Anmerkungen zum argentinischen Umschuldungsangebot VON JAN-HENDRIK SCHARF Mit dem Ablauf der Frist für das Umtauschangebot der argentinischen Regierung ist ein weiteres, wenn auch nicht das letzte Kapitel der argentinischen Schuldenkrise beendet; einer Krise, die in den kommenden Jahren den Kapitalmarkt für Schwellenländeranleihen nachhaltig prägen wird. Selten waren sich die bankinternen Analysten so uneinig in der Bewertung der Umschuldung. Die Empfehlungen reichten von Abwarten über Verkauf der nicht mehr bedienten Anleihen bis zur Annahme des Angebots 1, ebenso unterschiedlich wurden die Erfolgsaussichten kommentiert. Die im Umtausch für die aufgelaufene und unbediente Schuld von ca. 102 Mrd. USD offerierten neuen Wertpapiere (Pars, Quasi-Pars und Discounts) mit einem Gesamtnennwert von 38,53 Mrd. USD 2 wurden in zahleichen Stellungnahmen detailliert bewertet, der Wertverlust für die Anleger aufgelaufenen Zinsen zum größten Teil übereinstimmend mit ca. 75% angegeben 3. Diese Zahl beschreibt jedoch nicht die individuelle Anlegersituation in Abhängigkeit von den jeweils gehaltenen Papieren (ein Großteil wäre 2002 fällig gewesen). Die Fokussierung auf den "Haircut" untertreibt den diktierten ten Barwertverlust Werden alle ursprünglich in den Anleiheverträgen vereinbarten Forderungen berücksichtigt, also auch die Zinszahlungen, die in kommenden Jahren fällig geworden wären, so ergibt ein Vergleich der aggregierten Gegenwartswerte gar einen Verlust von 81,5% 4. Ein Schuldenerlaß in diesem Ausmaß wurde bislang nur ärmsten und äußerst unterentwickelten Ländern gewährt, und dies auf freiwilliger Basis durch die Geberländer. Hinzu kommen die in diese Bewertungen nicht einfließenden Verschlechterungen der Anleihebedingungen. So werden beispielsweise alle auf EURO lautende Anleihen unter englischem Recht begeben, 1 So die Empfehlung im Emerging Markets Report des Global Market Research der Deutschen Bank vom 18. Februar 2005, S. 6. 2 Bei einer fiktiven Beteiligung von 100%, vgl. den deutschen Verkaufsprospekt der Argentinischen Republik S. 12. 3 Eigene Berechnungen bewerten den Haircut mit 76%, d.h. für jeden investierten Dollar erhält der Anleger nach Umtausch einen Gegenwert von 24 Cent. 4 Eigene Schätzung ohne Berücksichtigung des BIP-gebundenen Wertpapiers.
was die Klagemöglichkeiten für deutsche Privatanleger teurer werden läßt 5. Überhaupt werden die vormals umworbenen Kleinanleger mit dem vorliegenden Angebot diskriminiert, beispielsweise durch die Umtauschbarriere eines Mindestnennbetrages eingereichter Papiere, welcher für den Erwerb von Quasi- Pars erforderlich ist 6. (Dieser Mindestnennbetrag liegt für in USD nominierte Papiere bei 350.000 USD.) Die durch Argentinien eingegangene Rückkaufsverpflichtung vor Fälligkeit ist quantitativ unbedeutend Einige Klauseln des Emissionsprospektes wurden in der öffentlichen Diskussion wenig thematisiert. In den Bestimmungen der Neuen Wertpapiere verpflichtet sich Argentinien, die Jährliche Überschüssige Zahlungskapazität pro Jahr bis 2009 für den Rückkauf von ausstehenden Neuen Wertpapieren oder sonstigen ausstehenden Schuldverschreibungen, also zur Schuldentilgung zu verwenden. Hiervon ausgenommen sind holdout-papiere (Anleihen, welche zum Umtausch berechtigt sind, aber in Erwartung eines nachgebesserten Angebots oder einer erfolgreichen Forderungs-eintreibung per Gerichtsverfahren nicht umgetauscht wurden). Mit dieser Verbotsklausel sucht Argentinien umtauschwillige Anleger zu beruhigen, dass nicht umgeschuldete Papiere zu einem Marktpreis über dem Wert des derzeitigen Angebots aufgekauft werden können. Die Jährliche Überschüssige Zahlungskapazität versteht sich als Differenz zwischen der jährlichen Zahlungskapazität und dem "jährlich zugelassenen Schuldendienst", also dem Kapitalbetrag und den Zinsen, die Argentinien im Rahmen der erfolgten Umschuldung zu zahlen verpflichtet ist 7. 5 Hervorzuheben ist allerdings das verbindliche Zugeständnis Argentiniens, daß rechtskräftige Endurteile der im Prospekt genannten englischen und U.S.amerikanischen Gerichte durch ein Gerichtsverfahren vor argentinischen Gerichten vollstreckt werden können, vgl. Verkaufsprospekt S. 114. 6 Vgl. Verkaufsprospekt S. 81 f. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, daß gerade der Marktwert der Quasi-Pars im Vergleich zu Pars und Discounts am höchsten eingeschätzt wird, siehe hierzu den Emerging Markets Report des Global Market Research der Deutschen Bank vom 18. Februar 2005, S. 3. 7 Vgl. Verkaufsprospekt S. 46 f.
