14. Wahlperiode 26. 11. 2007 Kleine Anfrage des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Antwort des Finanzministeriums Aktuelle Entwicklung bei der Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug Kleine Anfrage Ich frage die Landesregierung: 1. Bestehen Unterschiede zwischen Umsatzsteuerhinterziehung und Umsatzsteuerbetrug und wie definiert sie diese? 2. Wie hoch schätzt sie die aktuellen Beträge, die durch Umsatzsteuerhinterziehung/Umsatzsteuerbetrug dem Fiskus entgangen sind (Schaden in den Jahren 2005, 2006 und voraussichtlich 2007)? 3. Durch welche Vorgehensweisen der Steuerpflichtigen entstehen die oben genannten Defiziteinnahmen und welche Möglichkeiten werden überwiegend für die Steuerhinterziehung und den Umsatzsteuerbetrug von diesen angewendet? 4. Welche kurz- und längerfristigen Möglichkeiten sieht der Gesetzgeber, um diese Defizite einzudämmen und wie ist die Haltung der Landesregierung in der Finanzverwaltung (Personaleinsatz) zukünftig hierzu? 5. Welche Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen wurden zur Bekämpfung in der Vergangenheit ergriffen und sind weitere geplant? 6. Wirken die in vergangenen Jahren hierzu ergriffenen Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen und welche konkreten Erfolge konnten dadurch erzielt werden? 7. Wo sieht sie Defizite und Verbesserungspotenzial bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung? Eingegangen: 26. 11. 2007 / Ausgegeben: 17. 12. 2007 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/dokumente
8. Wie beurteilt sie in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden auf nationaler und internationaler Ebene? 9. Wie schätzt sie die Maßnahmen, Erfolge und Defizite im nationalen und internationalen Vergleich bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung ein? 21. 11. 2007 Dr. Bullinger FDP/DVP Begründung Bei der immer wieder aufflammenden Diskussion um eine mögliche Änderung des Umsatzsteuersystems (Mittler-Modell, Ist-Versteuerung, Reverse- Schard-Verfahren) sollten die aktuellen Erfolge und Defizite bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung mit berücksichtigt werden. Daraus könnte abgeleitet werden, ob Änderungen überhaupt Aussicht auf Erfolg versprechen oder entbehrlich sind. Weiter wäre wichtig zu ergründen, welche Maßnahmen bisher die Verwaltung und der Gesetzgeber getroffen haben und wie erfolgreich die Maßnahmen in der Praxis wirken oder ob diese weit - gehend erfolglos sind. Auf die Drucksachen 14/1221, 13/4966, 13/4302, 13/3933, 13/1867, 13/1695, 13/1128, 13/37 wird Bezug genommen. Antwort Mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 Nr. 3 S 742.0/14 beantwortet das Finanzministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Bestehen Unterschiede zwischen Umsatzsteuerhinterziehung und Umsatzsteuerbetrug und wie definiert sie diese? Zu 1.: Die Begriffe werden bei der Diskussion des Themas Umsatzsteuerbetrug regelmäßig bedeutungsgleich verwendet. 2. Wie hoch schätzt sie die aktuellen Beträge, die durch Umsatzsteuerhinterziehung/Umsatzsteuerbetrug dem Fiskus entgangen sind (Schaden in den Jahren 2005, 2006 und voraussichtlich 2007)? Zu 2.: Da das Ausmaß der Steuerhinterziehung naturgemäß nicht präzise gemessen werden kann, muss bei der Abschätzung der Einnahmeausfälle auf Hilfsgrößen zurückgegriffen werden. Die dem Schlussbericht zum Planspiel Reverse-Charge zugrunde liegenden Steuerausfälle beruhen auf Zahlenangaben, die vom ifo-institut ermittelt wurden. Das ifo-institut schätzt die Umsatzsteuerausfallquote für 2005 auf 18 Mrd., für 2006 auf 15 Mrd. und für 2007 auf 14 Mrd.. Die vom ifo-institut ermittelten Ausfallquoten basieren auf der Erhebungslücke zwischen dem hypothetischen Soll-Aufkommen an Umsatzsteuer und dem tatsächlichen kassenmäßigen Umsatzsteueraufkom- 2
