere Straftaten anzuzeigen sind. Danach sind anzeigepflichtig insbesondere: Vorbereitung eines Angriffskrieges, etc. Geld- und Wertpapierfälschung, Mord, Totschlag, Menschenraub und Menschenhandel, Raub und räuberische Erpressung Gemeingefährliche Straftaten wie Brandstiftung, Eingriffe in den Bahn- und Straßenverkehr Nicht anzeigepflichtig sind etwa: Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, Körperverletzung Kindesentziehung Diebstahl Hehlerei Betrug und Urkundenfälschung Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz Diese Gegenüberstellung zeigt, dass im Bereich der Jugendhilfe eine Pflicht zur Anzeige geplanter Straftaten nur selten bestehen dürfte. Zum einen wegen der Beschränkung auf bestimmte schwere Straftaten, zum anderen, weil die betreffenden Klienten ihre Planungen den betreuenden Mitarbeitern selten im Vorfeld mitteilen werden. Sofern allerdings ausnahmsweise eine Pflicht zur Anzeige besteht, stellt diese Anzeigepflicht auch zugleich eine Offenbarungsbefugnis dar; wer nach 138 StGB verpflichtet ist, kann nicht nach 203 StGB bestraft werden. Pflicht zur Aussage als Zeuge Gleiches gilt für die Pflicht zur Aussage als Zeuge: Ein Schweigepflichtiger kann als Zeuge im Gerichtsverfahren zur Aussage ver- 18 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

pflichtet sein. Allerdings muss hier differenziert werden nach der Art des gerichtlichen Verfahrens: Während in den Verfahren vor den Zivil-, Verwaltungs-, Sozialund Arbeitsgerichten sowie in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (z.b. Sorgerechtsverfahren) aufgrund des strafrechtlichen Geheimhaltungsgebotes ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht ( 383 Abs. 1 ZPO i.v.m. 203 StGB), besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren nur für Mitarbeiter anerkannter Beratungsstellen für Schwangerschaftskonfliktberatung und für Drogenberatung. Deshalb rechtfertigt die Aussagepflicht im Strafverfahren einen Bruch des Geheimnisses. c) Die Vorgaben des Zivilrechts Jugendhilfeeinrichtungen und deren Mitarbeiter sind aufgrund ihrer vertraglichen Beziehung zum Klienten gehalten, vertrauliche Daten geheim zu halten. Dies gilt zunächst im Verhältnis zu außen stehenden Dritten, wie Jugendämtern, den Schulen, der Arbeitsverwaltung, der Heimaufsicht, etc. Dies gilt für bestimmte, dem einzelnen Mitarbeiter anvertraute Informationen aber auch innerhalb der Einrichtung. Vertrauliche Daten dürfen grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen weitergegeben werden. Pauschale Einwilligungen sind i.d.r. unwirksam. Die Verletzung der vertraglichen Datenschutzregeln kann Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche nach sich ziehen. Vertraglicher Datenschutz Oben unter 2. a) war ausgeführt worden, dass die Regelungen des SGB auf die Träger der freien Jugendhilfe in weiten Teilen keine unmittelbare Anwendung finden. Umso bedeutsamer sind daher die Prinzipien des vertraglichen Datenschutzes. Wie weiter dargelegt, wird der Träger der freien Jugendhilfe im rechtlichen Dreiecksverhältnis nicht im Auftrag des Jugendamtes tätig. Im rechtlichen Sinne ist sein Klient und Auftraggeber allein der Personensorgeberechtigte oder der junge Mensch. Klient und Einrichtung gehen eine vertragliche Beziehung ein, deren Abwicklung sich nach den Regeln des BGB richtet. Diese vertragliche Beziehung führt zunächst zu den Hauptpflichten der beiden Vertragsparteien: Zur Verpflichtung, eine personenbezogene Dienstleistung zu erbringen auf Seiten des Trägers der freien Jugendhilfe, Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 19

