Universitäre Psychiatrische Dienste Bern JOB COACH PROJEKT PD Dr. med. Holger Hoffmann
Universitäre Psychiatrische Dienste Bern JOB COACH PLACEMENT
Zunahme der beruflichen Desintegration In der Schweiz verzeichneten in den letzten 10 Jahren die Invalidenrenten infolge psychischer Behinderung den grössten Anstieg. 1985 wurden 24% der Erstrenten aufgrund psychischer Ursachen vergeben, 1999 waren es bereits 36%. 2004 zählten die psychischen Störungen mit 37% zu den häufigsten Invaliditätsursachen.
Gründe für den Anstieg Die Arbeitswelt hat sich verändert Das Verständnis von psychischen Erkrankungen hat sich gewandelt Krankheitsbedingt arbeitsunfähige Personen werden bisher zu spät erfasst Bisherige Wiedereingliederungsmassnahmen führen bei psychisch Erkrankten nur in Einzelfällen zum gewünschten Erfolg der rentenreduzierenden Integration an einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Fragmentierung der Strukturen Psychische Krankheit und Behinderung sind zwei Seiten der gleichen Münze Berufliche Wiedereingliederung ist Leistung der Invalidenversicherung (IV), medizinische Leistungen der KK Rehabilitationsfachleute haben wenig Erfahrung in Psychotherapie und umgekehrt
Stufenleitermodell der Rehabilitation Arbeitsplatz in freier Wirtschaft Berufliches Wiedereingliederungsprogramm Arbeitsplatz in geschützter Werkstatt Niederschwelliges Beschäftigungsangebot Ergotherapie
Endstation Rehabilitation Befragung von 264 in WfB Beschäftigten bezüglich Zukunftserwartung in einem Jahr. 45 (17%) erwarteten einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei Nachuntersuchung ein Jahr später hatten lediglich 6 (2.3%) einen solchen Arbeitsplatz. (Eikelmann & Reker 1994 Lediglich 10% von 471 in ambulanter Arbeitstherapie, WfB oder Selbsthilfefirmen Beschäftigten arbeiteten nach 3 Jahren auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. (Reker et al. 1998
Endstation Rehabilitation Gründe seitens der psychisch Behinderten Krankheitsbedingte Reduktion der Leistungsfähigkeit Wechselhafter Krankheitsverlauf Zu spät einsetzende Rehabilitationsmassnahmen Resignation infolge Rentensprechung
Endstation Rehabilitation Gründe seitens der Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes Freie Wirtschaft benötigt hochqualifizierte, leistungsfähig und stresstolerante MitarbeiterInnen Wegrationalisierung von unqualifizierten, Teil- oder Nischenarbeitsplätzen Keine aussertariflichen, massgeschneiderten Anstellungsverhältnisse
Endstation Rehabilitation Gründe seitens der Betriebe des besonderen Arbeitsmarktes Stressärmeres Arbeitsklima wird von Behinderten geschätzt Mangel an personellen Ressourcen, ihren MitarbeiterInnen beim Übertritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt behilflich zu sein Verlust ihrer besten MitarbeiterInnen
Endstation Rehabilitation Werkstätten für Behinderte und Selbsthilfefirmen können um so leichter und rentabler geführt werden, je mehr MitarbeiterInnen dor arbeiten, die eigentlich gar nicht dorthin gehören.
Worin besteht unser Ziel? Ziel unserer Rehabilitationsbemühungen ist Integration und nicht Ausgrenzung!