men. Sie beinhalten deshalb zwangsläufig nicht nur den betrugsbedingten Steuerausfall, sondern auch andere Fehlbeträge z. B. durch Insolvenzen. 3. Durch welche Vorgehensweisen der Steuerpflichtigen entstehen die oben genannten Defiziteinnahmen und welche Möglichkeiten werden überwiegend für die Steuerhinterziehung und den Umsatzsteuerbetrug von diesen angewendet? Zu 3.: Der Umsatzsteuerbetrug hat vielfältige Erscheinungsformen. Die gängigsten und bekanntesten Erscheinungsformen sind zweifellos der sog. Karussellbetrug, der Vorsteuerbetrug mittels fingierter oder verfälschter Rechnungen und die sog. Schwarzarbeit. Dem Karussellbetrug liegen vereinfacht dargestellt Warenketten mit zumeist hochpreisigen Waren zugrunde, bei denen auf einer Handelsstufe die Umsatzsteuer vom Unternehmer zwar in Rechnung gestellt aber nicht gezahlt wird. Auf einer späteren Handelsstufe wird im Zusammenhang mit einer steuerfreien Lieferung dann noch die Erstattung der in der Eingangsrechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer als sog. Vorsteuerüberschuss beantragt. Das Fälschen und Verfälschen von Rechnungen ist angesichts der technischen Entwicklung heute nicht mehr ohne Weiteres erkennbar. Der Begriff Schwarzarbeit umfasst insbesondere die Fälle, bei denen Leistungen ohne Rechnung und damit an der Steuer vorbei erfolgen. 4. Welche kurz- und längerfristigen Möglichkeiten sieht der Gesetzgeber, um diese Defizite einzudämmen und wie ist die Haltung der Landesregierung in der Finanzverwaltung (Personaleinsatz) zukünftig hierzu? 5. Welche Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen wurden zur Bekämpfung in der Vergangenheit ergriffen und sind weitere geplant? 6. Wirken die in vergangenen Jahren hierzu ergriffenen Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen und welche konkreten Erfolge konnten dadurch erzielt werden? 7. Wo sieht sie Defizite und Verbesserungspotenzial bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung? Zu 4. bis 7.: Die Umsatzsteuer ist systembedingt besonders betrugsanfällig. Zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs wurden wie sich nicht zuletzt auch aus den in der Begründung zitierten Landtagsdrucksachen ergibt in der Vergangenheit eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen. In der Gesamtbilanz haben die bisher getroffenen Maßnahmen so wirkungsvoll sie im Einzelfall auch sein mögen letztlich allerdings nicht zu dem angestrebten grundlegenden Erfolg geführt. Die Schwäche im derzeitigen Umsatzsteuersystem liegt darin, dass der Steueranspruch des Staates und der Vorsteueranspruch des Unternehmers unabhängig voneinander existieren. Somit kann Vorsteuer abgezogen werden, ohne dass die zugrunde liegende Ausgangssteuer entrichtet wird. Es sind immer zwei verschiedene Unternehmer betroffen, die entweder zusammen oder unabhängig voneinander durch betrügerisches Handeln Aufkommensverluste verursachen können. Ausgehend von dieser Sachlage wurden bereits seit 2001 Überlegungen mit Blick auf eine veränderte Umsatzbesteuerung angestellt und in den Jahren 2004/2005 entsprechende Planspiele durchgeführt. Diese ergaben, dass ein Reverse-Charge-Verfahren (RC) am besten geeignet wäre, den Karussellbetrug und den Vorsteuerbetrug zu bekämpfen. Bei Einführung dieses Verfah- 3
rens würden sich so die seinerzeitigen Berechnungen im Ergebnis jährlich rd. 3,8 Mrd. Mehreinnahmen ergeben. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 11. November 2005 sieht die Einführung des RC-Verfahrens vor. Auch die Finanzministerkonferenz hatte sich vor dem Hintergrund, dass die Möglichkeiten zur Lösung des Problems im geltenden Recht nahezu ausgeschöpft sind für die Umsetzung des RC-Verfahrens ausgesprochen. Die Einführung des RC-Verfahrens in Deutschland scheitert derzeit daran, dass dies nur über eine Änderung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie auf EU-Ebene möglich ist, die einstimmig beschlossen werden müsste. Unabhängig von einem möglichen Systemwechsel sind der Bund und die Länder nach wie vor intensiv bemüht, auch die Betrugsbekämpfung im geltenden Recht weiter zu verbessern. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem bei sog. Risikomanagementsystemen, mit deren bundesweiter Einführung begonnen wurde. Eine Übersicht über die wichtigsten in den letzten Jahren getroffenen Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung ist als Anlage beigefügt. Ergänzend hierzu ist noch die Einrichtung eines eigenständigen Referatsteils für die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs in der Steuerabteilung der OFD Karlsruhe zu erwähnen. 8. Wie beurteilt sie in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden auf nationaler und internationaler Ebene? Zu 8.: Die gute Zusammenarbeit zwischen den Finanzämtern untereinander und zwischen dem Bundeszentralamt für Steuern und den Finanzämtern konnte in den vergangenen Jahren weiter verbessert werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen der EU-Mitgliedstaaten hat insbesondere durch die Zusammenarbeitsverordnung vom 7. Oktober 2003 eine wesentliche Verbesserung erfahren. Weitere Verbesserungen insbesondere was die elektronische Übermittlung von Informationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten betrifft befinden sich auf EU-Ebene in der Diskussion. 9. Wie schätzt sie die Maßnahmen, Erfolge und Defizite im nationalen und internationalen Vergleich bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung ein? Zu 9.: Bezüglich des nationalen Bereichs wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Eine Einschätzung im internationalen Vergleich ist nicht möglich, da sie eine detaillierte Kenntnis der in anderen Mitgliedstaaten bestehenden Verhältnisse voraussetzen würde. Stratthaus Finanzminister 4
Anlage Übersicht über die wichtigsten in den letzten Jahren getroffenen Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung Unangekündigte Umsatzsteuer-Nachschau Sicherheitsleistung in Erstattungsfällen Angabe einer Rechnungsnummer und der Steuernummer/Umsatzsteuer- Identifkationsnummer auf der Rechnung Verpflichtung des Unternehmers zur Ausstellung einer Rechnung insbesondere im unternehmerischen Bereich und bei Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück Monatliche Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen in Neugründungsfällen Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers auf alle steuerpflichtigen Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen und auf bestimmte Bauleistungen, die an bauleistende Unternehmer erbracht werden Ausdehnung der Haftungsvorschriften z.b. für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer, Manipulation der Bemessungsgrundlage, Abtretung und Verpfändung von Forderungen Erweiterung der Ordnungswidrigkeitsvorschriften bei Verstoß gegen Rechnungsausstellungs- und -aufbewahrungsvorschriften sowie bei Schädigung des Umsatzsteueraufkommens Erweiterung der Strafvorschriften bei gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Schädigung des Umsatzsteueraufkommens Datenbank USLO (Daten über innergemeinschaftliche Warenlieferungen / System MIAS) Einrichtung der Datenbank ZAUBER beim Bundesamt für Finanzen zur zentralen Erfassung von Betrugsfällen Koordinierung der Betrugsbekämpfung in länder- und staatenübergreifenden Fällen durch die Zentrale Koordinierungsstelle beim Bundesamt für Finanzen (KUSS) und Einrichtung spezieller Umsatzsteuer-Sonderprüfgruppen in den Ländern Länderübergreifender Datenzugriff auf den Grundinformationsdienst (Verfahren LUNA) Einführung speziell auf den Umsatzsteuerbetrug zugeschnittener Prüfhinweise im automatisierten Besteuerungsverfahren Bundeseinheitliche Checklisten in Neugründungsfällen EDV-Unterstützung der Umsatzsteuer-Prüfung (Laptops) Merkblatt für die Amtshilfe in Umsatzsteuersachen/Auflage spezieller Vordrucke für den Amtshilfeverkehr in Umsatzsteuersachen mit Textbausteinen Verkürzung des Dienstwegs für den Amtshilfeverkehr mit EU-Mitgliedstaaten Direkter Amtshilfeverkehr mit bestimmten Mitgliedstaaten Bundeseinheitliches Handbuch für die Umsatzsteuer-Sonderprüfung 5