zur Verpflichtung zur Bezahlung dieser Dienstleistung auf Seiten des Klienten. Dass die Bezahlung faktisch durch das Jugendamt erfolgt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier rechtlich eine Zahlung seitens des Klienten vorliegt: Das Jugendamt zahlt gleichsam für den Hilfeempfänger dessen Schuld. Neben diesen Hauptleistungspflichten (Dienstleistung gegen Geld) beinhaltet der Vertrag zwischen Einrichtung und Klient sog. Nebenpflichten. Diese Nebenpflichten werden auch wenn sie nicht ausdrücklich schriftlich oder mündlich zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurden, aus dem in 242 BGB geregelten Prinzip von Treu und Glauben abgeleitet. Zu diesen Nebenpflichten gehören neben der Verpflichtung zum Schutz von Leben, Freiheit, Gesundheit und sexueller Selbstbestimmung auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit die Verpflichtung, personenbezogene Daten des Klienten und seiner Angehörigen nicht unbefugt zu offenbaren. D.h., Daten, die im Zusammenhang mit Beratung, Behandlung, Betreuung oder Heimaufenthalt bekannt werden, dürfen nur mit Einwilligung des Betroffenen oder aber bei Vorliegen gesetzlicher Offenbarungsbefugnisse (s.o.: Nothilfe, Anzeige- und Aussagepflichten) weitergegeben werden. Im Außenverhältnis zum Klienten treffen diese Pflichten zunächst nur die Einrichtung. Aufgrund ihres Arbeitsvertrages sind die Mitarbeiter jedoch gezwungen, diese Pflichten ihrerseits einzuhalten. Innerhalb der Einrichtung ist ein Datenaustausch oft erforderlich, um eine sachgerechte Fallbearbeitung und Betreuung zu ermöglichen. Gleichwohl gelten auch hier die Prinzipien des Datenschutzes. Sollen Daten von Jugendlichen weitergegeben werden, sollte den Jugendlichen deutlich gemacht werden, dass bestimmte Daten und Informationen, etwa im Rahmen des Schichtwechsels, notwendig weitergegeben werden müssen. Hierfür sollte das Einverständnis der Jugendlichen eingeholt werden. Bei vertraulichen Informationen, wie sie etwa in Einzelgesprächen mitgeteilt werden, sollte einzelfallbezogen geklärt werden, ob Informationen etwa im Teamgespräch weitergegeben werden dürfen oder nicht. Pauschale Einwilligungen sind jedenfalls unwirksam (s.o.). Sanktionen bei Verletzung des vertraglichen Datenschutzes Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen bestätigt, dass die Verletzung der vertraglichen Datenschutzregeln Schadenser- 20 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

satz und Schmerzensgeldansprüche der Betroffenen nach 823 BGB nach sich ziehen kann. Vorsicht ist für die Mitarbeiter in Einrichtungen dabei nicht nur bei Aussagen über das Kind, sondern auch hinsichtlich der Aussagen über deren Angehörige, geboten. So kann etwa die Aussage, der Vater missbrauche vermutlich die Tochter, dessen persönliche und vor allem auch berufliche Existenz zerstören. Wird eine solche Aussage leichtfertig, also ohne konkrete Beweise getätigt, kann dieses Schadenersatz-, Schmerzensgeld und Unterlassungsansprüche auslösen. d) Sonderfall: Umgang mit Verdacht auf Kindswohlgefährdung (Verdachtslagen) Bei bloßem Verdacht auf Kindswohlgefährdung sollen nur die mitgeteilten oder wahrgenommenen Tatsachen weitergegeben werden. Von unbegründeten Schlussfolgerungen und Werturteilen ist abzusehen. Eine besondere Erwähnung verdient der Umgang mit dem Verdacht auf Kindswohlgefährdung, also der Situation in der zwar eine Reihe von Anhaltspunkten für eine Kindswohlgefährdung bestehen, die Kindswohlgefährdung aber wie häufig nicht bewiesen werden kann. Die Rede ist z.b. von Misshandlungsund/oder Missbrauchsfällen. Art und Schwere der Kindswohlgefährdung können es gebieten und auch erlauben (z.b. wegen einer vorliegenden Einwilligung), entsprechende Informationen weiterzugeben (z.b. an das Jugendamt). Um sich im Fall eines bloßen Verdachtes rechtlich auch gegenüber der beschuldigten Person abzusichern ist penibel darauf zu achten, dass nur die mitgeteilten oder wahrgenommen Tatsachen, nicht aber unbegründete Schlussfolgerungen und Werturteile mitgeteilt werden. In schwerwiegenden Einzelfällen sollte (mit Einwilligung des Klienten) die Stellungnahme gegenüber Dritten (z.b. Jugendamt) mit einem weiteren Mitarbeiter oder der Einrichtungsleitung abgestimmt werden (vier-augen-prinzip). In jedem Fall bedarf es einer Sensibilität dafür, dass die unbedachte Äußerung eines Verdachtes auf Kindswohlgefährdung auf Seiten der Beschuldigten zu erheblichen persönlichen wie finanziellen Schäden führen kann. Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 21

