Droht der Schweiz eine Desindustrialisierung? Mittwochgesellschaft Zug Hotel Guggital Zug Mittwoch 30. Januar 2013 Hans Hess Präsident Swissmem
Die MEM-Industrie ist für die Schweiz wichtig (rund 50% der gesamten Schweizer Industrie im Jahr 2011) Gesamtumsatz: CHF 89 Mia. Wertschöpfung: + 14.3% von 2000-2011 Export: CHF 68.5 Mia. (über 1/3 aller CH Exporte) Exportanteil: 77% (davon 60% in den Euro-Raum) Anteil am BIP: 9% Beschäftigte: 340 000 in der Schweiz (+ 500 000 im Ausland) Lehrstellen: 10 000 in der Schweiz 2
Geschichte des Wirtschaftswunders Schweiz Frühe Industrialisierung der Schweiz (Textil, Textilmaschinen, Farben/Chemie) Bis 1970 (Währungsschock) hatte die CH- Industrie am meisten Beschäftigte Bretton-Woods- / Öl-Schock reduzierte den BIP-Anteil der Industrie von 40% auf 20% (in den ersten 6 Jahren um 6%) Seit 1990 sind Industrieanteil am BIP und Beschäftigungszahl praktisch konstant Wertschöpfung und Export ist seit 1990 trotz Outsourcing weiter angestiegen 3
Gute Leistung der Schweizer Industrie Avenir Suisse Bericht 2012: Industriemacht Schweiz steht heute dank hochwertiger Güter und Automation glänzend da - Industrieproduktion pro Kopf beträgt in der CH $124 000/a (2x USA, 8x China) Viele CH Industrieunternehmen sind Weltmarktführer in ihren Segmenten/Nischen Die CH Industrie leistet namhafte Beiträge zu wichtigen gesellschaftlichen Themen: - Energie, Klima, Food, Mobilität, etc. Die MEM-Industrie ist grundsätzlich stark und gesund, muss sich aber laufend anpassen 4
Der permanente Strukturwandel geht weiter Starke Exportorientierung heisst heute starke weltweite Konkurrenz (aus Asien) WEF Global Competitivness Report 2011: Schweizer Industrie liegt im Mittelfeld - Hoch: 23-27% GDP (Südkorea, Taiwan, Finnland, Singapur, Deutschland) - Mittel: 18-22% GDP (Schweiz, Japan, Schweden, Italien) - Tief: <18% GDP (USA, UK, Frankreich) Die USA und die EU haben in 2012 eine Re- Industrialisierung angekündigt (BIP, Jobs) Wo sieht die Schweiz ihre Industrie in 2025? 5
Schweiz hat (noch) gute Rahmenbedingungen Die Schweiz braucht keine «Industriepolitik» sondern weiterhin gute Rahmenbedingungen Schweiz hat heute noch viele Vorzüge: - Starke Innovation (ETHs, FoA, FHS) - Ausgezeichnete Bildung (Duale BB) - Offener Markt; Teil des EU-Marktes - Genügend und günstige Firmenkredite - Moderate Steuern für die Unternehmen - Offener und flexibler Arbeitsmarkt - Politische Stabilität (tiefe Schulden) - Liberaler ordnungspolitischer Rahmen Diesem Rahmen ist Sorge zu tragen! 6
Herausforderungen an die MEM-Industrie Starker Franken (Untergrenze 1.20 hilft) Um 40% angestiegene Lohnstückkosten Massiver Druck auf Margen (bis zum Verlust) Unsicherer weltweiter Konjunkturverlauf Unsichere Zukunft im Hauptmarkt Europa Immer globalere Konkurrenz (In- & Ausland) Fachkräftemangel spitzt sich weiter zu Rückläufiger Nachwuchs (Demographie) Verlorenes Vertrauen in Duale Berufsbildung Politische Damkoles-Schwerter verunsichern Zunehmende politische Isolierung der Schweiz 7
Langjährige Tendenz des Schweizer Franken Gemessen am realen effektiven Wechselkurs ist der Franken aktuell (1.20 CHF/ EURO) ca.10% überbewertet (Kaufkraftparität heute bei ca. 1.32 CHF/EURO) 130 120 110 100 90 80 70 60 50 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 Abweichung realer effektiver Wechselkurs Trend 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% -5% -10% -15% Freigabe des CHF wäre heute noch viel zu riskant Quelle: Reuters EcoWin, UBS WMR 8 8
Rückgang der EBIT-Marge in Margenprozenten Swissmem-Umfrage Okt 2011: Einfluss der Frankenstärke auf EBIT-Marge? 20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 54% haben in 2011 >6 EBIT-Margen-Punkte verloren 5% 14% 10% 17% 15% 16% 19% 7% 9% 13% 16% 15% 14% 14% 13% 4% 2% 0% 3% 0 PP 0.1-2.0 PP 2.1-4.0 PP 4.1-6.0 PP 6.1-8.0 PP 8.1-10.0 PP 10.1-15.0 PP > 15.1 PP Umfrage Jan./Feb. 2011 (N = 206) Umfrage Sept./Okt. 2011 (N = 245) Rund 1/3 der industriellen KMU sind heute in der Verlustzone! Quelle: Swissmem Mitgliederumfragen 2011 9