Der Sandhaufen als Beispiel einer normalverteilten Gesellschaft RAND RAND Der Rand stützt die Norm
Berücksichtigen zu wenig die (Miss-) Erfolgsprädiktoren Kritik an Wiedereingliederungsmassnahmen Setzen zu spät ein Sehr teuer Massnahmen werden meist in einer geschützten Werkstatt durchgeführt Auch bei hoher Eintrittsselektion nur bescheidener Erfolg (5-30%)
Prädiktoren bei Schizophrenie-Patienten Negativ-Symptome Kognitive Defizite Soziale Defizite Arbeitsverhalten Externale Kontrollüberzeugungen Resignative Copingstrategien Arbeitsverhalten Cook & Razzano 2000 x x x Hoffmann et al. 2003 x x x Integrationserfolg Hoffmann et al. 2003 x x Hoffmann & Kupper 2003 x x x
Kritik an Wiedereingliederungsmassnahmen Integration meist nicht rentenmindernd Begleitung am Arbeitsplatz endet mit Massnahme Hohes Risiko des Stellenverlustes innert 12 Monaten Fazit: Keine Nachhaltigkeit
Supported Employment Paradigmawechsel von First train - then place zu First place - then train
Anreizsystem für Arbeitgeber Supported Employment Definition: Kompetitiver Arbeitsplatz in freier Wirtschaft Betreuung durch Job Coach Zeitlich unbeschränkt Tariflich entlöhnt
RCT-Studien zum Supported Employment n = 484 Bond et al. (1995) Indiana Study Rehab Psychol 40:75-94 Gervey & Bedell (1994) New York Study Taylor & Francis, Bristol, pp. 151-75 Drake et al. (1996) New Hampshire Study J Consult Clin Psychol 64:391-9 Drake et al. (1999) Washington Study Arch Gen Psychiatry 56: 627-33 McFarlane et al. (2000) New York ACT-Study J Orthopsychiatry 70(2):203-14
34% vs. 12% waren nach 12 Monaten angestellt signifikant höhere Arbeitszeiten In 3 von 4 Studien: höheres Einkommen Kein signifikanter Unterschied: - klinischer Verlauf - soziales Funktionsniveau - Lebensqualität - Selbstvertrauen - Programmkosten Supported Employment Ergebnisse (Crowther et al., 2000, Cochrane Library)
Supported Employment n = 1273 Ergebnisse 2 (Cook et al. 2005 a&b) 55% vs. 34% waren innerhalb von 24 Monaten jemals in freier Wirtschaft angestellt signifikant mehr, die über 40 h/monat arbeiten signifikant höheres Einkommen Bessere berufliche Integration wenn
Supported Employment Individual Placement and Support System (IPS) Drake et al., New Hampshire
JOB COACH PLACEMENT Integration auf allgemeinem Arbeitsmarkt Unbefristete Betreuung am externen Arbeitsplatz Anstellung nach Temporärstellen-Modell Finanzierung nach Art. 100 Abs. 1 Bst. a IVV als virtuelle, dezentrale geschützte Werkstatt Anreiz- und Dienstleistungspaket für externe Einsatzfirma Assessment im FIRST EP RCT-Studie mit 2-Jahres-Follow-up
JOB COACH PLACEMENT Universitäre Psychiatrische Dienste Bern Direktion Pflege Pflege und und Pädagogik IV-Stelle IV-Stelle Bern Bern PASS PASS Programm Programm SNF-Forschungsprojekt Bereich Wohnen und und Arbeit Arbeit FIRST EP EP Assessment Assessment BeWeBe Betreute Betreute Werkstätten Werkstätten Bern Bern JOB JOBCOACH PLACEMENT Projektleitung Projektleitung Job Job Coach Coach Job Job Coach Coach Job Job Coach Coach Job Coach Tagesstätten Tagesstätten Externe ExterneEinsatzfirma Einsatzfirma
FIRST EP Das FIRST EP wurde im Rahmen der JOB COACH PROJEKT- Studie entwickelt, seit 10/05 reguläres Angebot der UPD Bern Gesamt 12 Plätze (8 Abklärung: 4 Wochen, 4 berufliche Wiedereingliederung: max. 12 Mte.) Betreuungsschlüssel 1:2 PsychologInnen, ArbeitsagogInnen, SozialpädagogInnen, Pflegefachkräfte Psychiater Abklärungen/Jahr: 65, Auslastung > 80%