3. Rechte und Pflichten gegenüber den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe Die Informationspflichten der Einrichtungen gegenüber dem Jugendamt aus den Vereinbarungen nach 8a Abs. 2 SGB VIII stehen in Widerspruch zu den vertraglichen Geheimhaltungspflichten gegenüber den Hilfesuchenden. Vor einer Information des Jugendamtes über eine mögliche Kindswohlgefährdung sollte eine Einwilligung seitens der Sorgeberechtigten und des jungen Menschen eingeholt werden. Ist eine solche Einwilligung nicht zu erzielen oder soll im Interesse des Kindesschutzes von deren Einholung abgesehen werden, sollte im Zweifel zugunsten des wirksamen Kindesschutzes auch ohne entsprechende Einwilligung bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindswohlgefährdung das Jugendamt informiert werden. Informationspflichten gegenüber dem Jugendamt nach 8a Abs. 2 SGB VIII treffen nur denjenigen Mitarbeiter, der konkret als insoweit erfahrene Fachkraft gegenüber dem Jugendamt benannt ist. In Verfahren der Heimaufsicht besteht die Verpflichtung zur Einhaltung der strafrechtlichen und vertraglichen Datenschutzbestimmungen unvermindert fort. Sofern keine Offenbarungsbefugnisse vorliegen (z.b. Einwilligung), dürfen und müssen personenbezogene Daten nicht preisgegeben werden. Gleichwohl sollten entsprechende Konflikte mit der Heimaufsicht an dieser Stelle nicht ohne Not eskaliert werden. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe tritt dem Träger der freien Jugendhilfe in unterschiedlichen Funktionen gegenüber: Zum einen als im Einzelfall zuständiges Jugendamt, mit dem Auftrag, den Hilfeprozess angemessen zu steuern ( 36 SGB VIII), aber auch mit dem Auftrag, den Schutzauftrag zugunsten der Kinder und Jugendlichen wahrzunehmen. Zum anderen überwacht das (Landes-)Jugendamt in seiner Funktion als Heimaufsicht die Träger der freien Jugendhilfe bei deren Aufgabenwahrnehmung. Schließlich tritt das Jugendamt im Rahmen von Vereinbarungen nach 78a ff. SGB VIII in eine Rechtsbeziehung zum Träger der freien Jugendhilfe. 22 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

a) Rechte und Pflichten gegenüber den fallzuständigen Jugendämtern; insbesondere im Zusammenhang mit 8 a II SGB VIII Relativ unproblematisch erscheint der Umgang mit vertraulichen Daten im Rahmen von Hilfeplanverfahren, weil die Klienten in der Regel zugegen sind und eine etwa notwendige Einwilligung entweder erteilt wurde oder aber im laufenden Hilfeplangespräch erteilt werden kann. Eine andere Situation ergibt sich indes im Hinblick auf Informationen, die das Jugendamt in Wahrnehmung seines Schutzauftrages nach 8a SGB VIII verlangt. Wie oben dargelegt, ist zum einen das Jugendamt nach 8a Abs. 1 SGB VIII verpflichtet, bei Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos vorzunehmen und sich in diesem Zusammenhang möglichst umfassend entsprechende Informationen auch bei den Trägern der freien Jugendhilfe zu beschaffen. Zum anderen werden die Träger der freien Jugendhilfe in diesen Schutzauftrag dergestalt eingebunden, dass die Jugendämter als Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet werden, in Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach 8a Abs. 1 SGB VIII in entsprechender Weise wahrnehmen. Viele Jugendämter haben solche Vereinbarungen bereits geschlossen. Zum Teil steht deren Abschluss noch bevor. Gemeinsam ist diesen Vereinbarungen, dass die Träger der freien Jugendhilfe darin verpflichtet werden, bei Anhaltspunkten für eine Kindswohlgefährdung unter bestimmten Voraussetzungen (z.b. fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Eltern) das Jugendamt zu informieren (so auch 8a Abs. 2 S. 2 SGB VIII). Diese vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Jugendamt kann in Konflikt treten zu den vertraglichen Zusagen, die der Träger der freien Jugendhilfe gegenüber seinen Klienten getätigt hat. Aus der vertraglichen Beziehung zum Jugendamt ergibt sich eine Offenbarungspflicht, aus der vertraglichen Beziehung zum Klienten ergibt sich eine Geheimhaltungspflicht ein Widerspruch, der rechtlich bislang nicht gelöst ist. Es wird den Einrichtungen empfohlen, die Personensorgeberechtigten und die betreuten Kinder und Jugendlichen bereits bei Aufnahme in die Einrichtung und sofern dadurch der Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird auch im Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 23