Löhne in der verarbeitenden Industrie N 49,54 CH 40,87 B 39,31 S 37.23 19.79 20.69 26.12 31.98 19.53 16.53 14.75 17.56 Schweiz DK 36,58 27.02 9.56 D West 36,28 20.67 15.61 F 34,55 17.55 17 D 34,47 19.75 14.72 NL 32,01 18.17 13.84 FIN 31,48 18.55 12.92 A 31,13 16.19 14.94 L 30,16 20.37 9.79 I 25,82 14.5 11.32 J 25,49 14.33 11.16 USA 24,41 16.58 7.83 UK 23,10 16.6 6.51 E 21,58 11.65 9.93 GR 16,57 9.55 7.02 CZ 9,32 5.22 4.09 H 7,02 PL 6,46 RO 3,5 BG 2,6 3.88 4.35 2.3 1.2 1.90.7 3.15 2.11 Stundenlohn Personalzusatzkosten Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Die hohen Lohnkosten gefährden Arbeitsplätze in der Industrie 10
Unklarer Verlauf der Konjunktur PMI CH 11
Mögliche Szenarien für die MEM-Industrie Quelle: UPS Consulting, Peter Meier, Swissmem Symposium 3.9.2012 12
Handlungsfelder für die MEM-Industrie Ebene der Firmen - Innovation weiter steigern - Kosten nachhaltig reduzieren - Arbeitsmarkt offen halten - Globale Marktchancen nutzen - Flexibilität/Agilität erhöhen Ebene der Politik - Internationale Isoliereung verhindern - Gute Rahmenbedingungen erhalten - Weitere Kosten für Industrie verhindern
Innovation ist Schlüssel zum Erfolg Die Schweiz ist seit 3 Jahren das innovativste Land der Welt Innovation ist der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg der Exportindustrie Wie kann diese permanente Innovationsfähigkeit sichergestellt und unterstützt werden? - Durch die Firmen selber - Durch die Hoch- & Fachhochschulen - Durch WTT (Empa, csem, inspire) Aber auch in der Schweiz gibt es noch viel Verbesserungspotential im WTT 14
Das Potential wird nur mittelmässig genutzt Schlechte Nutzung des IP-Potenzials für neue Produkte 15
Schwache Innovation der Schweizer KMUs Diese Erkenntnis macht Sorge, vor allem auch weil kein Wachstum erkennbar ist. Stillstand bedeutet Rückschritt 16
Das Innovationspotenzial besser nutzen Forschungsergebnisse besser und schneller in die Firmen transferieren Hochschulen haben eine Bringschuld (KTI-Projekte, WTT-Strukturen) Unternehmen haben eine Holschuld KMUs brauchen KTI und WTT; Zusammenarbeit HS mit KMUs fördern Startup s fördern und unterstützen (nicht der effizienteste Weg des WTT) Firmen brauchen schlagkräftige Innovationsprozesse und -methoden 17
Kosten senken durch Effizienzsteigerungen Hohe Lohnkosten müssen durch hohe Produktivität kompensiert werden Automatisierung der Fertigung erlaubt wettbewerbsfähige Kosten (Investments) Handarbeitsplätze wandern aber aus der CH in Billiglohnländer ab (irreversibel) Technologiechancen nutzen (Internet der Dinge; hochintegrierte Systeme) Auf die Stärken der Schweiz setzen (Innovation, Bildung, Fachkräfte, etc.) Die Vorteile im Ausland nutzen (tiefere Lohnkosten; Nähe zu Wachstumsmärkten 18
Kosten senken durch Beschaffungsexzellenz Die Bedeutung der Beschaffung und des Einkaufs wird häufig unterschätzt Das Einkaufsvolumen der Industrie liegt bei rund 30-50% des Umsatzes Einkauf hat grossen Einfluss auf Gewinn-Margen und Kapitalbindung Globale Beschaffung wird zunehmend eine Chance für CH-Industriefirmen Natürliches Hedging im Einkauf ($,, ) reduziert Währungseinfluss auf Margen Exzellenz in der Beschaffung ist wichtig 19
Arbeitsmarkt: Fachkräftemangel reduzieren 65% der KMU und 78% der Grossfirmen beklagen heute einen Fachkräftemangel Ohne genügend Fachkräfte auf allen Stufen hat der Werkplatz keine Zukunft Massnahmen gegen den Fachkräftemangel - Nachwuchs für Werkplatz begeistern - Potential der Frauen besser nutzen - Potential der Älteren besser nutzen - Personenfreizügigkeit mit EU erhalten - Auch gegenüber Drittstaaten offen sein Der offene und liberale Arbeitsmarkt ist eine der Stärken des Werkplatzes Schweiz 20
Berufsbildung als grosse Stärke der CH Es sind die Fachkräfte, die Innovation, Swiss Quality und Effizienz sicherstellen - Innovation braucht Neugierde - Qualität braucht Fachleute - Effizienz braucht Hartnäckigkeit Die MEM-Industrie braucht Fachleute aller Ausbildungsstufen - Fachleute mit Berufsbildung - Fachleute mit höherer Fachbildung - Fachleute mit Fachhochschule - Fachleute mit Hochschulabschluss Viele basieren auf einer Dualen Bildung
Besondere Bedeutung: Duale Berufsbildung Viele Länder beneiden uns um unsere hervorragende Duale Berufsbildung: - Vermittlung von Wissen (Theorie) - Vermittlung von Können (Anwendung) - Sozialkompetenz und Teamarbeit lernen - Verständnis für Unternehmen (Kunden) - Verantwortung übernehmen Aber heute drängen die Eltern zu viele Jugendliche in die Mittelschulen Die Schweizer und Schweizerinnen glauben nicht mehr an die Duale Berufsbildung!