Auf S. 110 des Prospektes findet sich eine Konkretisierung des "zugelassenen Schuldendienstes", nunmehr gehören hierzu auch: - "Zahlungen auf Umtauschberechtigte Wertpapiere, wenn diese Umtauschberechtigten Wertpapiere nach der Abrechnung des Angebots geändert werden, und - Zahlungen auf Umtauschberechtigte Wertpapiere als Folge eines Urteils oder eines Vergleichs nach einem gerichtlichen Urteil" Da der Terminus "Umtauschberechtigte Wertpapiere" sich an dieser Stelle auf Holdout-Papiere bezieht, wird hier einmal mehr deutlich, daß Argentinien sich mit dem Umtauschangebot Zahlungen auf Holdout-Papiere vorbehält. Genau diese im Angebot ausdrücklich enthaltene Möglichkeit hat Präsident Kirchner mit seiner jüngsten Gesetzesinitiative erfolgreich ausgeschlossen; völlig unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang, wieso sie dann zuvor explizit in den Prospekttext aufgenommen wurde. Desweiteren kann durch die Einbeziehung von Zahlungen auf diese Anleihen aber auch schnell die "Jährliche Zahlungskapazität" überschritten werden, was die Rückkaufoption dann hinfällig machen würde. Die Jährliche Zahlungskapazität wiederum hat nichts mit der Zahlungsfähigkeit des Staatshaushalts gemein, sondern entspricht den Zahlungsverpflichtungen auf die neuen Wertpapiere in dem Umfang, als hätten die Anleger das Angebot zu 100 % angenommen. Bei einer Umtauschbeteiligung von 76 % ergäbe dies eine Rückkaufsverpflichtung in einer Höhe von knapp 1,6 Mrd. USD bis 2009. Allerdings kann sich dieser Betrag durch mögliche Zahlungen auf nicht umgetauschte Anleihen, welche im jährlich zugelassenen Schuldendienstes" berücksichtigt werden, weiter verringern. Darüber hinaus werden 5% des sogenannten BIP-Überschusses in den Jahren 2005-2010 auf die beschriebene Weise zur Schuldentilgung verwendet: dabei ist der BIP- Überschuß definiert als derjenige Teil des BIP, der Argentiniens Projektionen über Entwicklung des Inlandproduktes übersteigt. Der Verkaufsprospekt nennt diese Schätzungen über die zukünftige BIP-Entwicklung das Basis-BIP. Ihnen liegt die Annahme eines realen Wachstums von 3,55% in 2006 zugrunde, welches kontinuierlich bis zum Jahre 2015 auf 3% fällt und für die Zeit nach 2015 mit 3 Prozent fortgeschrieben wird 8. (Zum Vergleich: in den Jahren 1993 bis einschließlich 1998 vor der Wirtschaftskrise wuchs das reale BIP um durchschnittlich 4% pro Jahr.) Bei aller Unsicherheit über das zukünftige Wachstum der argentinischen Wirtschaft dürfte das so beschriebene Rückkaufvolumen vernachlässigbar gering sein. 8 Vgl. Verkaufsprospekt S. 102.