konkret eingetretenen Einzelfall über die aus der Vereinbarung nach 8a Abs. 2 SGB VIII folgenden Mitteilungspflichten zu informieren und dieses auch schriftlich zu dokumentieren. Nach Möglichkeit sollte die Einwilligung der Personensorgeberechtigten sowie der Kinder oder Jugendlichen eingeholt werden. Ist diese nicht zu erzielen, sollte im Konflikt zwischen Geheimhaltungsgebot einerseits und Schutzpflicht zugunsten des jungen Menschen andererseits, im Zweifel der Schutzpflicht Vorrang eingeräumt werden, das Jugendamt also informiert werden, sobald gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindswohlgefährdung bestehen und diese anders als durch eine Mitteilung an das Jugendamt nicht abgewendet werden kann. Wichtig zu betonen ist, dass auch bei der Entscheidung zugunsten einer Weitergabe von Informationen grundsätzlich nur diejenigen Daten und Informationen weitergegeben werden dürfen, die von der Einwilligung erfasst sind. Es darf also nicht jeder den Fall betreffende Umstand unkritisch offenbart werden. Liegt keine Einwilligung vor, ist die Datenweitergabe auf diejenigen Informationen zu beschränken, deren Kenntnis für die Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Eine weitere Einschränkung der Pflicht zur Weitergabe von Informationen nach 8a Abs. 2 SGB VIII ergibt sich, wenn man den Personenkreis, auf den sich die Pflichten nach 8a Abs. 2 SGB VIII beziehen, einschränkt: Zutreffend ist nämlich davon auszugehen, dass mit den Worten...deren Fachkräfte... nur derjenige Mitarbeiter gemeint ist, der konkret als...insoweit erfahrene Fachkraft... i.s.d. 8a Abs. 2 SGB VIII benannt ist. b) Rechte und Pflichten gegenüber der Heimaufsicht Im Rahmen der Heimaufsicht kann es zu datenschutzrechtlichen Konflikten kommen, etwa wenn die Heimaufsicht im Rahmen sog. anlassbezogener Prüfungen ihren Schutzauftrag nach 45 SGB VIII wahrnimmt und im Zusammenhang mit der Ermittlung des Sachverhaltes auch personenbezogene Daten vom Einrichtungsträger verlangt. Auch im Rahmen heimaufsichtlicher Überprüfungen gelten die oben erläuterten Datenschutzbestimmungen (insbesondere strafrechtlicher und vertraglicher Geheimnisschutz) unvermindert fort. Der Verpflichtung der Heimaufsicht, die Abstellung festgestellter Mängel zu erwirken oder aber bei Kinds- 24 Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW

wohlgefährdung durch Ordnungsmaßnahmen (Auflagen, Rücknahme oder Widerruf der Erlaubnis) das Kindeswohl sicherzustellen, korrespondiert keine Verpflichtung der Einrichtungen, angeforderte personenbezogene Daten ohne weiteres preiszugeben. Daten dürfen, wie in allen anderen Fällen auch, nur weitergegeben werden, wenn Offenbarungsbefugnisse vorliegen. In der Regel wird man daher eine Einwilligung der Personensorgeberechtigten bzw. der betroffenen Kinder oder Jugendlichen verlangen müssen. Diese Rechtsposition wird im Zweifel harte Konflikte mit der Heimaufsicht nach sich ziehen. Im Einzelfall wird deshalb angeraten, gegenüber der Heimaufsicht die Datenschutzproblematik zwar zu artikulieren, jedoch nicht ohne Not Konflikte in dieser Frage zu eskalieren, die die Einrichtung in ihrer Existenz bedrohen können. c) Rechte und Pflichten in Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsverhandlungen Im Zusammenhang mit Leistungs- Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen kommt es in der Regel nicht zu datenschutzrechtlichen Konflikten, weil keine einzelfallbezogenen Daten in die Verhandlungen einbezogen werden müssen. Im Übrigen gelten auch hier die vorgenannten Datenschutzregeln unvermindert. 4. Rechte gegenüber den Familiengerichten In familiengerichtlichen Verfahren besteht keine Auskunfts- und Zeugnispflicht im Hinblick auf anvertraute Daten. Die allgemeinen Datenschutzvorgaben (strafrechtlicher und vertraglicher Datenschutz) sind in vollem Umfang zu beachten. Eine Zeugnispflicht und damit auch ein Offenbarungsrecht bestehen nur, wenn der Geheimnisträger eine Aussagegenehmigung erteilt hat. Geheimnisträger sind nicht nur die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern auch deren Personensorgeberechtigte. Familiengerichte nehmen ihren Auftrag zum Schutz vor Kindswohlgefährdungen in Verfahren nach 1666 f. BGB wahr. Diese Verfahren sind streng formalisiert und durch das FGG und die ZPO geregelt. Nach 12 FGG sind die Familiengerichte gehalten, Datenschutzrichtlinien - VPK-Landesverband NRW 25