Assessment im FIRST EP Zuweisung durch IV-Stellen, medizin.-psychiatr. Indikation! Dauer 4 Wochen, als berufliche Abklärungsmassnahme mit Taggeld Arbeitserprobung in Büro- und Werkstattbereich Berufs- und Sozialanamnese Fachliche Qualifikationen, Kompetenzen, Berufsbiografie, Referenzen Leistungsbeeinträchtigung/Erkrankung und Ressourcen Entwicklung beruflicher Perspektiven Psychiatrische Diagnostik Psychologische Testdiagnostik Auswertung mit IV-BerufsberaterIn, Entscheid! Planen und Einleiten des Eingliederungsprozesses IV-Bericht und Koordination
Assessment im FIRST EP und Randomisierung Anmeldungen durch IV 14 =8% Vorzeitiger Abbruch 7% = 13 machen eine Ausbildung 184 57 = 31% Voraussetzungen für Randomisierung nicht gegeben 100 = 54% 54 46 Kontrollgruppe JOB COACH PROJEKT September 2002 - September 2005
JOB COACH PLACEMENT PHASE I Berufliche Wiedereingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt Dauer 6 Monate Entlöhnung IV-Taggeld
JOB COACH PLACEMENT PHASE II Anschlusslösung Externe Einsatzfirma Einsatzvertrag Leistungslohn und IV-Unterstützung, (Teil-)Rente Job Coach Begleitung Fernziel Festanstellung
Erste Erfahrungen des JCPs Breites Interesse mit hohen Erwartungen Grosse Resonanz in Fachkreisen & Medien Konkurrenzangst Finden von Arbeitsplätzen
JOB COACH PLACEMENT Anreize für Externe Einsatzfirma JOB COACH PLACEMENT = Arbeitgeber Modell Personalverleih Leistungslohn Job Coach Begleitung Krisenintervention
Wartezeit im JCP 250 Wartezeit (Tage) im Job Coach Projekt bei den ersten 25 vermittelten TeilnehmerInnen (Mittelwert: 42.3; Median 25; Range 1-226) 225 200 175 150 125 100 Reihe1 Linear (Reihe1) 75 50 25 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Erste Erfahrungen des JCPs Breites Interesse mit hohen Erwartungen Grosse Resonanz in Fachkreisen & Medien Konkurrenzangst Finden von Arbeitsplätzen Bisherige Verläufe
Bisheriger Verlauf JOB COACH PROJEKT April 06 Pb 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Code 1 Abbruch weiterer Verlauf nicht bekannt 7 8 11 20 Abbruch, IV-finanzierte Ausbildung in GEWA 21 18 Abbruch Suizid 19 25 Abbruch IV-finanzierte Ausbildung 30 31 34 38 15 42 16 46 45 17 18 19 36 Abbruch weiterer Verlauf nicht bekannt 48 Abbruch 50 20 51 Abbruch 21 54 Abbruch 22 59 Abbruch 23 60 24 65 Abbruch 25 69 KŸndigung durch Teilnehmer Studium 26 68 27 72 Abbruch Praktikum 28 70 Abbruch 29 75 30 79 Abbruch 31 83 Abbruch 32 89 Abbruch weiterer Verlauf unbekannt 33 107 34 113 35 116 Abbruch 36 131 berufl. Massnahme: Wartezeit 37 134 38 149 Abbruch berufl. Massnahme: Trainingsarbeitsplatz 39 163 Abbruch 40 165 berufl. Massnahme: Wiedereingliederungsvertrag 41 166 42 170 Abbruch Trainingsarbeitsplatz ohne Lohn 43 174 44 176 Abbruch Einsatzvertrag 45 178 46 182 Festanstellung ohne Rente ausserhalb des JCP 6 12 18 24
Bisher bekannter Verlauf der Kontrollgruppe April 06 Pb Code 3 5 1 2 3 6 weiterer Verlauf nicht bekannt 3/4-Rente 4 5 6 7 8 9 10 12 13 16 17 26 10 28 11 29 12 32 13 33 14 39 15 40 weiterer Verlauf nicht bekannt 16 43 17 44 18 58 19 61 20 62 21 63 22 66 Praktikum 23 73 24 77 25 81 26 82 27 85 28 87 29 93 30 95 31 96 32 100 33 101 34 106 Suizid 35 114 36 115 37 117 38 118 39 123 berufl. Massnahme - 40 125 41 126 IV-finanzierte Ausbildung 42 132 Ausbildung 43 136 Anstellung freie Wirtschaft 44 137 45 140 WfbM 46 143 47 147 krankheitsbedingter Unterbruch 48 154 49 157 ohne Arbeit
