08.06.2005, S. 41, auch erschienen in: ifo-schnelldienst 58 (12), S. 20-21



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Transkript:

1. Einleitung Führt die Kinderrente ein! Diese Forderung äußerte der Präsident des Münchener ifo-instituts, Hans-Werner Sinn, am 8. Juni 2005 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 1 Und der Deutsche Familienverband warnt am 7. September 2006: Wer jetzt nicht handelt, riskiert den Zusammenbruch der sozialen Sicherung. ( ) Parallel zur Leistungsverbesserung muss zügig eine kinderzahlabhängige Entlastung von Familien bei den Rentenbeiträgen erreicht werden. 2 Die kinderzahlabhängige Rente bleibt ein Dauerbrenner in der politischen und der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion über zukünftige Rentenreformen, sei es als Kinderrente oder Elternrente, als Differenzierung des Beitragssatzes oder als Differenzierung der Rentenhöhe. In der Wissenschaft propagieren insbesondere das Münchener ifo-institut für Wirtschaftsforschung und das Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln einen solchen Vorschlag. 3 Auf politischer Seite trat diese Forderung speziell im Wahlprogramm der CDU/CSU für die Bundestagswahl 2005 in den Vordergrund. 4 Auch wenn diese Reformoption letztlich nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, so zeigen diese Beispiele doch, dass die Diskussion über die Kinderrente an Aktualität und Brisanz nicht verloren hat. Neu sind diese Überlegungen jedoch nicht. Schon 1955 wurde die Idee von Schreiber aufgebracht, der behauptet, dass der der kinderlose oder kinderarme Rentner im Grunde parasitär an der Mehrleistung der Kinderreichen zehrt und daher die Einführung einer Kinderrente fordert. 5 Und auch der vor allem im Rahmen der Diskussion über das Kapitaldeckungssystem populäre Professor Mackenroth ( Mackenroth-These ) schrieb 1952, dass sozialpolitische Errungenschaften (also auch das Rentensystem) die Fertilität negativ beeinflusst ha- 1 Vgl. Sinn, Hans-Werner Sinn: Führt die Kinderrente ein!, Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.06.2005, S. 41, auch erschienen in: ifo-schnelldienst 58 (12), S. 20-21 2 Vgl. Deutscher Familienverband: DFV-Positionen zu einer familien- und leistungsgerechten Alterssicherung am 7. September 2006 3 Einschlägige befürwortende Texte hierzu stellen u.a. Sinn (2005), Sinn (2003), Werding (2006), Voigtländer (2005), Steinmann (2004), Henman und Voigtländer (2003) und Pimpertz (2005) dar. 4 Vgl. CDU,CSU: Deutschlands Chancen nutzen. Regierungsprogramm 2005-2009, hier: S.28 5 Vgl. Schreiber (1955), hier: S. 35 1