Anpassungsfähigkeit und Flexibilität erhöhen Flexibilität, Agilität, Anpassungsfähigkeit sind heute von strategischer Bedeutung: Diese Anpassungsfähigkeit braucht es zur: - Bewältigung der Konjunkturzyklen - Anpassung an die Kundenbedürfnisse - Anpassung an technologischen Wandel - Hohe Dynamik der globalen Märkte Die Schweizer Industrieunternehmen sind sehr anpassungsfähig geworden Damit werden sie auch widerstandsfähiger gegen Krisen und Veränderungen 23
Chance der globalen Märkte nutzen Die Wachstumsländer der nächsten 10 Jahre liegen meist ausserhalb Europas Interessante Wachstumsmärkte sind: - China und Indien ( je > 1 Mrd Leute) - Brasilien, Russland, Türkei, Südafrika, Vietnam, Indonesien - Und morgen wohl Afrika... Auch für KMU ist der Aufbau dieser Märkte möglich (z.b. mit Partnern) Dennoch bleiben Europa und USA wichtige Märkte (Re-Industrialisierung?) 24
Globalere Wertschöpfungsketten Wertschöpfungsketten werden globaler Der Finanz-, Arbeits- und Gütermarkt Schweiz ist heute sehr global aufgestellt Grosse Nähe zu den globalen Kunden wird immer wichtiger (Need, Speed) Zunehmender Protektionismus und hohe Importzölle führen zu Kostennachteilen Firmen müssen die Stärken der Länder gezielt nutzen (Globalisierung als Chance) Das reine Exportmodell wird sich zu einem globalen Netzwerk wandeln Auch KMUs müssen globaler handeln 25
Zunehmende Isolierung der Schweiz Der «Sonderfall Schweiz» führt unser Land zunehmend in die Isolation - Steuerausfälle von ausländischen Vermögen in der Schweiz - Steuervorteile für ausländische Holding-Gesellschaften in der CH - Unfähigkeit zur Anpassung der CH- Landwirtschaftspolitik blockiert FHA mit USA und China (und anderen?) - Der Bilaterale Weg mit Europa stockt Die Schweiz muss weltoffener werden
Politische Damokles-Schwerter verunsichern Politische Konflikte mit unseren Nachbarn - Bilateraler Weg mit Europa am Ende? - Institutionelle Forderungen der EU - Steuerstreit/Flugstreit mit Deutschland - Steuerstreit (-krieg?) mit Frankreich - FHA mit China, Indien, USA fraglich Aber auch innenpolitisch droht Ungemach - «Too-big-to fail» ist ungelöst und ein Risiko - Fehlender Wille zur nachhaltigen Sanierung der Sozialwerke (Sündenfall IV verunsichert) - Energiepolitik 2050 lässt viele Fragen offen
Zusammenfassung Die Schweiz bleibt eine starke Industrienation, wenn.. - Der Schweizer Franken fair bewertet bleibt (+/- KKP) - Die Rahmenbedingungen konkurrenzfähig bleiben - Die Kostenbelastung für die Firmen nicht weiter steigt - Die Unternehmer Vertrauen haben, hier zu investieren - Der WTT funktioniert und die Firmen innovativ bleiben - Die Effizienzsteigerung/Automation weiter gehen können - Die Unternehmen sich dem Wandel laufend anpassen - Die Weltmärkte für die Schweiz offen bleiben - Die Unternehmen in die Wachstumsmärkte investieren - Der Fachkräftemangel etwas entspannt werden kann - Die Schweiz sich aus der Isolation befreien kann 28
Swissmem setzt sich für unsere Industrie ein Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 29