Die Zahlungen auf BIP-gebundene Wertpapiere sind leicht manipulierbar Schwer einzuschätzen ist der Wert der sogenannten BIP-gebundenen Wertpapiere. An jede neu zu begebene Anleihe wird ein weiteres Papier mit gleichlautendem fiktiven Nennwert gekoppelt, auf welches in Abhängigkeit vom realen Wachstum Zinszahlungen ab 2006 nach einem bestimmten Schlüssel zugesagt werden 9. Voraussetzung hierfür ist, daß im betreffenden Jahr a) der absolute Betrag des Basis- BIP überschritten und b) daß die der Projektion des Basis-BIP zugrundliegende Wachstumsrate übertroffen wurde. Damit ist der Zeitpunkt von möglichen Zahlungen völlig unsicher. Eine weitere Konstruktionsschwäche besteht darin, daß die Bemessungsgrundlage der Zahlungsverpflichtungen in Peso ermittelt wird und zum jeweiligen Durchschnittswert des Devisenkurses der letzten "15 Kalendertage vor dem 31. Dezember des jeweiligen Referenzjahres" 10 ermittelt wird. Angesichts der derzeit zu beobachtenden Unterbewertungsstrategie der argentinischen Zentralbank 11 dürften Zahlungen in USD und EUR somit generell unterproportional ausfallen. Darüber hinaus sind Beeinflussungen des Devisenkurses durch Zentralbankinterventionen in den durch die Weihnachtsferien reduzierten Handelstage der letzten 2 Kalenderwochen leicht möglich. Darüber hinaus kann durch Ausnutzung statistischer Bewertungsspielräume eine Zahlung möglicherweise gänzlich verhindert werden. Welche Kreativität Regierungen in diesem Bereich entwickeln können, wurde unlängst durch die statistischen Manipulationen Griechenlands zur Erlangung des Eintritts in die Europäische Währungsunion unter Beweis gestellt. Auch Argentinien mit seiner ausgeprägten Schatten-wirtschaft 12 und seiner traditionellen bad governance hält hierfür einen kulturellen Humus bereit. Damit hängt eine Bewertung dieses Papiers in erheblichem Maße von den zugrundeliegenden Annahmen über die Zahlungswilligkeit der jeweiligen Regierungen in den kommenden 3 Jahrzehnten ab. Und nicht zuletzt sind die mittelfristigen Wachstumsaussichten der argentinischen Wirtschaft äußerst ungewiß. Zu einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik gehört mehr als bloße Haushaltskonsolidierung und ein auf Rohstoffen und Vorprodukten basierender Export. Welchen Schwierigkeiten Argentinien auf dem 9 Diese Papiere sind 18 Monate nach Emission frei handelbar. Die Obergrenze des über die Jahre kumulierten Zahlungen auf diese Papiere liegt bei 48% des Nennwerts alle neu emitierten Papiere, also unter der Annahme einer 100%igen Beteiligung bei ca. 20,5 Mrd. USD. Diese Grenze dürfte schwerlich erreicht werden. 10 Vgl. Verkaufsprospekt S. 103. 11 Vgl. Verkaufsprospekt S. 200, 308. 12 Im Jahre 2003 arbeiteten nach Schätzungen des argentinischen Wirtschaftsministeriums 38% aller Beschäftigten im "inoffiziellen Beschäftigungsmarkt", vgl. Verkaufsprospekt S. 160.
Weg zu einem anhaltendem und hohem Wachstum gegenübersteht, deutet bereits die derzeitige Energiekrise an 13. Die Anwendung gemeinsamer Handlungsklauseln ist begrüßenswert Der Prospekt enthält eine collective action clause (gemeinsame Handlungsklausel). Diese soll Änderungen des Anleihevertrages per Mehrheitsbeschluß mit bindender Wirkung für alle Gläubiger ermöglichen 14. Eine Kündigung der Anleihe bei bestimmten Ereignissen (Nichtzahlung, Moratorium, Cross Default etc.) ist bereits möglich, wenn diese durch eine Zahl von Anleihegläubigern ausgesprochen wird, welche mindestens 25 % des Gesamtnennbetrages halten. Allerdings bleibt an dieser Stelle fraglich, inwieweit eine solche Kündigung einen bereits in Verzug befindlichen Souverän zur Zahlung von Anleihebetrag und fälligem Zins nötigen kann. Der Wert dieses Kündigungsrechts besteht daher bestenfalls darin, daß bereits durch Repräsentanten von einem Viertel der ausstehenden Anleihen Umschuldungsgespräche erzwungen werden können. Die Modifikation einzelner Anleiheklauseln (wie etwa der Zahlungsmodalitäten) ist entweder im schriftlichen Verfahren oder durch Einberufung einer Gläubigerversammlung möglich. Änderungen, welche sich ausschließlich auf eine der Serien Pars, Quasi-Pars oder Discounts beziehen, bedürfen der Zustimmung von Inhabern von mindestens 75 % des jeweiligen Gesamtnennbetrages. Für eine globale Klauseländerung bedarf es formal der schriftlichen Zustimmung von Inhabern von mindestens 85 % des Gesamtnennbetrages, de facto reduziert sich jedoch die Mindestquote der repräsentativen Zustimmung auf zwei Drittel, wenn dieser Anteil für jede der Serien erreicht werden kann. Im Versammlungsverfahren ist die Zustimmung der Inhaber von mindestens 75 % des Gesamt-nennbetrages notwendig. 13 Vgl. Verkaufsprospekt S. 156. 14 Ebenda S. 105 ff.