ben. 6 Auch wenn die Befürworter einer Kinderrente diese Idee gerne als unpopulär darstellen 7, so ist doch eigentlich genau das Gegenteil der Fall. In der aktuellen demographischen Lage, gepaart mit einer relativ weit verbreiteten Skepsis gegenüber dem deutschen Rentensystem 8, entfaltet die These, dass die heutige Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) das Fertilitätsproblem mit verursacht, eine enorme populistische Sprengkraft 9. Dass die GRV in vorderster Front zu den ökonomischen Ursachen der Kinderlosigkeit zu zählen ist 10, wird daher ebenso unkritisch behauptet, wie die These, dass die umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme nachweislich zum Geburtenrückgang in entwickelten Industrieländern beitragen 11. Aber ein zweiter, genauer Blick auf diese eigentlich doch sehr populäre Idee lohnt sich. Die Diskussionen um die kinderzahlabhängige Rente verlaufen dabei bisher leider relativ ungeordnet. Einige Artikel konzentrieren sich auf das Gerechtigkeitsargument, dass Eltern schlechter gestellt seien durch einen doppelten Beitrag zur Rentenversicherung (z.b. Sinn(2002), Sinn (2005)), andere stellen eher mögliche positive Effekte auf die Geburtenrate heraus (z.b. Henman und Voigtländer (2003), Steinmann (2004), Fenge und Meier (2005)). Häufig verspricht man sich von einer Kinderrente jedoch auch positive Effekte auf die Nachhaltigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung (z.b. Henman und Voigtländer (2003), Voigtländer (2005)). Diese unterschiedlichen Argumentationsstränge gilt es einerseits vollständig zu berücksichtigen und sich nicht auf einzelne zu beschränken, andererseits jedoch auch sauber voneinander zu trennen. Ein solcher strukturierter ganzheitlicher Ansatz muss bisher in der Literatur sowohl auf der Befürworter-, als auch auf 6 Vgl. Mackenroth (1952), hier: S. 58. Allerdings muss in diesem Zusammenhang erstens betont werden, dass er von "sozialpolitischen Errungenschaften" spricht, also von positiven Elementen. Dies könnte dann die negativen Wirkungen des Fertilitätsrückgangs auf die Wohlfahrt aufwiegen. Und zweitens sagt Mackenroth lediglich, dass jedes Rentensystem an sich die Fertilität beeinflusst. Über die Ausgestaltung ist damit noch keine Aussage getroffen. Insofern spricht er zwar dieses Thema an, tritt jedoch nicht als Anwalt einer kinderzahlabhängigen Rente auf. 7 So z. B. Werding (2003) in seinem Artikel Rente nach Kinderzahl: Argumente zugunsten einer unpopulären Idee. 8 So wurde vom DIA-Rentenbarometer (2006), hier: S.4, ermittelt, dass die Verlässlichkeit der GRV auf einer Skala von 1 bis 10 nur mit 3,8 bewertet wird, die private Vorsorge hingegen mit 6,3. Und eine Umfrage von tns emnid aus dem Jahr 2003 hat ergeben, dass nur noch 18% der Deutschen großes Vertrauen in die gesetzliche Rente haben, gegenüber 75% bei der privaten Rentenversicherung und 52% bei der betrieblichen Altersvorsorge. 9 Vgl. Börsch-Supan (2005), hier: S. 2 10 Sinn (2003), hier: S. 20 11 Werding (2003), hier: S. 208 2

der Kritikerseite vermisst werden. Diese Lücke versucht die vorliegende Arbeit zuschließen. Primär wird dabei die Frage untersucht, ob die kinderzahlabhängige Rente, entweder in Form einer Beitragssatzdifferenzierung oder einer Rentendifferenzierung, die Nachhaltigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung strukturell verbessern kann. Aber auch die weiteren denkbaren Argumente für eine Kinderrente, insbesondere das Gerechtigkeits- und das Fertilitätsargument, werden kritisch diskutiert. Nach einer Einleitung in Aufbau, Zielsetzung und jüngere Historie der Gesetzlichen Rentenversicherung werden in Kapitel 3 das Konzept der Nachhaltigkeit für die Alterssicherung definiert sowie einige geeignete Indikatoren zur Nachhaltigkeitsmessung vorgestellt. Im folgenden Kapitel wird dann die kinderzahlabhängige Rente hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf diese Nachhaltigkeitsindikatoren untersucht. Kapitel 5 wird sich mit den über die Nachhaltigkeit hinausgehenden Argumentationssträngen zur Kinderrente beschäftigen, bevor Kapitel 6 die Notwendigkeit zur Übertragung einer Kinderrente auf die anderen Systeme der Alterssicherung in Deutschland sowie die damit verbundenen Probleme herausstellt. Im abschließenden Kapitel 7 wird eine alternative verstärkte Förderung von Familien über das Steuersystem der kinderzahlabhängigen Rente vergleichend gegenübergestellt. 3