Was ist ein Behandlungsfehler? Medizinischer Aspekt. Walter Vogt, Christoph Bosshard Tagung SGTV vom 30.6.2011 im Zentrum Paul Klee Bern



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Transkript:

Was ist ein Behandlungsfehler? Medizinischer Aspekt Walter Vogt, Christoph Bosshard Tagung SGTV vom 30.6.2011 im Zentrum Paul Klee Bern

Fehlerquellen 1.Konsultation Diagnose Intervention Ohne/mit Komplikation Abschluss

Fehlerquellen

Fehlerquellen 1.Konsultation Diagnose Intervention Ohne/mit Komplikation Abschluss

Fehlerquellen

Fehlerquellen 1.Konsultation Diagnose Intervention Ohne/mit Komplikation Abschluss

Definition Behandlungsfehler Verstoss gegen anerkannte Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Praxis infolge eines Mangels an gehöriger Aufmerksamkeit und Vorsicht Gattiker M; ars medici 8:354 ff (2002)

Wie geht der Gutachter vor? Rechtsmediziner? [Dirnhofer, Therapeutische Umschau 1997] Praxis: erfahrener Experte derselben Fachrichtung muss die juristischen Voraussetzungen kennen darf sich nicht als Richter aufspielen Beurteilung nur aufgrund medizinischer Kriterien

Kernfrage: Komplikation oder Behandlungsfehler?

Kernfrage: Komplikation oder Behandlungsfehler? Lösungsansätze: Genaue Analyse der Komplikation. Vermeidbar? Beurteilung immer ex ante und nicht ex post Beurteilung aufgrund des jeweils gültigen medizinischen Standards

Gallengangsverletzungen nach laparoskopischer Cholecystektomie 13 gerichtliche Urteile von 1996 2009: In 7 Fällen Behandlungsfehler anerkannt 1996 2002: Behandlungsfehler in 5/6 Fällen 2004 2009: Behandlungsfehler in 2/7 Fällen Fellmer et al Chirurg 2011;82:68-73

Kernfrage: Komplikation oder Behandlungsfehler? Lösungsansätze: Genaue Analyse der Komplikation. Vermeidbar? Beurteilung immer ex ante und nicht ex post Beurteilung aufgrund des jeweils gültigen medizinischen Standards Wie verbindlich sind Leitlinien? Anerkannte Kriterien für die medizinische Beurteilung von Behandlungsfehlern? Beurteilung stets des konkreten Falles

Regresse bei der Suva: Auswertung von 282 Fällen 2002-2010 durch VMG Rechtsgrundlage: UVG Auswertung aufgrund medizinischer Beurteilungen Team Versicherungsmedizin Insgesamt erfasste Datensätze: 295 Davon auswertbar: 282 Anzahl Männer: 218 (77%) Frauen: 64 (23%)

Die häufigsten Diagnosen Schädelhirntrauma Kontusionen Sehnenverletzungen Weichteilverletzungen Arthrosen Luxationen Diagnose unfallfremd Bandverletzungen Frakturen 0 20 40 60 80 100 120 140 160

Beteiligte Fachdisziplin Orthopädie 117 Chirurgie 68 Anästhesie Allgemeinpraktiker/Hausarzt Chirurgie Chiropraktor Gynäkologie Gastroenterologie Handchirurgie Innere Medizin Kreisarzt Kieferchirurgie Neurochirurgie nicht näher bezeichnet Orthopädie Ophthalmologie Psychiatrie Padiatrie plastische Chirurgie

Die häufigsten Eingriffe Arthrodesen Osteotomie Infiltrationen, Injektionen, Punktionen Regionale Anästhesieverfahren Osteosynthesematerialentfernungen Behandlung von Luxationen (OP/konservativ) OP Weichteilverletzungen Arthroskopien Frakturbehandlung konservativ Implantation von Totalprothesen OP von Bandverletzungen Frakturbehandlung operativ 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

Beurteilung Behandlungsfehler (n= 282) 22 (8%) 115 (41%) ja nein? 145 (51%) Differenzschaden bejaht: 64 (23%)

Anzahl Fälle 2002-2010 40 35 30 25 20 Anzahl Fälle Sorgfaltspflicht verletzt 15 46.4% 10 5 0 2002 2003 2004 2005 2007

Fehlerkategorien 80 70 79% 60 91% 50 72% 40 30 Anzahl Fälle Sorgfaltspflicht verletzt 20 10 0 Diagnosefehler

Häufigste Komplikationen Compartmentsyndrome CRPS, Algodystrophie, Sudeck falsche Isometrie nach Bandplastik sekundäre Knorpelschäden oder Arthrosen vaskuläre Komplikationen Pseudarthrosen, non union Infekte, Wundinfekte, Sepsis Anzahl Fälle Verletzung oder Begleitverletzung verpasst technische Komplikationen während Eingriffen sekundäre Fehlstellungen nach Frakturen neurologische Komplikation 0 10 20 30 40 50 60 70

Anzahl Folgeoperationen wegen Komplikation 120 100 80 60 Operationen Anzahl Fälle 40 20 0 1 2 3 4 6 7 12

Neurologische Komplikationen (n=69) Läsion lumbale Nervenwurzel Läsion N.suralis Läsion N.accessorius Läsion N.cutaneus femoris lat. inkl. Conus Cauda-Syndrom Läsion N.phrenicus Syringomyelie Läsion N.axillaris Tetraplegie (1 ev.psychogen) Läsion N.tibialis Anzahl Fälle Läsion N.ulnaris Läsion N.ischiadicus Läsion N. medianus Läsion N.femoralis Läsion N.fibularis Armplexusparese Läsion N.radialis 0 2 4 6 8 10 12

Komplikation wegen Behandlungsfehler Compartmentsyndrome CRPS, Algodystrophie, Sudeck falsche Isometrie nach Bandplastik sekundäre Knorpelschäden oder Arthrosen vaskuläre Komplikationen Pseudarthrosen, non union Infekte, Wundinfekte, Sepsis Behandlungsfehler Anzahl Fälle Verletzung oder Begleitverletzung verpasst technische Komplikationen während Eingriffen sekundäre Fehlstellungen nach Frakturen neurologische Komplikation 0 10 20 30 40 50 60 70

Risiko einer Regressmeldung Unfallmeldungen Suva 2002-2010 (BUV/NBUV/UVAL): 444 982 Fälle/Jahr (Median) Gemeldete Regressfälle 2002-2010: 33 Fälle/Jahr (Median) 1 Regressmeldung auf 13 484 Fälle

Danke für Ihre Aufmerksamkeit walter.vogt@suva.ch 25