Bisheriger Verlauf JOB COACH PROJEKT April 06 100% 80% 60% 40% weiterer Verlauf bisher nicht be Festanstellung in freier Wirtsch Einsatzvertrag Ausbildung IV-finanzierte Ausbildung Berufliche Massnahme Trainingsarbeitsplatz ohne Loh WfbM ohne BeschŠftigung krankheitsbedingter Unterbruch 20% 0% onat 1 onat 2 onat 3 onat 4 onat 5 onat 6 onat 7 onat 8 onat 9 nat 10 onat 11 nat 12 nat 13 nat 14 nat 15 nat 16 nat 17 nat 18 nat 19 nat 20 nat 21 nat 22 nat 23 nat 24
Bisheriger Verlauf JOB COACH PROJEKT April 06 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% onat 1 onat 2 onat 3 onat 4 onat 5 onat 6 onat 7 onat 8 onat 9 nat 10 nat 11 nat 12 nat 13 nat 14 nat 15 nat 16 nat 17 nat 18 nat 19 nat 20 nat 21 nat 22 nat 23 nat 24 weiterer Verlauf bisher nicht bek Festanstellung in freier Wirtscha Einsatzvertrag Ausbildung IV-finanzierte Ausbildung Berufliche Massnahme Trainingsarbeitsplatz ohne Lohn WfbM ohne BeschŠftigung krankheitsbedingter Unterbruch
Outcome JCP vs. Kontrollgruppe April 06 JCP (n=46) Kontrollgruppe (n=49) Abbruch ² 6 Monaten Massnahme 33% 45% Einsatzvertrag in Exef 67% jemals Festanstellung 13% 18% Heute in freier Wirtschaft: - mit Job Coach 48% 0% - Festanstellung 9% 10% Heute in Ausbildung 7% 12% Heute in Massnahme 2% 16% Heute in WfbM 15% 22% Heute ohne Arbeit oder unklar 22% 39%
Erste Erfahrungen des JCPs Breites Interesse mit hohen Erwartungen Grosse Resonanz in Fachkreisen & Medien Konkurrenzangst Finden von Arbeitsplätzen Bisherige Verläufe Lohn
min. 2.00 4.00 2.00 4.00 2.00 9.00 max. 4.50 12.00 4.50 30.00 4.50 30.00 Lohnentwicklung im JCP CHF 16 14 Median 12 10 8 W+A JCP 6 4 2 3.75 7.50 3.75 11.25 3.75 15.00 0 2003 2004 2005
Zusammenfassung 1. Mit dem Supported Employment wurde ein Paradigmawechsel vollzogen, der sich in den USA sehr bewährt hat. 2. Das JOB COACH PLACEMENT ist ein auf Schweizer Verhältnisse adaptiertes Supported Employment Programm. Entscheidend ist unbefristete Begleitung durch den Job Coach. 3. Supported Employment soll Ergänzung bestehender Einrichtungen sein und nicht deren vollständiger Ersatz. 4. Erfahrungen nach 3,5 Jahren sind sehr positiv!
Bedingungen für eine erfolgreiche Integration Früherfassung, sorgfältige, rasche Abklärung Realitätsbezogene professionelle Platzierung in der freien Wirtschaft Anreiz-, Entlastungs- und Dienstleistungspaket für externe Einsatzfirmen Nachhaltige Betreuung, Begleitung durch Job Coach für Teilnehmende und Einsatzfirmen Krisenintervention Auch Eingliederung mit Rente Motivation und Kooperation aller Beteiligten
Implikationen für die Zukunft 1. Früherkennung reduziert Ausgrenzungsrisiko 2. Statt Fragmentierung Synchronisierung 3. Aufbau von Assessment-Zentren 4. Integration auf allgemeinen Arbeitsmarkt ist nicht für alle realistisch 5. Es braucht auch weiterhin breite Palette von Angeboten
Implikationen für die Zukunft 6. Mehr Anreize für Arbeitgeber 7. Stellenvermittlung alleine langt nicht 8. Nachhaltigkeit dank zeitlich unbefristeter Begleitung durch Job Coachs 9. Job Coachs werden Teil eines ambulanten Behandlungsteams 10. Haltungswechsel
Haltungswechsel Wer nicht passt, ausgegrenzt wird ausgegrenzt! wird, passt!
Sponsoren des JOB COACH PROJEKTs Schweizerische Nationalfonds Bundesamt für Sozialversicherung Stanley Thomas Johnson Stiftung Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner Stiftung Bank Vontobel-Stiftung Dosenbach-Waser-Stiftung Zug Karl Mayer Stiftung Lundbeck (Schweiz) AG Organon Pharma AG Janssen-Cilag AG