Die Prospektangaben zur wirtschaftlichen Lage Argentiniens weisen auf bestehende Wachstumshemmnisse hin Negative Charakteristika der argentinischen Wirtschaft vor dem Ausbruch der Schuldenkrise und der Aufgabe des festen Wechselkursregimes waren eine fehlende Disziplin der öffentlichen Haushalte verbunden mit politischer Korruption, massive Schwierigkeiten bei der Beitreibung der gesetzlichen Steuern sowie eine hohe Kapitalflucht, welche Ausdruck mangelnden Vertrauens der Argentinier in die Stabilität der Wirtschafts- und Währungspolitik selbst unter dem Konvertibilitätssystem ab 1991 war. In den letzten Monaten konnte Argentinien beachtliche wirtschaftliche Erfolge vorweisen, das nominale BIP wuchs um beachtliche 8,7% in 2003 und um 8,5% in 2004 15, für 2005 wird ein Wachstum von 5-6% für möglich gehalten. Trotz dieser beachtlichen Wachstumsraten konnte das BIP- Niveau der Jahre vor der Wirtschaftskrise bisher nicht erreicht werden 16. Die Exporte stiegen um 18% im Vergleich zum Vorjahr, die Haushaltseinnahmen konnten in den ersten 3 Quartalen in 2004 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 41% gesteigert werden. Liest man jedoch den Verkaufsprospekt aufmerksam, findet man Hinweise darauf, daß die zuvor beschriebenen wirtschaftlichen Verzerrungen fortbestehen bzw. die Erfolge teilweise durch diskretionäre wirtschaftspolitische Maßnahmen begründet sind. Die hohen Steuereinnahmen sind beispielsweise auch der im Jahre 2002 erfolgten Einführung einer Exportsteuer geschuldet 17. Dies ist sicher ein bei wachsendem Exportvolumen kurzfristig erfolgreiches Instrument zur Einnahmeerhöhung, welches mittelfristig jedoch gerade bei fehlendem Kapitalmarktzugang Fehlallokationen fördert. Desweiteren finden sich mehrfach Hinweise auf eine gelungene Eindämmung der Kapitalflucht durch Maßnahmen der Devisenbewirtschaftung, welche aber gleichzeitig auf die Fortexistenz dieses gravierenden Problems und auf das ihm zugrundeliegenden Mißtrauens in die Wirtschaftspolitik der Regierung hinweisen 18. Und nicht zuletzt erlaubte eine Satzungsänderung der Zentralbank, den öffentlichen Haushalt mit (kurzfristigen) 15 Vorläufige Angaben des argentinischen Wirtschaftsministeriums. 16 Vgl. Verkaufsprospekt S. 143. 17 Vgl. Verkaufsprospekt S. 65, 178, 237. 18 Vgl. Verkaufsprospekt S. 165, 193. Im Verkaufsprospekt wird an keiner Stelle auf die bestehenden Restriktionen für etwa die Repatriierung von Zinszahlungen auf in Peso nominierten Quasi-Pars hingewiesen.
Krediten zu versorgen 19. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur indirekten staatlichen Kreditfinanzierung ergriffen worden, so können beispielsweise argentinische Bankinstitute ihre Mindestreserve in Staatsanleihen halten 20. Vor diesem Hintergrund kann von einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung nicht die Rede sein. 19 Vgl. Verkaufsprospekt S. 65, 196-197. Die Defizitfinanzierung duerch Zentralbankkredite besitzt in Argentinien eine lange Tradition und trug zwischen 1981 und 1991 zu den hohen Inflationsraten von durchschnittlich 787 % bei. 20 Vgl. Verkaufsprospekt S. 195.